Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.06.2013, Az. 6 C 4/12

6. Senat | REWIS RS 2013, 4744

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Gegenstand

Verfassungsschutzbericht des Bundes; Bürgerbewegung pro Köln; Verdachtsfall; Unterlassungsanspruch; Folgenbeseitigungsanspruch; tatsächliche Anhaltspunkte


Leitsatz

1. Das Bundesverfassungsschutzgesetz ermächtigt das Bundesministerium des Innern nicht, in seinen Verfassungsschutzbericht auch solche Vereinigungen aufzunehmen, bei denen zwar tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, solche Bestrebungen aber noch nicht sicher festgestellt werden können (sogenannte Verdachtsfälle).

2. In diesen Fällen darf der Verfassungsschutz die Vereinigung zwar weiter beobachten und Informationen über sie sammeln, ihre Aufnahme in den Bericht ist aber noch nicht zulässig.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Frage der Zulässigkeit einer Berichterstattung im [X.], wenn lediglich ein Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen besteht.

2

Der Kläger ist ein Verein, der sich in der [X.] an Kommunalwahlen beteiligt und seit 2004 mit einer Fraktion im Rat der [X.] vertreten ist. In dem vom [X.] herausgegebenen [X.] 2008 wird in dem Kapitel "Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle" über den Kläger berichtet. Unter den Überschriften "[X.]. Internationale Verbindungen" und "2. Wahlkampfthema 'Islamisierung [X.]'" heißt es darin (S. 132 f.):

"Im Vorfeld der [X.] haben rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien in mehreren [X.] der [X.] die von ihnen behauptete Gefahr einer drohenden 'Islamisierung [X.]' zum zentralen Agitationsthema gemacht. Durch das am 17. Januar 2008 in [X.] ([X.]) gegründete Bündnis 'Städte gegen Islamisierung', dem als Hauptakteure der [X.] 'Vlaams Belang' ([X.]), die '[X.]' ([X.]) und die [X.] 'Pro-Bewegung' angehören, sollen internationale Aktivitäten zur 'Aufklärung der Öffentlichkeit' geplant und koordiniert werden. Bereits Ende 2007 wurde erstmals im [X.] berichtet, dass in [X.] ein internationaler 'Kongress' ausgerichtet werden sollte. Dessen Ziel sei es, einerseits gegen '[X.] Parallelgesellschaften' sowie den Bau von [X.] zu protestieren und anderseits islamkritischen Gruppen und Verlagen ein Forum zu bieten. Die aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen und im Hinblick auf die internationale [X.] unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende 'Bürgerbewegung pro [X.] e.V.' ('pro [X.]') trat schließlich als Anmelder der für den Zeitraum vom 19. bis 21. September 2008 geplanten Veranstaltung auf und kündigte verschiedene Rahmenaktivitäten sowie eine Zentralkundgebung in der [X.]er Innenstadt an."

3

Einen weitgehend identischen Text enthielt bereits die im [X.] veröffentlichte [X.] des [X.]. Allerdings wurde der Kläger darin noch als "die rechtsextremistische 'Bürgerbewegung pro [X.]'" bezeichnet. Die gedruckte Version des [X.] ist inzwischen vergriffen. In der weiterhin abrufbaren [X.]version hat die Beklagte auf [X.] neben der soeben zitierten Textpassage nachträglich die fett gedruckte Randbemerkung "'Bürgerbewegung pro [X.] e.V.' (Verdachtsfall)" hinzugefügt.

4

Derartige Randbemerkungen enthalten auch Vorab- und Endfassung des [X.]s 2009, in denen der Kläger ebenfalls erwähnt wird. Im Wesentlichen textgleich wird darin im Kapitel "Rechtsextremismus" unter den Überschriften "[X.] Internationale Verbindungen" und "2. Europaweite '[X.]'" wiederum über das Bündnis "Städte gegen Islamisierung" und einen vom Kläger vom 8. bis 10. Mai 2009 organisierten "[X.]" berichtet (S. 118 f. der [X.], [X.] der Endfassung).

5

Auch im [X.] 2010 wird der Kläger im Kapitel "Rechtsextremismus" erwähnt. Unter "VII. Internationale Verbindungen" wird er erneut als Partner des [X.] "Städte gegen Islamisierung" angesprochen und es wird über einen "Anti-Minarett-Kongress" berichtet, zu dem der Kläger gemeinsam mit der "[X.]" vom 26. bis 28. März 2010 eingeladen habe ([X.]). Der Text ist mit der fett gedruckten Randbemerkung "'Bürgerbewegung pro [X.] e.V.' / '[X.]' (Verdachtsfall)" versehen.

6

Der Kläger hat gegen seine Erwähnung in der [X.] des [X.] beim Verwaltungsgericht Klage erhoben, in die er nachträglich die Endfassung des [X.] sowie Vorab- und Endfassung des [X.]s 2009 einbezogen hat. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in Bezug auf die [X.] des [X.] übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, hat das Verwaltungsgericht das Verfahren insoweit eingestellt; im Übrigen hat es die auf Unterlassung der Verbreitung der [X.]e ohne vorherige Entfernung oder Unkenntlichmachung der Passagen über den Kläger sowie auf Richtigstellung im nächsten [X.] gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.], der im Berufungsverfahren auch noch die Endfassung des [X.]s 2010 in seine Klage einbezogen hat, hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, die Erwähnung des [X.] in den [X.]en als Verdachtsfall für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Bereich des Rechtsextremismus sei durch § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG gedeckt. Zwar lasse der Wortlaut dieser Vorschrift offen, ob eine Berichterstattung nur bei festgestellten verfassungsfeindlichen Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BVerfSchG oder auch schon bei einem dahingehenden Verdacht in Betracht komme. Für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung sprächen jedoch systematischer Zusammenhang, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte des § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG. Eine Berichterstattung sei zulässig, sofern das [X.] zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen und Tätigkeiten tätig geworden sei und habe tätig werden dürfen, was nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, d.h. einen entsprechenden Verdacht voraussetze. Eine Verdachtsberichterstattung entspreche auch dem Sinn und Zweck des [X.]s, die Öffentlichkeit aufzuklären und zu warnen.

7

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des [X.], zu deren Begründung er u.a. vorträgt, § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG ermächtige ausweislich seines Wortlauts nur zur Berichterstattung über Bestrebungen und Tätigkeiten, deren verfassungsfeindlicher Charakter erwiesen sei. Eine Berichterstattung über bloße Verdachtsfälle sei auch deshalb rechtswidrig, weil deren Unterscheidung von den erwiesenen Fällen in der Öffentlichkeit nicht nachvollzogen werde. Sämtliche von der Berichterstattung betroffene Organisationen würden unterschiedslos als "im [X.] erwähnt" apostrophiert. Im Übrigen lägen bei ihm, dem Kläger, keine tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vor. Zu dieser Grundordnung habe er sich stets und ausdrücklich bekannt.

8

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des [X.] vom 23. November 2011, zugestellt am 19. Januar 2012,

1. die Beklagte zu verurteilen, die weitere Verbreitung des [X.]s für die [X.], 2009 und 2010 zu unterlassen, wenn nicht zuvor die Passagen über den Kläger entfernt oder unleserlich gemacht werden,

2. die Beklagte zu verurteilen, in ihrem nächsten [X.] richtig zu stellen, dass der Bericht über den Kläger in den Rubriken "Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle" bzw. "Rechtsextremismus" in den [X.]en 2008, 2009 und 2010 rechtswidrig waren.

9

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt weitergehende gesetzessystematische, entstehungsgeschichtliche und teleologische Erwägungen zu § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG vor.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Entgegen der Auffassung des [X.] ermächtigt § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] das [X.] nicht dazu, die Öffentlichkeit im [X.] über solche Vereinigungen zu unterrichten, bei denen zwar tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) vorliegen - d.h. ein entsprechender Verdacht begründet ist -, solche Bestrebungen aber noch nicht mit Gewissheit festgestellt werden können (unten 1.). Dem Kläger stehen daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Folgenbeseitigung zu (unten 2.). Weil die Klage bereits deshalb begründet ist, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob überhaupt - wie die Vorinstanz angenommen hat - tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des [X.] im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliegen.

1. Gemäß § 16 Abs. 1 [X.] unterrichtet das [X.] das [X.] über seine Tätigkeit. Gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] dient diese Unterrichtung "auch der Aufklärung der Öffentlichkeit durch das [X.] über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1, die mindestens einmal jährlich in einem zusammenfassenden Bericht erfolgt". Die vorinstanzliche Auslegung, wonach diese Norm das [X.] auch zur Unterrichtung über den bloßen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ermächtigt, überschreitet zwar in materieller Hinsicht nicht den verfassungsrechtlich gesteckten Rahmen. Nach dem Beschluss des [X.] aus dem [X.] in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der "Junge Freiheit" stehen bei entsprechender gesetzlicher Ermächtigung verfassungsrechtliche Bedenken einer Unterrichtung der Öffentlichkeit über Verdachtsfälle nicht entgegen, sofern die tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen hinreichend gewichtig sind, um die [X.] in [X.]en auch angesichts der nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen zu rechtfertigen ([X.], Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - [X.]E 113, 63 <80 ff.>). § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] lässt sich jedoch nicht mit der gebotenen Bestimmtheit entnehmen, dass er tatsächlich in formeller Hinsicht eine entsprechende Ermächtigung ausspricht, d.h. das [X.] über die - eindeutig von der Norm erfassten - Fälle hinaus, in denen Gewissheit über verfassungsfeindliche Bestrebungen besteht, auch zur Berichterstattung in Fällen befugt, in denen tatsächliche Anhaltspunkte erst einen dahingehenden Verdacht begründen.

a. Eine Auslegung von § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] dahingehend, dass eine Berichterstattung bereits im Verdachtsfall zulässig sein soll, wird durch den Wortlaut des Gesetzes nicht gestützt. Gegenstand des [X.]es sind danach "Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs. 1", d.h. Bestrebungen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet "sind" (vgl. § 3 Abs. 1 [X.]). Die plausibelste Lesart der Norm ist diejenige, dass die Befugnis zur Berichterstattung erst dann einsetzen soll, wenn das Vorliegen der in § 3 Abs. 1 [X.] aufgeführten Tatbestandsmerkmale einer "Bestrebung" tatsächlich feststeht. § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] weicht in seinem Wortlaut von Parallelnormen in einigen Landesgesetzen ab, die ausdrücklich bereits das Vorliegen bloßer tatsächlicher Anhaltspunkte für solche Bestrebungen als Berichtsgegenstand kennzeichnen (vgl. z.B. Art. 15 Satz 1 BayVerfSchG, § 9 Abs. 3 Satz 1 HessVerfSchG). Auch etwa im Vergleich zu § 15 Abs. 2 VerfSchG [X.], über den das [X.] in seinem o.g. Beschluss zum Fall der "Junge Freiheit" zu befinden hatte, offenbart sich insofern ein Unterschied, als die von dieser Vorschrift in Bezug genommene Norm des § 3 Abs. 1 VerfSchG [X.] an ihrem Ende die Wendung enthält "soweit tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen und Tätigkeiten vorliegen". Einen Verweis auf § 4 Abs. 1 Satz 3 [X.], der für die Informationssammlung und -auswertung durch das [X.] das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte hinreichen lässt, enthält § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] im Hinblick auf die dort begründete Unterrichtungsbefugnis des [X.] nicht.

b. Eine weitergehende Auslegung ist nicht aufgrund gesetzessystematischer Erwägungen geboten.

aa. Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Verbindung zwischen § 16 Abs. 1 und § 16 Abs. 2 [X.].

Die Unterrichtung des [X.] durch das [X.] über dessen Tätigkeit gemäß § 16 Abs. 1 [X.] schließt auch die Unterrichtung über die Befassung des [X.] mit Fällen des bloßen Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs. 1 [X.] ein, die ausweislich von § 4 Abs. 1 Satz 3 [X.] von seinem [X.] mit umfasst ist. § 16 Abs. 1 [X.] ist keine Eingrenzung dahingehend zu entnehmen, dass insoweit die Tätigkeit des [X.] von der Unterrichtung des [X.] auszunehmen wäre. Eine solche Eingrenzung wäre mit der umfassenden Ressortverantwortung des [X.] für das [X.] (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.]) auch nicht in Einklang zu bringen. Auf Grundlage von Unterrichtungen durch das [X.] erstellt das [X.] den [X.]. Wenn § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] dies ausdrücklich anspricht, wird hiermit ein einleuchtender arbeitsfunktionaler Zusammenhang herausgestellt; das [X.] wäre ohne informatorische Zuarbeiten durch das [X.] naturgemäß nicht in der Lage, den [X.] zu erstellen. Dass die interne Unterrichtung durch das [X.] gemäß § 16 Abs. 1 [X.] darüber hinaus weiteren Zwecken dient - insbesondere der Vorbereitung parlamentarischer Unterrichtungen durch das [X.] (§ 4 Abs. 1 PKGrG) sowie der fachaufsichtlichen Kontrolle und Steuerung der Tätigkeit des [X.] -, liegt auf der Hand. Die fehlende ausdrückliche Erwähnung dieser weiteren Zwecke im Gesetz gebietet freilich nicht den Rückschluss, der Gesetzgeber habe speziell dem von ihm herausgestellten arbeitsfunktionalen Zusammenhang zwischen den in beiden Absätzen von § 16 [X.] geregelten Unterrichtungsprozessen irgendeine weitergehende normative Bedeutung beimessen wollen. Insbesondere ist die Annahme verfehlt, der Gesetzgeber habe hier - gewissermaßen versteckt - zum Ausdruck bringen wollen, die Berichtsbefugnis des [X.] gegenüber der Öffentlichkeit sei im Prinzip auf sämtliche Angaben erstreckt, die ihm durch das [X.] zuvor intern zugeliefert wurden. Diese Annahme liegt deshalb fern, weil sich zwischen beiden Unterrichtungsprozessen im Hinblick auf ihre aufgabensystematische Funktion sowie im Hinblick auf die mit ihnen verbundenen rechtlichen Wirkungen gegenüber den betroffenen Bürgern bzw. Gruppierungen offenkundig wertungsmäßig bedeutsame Unterschiede auftun. Hätte der Gesetzgeber hierüber tatsächlich hinwegsehen wollen, hätte es nahegelegen, dies im Text der Norm unzweideutig kenntlich zu machen, um auf diese Weise die sich andernfalls nach dem oben Gesagten aufgrund des Verweises auf § 3 Abs. 1 [X.] aufdrängende Lesart auszuschalten, Berichtsgegenstand für das [X.] seien lediglich Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind.

bb. Soweit die Beklagte vorträgt, die Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 [X.] in § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] könne deshalb keine befugnisrechtliche Relevanz haben, weil sie lediglich dazu diene, die Tätigkeitsfelder des [X.] nach § 3 Abs. 2 [X.] aus dem [X.] auszugrenzen, vermag sich der [X.] nicht anzuschließen. Das § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] erkennbar zugrundeliegende Konzept eines "Verfassungsschutzes durch Aufklärung" kann hinsichtlich dieser Tätigkeitsfelder nicht zum Tragen kommen. Sie bedurften daher nicht eigens der Ausgrenzung. Dass der Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 [X.] eine befugnisrechtliche Relevanz nicht abgesprochen werden darf, folgt zudem daraus, dass andernfalls die Frage vollständig offenbliebe, unter welchen Voraussetzungen die Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit dann zulässig sein sollte. Dass sich diese Frage nicht überzeugend unter Rückgriff auf die Verbindung zwischen den Absätzen 1 und 2 des § 16 [X.] beantworten lässt, wurde bereits dargelegt.

cc. Der Umstand, dass die Kategorie der erwiesenen Verfassungsfeindlichkeit für das Gesetz kein systemprägendes Gewicht aufweist - zentrale befugnisrechtliche Kategorie ist das Vorliegen "tatsächlicher Anhaltspunkte" im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 3 [X.] -, gebietet gleichfalls keine weitergehende Auslegung von § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.]. [X.] sind auf die nachrichtendienstliche Sammlungs- und Auswertungsfunktion des [X.] für Verfassungsschutz zugeschnitten, die ohne eine Absenkung der Eingriffsberechtigung auf die Schwelle des bloßen Verdachts keine Wirksamkeit entfalten kann. Für die in § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelte ministerielle Aufklärung der Öffentlichkeit gelten andere Bedingungen. Sie kann auch dann Wirksamkeit entfalten, wenn das [X.] hierbei auf einer stärker abgesicherten Informationsbasis vorzugehen hat.

c. Die Entstehungsgeschichte von § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist im vorliegenden Zusammenhang unergiebig.

In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es zu der vorgesehenen Öffentlichkeitsunterrichtung durch das [X.] (BTDrucks 11/4306 S. 62):

"Die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. [X.]E 40, 287 (292 f.)) hat ausdrücklich anerkannt, dass die Bundesregierung berechtigt ist, sich öffentlich mit [X.] unter Verwendung von Informationen des [X.] für Verfassungsschutz politisch auseinanderzusetzen. Dies entspricht der heutigen Praxis, wie sie zum Beispiel in den jährlichen [X.]en des [X.] ihren Niederschlag gefunden hat. Die öffentliche Bekanntgabe personenbezogener Informationen ist nach Absatz 2 nur zulässig, wenn eine Abwägung ergibt, daß Interessen des Betroffenen nicht berührt sind oder daß das Allgemeininteresse im konkreten Fall überwiegt."

Diese Passage verdeutlicht den Wunsch der Entwurfsverfasser, die bislang ohne ausdrückliche Ermächtigung geübte Praxis jährlicher [X.]e künftig auf [X.] fortgesetzt zu sehen. Zu der speziellen Frage, ob eine Berichterstattung bereits im Vorfeld erwiesener Verfassungsfeindlichkeit einer Bestrebung zulässig sein soll, verhält sich die Passage nicht; die Verwendung des Begriffs "[X.]" spricht zumindest nicht dafür.

Dass - wie die Beklagte behauptet - für die [X.] vor [X.] der Einschluss einer Berichterstattung über Verdachtsfälle kennzeichnend gewesen sein soll, wird durch das in der Revisionserwiderung der Beklagten angeführte Vorwort zum [X.] 1989 nicht belegt. Dort heißt es:

"Der vorliegende Bericht faßt die Ergebnisse der Arbeit des [X.] für Verfassungsschutz im Jahr 1989 zusammen. Er ... ist als Orientierungshilfe für die politische Auseinandersetzung, nicht als eine abschließende juristische Würdigung zu verstehen. Dies gilt insbesondere für die Bewertung der von verfassungsfeindlichen Kräften beeinflußten Organisationen. Die Erwähnung einer Organisation im Bericht läßt noch keine Rückschlüsse auf die Verfassungstreue der einzelnen Mitglieder solcher Vereinigungen zu."

Hieraus tritt zutage, dass in der vormaligen [X.] eine Berichterstattung über Organisationen erfolgte, die - ohne selbst verfassungsfeindliche Bestrebungen zu verfolgen - von verfassungsfeindlichen Kräften beeinflusst wurden. Damit ist ein anderer Sachverhalt als der hier in Rede stehende umschrieben. Ohne durchgreifenden Aussagewert für den hiesigen Problemkreis ist darüber hinaus die Bemerkung, der Bericht sei nicht als "abschließende juristische Würdigung" zu verstehen. Aus ihr kann nicht entnommen werden, dass die Berichterstattung früher Fälle einschloss, in denen ein bloßer Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen besteht. [X.] ist die Annahme, dass mit ihr zum Ausdruck gebracht werden sollte, die Berichterstattung beschränke sich auf die Darstellung von Beobachtungs- und Bewertungsergebnissen, ohne die jeweils im Einzelnen zugrunde liegenden empirischen Begebenheiten aufzuführen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich schließlich für die hier betroffene Frage aus dem Umstand nichts ableiten, dass im Gesetzgebungsverfahren ein Änderungsantrag keine Mehrheit fand, der darauf abzielte, die Berichterstattung durch das [X.] auf Bestrebungen zu beschränken, bei denen "gerichtsverwertbare Beweise für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 vorliegen" (BTDrucks 11/7235 S. 105 f.). Der Begriff der "Gerichtsverwertbarkeit" spricht dafür, dass die Antragsteller eine Berichterstattung in Fällen ausschließen wollten, in denen die verfassungsschutzrechtliche Bewertung einer Bestrebung sich auf Beweismittel stützen würde, die - insbesondere aus [X.] - in das gerichtliche Verfahren nicht unmittelbar eingebracht werden können. Unabhängig davon wäre selbst bei Annahme des [X.] die Frage nicht obsolet geworden, ob infolge der Bezugnahme auf die "Voraussetzungen des § 3 Abs. 1" Fälle eingeschlossen sein sollen, in denen lediglich ein Verdacht für das Vorliegen der in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestandsmerkmale begründet ist.

d. Auch die teleologische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Zweifelsohne erhöht sich die Wirkmacht des Verfassungsschutzes als "Frühwarnsystem der Demokratie" in gewisser Hinsicht, wenn die Öffentlichkeit bereits über Verdachtsfälle unterrichtet wird. Andererseits ist hiermit die Gefahr voreiliger, sich nach intensiverer Informationssammlung im Nachhinein als unberechtigt erweisender öffentlicher Stigmatisierung und damit einer zum Schutz der Verfassung nicht erforderlichen, demokratiestaatlich sogar kontraproduktiven Verzerrung des politischen [X.] verbunden. Weder § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] noch anderen Vorschriften des Gesetzes kann entnommen werden, ob bzw. mit welchem Ergebnis der Gesetzgeber diese gegenläufigen Aspekte gewichtet und untereinander abgewogen hat.

2. Ergibt sich somit aus § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] keine Befugnis der Beklagten, Vereinigungen bereits bei Verdacht ihrer Verfassungsfeindlichkeit in den [X.] aufzunehmen, hat die Beklagte durch die hier streitbefangene Berichterstattung über den Kläger in dessen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 GG eingegriffen, ohne sich hierfür auf eine für einen solchen Eingriff erforderliche gesetzliche Ermächtigung stützen zu können (vgl. Urteil vom 21. Mai 2008 - BVerwG 6 [X.] 13.07 - BVerwGE 131, 171 = [X.] 402.7 [X.] Nr. 11 jew. ). Hieraus folgt zum einen, dass der Kläger von der Beklagten verlangen kann, die weitere Verbreitung der streitbefangenen Berichte - in welcher Form auch immer - nur mit der Maßgabe vorzunehmen, dass zuvor die Passagen über den Kläger entfernt oder unleserlich gemacht werden. Da die gegenüber dem Kläger begangene Rechtsverletzung hiermit hinsichtlich ihrer - in der Vergangenheit bereits eingetretenen Folgen - allerdings noch nicht vollständig beseitigt wird, hat die Beklagte darüber hinaus in ihrem nächsten Jahresbericht nach Maßgabe des Tenors richtig zu stellen, dass die Aufnahme des [X.] in den streitbefangenen Berichten unzulässig war.

Meta

6 C 4/12

26.06.2013

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 23. November 2011, Az: OVG 1 B 111.10, Urteil

§ 3 Abs 1 Nr 1 BVerfSchG, § 4 Abs 1 BVerfSchG, § 16 Abs 2 S 1 BVerfSchG, § 16 Abs 1 BVerfSchG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.06.2013, Az. 6 C 4/12 (REWIS RS 2013, 4744)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4744

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Nachrichtendienst; Bundesamt für Verfassungsschutz; Befugnis; Erhebung von Daten; offene Erkenntnis; Aufgaben; Sammlung von Informationen; Bestrebungen; …


20 K 5100/19 (Verwaltungsgericht Düsseldorf)


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