Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.08.2010, Az. II R 65/08

2. Senat | REWIS RS 2010, 3825

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Gegenstand

Berechnung der Beteiligungsquote von 95 v.H. bei mittelbarer Beteiligung an grundbesitzender Gesellschaft - Aussetzung des Verfahrens bei Anfechtung eines Grundlagenbescheids und des Folgebescheids


Leitsatz

Der Erwerb einer mittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzenden Gesellschaft unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG (i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002) der Grunderwerbsteuer, wenn die Beteiligungsquote von 95 v.H. auf jeder Beteiligungsstufe erreicht wird. Eine Ermittlung der für die Tatbestandsverwirklichung maßgeblichen Beteiligungsquote durch Multiplikation der auf den jeweiligen Beteiligungsstufen bestehenden Beteiligungsquoten kommt nicht in Betracht .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb mit Vertrag vom 31. Oktober 2002 von der [X.] 96,92 v.H. der Anteile an der [X.], die zu diesem Zeitpunkt zu 97,5 v.H. an der [X.] beteiligt war.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) sah darin eine Anteilsübertragung nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Er erließ am 4. Juli 2005 einen [X.] über die gesonderte Feststellung des [X.] für Zwecke der Grunderwerbsteuer und setzte mit [X.] vom gleichen Tag die Grunderwerbsteuer auf 1.233.995 € fest. Die Einsprüche gegen die beiden [X.]e hatten keinen Erfolg.

3

Nachdem das Finanzgericht ([X.]) das Klageverfahren gegen den Feststellungsbescheid abgetrennt und an einen anderen Senat des [X.] verwiesen hatte, gab es der Klage gegen den Grunderwerbsteuerbescheid statt. Der Erwerb einer mittelbaren Beteiligung unterliege nur dann der Grunderwerbsteuer, wenn der [X.] nach Multiplikation der auf den jeweiligen Beteiligungsstufen bestehenden Quoten zu mindestens 95 v.H. an der [X.] beteiligt sei. Die Beteiligungsquote werde bei mittelbaren Beteiligungen auch in anderen Rechtsgebieten so ermittelt. Eine solche Berechnung sei auch im Grunderwerbsteuerrecht geboten, weil sich die Sachherrschaft des [X.]s über das Grundstück wegen der [X.] auf jeder Beteiligungsstufe abschwäche. Im Streitfall sei die Mindestbeteiligung nicht erreicht, weil die Klägerin zu 96,92 v.H. an der [X.] und die [X.] zu 97,5 v.H. an der [X.] beteiligt sei, die mittelbare Beteiligung der Klägerin an der [X.] damit nur 94,497 v.H. (96,92 v.H. x 97,5 v.H.) betrage. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1993 veröffentlicht.

4

Mit der Revision rügt das [X.] fehlerhafte Anwendung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG. Der Gesetzgeber typisiere die grunderwerbsteuerrechtlich erhebliche Sachherrschaft über ein Grundstück ab einer Beteiligung von 95 v.H. Daher genüge bei einer mittelbaren Beteiligung auf jeder Beteiligungsstufe eine Quote von zumindest 95 v.H.

5

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

7

Während des Revisionsverfahrens hat das [X.] mit [X.] vom 8. Juni 2010 die Steuerfestsetzung im Hinblick auf die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Heranziehung der [X.] als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer (vgl. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 27. Mai 2009 [X.]/08, [X.], 508, BStBl II 2009, 856) nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung ([X.]) für vorläufig erklärt.

Entscheidungsgründe

8

II. 1. Die Revision führt bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung. Da während des Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheid ergangen ist, ist das Urteil des [X.] gegenstandslos geworden ([X.]-Urteile vom 16. Juni 1999 II R 57/96, [X.], 537, [X.] 1999, 789; vom 10. Mai 2006 [X.], [X.], 118, [X.] 2006, 602; vom 17. Januar 2008 [X.], [X.], 269, [X.], 666). Der [X.] entscheidet über die Klage gegen den gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordenen Grunderwerbsteuerbescheid vom 8. Juni 2010. Einer Zurückverweisung nach § 127 [X.]O bedarf es nicht, weil sich durch den Änderungsbescheid der Streitstoff nicht verändert hat.

9

2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entgegen der Auffassung des [X.] ist beim Erwerb einer mittelbaren Beteiligung an der [X.] das Erreichen der maßgeblichen Beteiligungsquote von 95 v.H. nicht durch Multiplikation der auf den jeweiligen Beteiligungsstufen bestehenden [X.] zu ermitteln. Vielmehr muss die Beteiligungsquote von 95 v.H. lediglich auf jeder Beteiligungsstufe erreicht sein.

Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 [X.] unterliegt ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 v.H. der Anteile an einer [X.] begründet, der Grunderwerbsteuer, wenn zum Vermögen der [X.] ein inländisches Grundstück gehört, soweit eine Besteuerung nach Abs. 2a der Vorschrift nicht in Betracht kommt.

a) Die Vorschrift erfasst dabei nicht den Erwerb der Anteile einer [X.] als solcher, sondern die durch ihn begründete eigenständige Zuordnung der der [X.] gehörenden Grundstücke. Bei den in § 1 Abs. 3 Nrn. 3 und 4 [X.] geregelten [X.] fingiert das Gesetz zivilrechtlich nicht vorhandene grundstücksbezogene [X.]. Sie behandeln den Erwerber der Anteile so, als habe er die zum Vermögen der [X.] gehörenden Grundstücke erworben ([X.]-Urteil vom 2. April 2008 [X.], [X.], 550, [X.] 2009, 544, m.w.[X.]).

Eine steuerbare [X.] [X.] von § 1 Abs. 3 Nr. 3 (und [X.]) [X.] liegt nicht nur dann vor, wenn der [X.] die Anteile der [X.] mit Grundbesitz selbst (unmittelbar) erwirbt, sondern auch dann, wenn es sich bei der Beteiligung des [X.]s um eine nur mittelbare, d.h. über eine andere [X.] vermittelte handelt ([X.]-Urteil vom 21. September 2005 [X.]/04, [X.], 609). Dies hat der Gesetzgeber mit der Einfügung der Worte "unmittelbar oder mittelbar" durch Art. 15 Nr. 1 Buchst. b des [X.] ([X.]) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 ([X.], 402) für Erwerbe ab dem 1. Januar 2000 klargestellt ([X.]-Urteil vom 9. April 2008 II R 39/06, [X.], 1529).

b) Nach der Absenkung der Beteiligungsquote von 100 v.H. auf 95 v.H. ebenfalls mit [X.] 1999/2000/2002 ist es bei einer mittelbaren Beteiligung erforderlich, aber auch ausreichend, wenn die Beteiligungsquote von 95 v.H. auf jeder Stufe erreicht wird [X.] in [X.], [X.], 16. Aufl. 2007, § 1 [X.] 892; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 1 [X.] 335; [X.], [X.], Kommentar, 9. Aufl. 2010, § 1 [X.] 155; Schnitter in [X.]/[X.], [X.]/[X.]/[X.], Kommentar, § 1 [X.] [X.] 339; [X.], Kommentar zur Grunderwerbsteuer, § 1 [X.] 91; Wischott/Schönweiß/Fröhlich, [X.], 361).

Der [X.] erwirbt in diesem Fall mindestens 95 v.H. der Anteile an einer [X.], der das Grundstück der [X.] zugerechnet wird und das ihr damit "gehört". Ein Grundstück gehört nach ständiger Rechtsprechung des [X.] nicht nur dann [X.] des § 1 Abs. 3 [X.] zum Vermögen einer [X.], wenn es im Eigentum der [X.] steht. Maßgeblich ist vielmehr eine [X.]e Zuordnung in dem Sinne, dass eine [X.] die Sachherrschaft an einem Grundstück auch dann ausübt, wenn sie dieses aufgrund eines unter § 1 [X.] fallenden Vorgangs erworben hat (vgl. [X.]-Urteil vom 19. Dezember 2007 [X.]/06, [X.], 542, [X.] 2008, 489, m.w.[X.]). Da zu den [X.]n [X.] des § 1 [X.] auch diejenigen des Abs. 3 der Vorschrift gehören, folgt daraus, dass eine mindestens 95-prozentige Beteiligung an einer [X.] --voll, d.h. wie eine 100-prozentige Beteiligung-- zu erfassen ist. Dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 3 [X.] lässt sich auch nach der Einfügung des Zusatzes "unmittelbar oder mittelbar" nicht entnehmen, dass von dieser in ständiger Rechtsprechung vertretenen, spezifisch [X.]en Zuordnung eines Grundstücks abgewichen werden sollte.

Nach der Absenkung der Mindestbeteiligungsquote auf 95 v.H. geht der Gesetzgeber für Zwecke der Grunderwerbsteuer typisierend davon aus, dass der [X.] mit dem Erreichen dieser Quote in [X.] erheblicher Weise die rechtliche Möglichkeit hat, seinen Willen --wenn auch über so viele Stufen, wie zumindest 95-prozentige Beteiligungen an Zwischengesellschaften vorhanden sind- bei der [X.] durchzusetzen (vgl. [X.]-Urteil vom 30. März 1988 [X.]/87, [X.]E 153, 63, [X.] 1988, 550, zum früheren Berliner [X.], nach dem ebenfalls eine Beteiligungsquote von 95 v.H. ausreichte). Diese Typisierung hat auch zur Folge, dass das nachträgliche Absinken der Beteiligungsquote (z.B. durch den quotenwahrenden Übergang von mittelbarer zu unmittelbarer Beteiligung) den einmal verwirklichten Tatbestand der [X.] nicht mehr in Frage stellen kann. Der Hinweis der Klägerin, sie könne bei einer Veräußerung des Grundstücks nur den auf ihre Beteiligungsquote entfallenden Veräußerungserlös beanspruchen, beruht demgegenüber auf der unzutreffenden Vorstellung, dass es bei § 1 Abs. 3 [X.] allein auf die vermögensmäßige Beteiligung des [X.]s an der [X.] ankomme (vgl. gegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise bereits: [X.]-Urteile vom 16. März 1966 II 70/63, [X.]E 86, 158, [X.]I 1966, 378, und vom 20. Dezember 2000 II R 26/99, [X.]/NV 2001, 1040).

c) Gemäß diesen Grundsätzen erfüllt der [X.] den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 [X.]. Die erforderliche Beteiligungsquote ist auf jeder Stufe erreicht. Die Klägerin ist zu 96,92 v.H. an der [X.] und die [X.] zu 97,5 v.H. an der [X.] beteiligt. Die Klägerin hat damit mindestens 95 v.H. der Anteile der [X.] erworben, der der Grundbesitz der B-GmbH --voll-- zuzurechnen ist.

3. Der [X.] kann über den Grunderwerbsteuerbescheid entscheiden, obwohl das Verfahren gegen die gesonderte Feststellung des [X.] noch anhängig ist.

a) Nach § 74 [X.]O kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits aussetzen. Die Entscheidung über die Aussetzung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dabei ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig (Ermessensreduzierung auf Null), dass das Gericht den Streit um die Rechtmäßigkeit eines [X.]s aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Beschluss vom 28. Februar 2001 [X.], [X.]E 194, 317, [X.] 2001, 416).

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Im Einzelfall kann trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen und daher eine Fortführung des Verfahrens ermessensgerecht sein ([X.]-Entscheidungen vom 9. November 1988 [X.], [X.]E 155, 454, [X.] 1989, 343; vom 20. Februar 1991 [X.]/89, [X.]E 163, 309, [X.] 1991, 368; vom 3. August 2000 [X.], [X.]E 192, 255, [X.] 2001, 33). Das ist z.B. dann der Fall, wenn das Vorbringen eines Beteiligten den [X.] als solchen betrifft und im Verfahren über diesen Bescheid entscheidungserheblich ist. In diesem Fall kann das betreffende Vorbringen bereits zur Entscheidung über die Klage führen, ohne dass es noch auf die Entscheidung über den Grundlagenbescheid ankommt. Dann kann eine zeitnahe Entscheidung sowohl der [X.] als auch dem (objektivierten) Interesse der Beteiligten entsprechen. Von Bedeutung ist dabei, dass unbeschadet einer Entscheidung über den [X.] dieser bei einer nachfolgenden Aufhebung oder Änderung des Grundlagenbescheids (auch im dagegen gerichteten Klageverfahren) gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedarf ([X.]-Urteil in [X.]E 194, 317, [X.] 2001, 416; [X.] in [X.], [X.]O, § 74 [X.] 35.1).

b) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. In den beiden anhängigen Verfahren sind verschiedene Rechtsfragen streitig. Der Rechtsstreit über den Feststellungsbescheid führt im Erfolgsfall nur zu einer niedrigeren Bemessungsgrundlage bei der Grunderwerbsteuer und nicht zu einer Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids, die eine vorrangige Entscheidung über diesen sinnlos erscheinen ließe. Es entspricht daher dem Interesse der Klägerin, zunächst über den Grunderwerbsteuerbescheid zu entscheiden; denn sie braucht ein aufwändiges Sachverständigengutachten über den Bedarfswert des Grundstücks erst dann in Auftrag zu geben, wenn die Steuerbarkeit der Anteilsvereinigung feststeht.

Meta

II R 65/08

25.08.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 17. September 2008, Az: 8 K 4659/05 GrE, Urteil

§ 1 Abs 3 Nr 3 GrEStG 1997, § 74 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.08.2010, Az. II R 65/08 (REWIS RS 2010, 3825)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3825

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