Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.03.2017, Az. 2 StR 557/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 14028

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Urteilsgründe bei Heranziehung früherer Strafverfahren im Rahmen der Gefahrenprognose


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. Juli 2016 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen: Am 23. Dezember 2014 schlug der Angeklagte, der in den vergangenen zwanzig Jahren bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten strafrechtlich verfolgt worden war, dem Zeugen [X.], mit dem er [X.] in einer Übernachtungsstätte bewohnte und von dem er sich provoziert fühlte, mit der Faust ins Gesicht. Der Zeuge [X.]erlitt eine schmerzhafte Schwellung und eine Platzwunde im Bereich des linken Auges.

3

Fünf Tage später schlug der Angeklagte dem Zeugen [X.]  , einem Mitarbeiter der Übernachtungsstätte, „unvermittelt und kraftvoll“ mit der Faust ins Gesicht. [X.]  erlitt eine schmerzhafte Schwellung im Bereich des Jochbeins.

4

Sachverständig beraten hat sich das [X.] davon überzeugt, dass der Angeklagte im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit gehandelt habe. Zum Tatzeitpunkt habe bei dem Angeklagten eine „chronifizierte schizophrene Spektrumserkrankung“ bestanden; diese medikamentös behandelbare „[X.] zeichne sich als Wahnerkrankung mit affektiven Auffälligkeiten aus“. Bei dem Angeklagten käme es wegen dieses krankheitsbedingt „dauerhaft erhöhten Erregungsniveaus“ sowie fehlender [X.] Anpassungsfähigkeit, Toleranz und Empathie immer wieder zu raptusartigen, unangekündigten Gewaltausbrüchen.

5

2. Die auf die Sachrüge durchgeführte umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

6

3. Der [X.] hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sind nicht hinreichend belegt.

7

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme. Sie setzt neben der sicheren Feststellung mindestens einer im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangenen [X.] voraus, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die dazu notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Mai 2016 - 4 StR 185/16, [X.], 719, 720 und vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, [X.], 135).

8

b) Das [X.] hat mit der Körperverletzung zum Nachteil der Zeugen [X.]und [X.]   zwei im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangene rechtswidrige Taten ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt. Die Gefahrenprognose begegnet aber durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

9

Denn die Strafkammer hat bei der Erstellung der Gefahrenprognose u.a. von der Staatsanwaltschaft [X.] und der Staatsanwaltschaft [X.] jeweils gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellte Verfahren gegen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (Vorwurf des Schlages mit einem Besenstiel zum Nachteil des Zeugen A.  ) bzw. wegen Körperverletzung zum Nachteil eines Mitgefangenen und weitere von den [X.] [X.] und [X.] jeweils gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellte Verfahren wegen Körperverletzungen als prognoseungünstige Umstände herangezogen. In den Urteilsgründen werden - insoweit wörtlich - lediglich die den Verfahren zugrunde liegenden jeweiligen Schlussberichte der Polizei, eine Strafanzeige bzw. der Bericht der Justizvollzugsanstalt mitgeteilt. Aus diesen ergibt sich aber nicht, dass die Taten auf der Erkrankung des Angeklagten beruhten, zumal er zumindest bei einem Teil der Taten offensichtlich (auch) alkoholisiert gewesen ist.

Das [X.] hat außerdem zur Stützung seiner Prognose auf das letzte - einschlägige - Urteil durch das [X.] vom 28. Februar 2008 verwiesen, mit dem der Angeklagte wegen im April/Mai 2007 begangener gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden war. Zwar werden in den Urteilsgründen die dazu getroffenen Feststellungen mitgeteilt. Aus diesen ergibt sich aber ebenfalls nicht, ob diese Taten auf der Erkrankung des - zum Tatzeitpunkt zudem erheblich alkoholisierten - Angeklagten beruhten, sodass deren [X.] gleichfalls nicht beurteilt werden kann (vgl. auch Senat, Beschluss vom 8. August 2007 - 2 StR 296/07, [X.], 468; [X.] in: [X.]/Renzi-kowski, StGB, § 63 Rn. 33).

4. Die Sache bedarf danach insoweit erneuter Prüfung. Der Tatrichter wird zu beachten haben, dass § 63 StGB durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuchs und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016 ([X.] I 2016 S. 1610) mit Wirkung zum 1. August 2016 neu gefasst worden ist und diese Neufassung gemäß § 2 Abs. 6 StGB Anwendung findet (vgl. BT-Drucks. 18/7244, [X.]; [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 4 StR 500/16 mwN).

Der Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalt M.     aus [X.], vom 10. März 2017 hat bei der Beschlussfassung vorgelegen.

Appl     

       

[X.]     

       

Zeng   

       

Bartel     

       

Grube     

       

Meta

2 StR 557/16

15.03.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 6. Juli 2016, Az: 5/6 KLs 4/16

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.03.2017, Az. 2 StR 557/16 (REWIS RS 2017, 14028)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14028

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 557/16 (Bundesgerichtshof)


4 StR 256/20 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anordnung bei nicht erheblichen Straftaten


5 StR 520/19 (Bundesgerichtshof)

Verfahrensfehler in Strafsachen: Unterlassener Hinweis des Erstgerichts bei Übergang vom Sicherungs- in das Strafverfahren; Gefahrenprognose …


1 StR 324/20 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Erfordernis der Feststellung der Einsichtsfähigkeit zur Feststellung der Schuldfähigkeit


3 StR 479/18 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Feststellung des Eingangsmerkmals im Rahmen der Schuldfähigkeit; Eingangsmerkmal bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.