Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.02.2015, Az. VI ZR 106/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 15116

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/13
Verkündet am:

24. Februar 2015

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 Aa, I
a)
Die Frage, welche Maßnahmen der Arzt aus der berufsfachlichen Sicht sei-nes Fachbereichs unter Berücksichtigung der in seinem Fachbereich voraus-gesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten in der jeweiligen Behandlungssituation ergreifen muss,
richtet sich in erster Linie nach medizinischen Maßstäben, die der Tatrichter mit Hilfe eines Sachverständigen zu ermitteln hat. Er darf den medizinischen Standard grundsätzlich nicht ohne eine entsprechende Grundlage in einem Sachverständigengutachten oder gar entgegen den Aus-führungen des Sachverständigen aus eigener Beurteilung heraus festlegen.

b)
Bei der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob handelt es sich um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter obliegt. Diese wertende Ent-scheidung muss aber in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachver-ständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des [X.] durch den Sachverständigen stüt-zen können.
[X.], Urteil vom 24. Februar 2015 -
VI [X.]/13 -
OLG [X.]

LG Bad Kreuznach
-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24.
Februar 2015 durch den Vorsitzenden [X.], die Richter
[X.] und [X.] und die
Richterinnen
von Pentz
und Dr. Oehler
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 5.
Zivilsenats des [X.] vom 29.
Januar 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des [X.],
an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagten, soweit in der
Revisionsinstanz
noch von Interesse, aus eigenem und übergegangenem Recht wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung ihres am 17.
Oktober 2005 verstorbenen [X.] auf Er-satz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Der im Jahr 1975 geborene [X.] der Klägerin
litt unter einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, weshalb er mehrfach -
zuletzt im Januar 2004
-
stationär
behandelt wurde. In den Entlassungsberichten der [X.] Klinik für 1
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Psychiatrie und Psychotherapie vom 24.
Juli 2003 und
30. April
2004 wurde jeweils eine bradykarde Herzaktion vermerkt. Am 25.
Juli 2003, 22.
Dezember 2004, 18.
Mai 2005 und 24.
August 2005 suchte der [X.] der Klägerin den [X.] zu
1 in der von den Beklagten geführten Gemeinschaftspraxis für Neu-rologie und Psychiatrie auf. Am 22.
Dezember 2004 erhielt er vom Beklagten zu
1 80 Tabletten [X.] 200. Am Morgen des 17.
Oktober 2005 fand die Klägerin ihren [X.] leblos in seinem Bett liegend auf. Im Bad befand sich Er-brochenes. Bei der rechtsmedizinischen Untersuchung wurde ein [X.]-spiegel am oberen Grenzwert des [X.] festgestellt und ein rhythmoge-nes Herzversagen nach Einnahme von [X.] als naheliegende [X.] angenommen.
Die Klägerin macht geltend, die Beklagten
hätten
angesichts der kardio-logischen Nebenwirkungen von [X.] und des Umstands, dass bei
ihrem [X.]
[X.] aufgetreten seien, halbjährliche [X.]en ver-anlassen müssen. Dabei
wären
eine [X.] sowie ein verlängertes
QT-Intervall
festgestellt worden, die
ein sofortiges Eingreifen, insbesondere eine Umstellung der Medikation,
erfordert hätten. Das [X.] hat die Klage [X.].
Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Klägerin gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche zu. Dem Beklagten zu
1 sei kein Behandlungsfehler unterlaufen. Ein solcher liege insbesondere nicht darin, dass 3
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der Beklagte zu
1 beim [X.] der Klägerin
keine
halbjährlichen
[X.]n veranlasst habe. Derartige Kontrollen seien nicht
geboten gewesen. [X.] für eine kardiologische Problematik seien für die Konsultationen beim Beklagten zu
1 nicht dargetan. Der [X.] der Klägerin habe dem Beklagten zu
1 insbesondere nicht von Unverträglichkeiten berichtet. Die Dokumentation des Beklagten lasse auch nicht erkennen, dass die klinische Anamnese [X.] für eine erforderliche kardiologische Untersuchung gegeben habe. Ab-gesehen davon scheitere die Annahme eines Befunderhebungsfehlers auch an einem fehlenden Verschulden. Denn in den Leitlinien und Fachinformationen werde die [X.] nur empfohlen; lediglich in der Literatur würden entsprechende Kontrollen für indiziert gehalten. Selbst wenn ein Befunderhe-bungsfehler zu bejahen wäre, fehle es an der erforderlichen Kausalität. Die Klä-gerin habe nicht bewiesen, dass das Unterlassen halbjährlicher [X.]n ursächlich für den Tod ihres [X.] sei. Eine Beweislastumkehr unter dem Ge-sichtspunkt eines groben Behandlungsfehlers komme nicht in Betracht. Selbst wenn man die Vornahme von [X.]n als zwingend ansähe, läge [X.] ein einfacher Behandlungsfehler vor. Eine Beweislastumkehr nach einem einfachen Befunderhebungsfehler scheitere daran, dass ein halbjährliches EKG nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt hätte. Es sei nicht dargetan, dass der [X.] der Klägerin vor dem 17.
Oktober 2005 über Störungen der Herzrhythmustätigkeit geklagt habe. Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Obduktionsberichte seien in der Literatur auch plötzliche
Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme von [X.] beschrieben, bei denen zuvor keine Auffälligkeiten im EKG zu ver-zeichnen gewesen seien. Die gerichtlich bestellte Sachverständige habe [X.] bei der vorliegend verordneten Dosierung von 200 mg
pro Tag als unwahrscheinlich erachtet. Aus dem zweiten Obduktionsbericht vom 22.
März 2006 ergebe sich, dass es dem [X.] der Klägerin bis zum 12.
September 2005 -

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körperlich gut gegangen sei. Es sei nicht erkennbar, weshalb ein regelmäßiges EKG zwischen dem letzten dokumentierten Besuch des [X.]s der Klägerin beim Beklagten zu
1 am 24.
August 2005 und dem Todeszeitpunkt am 17.
Oktober 2005 zu terminieren gewesen sei. [X.] man ausgehend von dem in der [X.] Klinik vorgenommenen
EKG vom 20.
Januar 2004 einen halbjähr-lichen Rhythmus an, so hätte eine Kontrolle letztmals im Juli 2005 erfolgen müssen. Da der Todesfall erst Monate später im Oktober 2005 eingetreten sei, sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich bereits im Juli 2005 ein [X.] Befund gezeigt hätte. Schließlich habe die Klägerin auch nicht plausibel gemacht, welche Reaktion des Beklagten
zu 1
im Falle eines auffälli-gen EKG
geboten gewesen wäre. Soweit sie ausführt, es hätte einer sofortigen Umstellung der Medikation bedurft, bleibe dies formelhaft und abstrakt. Sie ha-be insbesondere nicht dargelegt, dass es überhaupt ein Präparat ohne die be-zeichneten Nebenwirkungen gegeben habe. Der [X.] der Klägerin sei [X.] seiner Erkrankung auf den Wirkstoff angewiesen
gewesen, weshalb er das Risiko der Nebenwirkungen habe eingehen müssen.

II.
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts können die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz materiellen und immateriellen Scha-dens nicht verneint werden.
1. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des [X.], den Beklagten sei nicht deshalb ein Befunderhebungsfehler vor-zuwerfen, weil sie beim [X.] der Klägerin keine halbjährliche [X.] veranlasst haben.

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a) Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenom-men, dass das Absehen von
halbjährlichen
[X.]en nur dann als Behandlungsfehler qualifiziert werden kann, wenn es
dem im Zeitpunkt der [X.] bestehenden medizinischen Standard zuwiderlief.
Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerk-samen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung vorausgesetzt und er-wartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissen-schaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen [X.] erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat
(vgl. Senatsurteile vom 21. Dezember 2010 -
VI
ZR 284/09, [X.]Z 188, 29 Rn. 9, 12; vom 15. April 2014 -
VI
ZR 382/12, [X.], 879 Rn. 11).

Die Ermittlung des Standards ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung kann revisionsrechtlich nur auf Rechts-
und Verfahrensfehler überprüft werden, also insbesondere darauf, ob ein Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze vorliegt, das Gericht den Begriff des medizinischen Standards verkannt oder den ihm unter-breiteten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt hat (vgl. Senat, Urteile
vom 27. März 2007 -
VI
ZR 55/05, [X.]Z 172, 1 Rn. 17 ff.; vom 15. April 2014 -
VI
ZR 382/12, [X.], 879 Rn. 13).
b) Ein solcher Rechtsfehler ist hier gegeben.
Die Revision rügt mit Erfolg, dass das
Berufungsgericht
den medizinischen Standard verfahrensfehlerhaft bestimmt hat.
[X.]) Die Frage, welche Maßnahmen der Arzt aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten in der jeweiligen Behandlungssi-7
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tuation ergreifen muss, richtet sich in erster Linie nach medizinischen Maßstä-ben, die der Tatrichter mit Hilfe eines Sachverständigen zu ermitteln hat.
Er darf den medizinischen Standard nicht ohne eine entsprechende Grundlage in ei-nem Sachverständigengutachten oder gar entgegen den Ausführungen des Sachverständigen aus eigener
Beurteilung heraus
festlegen
(vgl. Senatsurteile vom 29. November 1994 -
VI
ZR 189/93, [X.], 659, 660; vom 19. No-vember 1996 -
VI
ZR 350/95, [X.], 315, 316; vom 12. Februar 2008 -
VI
ZR 221/06, [X.], 644 Rn. 16; vom 15. April 2014 -
VI
ZR 382/12, [X.], 879 Rn.
13; Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 -
VI
ZR
138/08, [X.], 1405 Rn.
3).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Tatrichter ausnahmsweise selbst über das
erforderliche medizinische Fachwissen verfügt und dies in seiner Entscheidung darlegt (vgl. Senatsurteil vom 8.
Juli 2003 -
VI
ZR 304/02, VersR
2003, 1256, 1257; vom 28. Mai 2002 -
VI
ZR 42/01, [X.], 1026, 1028; vom 27. März 2001 -
VI
ZR 18/00, [X.], 859, 860).
bb) Wie die Revision zu Recht beanstandet,
hat das Berufungsgericht
im Streitfall eine von
der
Beurteilung der gerichtlich
bestellten Sachverständigen abweichende, eigene medizinische Bewertung des [X.] vorgenommen ohne aufzuzeigen, dass es über die erforderliche Sachkunde verfügt. Es hat damit den medizinischen Standard in unzulässiger Weise selbst bestimmt.
(1) Die Sachverständige
Dr. [X.] hat halbjährliche [X.]n im Streitfall medizinisch für geboten erachtet.
Zur Begründung ihrer Beurteilung hat sie insbesondere
auf die Warnhinweise der Hersteller von [X.] und [X.]-Generika verwiesen, wonach [X.]
eine dosisabhängige Ver-längerung des [X.] verursache
und wonach
dieser Effekt
-
der das Ri-siko von schweren
ventrikulären Arrhythmien wie Torsades
de pointes erhöhe
-
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bei Vorliegen kardialer Störungen, insbesondere [X.],
verstärkt
werde.
Sie hat weiter die Leitlinien der [X.] angeführt, wonach die Durchführung eines EKG in halbjährlichen Abständen bei einer [X.]-Medikation emp-fohlen werde, und Fachliteratur zitiert, wonach bei allen Antipsychotika ein EKG in mehrmonatigen Abständen indiziert sei. Auf Seite 32 ihres
Gutachtens
vom 19.
Mai 2011
hat sie zusammenfassend ausgeführt: "In Zusammenschau mit den Empfehlungen der Fachgesellschaft, der entscheidenden Literatur und der [X.] ist aber eine halbjährliche [X.] indiziert, insbe-sondere, da bei Herrn G. [[X.] der Klägerin]
eine [X.] vordokumentiert war."
Zwar hat sie ihre Beurteilung auf Seite
35
ihres
Gutachtens dahingehend eingeschränkt, dass unter dem Risikofaktor der vordokumentierten [X.] und der kontinuierlichen Behandlung mit [X.] eine [X.] im halbjährlichen Abstand hätte erfolgen sollen;
die kontinuierliche Einnahme von [X.] sei anhand der Akte allerdings nicht nachzuvollziehen. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem [X.] hat die Sachverständige
aber unter Be-zugnahme auf ihre
Ausführungen auf Seite
32 ihres
Gutachtens daran festge-halten, dass es ausgehend von den Empfehlungen als fehlerhaft zu werten sei, wenn keine halbjährliche [X.] durchgeführt werde.
(2) Das Berufungsgericht hat dagegen aufgrund einer -
von dieser sach-verständigen Beurteilung abweichenden
-
eigenen medizinischen Würdigung des [X.] angenommen,
es sei weder notwendig gewesen, den [X.] der Klägerin selbst mittels EKG zu untersuchen noch eine Überwei-sung an einen anderen Arzt in Betracht zu ziehen.

2. Die angefochtene Entscheidung wird auch nicht von der Hilfserwägung getragen, ein in dem Unterlassen halbjährlicher [X.]n liegender Be-funderhebungsfehler sei für den Tod des [X.] der Klägerin jedenfalls nicht kausal geworden. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung 13
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des Berufungsgerichts, der Klägerin komme insoweit eine Beweislastumkehr nicht zugute.
a) Das Berufungsgericht ist allerdings zu
Recht
davon ausgegangen, dass grundsätzlich der Anspruchsteller
den [X.] zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen hat (vgl. Senatsurteile vom 21. Dezember 2010 -
VI
ZR 284/09, [X.]Z 188, 29
Rn. 19; vom 5. November 2013 -
VI
ZR 527/12, [X.], 247 Rn. 13).
Es hat seiner Entscheidung auch zutreffend die Rechtsprechung des Senats zugrunde gelegt, nach der bei der Unterlassung einer gebotenen Be-funderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität erfolgt, wenn bereits das Absehen von
einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt. Zudem kann auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung dann zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des [X.] für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, wenn sich bei der gebo-tenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen [X.] als fundamental oder die [X.] hierauf als grob fehlerhaft darstel-len würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetrete-nen Gesundheitsschaden herbeizuführen (vgl. Senatsurteile vom 5. November 2013 -
VI
ZR 527/12, [X.], 247 Rn. 14; vom 21. Januar 2014 -
VI
ZR 78/13, [X.], 374 Rn.
20; siehe nun auch §
630h Abs.
5 BGB).
b) Die Revision beanstandet aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht das Unterlassen halbjährlicher [X.]n nicht als groben, sondern als einfachen
Befunderhebungsfehler eingestuft hat.
Diese Beurteilung findet in den Ausführungen der Sachverständigen keine Grundlage. Zwar handelt es sich bei der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob
um eine juristi-15
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-

sche Wertung, die dem Tatrichter obliegt. Indessen muss
diese wertende Ent-scheidung in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitge-teilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des [X.] durch den Sachverständigen stützen können. Es ist dem Tatrichter nicht gestattet, den Behandlungsfehler ohne entsprechende Dar-legungen aufgrund eigener Wertung als grob oder nicht grob zu qualifizieren
(vgl. etwa Senatsurteile vom 28. Mai 2002 -
VI
ZR 42/01, [X.], 1026, 1027
f.; vom 3. Juli 2001 -
VI
ZR 418/99, [X.], 1116, 1117;
vom 19. Juni 2001 -
VI
ZR 286/00, [X.], 1115
f.; vom 7. Juni 2011 -
VI
ZR 87/10, [X.], 1148 Rn. 9).

Die Revision rügt zu Recht, dass das
Berufungsgericht die gerichtlich bestellte Sachverständige nicht dazu befragt hat,
wie das
von ihr als fehlerhaft angesehene
Absehen von halbjährlichen [X.]n medizinisch zu ge-wichten sei,
und die erforderliche Beweiserhebung durch eine eigene medizini-sche Würdigung des [X.] ersetzt
hat. Soweit das [X.] darauf verwiesen hat, lediglich in der Literatur fänden sich [X.] darauf, dass eine [X.] indiziert sei, hat es sich über die Beurtei-lung der Sachverständigen hinweggesetzt, die das Unterlassen der [X.] unter den Umständen des vorliegenden Falles als fehlerhaft erachtet hat.
c) Von durchgreifenden [X.] beeinflusst sind auch die Erwä-gungen, mit denen das Berufungsgericht eine
Umkehr
der Beweislast
bei einem einfachen Befunderhebungsfehler verneint hat.
Ob
halbjährliche [X.]n beim [X.] der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu ei-nem reaktionspflichtigen Befund geführt hätten, bestimmt
sich nach medizini-schen Maßstäben, die der Tatrichter mit Hilfe eines Sachverständigen aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet zu ermitteln hat. Die Revision rügt mit 17
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Erfolg, dass das Berufungsgericht auch diese Frage verfahrensfehlerhaft ohne die erforderliche Hinzuziehung eines Sachverständigen aus eigener, nicht [X.] Sachkunde beantwortet hat. Die gerichtlich bestellte [X.] hat sich zu dieser Frage nicht geäußert.
Soweit sich das Berufungsgericht auf ihre Angaben gestützt hat, bei einer therapeutischen Dosierung von
200
mg pro Tag seien [X.] unwahrscheinlich,
hat es übersehen, dass die Sachverständige als kardiale Nebenwirkungen von [X.] neben der [X.] in erster Linie eine von dieser
zu unterscheidende Verlängerung des [X.]
(Verlängerung
der Repolarisation des Ventrikels)
angeführt hat. Eine Verlängerung des [X.] kann
nach ihren Ausführungen
zu le-bensbedrohlichen ventrikulären Tachyarrhythmien einschließlich sogenannter Torsades de
pointes führen. Das Risiko für derartige Arzneimittelwirkungen ist danach bei einer [X.] erhöht, setzt sie aber nicht voraus.
In diese Rich-tung weisen auch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. N.

, der für die St[X.]tsanwaltschaft die Leichenöffnung durchgeführt und den toxikologischen Befund erstellt hat. Danach kann [X.] zu einer Störung der Reizleitung innerhalb des Herzens führen und Herzrhythmusstörungen verursachen, die auch bei therapeutischen Dosen zu Herzversagen führen können.
Wie die [X.] zu Recht
geltend macht, hatte sich die Klägerin diese
Angaben ausdrück-lich zu Eigen gemacht.
d) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Annahme
des
Berufungsgerichts, die Patientenseite
müsse bei einem einfachen Befun-derhebungsfehler die gebotene Reaktion auf den hypothetischen Befund in fachlich-medizinischer Hinsicht konkret substantiieren; soweit die
Klägerin
aus-führe, die Bestätigung der [X.] hätte ein sofortiges Eingreifen notwendig gemacht sowie eine Beendigung der Medikation mit [X.] gefordert, bleibe dies formelhaft und abstrakt. Hierbei
hat das Berufungsgericht
übersehen, dass an die [X.] der [X.]en im [X.] maßvolle 19
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12

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und verständige Anforderungen zu stellen sind.
Vom Patienten
kann
regelmä-ßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden.
Der Patient und sein Prozessbevollmächtigter sind insbesondere nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fach-wissen anzueignen. Vielmehr darf sich die [X.] auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 -
VI
ZR 199/03, [X.]Z 159, 245, 252).
Diesen Anforderungen genügte der Vortrag der Klägerin. Wie die [X.] mit Erfolg geltend macht, hatte die Klägerin bereits in der Klageschrift vorge-tragen, dass bei
der [X.] die [X.] bestätigt worden und eine verlängerte Herzreizweiterleitung bei
ihrem [X.] festgestellt worden
wäre, die ein sofortiges Eingreifen, insbesondere eine sofortige Beendigung der [X.] mit [X.] notwendig gemacht hätte.
Die aufgrund eigener -
nicht [X.]
-
Sachkunde getroffene Beurteilung des Berufungsgerichts, die wei-tere Einnahme von [X.] sei
"alternativlos" gewesen, weshalb der
[X.] der Klägerin
das Risiko der Nebenwirkungen habe eingehen müssen, wird durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht getragen.
3. Die angefochtene Entscheidung wird auch nicht von der weiteren Hilfserwägung getragen,
der
Beklagte
zu 1
habe die gebotene Befunderhebung jedenfalls nicht schuldhaft unterlassen. Das Berufungsgericht hat seine Beurtei-lung damit begründet, dass die [X.] in den Leitlinien und Fachin-formationen nur empfohlen und lediglich in der
Literatur für indiziert gehalten werde. Hierbei hat es übersehen, dass auch im Arzthaftungsrecht der objekti-vierte zivilrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff des §
276 Abs.
2 BGB maßgeblich ist. Danach hat der Arzt für die Einhaltung der objektiv erforderlichen Sorgfalt einzustehen. Er muss die Voraussetzungen einer dem medizinischen Standard 20
21
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entsprechenden Behandlung kennen und beachten. Für ein dem Standard zu-widerlaufendes Vorgehen ist er haftungsrechtlich auch dann verantwortlich, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus subjektiv als entschuldbar erscheinen mag (Senatsurteile vom 29. Januar 1991 -
VI
ZR 206/90, [X.]Z 113, 297, 303; vom 13. Februar 2001 -
VI
ZR 34/00,
[X.], 646; vom 6.
Mai 2003 -
VI
ZR 259/02, [X.], 1128, 1130). Den medizinischen Standard hatte die Sachverständige aber gerade dahingehend bestimmt, dass aufgrund der Verabreichung von [X.] halbjährliche [X.]n gebo-ten waren.
4. Das angefochtene Urteil beruht auf den aufgezeigten [X.]. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berück-sichtigung der vorhandenen und Einholung der erforderlichen sachverständigen Stellungnahmen einen
zu einer Beweislastumkehr führenden
Befunderhe-bungsfehler bejaht hätte.
Galke
[X.]
[X.]

von Pentz
Oehler

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 31.08.2012 -
3 [X.]/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 29.01.2013 -
5 U 1175/12 -

22

Meta

VI ZR 106/13

24.02.2015

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.02.2015, Az. VI ZR 106/13 (REWIS RS 2015, 15116)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15116

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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