Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.04.2017, Az. 2 StR 593/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 12863

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:050417U2STR593.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM N[X.]MEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 593/16
vom
5. [X.]pril 2017
in der Strafsache
gegen

wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 5.
[X.]pril
2017, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Krehl

als Vorsitzender,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Wimmer,
[X.] am [X.]
Dr. [X.],

Staatsanwalt beim [X.]

in der Verhandlung,
Staatsanwalt beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
[X.]uf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 23.
Juni 2016 mit den Feststellungen aufge-hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Die [X.]nklage der Staatsanwaltschaft legte dem [X.]ngeklagten zur Last, sich gemeinsam mit den früheren Mitangeklagten

[X.]

,

[X.]

,

Z.

und dem gesondert verfolgten

Gu.

im
Zeitraum zwi-
schen [X.]ugust 2012 und 24.
Oktober 2013 des gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht zu haben, wobei er als Mitglied einer Bande gehandelt haben soll.
Mit insoweit rechtskräftigem Urteil vom 14.
[X.]ugust 2014 hat das [X.] den damaligen Mitangeklagten

[X.]

wegen unerlaubten Handel-
treibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und die weiteren damaligen Mitan-geklagten [X.]

und Z.

freigesprochen. Den [X.]ngeklagten verurteilte
1
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4
-
das [X.] wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäu-bungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. [X.]uf die Revision des [X.]ngeklagten hob der Senat das Urteil, soweit es ihn betraf, mit den Feststellungen auf und wies die Sache zu neuer Verhandlung an eine an-dere große [X.] des [X.] zurück (Senat, Beschluss vom 9.
Juli 2015

2
StR 58/15, [X.], 343). Das [X.] hat den [X.] nunmehr freigesprochen und angeordnet, dass er für die erlittene Freiheits-entziehung zu entschädigen sei. Dagegen wendet sich die Revision der [X.] mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das [X.] hat Erfolg.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.] reiste der aus [X.] stammende [X.]ngeklagte am 13.
März 2013 nach [X.] ein und lebte [X.] zusammen mit dem früheren Mitangeklagten

[X.]

in des-
sen Mietwohnung in [X.].

. [X.]

hatte sich im Februar 2013 entschlossen,
[X.] zu verlassen und nach [X.] zu gehen, weil die Familie eines und er um sein Leben fürchtete. Er hatte daraufhin den mit ihm weitläufig ver-wandten [X.]ngeklagten gebeten, ihm in [X.] zur Seite zu stehen.
[X.]m 1.
Mai 2013 wurde [X.]

in Ro.

festgenommen und am
30.
Juli 2013 aus den [X.] nach [X.] abgeschoben. [X.]m 13.
Oktober 2013 kehrte er nach [X.].

in die Wohnung zurück. Der [X.]nge-
klagte blieb nach der Festnahme [X.]

s in [X.].

. [X.]m 5.
September 2013
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5
-
reiste er nach [X.] aus, kam jedoch am 4.
Oktober 2013 wieder nach
[X.].

zurück.
[X.]m Morgen des 24.
Oktober 2013 wurde in dem u.a. gegen [X.]

und
den [X.]ngeklagten geführten Ermittlungsverfahren die Wohnung [X.]

s in
[X.].

durchsucht. Zunächst drangen polizeiliche Spezialkräfte ein und nah-
men die dort angetroffenen Personen in Gewahrsam. Während sich [X.]

mit
[X.]

in einen Raum befand, wurden der [X.]ngeklagte sowie Z.

und
Ra.

in einem zweiten Raum, jeweils auf Matratzen schlafend,
angetroffen. In diesem zweiten Raum stand ein großer Kleiderschrank mit sieben Türen und vier [X.]bteilen. Die bei der Durchsuchung eingesetzten Beamten des [X.] die [X.]usweise der [X.]ngetroffenen und versuchten zu erfragen, wer den Kleiderschrank nutzt. Da die angetroffenen Personen, sämtlich [X.]lbaner, kein [X.] verstanden und ein Dolmetscher nicht vor Ort war, verständigte man ach dem [X.]usweis, viel-leicht auf die Frage nach der Schranknutzung zeigte der [X.]ngeklagte ohne ver-bale Erläuterung auf die äußere rechte Tür des Kleiderschranks, der an keiner Stelle abgeschlossen war. Nachdem die fünf in der Wohnung angetroffenen Männer zur
weiteren Vernehmung zur Dienststelle transportiert worden waren, fanden die Beamten bei der Durchsuchung der Wohnung in dem Teil des Schrankes, auf den der [X.]ngeklagte gezeigt hatte, dessen [X.] Perso-nalausweis sowie zehn Kokain-Briefchen mit insgesamt 8,69
Gramm Kokain und einem Wirkstoffgehalt von 7,18
Gramm [X.]. Die konkrete [X.]uffindesituation konnte mangels hinreichender Dokumentation nicht mehr [X.] werden.
Insgesamt wurden bei der Durchsuchung in unterschiedlichen Bereichen der Wohnung 211,9
Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 174,48
Gramm [X.] und 755,2
Gramm [X.] mit einem
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6
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Wirkstoffgehalt von 19,7
Gramm Tetrahydrocannabinol aufgefunden, die [X.]

kurz nach seiner Rückkehr aus [X.] zum gewinnbringenden Weiterver-
kauf von namentlich nicht ermittelten Bekannten erworben hatte. [X.]uf verschie-denen bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenständen wurden daktylo-skopische und DN[X.]-Spuren gefunden; auf einer Betäubungsmittelverpackung wurden die Fingerabdrücke des [X.]ngeklagten nachgewiesen.
2. Das [X.] hat sich weder davon überzeugen können, dass der [X.]ngeklagte täterschaftlich mit Betäubungsmitteln gehandelt, noch dass er zu den Drogengeschäften des [X.]

Beihilfe geleistet hat,
und hat ihn daher aus
tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Der [X.]ngeklagte hat sich eingelassen, er habe sich auf Bitten der Familie des [X.]

auch nach dessen Verhaftung um die Wohnung gekümmert und

.

gemacht. Nach der [X.]bschiebung des [X.]

habe er
sich überwiegend in K.

aufgehalten. Im Oktober 2013 sei er nach zwischen-
zeitlicher [X.]usreise nach [X.] nur deshalb wieder nach [X.].

gekommen,
um die Wohnung für [X.]

zu halten, bis dieser nach [X.] zurückkeh-

seine Rückkehr nach [X.] vorbereitet. [X.]

habe ihm zwar gesagt, dass
er in das Drogengeschäft einsteigen wolle und hierfür Kokain gekauft habe, er habe ihm aber entgegnet, dass er nichts davon halte. Später habe er von [X.]

erfahren, dass dieser Kokain in der Wohnung deponiert habe. Mit dessen
Verkauf habe er aber nichts zu tun gehabt. Es sei möglich, dass er einmal eine Betäubungsmittelverpackung angefasst habe. Die in dem [X.] gefun-denen Kokain-Briefchen gehörten nicht ihm und seien auch nicht von ihm dort gelagert worden. Dass er am Tag der Durchsuchung nochmals in der Wohnung in [X.].

geschlafen habe, sei nur Zufall gewesen.
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7
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Die [X.] sah die Einlassung des [X.]ngeklagten als nicht zu wider-legen an. Dass der [X.]ngeklagte in irgendeiner Weise fördernd an den Drogen-
geschäften des [X.]

beteiligt war, lasse sich nicht feststellen. Es sei lediglich
gesichert, dass der [X.]ngeklagte von diesen Geschäften gewusst habe. Der frühere Mitangeklagte [X.]

habe sich in seiner Einlassung, welche die Dar-
stellung des [X.]ngeklagten bestätigte, dazu bekannt, die Betäubungsmittel in der gesamten Wohnung und damit auch im Kleiderschrank deponiert zu haben. Was der [X.]ngeklagte damit zum [X.]usdruck habe bringen wollen, als er auf die äußere rechte Hälfte des Schrankes gezeigt habe, sei nicht aufzuklären gewe-sen. Ebenso wenig sei eine Zuordnung der vorhandenen Schrankfächer zu den angetroffenen Personen möglich gewesen.

II.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdi-gung des [X.] begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§
261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des [X.]ngeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie mög-lich sind. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob
dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswür-digung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen [X.] oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte [X.]n-forderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 13.
Juli 2016

1
StR 94/16, juris). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der sie tragenden Beweiswürdigung allerdings 9
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-
eine ausreichende objektive Grundlage finden. [X.]uch im Falle eines Freispruchs des [X.]ngeklagten ist das Tatgericht verpflichtet, die wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen. Insbesondere in Fällen, in denen nach dem [X.] der Hauptverhandlung ein erheblicher Tatverdacht gegen den [X.]ngeklagten besteht, ist es erforderlich, in die Beweiswürdigung und ihre Darlegung in den Urteilsgründen alle wesentlichen gegen den [X.]ngeklagten sprechenden Um-stände einzubeziehen und sie einer umfassenden Gesamtwürdigung zu unter-ziehen (vgl. [X.], Urteil vom 11.
November 2015

1
StR 235/15, [X.], 47, 48; Urteil vom 28.
Oktober 2010

4
StR 285/10, insoweit nicht abge-druckt in NStZ-RR 2011, 50).
2. [X.]n diesen Maßstäben gemessen hält die tatrichterliche Beweiswürdi-gung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiserwägungen sind lücken-haft.
a) Bereits die bei der Durchsuchung vorgefundene Wohnsituation hätte der Erörterung bedurft. Wie die [X.] festgestellt hat, wurden in

n-und in der sich an diversen Stellen (offen und versteckt) Drogen und Feinwaa-gen befanden, fünf auf Matratzen schlafende Personen angetroffen, denen nur vier Schrankabtrennungen zur Verfügung standen. Diese Umstände hätten es geboten, sich mit der
vom [X.]ngeklagten behaupteten
Zwecksetzung der [X.], für den Mitangeklagten [X.]

eine dauerhafte Bleibe in [X.] zu
bilden, auseinanderzusetzen.
b) Zwar hat die [X.]
ausdrücklich eine Gesamtwürdigung der Beweise vorgenommen. Dabei hat das [X.] aber den wesentlichen [X.] Umstand nicht gewürdigt, dass auf einer Verpackung von Betäu-12
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-
bungsmitteln
die Fingerabdrücke des [X.]ngeklagten nachgewiesen werden konn-ten. Dies lag jedoch schon deshalb besonders nah, weil der [X.]ngeklagte nach den Feststellungen selbst keine Drogen konsumierte und sich nach seiner Ein-lassung gegenüber dem Mitangeklagten [X.]

von Drogengeschäften distan-
ziert haben will.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die [X.] bei rechts-fehlerfreier Würdigung der Beweise zu durchgreifenden Zweifeln an der Sach-verhaltsdarstellung des [X.]ngeklagten gelangt und dessen Einlassung

auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer Strafbarkeit
wegen Besitzes von Betäu-bungsmitteln

als Schutzbehauptung eingeordnet hätte.
Krehl [X.] [X.]

Wimmer

[X.]

15

Meta

2 StR 593/16

05.04.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.04.2017, Az. 2 StR 593/16 (REWIS RS 2017, 12863)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12863

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