Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.10.2013, Az. 35 W (pat) 412/12

35. Senat | REWIS RS 2013, 1594

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Gegenstand

Gebrauchsmusterbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren - „Pulverförmige bauchemische Produkte mit vermindertem Staubbildungsverhalten“ – zur Schutzfähigkeit – kein erfinderischer Schritt


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Gebrauchsmuster 20 2006 020 712

hier: Löschungsantrag

hat der 35. Senat ([X.]) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2013 durch den [X.] [X.] als Vorsitzenden sowie die [X.]in Dipl.-Chem. [X.] und den [X.] Dipl.-Chem. Dr. Jäger

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der [X.] des [X.] vom 10. Oktober 2011, verkündet am 15. September 2011, aufgehoben.

2. Das Gebrauchsmuster 20 2006 020 712 wird in vollem Umfang gelöscht.

3. Die Kosten des patentamtlichen Löschungsverfahrens bleiben gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Gründe

I.

1

Die Antrags- und Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des am 27. Januar 2006 als Abzweigung der [X.] Patentanmeldung [X.] 6446.9 ([X.] EP 1 846 342 [X.]) angemeldeten und am 23. Juli 2009 unter der Bezeichnung

2

"Pulverförmige bauchemische Produkte mit vermindertem Staubbildungsverhalten"

3

mit 10 [X.]n eingetragenen Gebrauchsmusters 20 2006 020 712, für das der Zeitrang der [X.] Patentanmeldung 10 2005 005 998.8 vom 9. Februar 2005 in Anspruch genommen worden ist und dessen Schutzdauer auf 8 Jahre verlängert wurde. Der Schutzanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

4

1. Trockene, pulverförmige bauchemische Produkte mit vermindertem Staubbildungsverhalten, dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei den bauchemischen Produkten um [X.], Fugenfüller, Spachtelmassen, Dichtschlämme oder Mörtelmassen handelt, und diese mit mindestens einem Entstaubungsadditiv auf Basis von Kohlenwasserstoffen oder [X.]n, wobei Kohlenwasserstoffe mit einer [X.] zwischen 10 und 40 zum Einsatz kommen, in Kontakt gebracht bzw. beaufschlagt sind, insbesondere an ihrer Oberfläche hiermit beschichtet sind.

5

Bezüglich der auf diesen Schutzanspruch rückbezogenen eingetragenen [X.] 2 bis 10 wird auf die Gebrauchsmusterschrift [X.] 20 2006 020 712 [X.] verwiesen.

6

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin hat mit [X.] vom 21. September 2009 die Löschung des Gebrauchsmusters in vollem Umfang wegen fehlender Schutzfähigkeit nach den §§ 1 und 3 i. V. m. § 15 [X.] beantragt. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist sie u. a. auf die Druckschriften:

7

[X.] GB 1 227 355 A

8

[X.] [X.]’s Encyclopedia of Industrial Chemistry, [X.], [X.], 6. Auflage, 2005, [X.]: 15. Januar 2003 (vgl. [X.]), [X.], [X.], "Dry Mortars"

9

[X.] [X.] 504 A

[X.]a [X.] 504 A, Maschinenübersetzung

[X.]2 JP 2003-252 665 A

[X.]2a JP 2003-252 665 A, [X.] Übersetzung

[X.] [X.]-OS 1 646 502

[X.]4 GB 892 015 A

[X.] Veröffentlichungsnachweis von [X.]

[X.] M. S. Cracolice, [X.], "Introductory Chemistry: An [X.]", Verlag Brooks/[X.], 4. Auflage, 2011, 2007, [X.]: 978-0-495-55847-8, S. 643

[X.] "[X.]® – Cellulose Ethers [X.] Tile Adhesives And Grouts", August 1999, Produktdatenblatt, Dow Europe S.A.

[X.] "[X.] (Standard)", Version 03, Oktober 2001, Produktdatenblatt, [X.] – [X.] GmbH & Co. KG

[X.] "Rahmenformulierung B 0019 [X.] (Standard)", Version 02, Oktober 2001, Produktdatenblatt, [X.] – [X.] GmbH & Co. KG

[X.] "Unverbindliche Richtrezeptur Dünnbettklebemörtel CTA 3", Elotex AG, 18. Mai 2002, Produktdatenblatt, Elotex AG

[X.] 2003-252665 A, [X.] Übersetzung der [X.]

D38 Auszug aus [X.], Stichwort "Mineral oil".

Im patentamtlichen Löschungsverfahren hat die Antragsgegnerin dem Löschungsantrag mit Ausnahme der [X.] 1 und 2 widersprochen und das Gebrauchsmuster gemäß Hauptantrag mit den [X.]n 1 bis 8, gemäß Hilfsantrag 1 mit den [X.]n 1 bis 8, gemäß Hilfsantrag 2 mit den [X.]n 1 bis 8 und gemäß Hilfsantrag 3 mit den [X.]n 1 bis 3 verteidigt. Zur Unterstützung ihres Widerspruchs hat sie auf die Druckschriften:

D21 "Technischer Versuchsbericht" der Antragsgegnerin, vorgelegt mit [X.] vom 6. September 2010 und

D23 Produktinformation der Fa. [X.] GmbH "Schneller, leichter Flexmörtel PCI Rapidlight® für alle technischen Beläge", Ausgabe März 2009

verwiesen.

Die [X.] des [X.] hat mit Beschluss vom 10. Oktober 2011, verkündet am 15. September 2011, die Teillöschung des Gebrauchsmusters angeordnet, soweit es über den Gegenstand nach Hilfsantrag 3 hinausgeht und im Übrigen den Löschungsantrag zurückgewiesen. Sie hat die Gegenstände der [X.] 1 gemäß Hauptantrag, Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2 gegenüber dem aus [X.] bekannten Stand der Technik als nicht neu erachtet. Der Gegenstand der zulässigen [X.] 1 bis 3 nach Hilfsantrag 3 sei hingegen gegenüber den im Löschungsverfahren genannten Druckschriften neu und beruhe auf einem erfinderischen Schritt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie neben den bereits im Löschungsverfahren herangezogenen Dokumenten auf die im Beschwerdeverfahren zusätzlich vorgelegten Dokumente

[X.] WO 2006/084588 [X.] und

[X.] Produktdatenblatt "Tylose® MH 10002 [X.]", [X.] [X.] GmbH & Co. KG, 02/2005.

Sie sieht den aufrechterhaltenen Schutzanspruch 1 als unzulässig erweitert an. Denn die ursprünglich offenbarte Liste an bauchemischen Produkten sei nunmehr willkürlich auf [X.] eingeschränkt. Weiterhin seien willkürlich verschiedene bevorzugte und nicht bevorzugte Mengenangaben aus dem ursprünglich offenbarten Anspruch 16 gemäß [X.] miteinander kombiniert und zuvor optionale Komponenten zu zwingenden Bestandteilen gemacht worden, die in ihren konkreten Mengen und in Verbindung mit einem [X.] nicht offenbart seien. Schließlich stelle die Festlegung der [X.] auf einen Bereich zwischen 10 und 40 gegenüber den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen gemäß [X.] eine willkürliche Auswahl dar, so dass die resultierende Merkmalskombination des aufrechterhaltenen [X.] 1 in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen so im Zusammenhang nicht offenbart sei.

Des weiteren beruhe der Gegenstand des aufrechterhaltenen [X.] 1 nicht auf einem erfinderischen Schritt. So sei es ausgehend von hinlänglich bekannten [X.]n, für die eine Rahmenrezeptur beispielsweise in [X.] aufgezeigt sei, nahe liegend gewesen, den aus [X.], [X.], [X.]2, [X.] oder [X.]4 bekannten universellen Mechanismus der Entstaubung von Trockenmörteln durch Zugabe von Kohlenwasserstoffen auch bei [X.]n auf Trockenmörtelbasis anzuwenden.

Die Antragstellerin (Beschwerdeführerin) beantragt,

Aufhebung des Beschlusses und vollumfängliche Löschung des Gebrauchsmusters.

Die Antragsgegnerin (Beschwerdegegnerin) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verfolgt ihr Schutzbegehren auch im Beschwerdeverfahren mit den [X.]n 1 bis 3 vom 15. September 2011. Die [X.] 1 bis 3 lauten:

1. Trockene, pulverförmige bauchemische Produkte mit vermindertem Staubbildungsverhalten, dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei den bauchemischen Produkten um [X.] handelt, und dieser mit mindestens einem Entstaubungsadditiv auf Basis von Kohlenwasserstoffen oder [X.]n, wobei Kohlenwasserstoffe mit einer [X.] zwischen 10 und 40 zum Einsatz kommen, in Kontakt gebracht bzw. beaufschlagt sind, insbesondere an ihrer Oberfläche hiermit beschichtet sind, und wobei die bauchemischen Produkte Fasern enthalten, wobei es sich bei den Fasern um Polyolefinfasern, wie [X.] oder Polypropylenfasern, oder Cellulosefasern handelt, gekennzeichnet durch die folgenden Bestandteile, wobei die nachfolgenden Mengenangaben jeweils auf die bauchemischen Produkte bezogen sind:

Zement 25 bis 65 Gew.-Teile, bevorzugt 30 bis 50 Gew.-Teile

Entstaubungsadditiv(e) 0,01 bis 10 Gew.-Teile, insbesondere 0,01 bis 5 Gew.-Teile, bevorzugt 0,1 bis 5 Gew.-Teile, besonders bevorzugt 0,25 bis 3 Gew.-Teile

Fasern bis zu 2 Gew.-Teile, vorzugsweise bis zu 1 Gew.-Teil, besonders bevorzugt 0,1 bis 1 Gew.-Teile

Quarzsand 10 bis 60 Gew.-Teile

ggf. [X.] 0 bis 65 Gew.-Teile, insbesondere 10 bis 40 Gew.-Teile

Verdickungsmittel 0,2 bis 1 Gew.-Teile

ggf. [X.] 0 bis 15 Gewichtsteile, insbesondere 1 bis 10 Gew.-Teile

ggf. (Erhärtungs-)Be- 0 bis 2 Gew.-Teile, insbesondere 0,1

 schleuniger bis 1,5 Gew.-Teile

ggf. Sulfatträger 0 bis 10 Gew.-Teile, insbesondere 0,1 bis 10 Gew.-Teile

ggf. Entschäumer 0 bis 2 Gew.-Teile, insbesondere 0,1 bis 1 Gew.-Teile 2 bis 50 Gew.-Teile, insbesondere 3 bis 40 Gew.-Teile

ggf. Leichtzuschlagstoffe 2 bis 50 Gew.-Teile, insbesondere 3 bis 40 Gew.-Teile.

2. Bauchemische Produkte nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Fasern Faserlängen im Bereich von 50 bis 5.000 µm, insbesondere 50 bis 500 µm, aufweisen.

3. Bauchemische Produkte nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 2 dadurch gekennzeichnet, dass diese weiterhin mindestens einen Leichtzuschlagstoff enthalten.

Die Antragsgegnerin legt dar, dass der Gegenstand des [X.] 1 nicht unzulässig erweitert sei, da er sich unmittelbar und eindeutig aus der Offenbarung der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nach [X.] ergebe. Darin seien [X.] stets als Ausführungsform der bauchemischen Produkte aufgezeigt und der ausgewählte Bereich von 10 bis 40 Kohlenstoffatomen für die Kohlenwasserstoffe als bevorzugter Bereich für die bauchemischen Produkte wie [X.] offenbart. Zudem sei die Rahmenrezeptur für die [X.] den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ebenso zu entnehmen wie die Auswahl der speziell für [X.] notwendigen Bestandteile mit ihren entsprechenden Anteilen.

Der Gegenstand des [X.] 1 weise auch einen erfinderischen Schritt auf. Denn eine Kombination der Lehre der [X.] mit der Lehre der [X.], [X.], [X.]2, [X.] oder [X.]4 beruhe auf einer unzulässigen

Zu weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet, weil der geltend gemachte [X.] der fehlenden Schutzfähigkeit (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) besteht. Sie führt zur vollständigen Löschung des streitbefangenen Gebrauchsmusters.

1. Das [X.] betrifft einen trockenen, pulverförmigen [X.] mit reduzierter bzw. verminderter Staubemission beim Umgang (vgl. [X.] 20 2006 020 712 [X.] [X.]/12 Abs. [0001]).

Das [X.] schildert einleitend das Problem, dass es bei der Handhabung (z. B. Umfüll- und Mischprozessen) von trockenen, insbesondere pulverförmigen bauchemischen Produkten, wie z. B. [X.]n, zu einer deutlichen Staubentwicklung komme. Bisherige Versuche zur Vermeidung der Staubentwicklung, beispielsweise durch Steuerung des Mahlgrads bzw. der Kornzusammensetzung, durch Zusatz von wässrigem Schaum, Kunststoffdispersionen oder speziellen Ethylenoxid/Propylenoxid-Blockcopolymeren zu den bauchemischen Produkten oder durch Zusatz von Staubminderungsmitteln zum [X.] hatten einen unerwünscht nachteiligen Einfluss auf u. a. die Verarbeitbarkeit, das Abbindevermögen, das hygroskopische Verhalten, das Benetzungsverhalten und nicht zuletzt auch auf die Kosten der bauchemischen Produkte (vgl. [X.] 20 2006 020 712 [X.] [X.]/12 Abs. [0004] bis [0009]).

Davon ausgehend liegt dem [X.] in seiner verteidigten Fassung nunmehr die Aufgabe zu Grunde, einen trockenen, pulverförmigen [X.] mit einem effizienten und gegenüber dem Stand der Technik verbesserten System bereitzustellen, durch das die Staubbildung des [X.]s ohne Beeinträchtigung der Verarbeitbarkeit und Anwendungseigenschaften reduziert bzw. verhindert wird (siehe auch [X.] 20 2006 020 712 [X.] [X.]/12 Abs. [0010] bis S. 3/12 Abs. [0011] i. V. m. geltendem Schutzanspruch 1).

Gelöst wird diese Aufgabe gemäß geltendem Schutzanspruch 1 durch die Bereitstellung eines

1 trockenen, pulverförmigen [X.]s mit vermindertem Staubbildungsverhalten

2 mit mindestens einem Entstaubungsadditiv auf Basis von Kohlenwasserstoffen oder [X.]n, wobei Kohlenwasserstoffe mit einer [X.] zwischen 10 und 40 zum Einsatz kommen,

3 wobei der [X.] mit dem mindestens einen Entstaubungsadditiv in Kontakt gebracht bzw. beaufschlagt ist, insbesondere an seiner Oberfläche hiermit beschichtet ist

4 und wobei der [X.] Fasern enthält,

5 wobei es sich bei den Fasern um Polyolefinfasern, wie [X.] oder Polypropylenfasern, oder Cellulosefasern handelt,

6 wobei der [X.] folgende Bestandteile, wobei die nachfolgenden Mengenangaben jeweils auf den [X.] bezogen sind, aufweist:

7 Zement: 25 bis 65 Gew.-Teile, bevorzugt 30 bis 50 Gew.-Teile

8 Entstaubungsadditiv(e): 0,01 bis 10 Gew.-Teile, insbesondere 0,01 bis 5 Gew.-Teile, bevorzugt 0,1 bis 5 Gew.-Teile, besonders bevorzugt 0,25 bis 3 Gew.-Teile

9 Fasern: bis zu 2 Gew.-Teile, vorzugsweise bis zu 1 Gew.-Teil, besonders bevorzugt 0,1 bis 1 Gew.-Teile

10 Quarzsand: 10 bis 60 Gew.-Teile

11 Verdickungsmittel: 0,2 bis 1 Gew.-Teile

12 ggf. [X.]: 0 bis 65 Gew.-Teile, insbesondere 10 bis 40 Gew.-Teile

13 ggf. [X.]: 0 bis 15 Gewichtsteile, insbesondere 1 bis 10 Gew.-Teile

14 ggf. (Erhärtungs-)Beschleuniger: 0 bis 2 Gew.-Teile, insbesondere 0,1 bis 1,5 Gew.-Teile

15 ggf. Sulfatträger: 0 bis 10 Gew.-Teile, insbesondere 0,1 bis 10 Gew.-Teile

16 ggf. Entschäumer: 0 bis 2 Gew.-Teile, insbesondere 0,1 bis 1 Gew.-Teile

17 ggf. Leichtzuschlagstoffe: 2 bis 50 Gew.-Teile, insbesondere 3 bis 40 Gew.-Teile.

2. Es ist kann dahingestellt bleiben, inwiefern der von Seiten der Antragstellerin geltend gemachte [X.] der unzulässigen Erweiterung gegenüber der Ursprungsoffenbarung in der [X.] der dem [X.] zugrunde liegenden PCT-Anmeldung [X.] tatsächlich begründet ist, weil die Lehre des [X.] 1 gegenüber dem Stand der Technik nicht auf einem erfinderischen Schritt beruht.

3. Die Bereitstellung des nach Schutzanspruch 1 beanspruchten [X.]s ist aus einer Kombination der Dokumente [X.] mit [X.], [X.] oder [X.]4 nahe gelegt.

Der Fachwelt war - wie im einleitenden Teil des [X.]s unter Bezugnahme auf druckschriftlichen Stand der Technik ausgeführt ist - bekannt, dass pulverförmige bauchemische Produkte wie [X.] bei Umfüll- und Mischprozessen zu einer deutlichen Staubbildung neigen, weshalb zahlreiche Versuche zur Verminderung bzw. Unterbindung der Staubentwicklung unternommen worden seien (vgl. [X.] 20 2006 020 712 [X.] [X.]/12 Abs. [0004] bis [0009]). Ein derartiger zur Staubbildung neigender [X.] wird in der [X.] gelehrt. Zum Auffinden einer Lösung der vorliegenden Aufgabe, nämlich einen trockenen, pulverförmigen [X.] mit einem effizienten und gegenüber dem Stand der Technik verbesserten System bereitzustellen, durch das die Staubbildung des [X.]s ohne Beeinträchtigung der Verarbeitbarkeit und Anwendungseigenschaften reduziert bzw. verhindert wird, konnte der Fachmann, ein berufserfahrener mit der Entwicklung von bauchemischen Produkten, insbesondere von [X.]n betrauter Diplomchemiker der Fachrichtung anorganische Chemie, daher von der [X.] ausgehen.

Die [X.] offenbart eine Rahmenrezeptur für einen gattungsmäßigen [X.], der Zement, Quarzsand, Cellulosefasern und "Tylose® MH 10002 [X.]", das ein nach der Lehre der [X.] für [X.] typisches Verdickungsmittel darstellt (vgl. [X.] S. 1 "Produkteigenschaften" und "Empfohlene Einsatzgebiete, sowie [X.] "Anwendungstechnische Eigenschaften"), in streitgebrauchsmustergemäßen Gewichtsanteilen enthält (vgl. [X.] gesamtes Dokument).

Davon ausgehend wird sich der Fachmann zur Lösung der dem [X.] zugrunde liegenden Aufgabe nicht nur auf dem Gebiet der [X.], sondern auch allgemein auf dem Gebiet der trockenen, pulverförmigen bauchemischen Produkte auf Zementbasis umschauen (vgl. Busse, [X.], 7. Aufl. § 4 Rn. 148 bis 150). Denn die Staubentwicklung wird er nicht nur bei deren Anwendung als [X.], sondern auch bei allen anderen bauchemischen Anwendungen zu vermeiden suchen. Dabei findet er in der [X.] eine trockene zementhaltige bauchemische Zusammensetzung, die neben den Fasermaterialien Mineralwolle und "staple fibre" auch bis zu 3 % Mineralöl enthält. Das Mineralöl dient nach der Lehre der [X.]

Die Argumentation der Gebrauchsmusterinhaberin, dass der Fachmann die Dokumente [X.], [X.] und [X.]4 nicht heranziehen würde, weil diese andere bauchemische Produkte mit zu [X.]n sehr unterschiedlichen Eigenschaftsprofilen betreffen würden und darüber hinaus sehr viel älter seien als die Rahmenrezeptur für [X.] gemäß [X.], kann nicht durchgreifen. Denn die streitgebrauchsmustergemäßen [X.] und die bauchemischen Produkte der [X.], [X.] und [X.]4 liegen auf sachlich sehr naheliegenden Fachgebieten, insbesondere da diese sämtlich auf Zement- und Quarzsandbasis beruhen. Es kann daher vom Fachmann erwartet werden, dass er sich auch bei den bauchemischen Produkten in den sachlich naheliegenden Fachgebieten umschaut, in denen sich das zu lösende Problem, ein trockenes, pulverförmiges bauchemisches Produkt auf Zementbasis mit einem effizienten Entstaubungsadditiv ohne negativen Einfluss auf dessen Verarbeitbarkeit und Anwendungseigenschaften bereitzustellen, in ähnlicher Weise stellt und er auf Grund seiner eigenen Sachkunde erkennen kann, dass er auf diesen Fachgebieten eine Lösung finden kann (vgl. [X.], 41, [X.] und Rn. 29 - Diodenbeleuchtung). Zudem kann der Zeitrang der Druckschriften [X.], [X.] und [X.]4 den erfinderischen Schritt nicht in Frage stellen (vgl. Busse, [X.], 7. Aufl., § 4 Rn. 173). Diesen Druckschriften kann vielmehr die technische Lehre entnommen werden, dass [X.] als Entstaubungsadditive in verschiedensten bauchemischen Produkten auf Zementbasis eingesetzt werden. Sie belegen somit die Entstaubungswirkung der [X.] als seit langem bekannten allgemein gültigen Effekt für zementhaltige bauchemische Produkte.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin kann der [X.]4 ebenfalls nicht entnommen werden, dass die Zugabe von [X.] zu komplexen Gemischen, wie sie auch [X.] darstellten, nicht erfolgreich sein könnte. Denn die von der Antragsgegnerin zur Stütze dieser Ansicht angegebene Zitatstelle besagt lediglich, dass sich die gemeinsame Zugabe von hydrophoben und staubunterdrückenden Additiven zu [X.] als weniger effektiv erwiesen habe (vgl. [X.]4 [X.] Z. 17 bis 19). [X.], wie sie beispielsweise aus der [X.] bekannt sind, enthalten aber keine hydrophoben Zusatzstoffe, so dass der Fachmann keine Veranlassung hatte, davon auszugehen, dass die Effektivität der staubunterdrückenden Additive der [X.]4 durch die Zugabe zu der [X.]rezeptur der [X.] beeinträchtigt werde. Dies trifft umso mehr zu, als in der später veröffentlichten Druckschrift [X.] gelehrt wird, einem ein Hydrophobierungsmittel enthaltenden Zement zur Entstaubung 0,05 bis 0,5 Gew.-% Paraffinöl zuzugeben (vgl. [X.] Patentansprüche 1, 4, S. 3 Abs. 2 und S. 4 Abs. 2).

Auch der Einwand der Antragsgegnerin, dass weder in der [X.] noch in den anderen im Verfahren befindlichen Dokumenten [X.], [X.], [X.] und [X.], die Rahmenrezepturen für [X.] offenbarten, das Problem der Staubbildung angesprochen sei und daher auch keinen Hinweis auf ein [X.] gäben (vgl. [X.], [X.] und [X.] jeweils gesamtes Dokument sowie [X.] S. 16 bis 18 i. V. m. S. 6 bis 10 Abschnitt "3.3. Additives"), so dass der erfinderische Schritt bereits im Auffinden der streitgebrauchsmustergemäßen Aufgabe liege, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn bei der Beantwortung der Frage, in welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fachmann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lösung weiterzuentwickeln, sind nicht etwa nur ausdrückliche Hinweise beachtlich. Vielmehr können auch Eigenarten des in Rede stehenden technischen Fachgebiets, insbesondere auch technische Bedürfnisse, die sich aus der Anwendung des in Rede stehenden Gegenstands ergeben, eine Rolle spielen (vgl. [X.], [X.], 378, [X.]. und Rn. 17 - [X.] ([X.])). So war, wie das [X.] einleitend ausführt, am [X.] das Problem der Staubbildung bauchemischer Produkte wie [X.] bekannt und es waren bereits zahlreiche Versuche zur Verminderung bzw. Unterbindung dieser Staubbildung beschrieben (vgl. [X.] 20 2006 020 712 [X.] [X.]/12 Abs. [0004]). Die streitgebrauchsmusterfähige Aufgabe war somit bekannt, so dass deren Auffinden den erfinderischen Schritt nicht begründen kann. Vielmehr lag es für den Fachmann, der mit der Herstellung und Anwendung von [X.]n befasst und vertraut ist, angesichts dessen nahe, sich auf der Suche nach verbesserten Rezepturen zunächst mit bekannten Zusammensetzungen zu befassen und diese auf Optimierungsmöglichkeiten zu überprüfen (vgl. [X.], 607, Rn. 70 - Fettsäurezusammensetzung). Für Versuche in diese Richtung bot sich daher die Rahmenrezeptur der [X.] an.

Schließlich kann die von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf S. 3/12 Abs. [0014] der [X.] 20 2006 020 712 [X.] vertretene Auffassung, eine weitere Aufgabe des [X.]s liege darin, eine [X.] zu bewirken, den erfinderischen Schritt ebenfalls nicht begründen. Denn in [X.], [X.] und [X.]4 wird zur Entstaubung mit dem aus [X.]n bestehenden Mineral- bzw. Paraffinöl dasselbe Additiv auf Kohlenwasserstoffbasis eingesetzt wie im [X.]. Daher haben diese zwangsläufig dieselbe zeitliche Wirkung und führen ebenfalls zu einer [X.]. Der durch die Entstaubung mit Additiven auf Basis von Kohlenwasserstoffen oder [X.]n geltend gemachte Vorteil der [X.] ist somit als Folge eines durch den Stand der Technik nahegelegten Handelns anzusehen, die nicht dazu geeignet ist, den erfinderischen Schritt zu begründen (vgl. [X.], [X.], 693 - [X.] und Rn. 37 - Hochdruckreiniger ([X.])).

4. Mit dem Schutzanspruch 1 fallen auch die rückbezogenen [X.] 2 und 3. Eine eigenständige schutzfähige Bedeutung dieser [X.] ist in der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar.

5. Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 17 Abs. 4 und § 18 Abs. 2 Satz 2 [X.] jeweils i. V. m. § 84 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.], § 91 f. ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Meta

35 W (pat) 412/12

29.10.2013

Bundespatentgericht 35. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.10.2013, Az. 35 W (pat) 412/12 (REWIS RS 2013, 1594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1594

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