Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.01.2010, Az. 10 AZR 990/08

10. Senat | REWIS RS 2010, 10214

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Gegenstand

Wechselschichtzulage gemäß TV-Charité - Unterbrechung der Schichtarbeit durch Bereitschaftsdienst


Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 17. Oktober 2008 - 6 Sa 1777/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Wechselschichtzulage.

2

Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 2002 als Krankenschwester bei der [X.], die ein Klinikum betreibt, beschäftigt. Im Streitzeitraum von Februar bis November 2007 war sie im Bereich der Anästhesiologie/Intensivmedizin der Klinik für Allgemein-, Visceral- und Transplantationschirurgie tätig. Im Arbeitsbereich der Klägerin bestand ein Schichtplan, nach dem an Wochentagen im Dreischichtdienst „rund um die Uhr“ gearbeitet wurde. An Wochenenden und [X.] waren jeweils kombinierte Früh- und Spätschichten eingerichtet. Samstags wurde in der [X.] von 15:30 Uhr bis 18:30 Uhr und sonn- und feiertags von 2:50 Uhr bis 7:15 Uhr Bereitschaftsdienst geleistet.

3

Ab Januar 2007 trat ein Haustarifvertrag in [X.], der auf der Basis des [X.] abgeschlossen wurde (Tarifvertrag für die [X.] - [X.] vom 1. Januar 2007, im Folgenden: TV-[X.]). Nach § 8 Abs. 5 TV-[X.] erhalten Beschäftigte, die ständig Wechselschichtarbeit leisten, eine Wechselschichtzulage von 105,00 Euro monatlich. Beschäftigte, die nicht ständig Wechselschichtarbeit leisten, erhalten eine Wechselschichtzulage von 0,63 Euro pro Stunde. Ab Februar 2007 zahlte die Beklagte die Wechselschichtzulage nicht mehr, sondern nur noch die Schichtzulage von 40,00 Euro monatlich.

4

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie habe alle Voraussetzungen für die Wechselschichtzulage erfüllt. Die kurzfristige Unterbrechung der [X.]szeiten durch Bereitschaftszeiten an Wochenenden und [X.] hindere den Anspruch nicht. Der Begriff der „ununterbrochenen“ Arbeit sei wie der Begriff der „ständigen“ Wechselschichtarbeit im Sinne von „fast ausschließlich“ zu verstehen. Der Umfang der Unterbrechung betrage weniger als 5 % der Gesamtarbeitszeit und sei daher unschädlich. Halte man derart kurze Unterbrechungen für anspruchshindernd, seien missbräuchliche Gestaltungen möglich. Darauf, dass der Personalrat bei der Erstellung der Schichtpläne mitwirke, komme es nicht an. Da die Beklagte bei der gleichen Arbeitszeitgestaltung unter der Geltung des [X.] die Zulage gezahlt habe, sei es treuwidrig, sie nunmehr zu verweigern.

5

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 650,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2007 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für die Wechselschichtzulage lägen nicht vor, da im Arbeitsbereich der Klägerin nicht ununterbrochen an allen sieben Tagen der Woche über 24 Stunden [X.] geleistet worden sei.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet.

9

Das [X.] hat zu Recht erkannt, dass der Klägerin kein Anspruch nach § 8 Abs. 5 [X.] auf eine Wechselschichtzulage zusteht.

1. Der [X.] ist gemäß § 6 des Arbeitsvertrags auf das Arbeitsverhältnis kraft einzelvertraglicher Bezugnahme anwendbar.

2. Nach § 8 Abs. 5 [X.] erhalten Beschäftigte, die ständig [X.] leisten, eine Wechselschichtzulage in Höhe von 105,00 Euro monatlich. Gemäß § 7 Abs. 1 [X.] ist [X.] die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in [X.] vorsieht, bei denen Beschäftigte durchschnittlich längstens nach Ablauf eines Monats erneut zur Nachtschicht herangezogen werden. [X.] sind wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei [X.] und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird. Nachtschichten sind Arbeitsschichten, die mindestens zwei Stunden Nachtarbeit umfassen.

3. Ein Anspruch besteht nicht, da in dem Arbeitsbereich, in dem die Klägerin tätig war, nicht ununterbrochen bei [X.] und Nacht in wechselnden Arbeitsschichten gearbeitet wurde.

a) Die Tarifvorschrift stellt für die Frage, ob [X.] vorliegen, darauf ab, ob im Arbeitsbereich des Beschäftigten ununterbrochen eine Arbeitsleistung erbracht wird. § 7 Abs. 1 [X.] ist nahezu gleichlautend mit § 7 Abs. 1 [X.] und den Vorgängervorschriften § 15 Abs. 8 Unterabs. 6 [X.] bzw. § 67 Nr. 45 [X.] II. Daher kann zu ihrer Auslegung die dazu ergangene Rechtsprechung herangezogen werden.

b) Aus dem Zusammenhang der Vorschriften ergibt sich, dass sich das Merkmal „ununterbrochen“ nur auf den Arbeitsbereich des Beschäftigten bezieht. Ob in anderen Abteilungen des Betriebs oder im gesamten Betrieb „rund um die Uhr“ gearbeitet wird, ist unerheblich ([X.] 24. September 2008 - 10 [X.] - Rn. 23 mwN, [X.] 100 [X.]-AT § 7 Schicht-/[X.] Nr. 6). Durch die Wechselschichtzulage soll ungeachtet einzelner konkreter Belastungsfaktoren die generelle Belastung durch die Schichtarbeit honoriert werden, die im Wesentlichen durch die unterschiedlichen, den Lebensrhythmus bestimmenden [X.] zum Ausdruck kommt. Diese werden durch den Schichtplan der Abteilung, in der der Arbeitnehmer tätig ist, definiert.

c) In der Abteilung der Klägerin wurde nicht ununterbrochen in wechselnden Arbeitsschichten gearbeitet.

aa) In [X.] wird ununterbrochen „rund um die Uhr“ an allen Kalendertagen gearbeitet ([X.] 24. September 2008 - 10 [X.] - Rn. 25, [X.] 100 [X.]-AT § 7 Schicht-/[X.] Nr. 6; 22. Februar 2001 - 6 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.], 332). Wird an Sonn- und Feiertagen keine Schichtarbeit geleistet oder die tägliche Arbeit unterbrochen, liegt keine ununterbrochene [X.] vor. Die Tarifvertragsparteien haben mit ihrer Definition in § 7 Abs. 1 [X.] den Begriff der Wechselschicht abschließend und eindeutig formuliert. Danach steht jede Unterbrechung der täglichen Arbeit, sei es auch nur in geringfügiger Form, der Annahme von [X.] entgegen.

bb) Bereitschaftsdienst oder eine völlige Arbeitsruhe unterbrechen die tägliche Arbeit. Ist Bereitschaftsdienst angeordnet, kann keine Wechselschichtzulage anfallen.

Der Senat hat in der Entscheidung vom 24. September 2008 (- 10 [X.] - [X.] 100 [X.]-AT § 7 Schicht-/[X.] Nr. 6) an diesem Erfordernis, das zu der fast wortgleichen Vorschrift des § 15 Abs. 8 Unterabs. 6 [X.] aufgestellt worden war, bezüglich des Bereitschaftsdienstes auch für den [X.] festgehalten. Bereitschaftsdienst ist keine Arbeitszeit im Sinne der Tarifvorschrift, da sich die Beschäftigten dabei auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen (§ 7 Abs. 3 [X.]). Der Bereitschaftsdienst ist seinem Wesen nach eine Aufenthaltsbeschränkung verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf sofort tätig zu werden. Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die [X.] ohne Arbeitsleistung überwiegt. Der Bereitschaftsdienst unterscheidet sich seinem Wesen nach von der vollen Arbeitstätigkeit, die von dem Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsleistung verlangt ([X.] 24. September 2008 - 10 [X.] - Rn. 29, aaO), aber auch von den Bereitschaftszeiten, die innerhalb der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit liegen (wie sie beispielsweise bei Rettungssanitätern üblich sind, vgl. [X.] 24. September 2008 - 10 [X.] - [X.] 100 [X.]-AT § 7 Schicht-/[X.] Nr. 5). Bereitschaftsdienst wird gesondert vergütet, und zwar zusätzlich zur regulären Vergütung (§ 8 Abs. 4 [X.]).

Sieht der Schichtplan einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in verschiedenen Schichten und an bestimmten [X.]en daneben Bereitschaftsdienst vor, legt er die regelmäßige Arbeitszeit des Beschäftigten mit einem im Voraus feststehenden [X.] fest. Dieser [X.]raum liegt außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit. Hätten die Tarifvertragsparteien den Bereitschaftsdienst als ununterbrochene Arbeit berücksichtigen wollen, hätten sie dies im Tarifvertrag ausdrücken müssen. Die nahezu wortgleiche Übernahme von § 7 Abs. 1 [X.] und dessen Vorgängerregelung spricht dafür, dass sie ihrer Regelung keine andere Bedeutung geben wollten.

cc) Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der [X.] im Verhältnis zur Schichtarbeit gering ist. Die Tarifvertragsparteien haben dem Begriff „ununterbrochen“ nicht den Sinn beigelegt, dass geringfügige Unterbrechungen unschädlich sein sollen. Wäre dies der Fall, müssten sich aus dem Tarifvertrag Anhaltspunkte dafür ergeben, ab welchem Umfang Unterbrechungen unerheblich sein sollten. Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich keine Parallele zu dem Begriff der „ständigen“ Schichtarbeit ziehen, deren Unterbrechung im Umfang von 25 % der Gesamtarbeitszeit unschädlich ist, denn der Begriff „ständig“ ist gleichbedeutend mit „sehr häufig“, „regelmäßig“ oder „fast ausschließlich“ zu verstehen ([X.] 12. November 1997 - 10 [X.] - zu II 2 a der Gründe, [X.], 181). Die Tarifvertragsparteien haben die Begriffe in Kenntnis ihrer unterschiedlichen Interpretation durch das [X.] auch in dem neuen Tariftext verwendet. Daraus geht hervor, dass sie an der Unterscheidung festhalten wollten. Der Begriff der ununterbrochenen [X.] bezieht sich auf die vom Arbeitgeber durch die Schichtpläne vorgenommene [X.]. Der Begriff der ständigen Schichtarbeit bezieht sich auf die persönliche Arbeitsleistung des jeweiligen Arbeitnehmers, bei der gewisse Unterbrechungen dem Anspruch auf die Zulage nicht entgegenstehen.

[X.] zwingt nicht zu einer anderen Auslegung. Die Zulage soll die Belastung ausgleichen, die durch zeitlich versetzte wechselnde Arbeitsschichten und deren Einfluss auf den Biorhythmus entsteht. Dem ist die Regelung in § 8 Abs. 5 Satz 2 [X.] geschuldet, wonach ein stundenweiser anteiliger Ausgleich für nicht ständige [X.] gezahlt wird. Unter dieser Erschwernis können auch Arbeitnehmer leiden, die innerhalb einer Schicht nur kurze Bereitschaftsdienste leisten (vgl. [X.] 24. September 2008 - 10 [X.] - Rn. 40, [X.] 100 [X.]-AT § 7 Schicht-/[X.] Nr. 5). Den Tarifvertragsparteien steht es jedoch frei, die Voraussetzungen für Zulagen festzulegen. Sie haben danach an die Organisationsebene strengere Anforderungen gestellt als an die persönlich zu leistende Arbeitszeit innerhalb der [X.] und damit einen über den Ausgleich der jeweiligen persönlichen Belastung hinausgehenden Zweck bestimmt.

4. Dass die [X.]/[X.] vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, nunmehr Richtlinie 2003/88/[X.] und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ([X.]. [X.] Nr. L 299 vom 18. November 2003 S. 9) kein anderes Auslegungsergebnis vorgibt, hat der Senat im Urteil vom 24. September 2008 (- 10 [X.] - Rn. 34 ff., [X.] 100 [X.]-AT § 7 Schicht-/[X.] Nr. 6) eingehend begründet. Die Klägerin hat hiergegen keine durchgreifenden Bedenken geäußert. Die Tarifvertragsparteien dürfen Bereitschaftsdienst und Vollarbeit unterschiedlichen Vergütungsordnungen unterwerfen oder eine unterschiedliche Vergütung vorsehen ([X.] 28. Januar 2004 - 5 [X.] - [X.]E 109, 254).

5. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Bereitschaftsdienst treuwidrig angeordnet hätte, um den Arbeitnehmern den an sich bestehenden Anspruch auf die Zulage vorzuenthalten, sind nicht vorgetragen. Die Beklagte handelt auch nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die Tariflage beruft, selbst wenn sie in der Vergangenheit bei gleicher Schichtgestaltung die Zulage gezahlt hat.

        

    Mikosch    

        

    Marquardt    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    [X.]    

        

    [X.]    

                 

Meta

10 AZR 990/08

20.01.2010

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 9. Juli 2008, Az: 56 Ca 1756/08, Urteil

§ 1 TVG, § 611 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.01.2010, Az. 10 AZR 990/08 (REWIS RS 2010, 10214)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10214

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