Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2016, Az. 2 StR 195/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 7242

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[X.]:[X.]:BGH:2016:020816B2STR195.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 [X.]/16
vom
2. August
2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und der
Beschwerdeführerin
am 2.
August
2016 gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22.
Februar
2016 mit den [X.] aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte freigesprochen und ihre Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision der Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die Angeklagte leidet unter einer [X.] Schizo-phrenie. Nach der Eheschließung mit

D.

und der Errichtung ei-
nes Wohnhauses in

C.

zog sie sich zurück und hielt sich fast nur
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-
3
-
noch im Haus auf. Zunehmend erzählte sie darüber, dass sie von ihrem [X.] misshandelt worden sei. Sie dehnte ihre Berichte über [X.] auch auf Familienangehörige aus. Schließlich entwickelte sie die [X.], ihr Ehemann sei mit einer anderen [X.] Frau verheiratet. Alle Personen in ihrem Umfeld hätten sich gegen sie verschworen, [X.], der über viel Geld verfüge, diese bezahle, damit sie einen Ra-cheplan gegen sie verfolgten. Nachdem die Angeklagte das Ansinnen ihres Ehemanns, einen Therapeuten aufzusuchen, abgelehnt hatte, beschloss er, sich von ihr zu trennen. Am Abend des 20.
August 2015
verlangte die
Ange-klagte von ihrem Ehemann, dass er ihr Tabletten besorge, damit sie sich töten könne. Er ging jedoch nicht darauf ein.
Am nächsten Morgen fuhr

D.

zur Arbeit, bat aber seine
Eltern, sich um die Angeklagte zu kümmern. Als die Angeklagte zunächst allein im Haus war, zerschlug sie Fenster und einen Spiegel. Danach rief sie ihren Ehemann an und erklärte, er sei bestimmt böse, weil sie die Fenster einge-schlagen habe.

D.

nahm dies jedoch nicht ernst. Gegen
13.15
Uhr erschienen die Schwiegereltern der Angeklagten, I.

und H.

Di.

, als die Angeklagte vor der Haustür saß. Sie hatte ihre Sachen in

e-ihr angerichteten Sachschaden besichtigt hatten, riefen sie

D.

an, der sie darum bat, die Polizei
zu rufen. Bei Eintreffen von Polizeibeamten, die den Vorgang aufnahmen, baten die Schwiegereltern darum, die Angeklagte in ein psychiatrisches
Krankenhaus einzuweisen. Die Beamten lehnten dies ab, weil sich die Angeklagte zu dieser Zeit ruhig verhielt und scheinbar keinen Anlass für eine Unterbringung bot. Nachdem die Beamten das Haus verlassen hatten, lief die Angeklagte nervös herum und sagte

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-
4
-
Als

D.

eintraf, befürchtete die Angeklagte, von ihm ins
Gefängnis gebracht zu werden. Er versuchte sie zu beruhigen. Sie wich ihm aus und lief von der Küche ins Wohnzimmer, von dort in den Flur.

D.

folgte ihr. Sie nahm aus einer Tasche ein Küchenmesser und versetzte
ihrem Ehemann einen Stich in die Brust. Als er sich umdrehte, stach sie ihn auch in den Rücken.

D.

konnte die Angeklagte kurz darauf im
Wohnzimmer auf eine Couch drücken und festhalten. Sein Vater H.

Di.

beteiligte sich daran. Die Angeklagte schlug und trat jedoch heftig um sich.
Dabei versetzte sie H.

Di.

einen Messerstich in den Oberschenkel,
bevor es I.

Di.

gelang, ihr das Messer zu entwinden.
2. Das [X.] hat angenommen, die Angeklagte habe bei der [X.] gegen ihren Ehemann mit natürlichem [X.] Angeklagte sei dabei zumindest nicht ausschließbar unfähig gewesen, das Unrecht der Tat einzusehen. Gleiches gelte für eine nach Ansicht des Landge-richts tateinheitlich begangene gefährliche Körperverletzung zum Nachteil von H.

Di.

.
3. Das [X.] hat die Voraussetzungen für eine Anordnung der Un-terbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB bejaht. Sie habe im Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit eine erhebliche Straftat begangen. Die Gesamtwürdigung aller Umstände ergebe, dass künftig erhebliche rechtswidrige Taten von ihr zu er-warten seien und sie deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Aus dem [X.] der Wahnerkrankung ergebe sich ein erhöhtes Risiko für Gewaltdelikte. Dieses Risiko sei bei Wahnkranken drei-
bis zehnmal so hoch wie bei psychisch gesunden Menschen. Der Angeklagten fehle die Krankheitseinsicht. Sie habe a-5
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-
ler Empfangsraum sei nicht vorhanden, nachdem sich der Ehemann von ihr distanziert habe. Die Wahrscheinlichkeit weiterer Gewaltdelikte sei mittelgradig bis hoch.

II.
1. Die in der [X.] erklärte Beschränkung der Revision auf die [X.] mit Ausnahme der Feststellungen zur rechtswidrigen Tat ist unwirksam, weil sowohl die Unterbringung nach §
63 StGB als auch der auf §
20 StGB gründende Freispruch von den Feststellungen zur [X.] abhängen. Deshalb besteht zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Mai 2013 -
2 StR 29/13, [X.], 54).
2. Das Rechtsmittel der Angeklagten ist mit der Sachrüge begründet.
a) Die Urteilsgründe zur subjektiven Tatseite sind lückenhaft.
Das [X.] hat nicht näher erläutert, inwieweit sich die [X.] die Einsicht in das Unrecht des Angriffs auf das Leben ihres Ehemanns ausgewirkt haben. Offen bleibt in den Urteilsgründen ferner, ob die Angeklagte bei dem Versuch, sich gegen das Festhalten durch Schläge und Tritte zu [X.], auch einen zumindest natürlichen Vorsatz zu einer -
nach Ansicht des [X.] tateinheitlich begangenen
-
gefährlichen Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
2 StGB zum Nachteil von H.

Di.

gehabt oder inso-
weit fahrlässig gehandelt hat.

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b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Annahme des [X.], es sei künftig mit erheblichen rechtswidrigen Taten der [X.] zu rechnen.
Die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.]en aufgrund eines psychischen Defekts schuldun-fähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. [X.] muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter oder die Täterin werde infolge des fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit, des [X.] und der [X.] zu entwickeln. Dem tragen die Urteilsgründe des [X.] nicht aus-reichend Rechnung.
Der Hinweis des [X.] auf ein allgemein erhöhtes Risiko von Gewaltdelikten durch Personen, die unter einer Wahnerkrankung leiden, ist für sich genommen zutreffend, er wird aber dem Einzelfall nicht gerecht. Die [X.] fehlender Krankheitseinsicht der Angeklagten und mangelnder Unterstüt-zung außerhalb eines psychiatrischen Krankenhauses lässt selbst im Hinblick auf ihre gefährlichen Handlungen bei der [X.] ebenfalls noch nicht den Schluss zu, sie werde künftig ähnliche rechtswidrige Taten begehen. Bei der Prognose muss nämlich in der Gesamtschau die konkrete Situation der [X.] der [X.] berücksichtigt werden. Der Ehemann hatte ihr seinen Trennungswunsch offenbart; sie sollte das in seinem Alleineigentum stehende Haus, auf das sie nach ihrer Vorstellung auch Anrechte besaß, [X.] und hatte ihre Sachen gepackt. Die Schwiegereltern hatten auf Bitte des Ehemanns die Polizei gerufen, und alle hatten sich damit aus der Sicht der An-12
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geklagten gegen sie gewandt.
Sie hatte Angst von
der Polizei
festgenommen und in eine Justizvollzugsanstalt verbracht zu werden. Sie war danach ohne Unterstützung. Nachdem inzwischen die Trennung der Eheleute vollzogen ist, bleibt im Rahmen der Zukunftsprognose zu erwägen, ob auch unter den verän-derten Umständen mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades weitere Ge-walthandlungen der Angeklagten gegen dieselben oder andere Personen zu erwarten sind. Bei der Prognoseentscheidung ist schließlich zu berücksichtigen, dass trotz länger andauernder Erkrankung der Angeklagten vor und nach der [X.] von ihr keine rechtswidrigen Taten begangen wurden.
3. Der neue Tatrichter wird §
63 Satz
1 StGB in der Fassung des [X.] zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 28.
April 2016, das am 1.
August 2016 in [X.] getreten ist (BGBl. [X.], S.
1610 ff.; vgl. Regierungsentwurf dazu in BT-Drucks. 18/7244; s.a. [X.] NJW 2016, 2298 ff.), zu prüfen haben (§
2 Abs.
6 StGB). Er hat sich 15
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-
gegebenenfalls auch mit der bisher nicht erörterten Frage zu befassen, ob ins-besondere nach Sicherstellung einer ausreichenden Medikation der Angeklag-ten und ihrer sonstigen Versorgung eine Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung gemäß §
67b Abs.
2 Satz
1 StGB in Frage kommt.
[X.] Appl Eschelbach

Ott

RiBGH Zeng ist wegen

Urlaubs an der Unterschrift

gehindert.

[X.]

Meta

2 StR 195/16

02.08.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2016, Az. 2 StR 195/16 (REWIS RS 2016, 7242)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7242

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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