Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.05.2017, Az. X B 36/17

10. Senat | REWIS RS 2017, 11444

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Gegenstand

Aktenkopien


Leitsatz

1. NV: Für die Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht sowie die Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen, Ausdrucken und Abschriften ist jedenfalls auch der Vollsenat zuständig.

2. NV: Wer die Überlassung der Kopien des vollständigen Akteninhalts begehrt, hat grundsätzlich darzulegen, weshalb dies die Prozessführung erleichtert.

3. NV: Es besteht grundsätzlich kein Rechtsschutzbedürfnis, bereits vorliegende Dokumente ein zweites Mal in Kopie zu erhalten.

4. NV: Im erfolglosen Beschwerdeverfahren ist auch dann eine Kostenentscheidung zu treffen, wenn es sich um ein unselbständiges Nebenverfahren handelt.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin und Antragstellerin gegen den Beschluss des [X.] vom 3. Februar 2017 12 K 2118/16, 12 V 2168/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin und Antragstellerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) erhob am 16. November 2016 (Eingang) bei dem [X.] ([X.]) Klage wegen der Einkommensteuer 2009 und 2010, der Gewerbesteuermessbeträge sowie der Umsatzsteuer 2009 bis 2012 (12 K 2118/16) und beantragte am 24. November 2016 (Eingang) die Aussetzung der Vollziehung (AdV) hierzu (12 V 2168/16).

2

Mit Klageerhebung beantragte sie, vertreten durch ihre [X.]rozessbevollmächtigte ([X.]), Akteneinsicht durch Übersendung der Akten an das [X.] ([X.]).

3

Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --[X.]--) übersandte dem [X.] am 6. Dezember 2016 seine Verwaltungsakten (fünf Bände) und merkte gleichzeitig an, in den Akten befänden sich abgesehen von dem Kontrollmaterial, das überhaupt erst zu der steuerlichen Erfassung der Beschwerdeführerin geführt habe, lediglich [X.]roberechnungen der vorgenommenen Steuerfestsetzungen und der Schriftwechsel mit [X.] Das Kontrollmaterial habe er der [X.] bereits vor Erlass der Bescheide übersandt.

4

Mit Verfügung vom 9. Dezember 2016 ordnete die Berichterstatterin beim [X.] die Übersendung der Akten an das [X.] an. Dort nahm für [X.] am 16. Januar 2017 Frau A Einsicht, die gleichzeitig die Übersendung folgender Aktenbestandteile in Kopie beantragte:

Gewerbesteuerakte

- vollständige Akte

Einkommensteuerakte

- alle Seiten

Sonderband Rechtsbehelf

- 1-69 Seiten

Sonderband [X.]

- 1-99 Seiten

Umsatzsteuerakten

- alle Seiten

5

Das [X.] sandte am selben Tage die Akten an das [X.] zurück mit dem Bemerken, die Kopien hätten wegen hoher Arbeitsbelastung nicht gefertigt werden können.

6

Am 19. Januar 2017 wies die Berichterstatterin [X.] darauf hin, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Überlassung von Fotokopien der gesamten Gerichtsakte bestehe, es sei denn, es werde substantiiert und damit nachvollziehbar dargelegt, warum Kopien erforderlich seien, um die [X.]rozessführung zu erleichtern bzw. die Klage/den Antrag auf AdV zu begründen. Sollten eigene Schriftsätze des Bevollmächtigten fotokopiert werden, sei das Rechtsschutzbedürfnis ausdrücklich zu begründen. Im Übrigen sei, worauf das [X.] bereits hingewiesen habe, [X.] der Inhalt aller Akten bereits umfänglich bekannt.

7

In einem am 1. Februar 2017 eingegangenen Schriftsatz äußerte sich [X.] zum Anspruch auf Akteneinsicht und Abschriftenerteilung. Das Kopieren des gesamten [X.] sei auch nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) möglich und vorliegend geboten, wenn nämlich substantiiert und nachvollziehbar dargelegt werde, weshalb diese Überlassung erforderlich sei, um die [X.]rozessführung zu erleichtern. Dies sei Bestandteil des klägerischen Anspruchs auf rechtliches Gehör. Es stelle die erforderliche Rücksprache mit der Beschwerdeführerin in [X.]erson sicher, um deren [X.] effektiv formulieren zu können.

8

Mit Beschluss vom 3. Februar 2017 hat das [X.] in einer Besetzung mit drei Richtern den Antrag auf Überlassung vollständiger Kopien der fünf Akten abgelehnt. Zu den besonderen Anforderungen an die Überlassung vollständiger Aktenkopien sei nichts vorgetragen. Dass weder [X.] noch ein juristisch qualifizierter Mitarbeiter der [X.], sondern eine Büroangestellte die Akteneinsicht vorgenommen habe, deute eher auf das Bestreben hin, die Vorlage der angekündigten Begründungen im Klage- und vor allem im eilbedürftigen AdV-Verfahren hinauszuzögern.

9

Gegen den der [X.] am 6. Februar 2017 zugestellten Beschluss hat diese am 20. Februar 2017 Beschwerde eingelegt und eine weitere Beschwerdebegründung angekündigt. Das [X.] beschloss am 22. Februar 2017 (wiederum in der Besetzung mit drei Richtern), der Beschwerde nicht abzuhelfen, und legte die Sache dem [X.] vor. Die Geschäftsstelle des beschließenden Senats forderte [X.] zur Einreichung der weiteren Beschwerdebegründung bis zum 30. März 2017 auf. An diesem Tage beantragte [X.] die Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 20. April 2017, legte am 3. April 2017 jedoch das Mandat nieder. Am 4. April 2017 erteilte die Geschäftsstelle der [X.] einen Hinweis auf die als fortbestehend geltende Vollmacht nach § 62 Abs. 4 der [X.]sordnung ([X.]O), § 155 [X.]O, § 87 der Zivilprozessordnung (Z[X.]O). Ein anderer Bevollmächtigter hat sich nicht legitimiert; eine weitere Beschwerdebegründung ist nicht eingegangen.

Entscheidungsgründe

II. 1. Die Beschwerde ist nach § 128 Abs. 1 [X.]O, § 129 Abs. 1 [X.]O statthaft und zulässig. Es handelt sich insbesondere nicht um eine prozessleitende Verfügung i.S. des § 128 Abs. 2 [X.]O, für die die Beschwerde ausgeschlossen ist (vgl. [X.]sbeschluss vom 12. Juli 2007 X B 48/07, [X.]NV 2007, 1919).

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Beschluss vom 3. Februar 2017 verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten.

a) Der Beschluss ist formell ordnungsgemäß zustande gekommen. Wenn auch die funktionale Zuständigkeit für die Entscheidung über Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 [X.]O und damit auch für die damit eng zusammenhängende Erteilung von Ausfertigungen etc. nach § 78 Abs. 2 Satz 1 [X.]O (außerhalb der elektronischen Zugriffsrechte nach § 78 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 [X.]O) nicht abschließend geklärt sein dürfte (vgl. die Ausführungen von [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 78 [X.]O Rz 136, 137; von [X.] in [X.], [X.]O § 78 Rz 42 bis 44; jeweils m.w.N.), steht zumindest fest, dass jedenfalls auch der [X.] zuständig für die Ablehnung derartiger Anträge ist (vgl. [X.] vom 3. Dezember 1974 VII B 88/74, [X.] 114, 173, BStBl II 1975, 235; vom 20. Oktober 2005 VII B 207/05, [X.] 211, 15, BStBl II 2006, 41).

b) Der Beschluss ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Es besteht kein Anspruch auf Überlassung der begehrten Kopien der vollständigen Akten.

aa) Nach § 78 Abs. 1 [X.]O können die Beteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich nach § 78 Abs. 2 Satz 1 [X.]O auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen. Bereits aus dieser Formulierung ergibt sich, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Überlassung von Fotokopien der gesamten Akten besteht ([X.]sbeschluss in [X.]NV 2007, 1919, m.w.N.).

bb) Allerdings hat der [X.] erwogen, ausnahmsweise einen Anspruch auf Überlassung von Kopien der vollständigen Akten zu bejahen, wenn diese nämlich überhaupt erst eine sachgerechte [X.]rozessführung ermöglichen (vgl. Beschluss vom 29. Oktober 1993 XI B 28/93, [X.]NV 1994, 567). Der [X.] muss nicht abschließend entscheiden, wie diese Voraussetzung zu präzisieren sein könnte. Jedenfalls setzt ein solches Begehren grundsätzlich voraus, dass substantiiert und nachvollziehbar dargelegt wird, weshalb trotz der wahrgenommenen Akteneinsicht die Überlassung von Fotokopien der gesamten Akten erforderlich ist, um die [X.]rozessführung zu erleichtern.

Solcher Vortrag fehlt bis heute, trotz Aufforderung durch das [X.] und trotz entsprechender Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. In dem Schriftsatz vom 1. Februar 2017 hat [X.] sich in der Sache darauf beschränkt, die soeben genannten Voraussetzungen für einen (etwaigen) Anspruch auf Überlassung von Kopien der vollständigen Akten sowie die Rechtsgrundlage hierfür, nämlich den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 [X.]O wiederzugeben. Soweit sie darüber hinaus meint, dies stelle die erforderliche Rücksprache mit der Beschwerdeführerin sicher, ist nicht erkennbar, was dieses Anliegen mit einer Aktenkopie zu tun haben soll. Ihr Vortrag, sie benötige die Akten zur effektiven Formulierung des [X.], stellt nur eine andere sprachliche Einkleidung der Aussage dar, dass der Anspruch auf Akteneinsicht und Erteilung von Abschriften ein Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist, legt aber gerade nicht dar, warum im konkreten Fall die Kopien der vollständigen Akten zur Wahrung rechtlichen Gehörs erforderlich sein sollen.

Ob der Antrag auf Überlassung von [X.] vornehmlich der Verfahrensverzögerung dient, wovon das [X.] ausgeht, ist im Ergebnis nicht mehr erheblich.

cc) Der [X.] lässt offen, ob unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne entsprechende Darlegung ein Anspruch auf Erstellung von Kopien des gesamten Akteninhalts bestehen kann, wenn eine derartige Notwendigkeit offenkundig ist, die Darlegung also lediglich als [X.] betrachtet werden müsste. Im Streitfall liegt diese Voraussetzung nicht vor. Bereits das [X.] und in der Folge auch das [X.] hatten angemerkt, dass die Akten lediglich Material enthielten, das der [X.] schon bekannt sei, namentlich das der [X.] bereits überlassene Kontrollmaterial, der Schriftwechsel mit [X.] und [X.]robeberechnungen der angefochtenen Steuerfestsetzungen. [X.] bzw. für diese die A hatten im Rahmen der Akteneinsicht Gelegenheit, sich von der Richtigkeit dieser Behauptung zu vergewissern und haben auch anschließend zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dies treffe nicht zu. Es besteht aber kein Rechtsschutzbedürfnis dahin, bereits in Original oder Kopie vorliegende Schriftstücke [X.] in Kopie zu erhalten. Das gilt insbesondere für Kopien der von [X.] selbst eingereichten (vgl. dazu [X.]-Beschluss vom 3. Juli 2014 V S 13/14, [X.]NV 2014, 1572, unter [X.]) oder an sie adressierten Schriftsätze.

Zwar besteht zwischen [X.]robeberechnungen von Steuerfestsetzungen und den jeweiligen Steuerfestsetzungen keine absolute Deckungsgleichheit. Der [X.] vermag aber schon das Rechtsschutzinteresse an der Überlassung dieser [X.]robeberechnungen nicht zu erkennen. Im Übrigen hätte die Beschwerdeführerin ein solches Anliegen durch einen entsprechend beschränkten Antrag auf Überlassung von Kopien nur dieser [X.]robeberechnungen verfolgen können und müssen.

dd) Im Rahmen des Antrags auf Überlassung der Kopien des vollständigen Akteninhalts haben weder das [X.] noch der [X.] zu prüfen, ob ein Anspruch auf Überlassung von Kopien bestimmter Aktenteile bestehen könnte. Dies wäre nicht ein in dem umfassenden Begehren enthaltener Teilanspruch (ein "minus"), sondern ein anderer Anspruch (ein "aliud"). Der Beschwerdeführerin geht es gerade darum, vollständige Zweitakten zu erhalten, ohne ihr Begehren differenzieren zu müssen. Es ist folglich nicht Aufgabe der Gerichte, diese Differenzierung an ihrer Stelle vorzunehmen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 [X.]O i.V.m. § 135 Abs. 1 [X.]O.

Nach § 143 Abs. 1 [X.]O hat das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. So lange das Hauptsacheverfahren nicht abgeschlossen ist, ist ein Verfahren über die Gewährung von Akteneinsicht (anders als das Verfahren nach § 86 Abs. 3 [X.]O, vgl. dazu [X.]-Beschluss vom 3. Juni 2015 VII S 11/15, [X.]NV 2015, 1100) zwar grundsätzlich ein unselbständiges Nebenverfahren und damit kein "Verfahren" i.S. des § 143 Abs. 1 [X.]O, so dass bei erfolgreicher Beschwerde die Kosten in die Gesamtkosten des Hauptverfahrens eingehen (vgl. [X.] vom 17. März 2008 IV B 100, 101/07, [X.]NV 2008, 1177, unter II.3.; vom 29. Oktober 2008 III B 176/07, [X.]NV 2009, 192, unter [X.]). Dies gilt angesichts des engen Sachzusammenhangs auch für die mit der Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 [X.]O unmittelbar zusammenhängende Erteilung von Ausfertigungen etc. nach § 78 Abs. 2 Satz 1 [X.]O.

Bei erfolgloser Beschwerde jedoch fällt für die Beschwerde gemäß Nr. 6502 des [X.] zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes eine Festgebühr von 60 € an. Insoweit ist eine Kostengrundentscheidung zu treffen.

Meta

X B 36/17

05.05.2017

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 3. Februar 2017, Az: 12 K 2118/16, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 62 Abs 4 FGO, § 78 Abs 1 FGO, § 78 Abs 2 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 128 Abs 1 FGO, § 128 Abs 2 FGO, § 129 Abs 1 FGO, § 135 Abs 1 FGO, § 143 Abs 1 FGO, § 87 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.05.2017, Az. X B 36/17 (REWIS RS 2017, 11444)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11444

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