Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.05.2023, Az. VIII ZR 160/21

8. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 2974

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Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] - 4. Zivilsenat - vom 12. Mai 2021 aufgehoben, soweit die Klage gegen die Beklagte (ehemals Beklagte zu 1) betroffen ist.

Die Sache wird insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für dieses [X.] wird auf 78.363,44 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin erwarb im April 2016 von der [X.] (vormals Beklagte zu 1) als Vertragshändlerin einen von der ehemaligen und nach der Verfahrenstrennung am hiesigen Verfahren nicht mehr beteiligten [X.] zu 2 hergestellten [X.] 3.0 l TDI zum Kaufpreis von 78.363,44 €. Das Fahrzeug ist nicht mit dem Motor [X.] ausgestattet, sondern mit einem 3.0 l-Sechszylinder-Dieselmotor der [X.] 6. Die [X.]en streiten darüber, ob in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut sind.

2

Unstreitig werden in dem Fahrzeug zwei Technologien zur Reduktion des [X.] eingesetzt, zum einen ein SCR-Katalysator, der mit [X.] betrieben wird, und die sogenannte Abgasrückführung, bei der es zum Einsatz eines [X.]s kommt, das jedenfalls bei Außentemperaturen von 5° Celsius und darunter eine signifikante Reduzierung der Abgasrückführung bewirkt.

3

Ausweislich einer Pressemitteilung des [X.] vom 23. Januar 2018 ordnete dieses wegen nachgewiesener unzulässiger Abschalteinrichtungen einen Rückruf von Fahrzeugen "[X.] 3.0 l Euro 6" an, darunter das Modell [X.]. Gegenüber der Klägerin sind bislang keine Maßnahmen angekündigt worden.

4

Die Klägerin erklärte mit anwaltlichem Schreiben vom 9. August 2018 gegenüber der [X.] die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung sowie den Rücktritt vom Vertrag und forderte sie erfolglos zu dessen Rückabwicklung bis zum 23. August 2018 auf. Eine Frist zur Nacherfüllung hatte sie der [X.] nicht gesetzt.

5

Die bezüglich der [X.] auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie gegen Zahlung einer von der [X.] noch [X.] Nutzungsentschädigung, auf Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Auch die Klage gegen die Fahrzeugherstellerin, welche primär auf die Feststellung einer Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz gerichtet war, haben die Vorinstanzen abgewiesen.

6

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

7

Der [X.] hat das [X.] gegen die ehemalige Beklagte zu 2 durch Beschluss vom 18. April 2023 abgetrennt und zuständigkeitshalber an den [X.]. Zivilsenat des [X.] abgegeben.

II.

8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

9

Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 437 Nr. 2, § 434 Abs. 1, § 323 Abs. 1, § 346 BGB.

In Bezug auf die sogenannte Aufwärmstrategie fehle es an einer hinreichenden Darlegung zu einer die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs begründenden Ausstattung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Klägerin habe vorgetragen, in dem Fahrzeug sei das Getriebe [X.] 551 verbaut, wohingegen die [X.] behauptet hätten, das Fahrzeug verfüge über ein Automatikgetriebe [X.] 552, in welchem es das von der Klägerin beschriebene [X.] nicht gebe. Die Behauptung der Klägerin stelle eine rechtlich unbeachtliche, pauschale Behauptung "ins Blaue hinein" dar. So erkläre sich nicht, weshalb unstreitig nach Eingabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer des klägerischen Fahrzeugs auf der Internetseite der Herstellerin mitgeteilt werde, dass dieses Fahrzeug von keiner "Feldmaßnahme" betroffen sei, obwohl das [X.] die sogenannte Aufheizstrategie als unzulässige Abschalteinrichtung gewertet und deshalb ausweislich seiner Presseerklärung vom 23. Januar 2018 einen Rückruf angeordnet habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass bis zum heutigen Tag keine Maßnahmen gegenüber der Klägerin angekündigt worden seien. Hinzu komme, dass das in Rede stehende [X.] A4-Modell nicht in einer vom [X.] veröffentlichten Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten aufgeführt sei. Jedenfalls scheitere der Rücktritt am Fehlen der erforderlichen Aufforderung zur Nachbesserung.

Ob die Klägerin zu einem Sachmangel im Hinblick auf das [X.] und die [X.]-Dosierung hinreichend vorgetragen habe, sei für das [X.] wegen der widersprüchlichen Angaben zum Temperaturbereich zwar zweifelhaft, könne indes dahinstehen, weil die Klägerin der [X.] vor dem Rücktritt keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben habe, obgleich eine Fristsetzung mit Nacherfüllungsverlangen nicht entbehrlich gewesen sei.

Die von der Klägerin zur Begründung der Unzumutbarkeit angeführte Behauptung, auch nach einer Nachbesserung hafte dem Fahrzeug weiterhin ein verbleibender Makel an, beruhe auf einer bloßen Mutmaßung.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere übersteigt der Wert der Beschwer die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht - gehörswidrig das hinreichend substantiierte Vorbringen der Klägerin zum Einbau des Getriebes [X.] 551 sowie zu einem merkantilen Minderwert des Fahrzeugs in Höhe von mindestens 10 % des Kaufpreises übergangen und infolgedessen die hierfür von der Klägerin angebotenen Beweise nicht erhoben.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.] 86, 133, 144; 96, 205, 216; [X.], [X.], 1475 Rn. 14; NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26; [X.]sbeschlüsse vom 26. Mai 2020 - [X.]I ZR 64/19, NJW-RR 2020, 1019 Rn. 13; vom 10. November 2020 - [X.]I ZR 18/20, juris Rn. 11; vom 22. Juni 2021 - [X.]I ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 13). Der Anspruch auf rechtliches Gehör als grundrechtsgleiches Recht soll sicherstellen, dass die Entscheidung des Gerichts frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben.

Ferner gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. nur [X.] 65, 305, 307; 69, 141, 143 f.; [X.], NVwZ 2018, 1555 Rn. 31; Beschluss vom 20. Dezember 2018 - 1 BvR 1155/18, juris Rn. 11; [X.], Beschlüsse vom 21. September 2017 - [X.], juris Rn. 8; vom 3. Juli 2018 - [X.]I ZR 229/17, [X.], 278 Rn. 68, insoweit in [X.]Z 219, 161 nicht abgedruckt; vom 28. Januar 2020 - [X.]I ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 4; jeweils mwN).

Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag der [X.] gestellt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Februar 2017 - [X.]I ZR 1/16, [X.], 1877 Rn. 10). Eine solche nur scheinbar das [X.]vorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatrichters dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den [X.]vortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. [X.], Urteil vom 22. Juni 2009 - [X.], [X.], 2598 Rn. 2; Beschlüsse vom 22. Juni 2021 - [X.]I ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 16; vom 29. September 2021 - [X.]I ZR 226/19, juris Rn. 12).

2. Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Berufungsgericht eine zweifache Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Das Berufungsgericht durfte das Vorbringen der Klägerin, in ihrem Fahrzeug sei das Getriebe [X.] 551 verbaut, in welchem - insoweit unstreitig - eine sogenannte Aufwärmstrategie installiert sei, nicht als rechtlich unbeachtliche, pauschale Behauptung "ins Blaue hinein" zurückweisen, sondern hätte den von der Klägerin hierfür angebotenen [X.] erheben müssen. Ebenso hätte das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zu einem trotz etwaiger Nachbesserung verbleibenden erheblichen merkantilen Minderwert nicht als "bloße Mutmaßung" unbeachtet lassen dürfen, sondern hätte auch hier dem Beweisangebot durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgehen müssen. Denn die Klägerin ist insofern den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen gerecht geworden.

a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die [X.] Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der [X.] entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 17. Dezember 2014 - [X.]I ZR 88/13, NJW 2015, 934 Rn. 43; vom 29. Januar 2020 - [X.]I ZR 80/18, [X.]Z 224, 302 Rn. 55; vom 13. Juli 2021 - [X.], [X.], 1609 Rn. 20; [X.]sbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - [X.]I ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 7; vom 22. Juni 2021 - [X.]I ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 33). Das gilt insbesondere dann, wenn die [X.] keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat ([X.]sbeschluss vom 22. Juni 2021 - [X.]I ZR 134/20, aaO). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der [X.] zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa [X.]sbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - [X.]I ZR 57/19, aaO; vom 22. Juni 2021 - [X.]I ZR 134/20, aaO). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende [X.] nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. [X.], Urteile vom 29. Januar 2020 - [X.]I ZR 80/18, aaO; vom 13. Juli 2021 - [X.], aaO; vom 26. Januar 2022 - [X.]I ZR 140/20, [X.], 703 Rn. 39).

Dabei ist es einer [X.] grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (vgl. [X.]surteil vom 29. Januar 2020 - [X.]I ZR 385/18, NJW-RR 2020, 615 Rn. 83; [X.]sbeschluss vom 28. Januar 2020 - [X.]I ZR 57/19, aaO Rn. 8; jeweils mwN). Sie darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen insbesondere dann als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von entscheidungserheblichen [X.] hat ([X.], Urteil vom 18. Mai 2021 - [X.], NJW-RR 2021, 886 Rn. 19 mwN). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden ist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 26. April 2018 - [X.] ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rn. 34; vom 7. Februar 2019 - [X.], NJW 2019, 1137 Rn. 37; vom 29. Januar 2020 - [X.]I ZR 385/18, aaO; vom 13. Juli 2021 - [X.], [X.], 1609 Rn. 22; jeweils mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt sein können ([X.], Urteile vom 27. Mai 2003 - [X.], NJW-RR 2004, 337 unter [X.]; vom 26. Januar 2022 - [X.]I ZR 140/20, aaO Rn. 40; jeweils mwN).

b) Diese strengen Voraussetzungen für eine Behauptung "ins Blaue hinein" liegen hinsichtlich der Behauptung der Klägerin, ihr Fahrzeug verfüge über ein Getriebe [X.] 551, in welchem sogar - unstreitig - eine sogenannte Aufwärmfunktion installiert ist, nicht vor. [X.] greifbare Anhaltspunkte dafür, dass jedenfalls (auch) einige Fahrzeuge des Typs [X.] mit einem 3.0 l-Motor der [X.] 6 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer "schnellen Motoraufwärmfunktion" versehen sind, ergeben sich aus der Pressemitteilung des [X.] vom 23. Januar 2018, auf welche die Klägerin sich bezieht. Die Klägerin, die mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion ihres Fahrzeugs keine genauen Kenntnisse über den eingebauten Getriebetyp haben kann, darf sich auf die von ihr nur vermutete Tatsache stützen, in ihrem Fahrzeug sei (ebenfalls) das Getriebe [X.] 551 verbaut.

Das Berufungsgericht, das der Klägerin letztlich entgegenhält, dass das [X.] (bislang) in Bezug auf ihren konkreten Fahrzeugtyp nicht tätig geworden ist, überspannt damit die Anforderungen an eine substantiierte Darlegung eines in dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegenden Sachmangels. Denn ein Sachmangel nach § 434 Abs. 1 BGB wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegt - wie der [X.] bereits mehrfach entschieden hat ([X.]surteile vom 21. Juli 2021 - [X.]I ZR 254/20, [X.]Z 230, 296 Rn. 34; vom 29. September 2021 - [X.]I ZR 111/20, [X.]Z 231, 149 Rn. 20; siehe auch bereits [X.]sbeschluss vom 8. Januar 2019 - [X.]I ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 20) - im Hinblick auf eine drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 [X.] nicht erst dann vor, wenn der Hersteller durch einen Bescheid des [X.] eine Umrüstungsanordnung getroffen hat, sondern auch schon dann, wenn diese Behörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller noch nicht getroffen hat. Denn auch dann ist im Ansatz bereits ein Sachverhalt ("Mangelanlage"/Grundmangel) gegeben, der - gegebenenfalls mit weiteren Umständen - dazu führen kann, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung vornimmt, weil das Fahrzeug wegen einer gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 des [X.] und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzungsfahrzeugen ([X.] L 171/1 vom 29. Juni 2007) verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspricht.

c) Ferner hat die Klägerin, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, ausreichend substantiiert dargelegt, dass nach ihrer Auffassung dem Fahrzeug ein auch durch eine einwandfreie Nachbesserung nicht zu beseitigender merkantiler Minderwert von mindestens 10 % des Kaufpreises anhafte. Bei seiner gegenteiligen Auffassung hat das Berufungsgericht die Anforderungen an einen substantiierten und schlüssigen Sachvortrag überspannt.

(1) Die Klägerin hat vorgetragen und unter [X.] gestellt, dass das Fahrzeug aufgrund der Betroffenheit vom sogenannten Abgasskandal und dem damit verbundenen Makel auch im Falle einer einwandfreien Nachbesserung nur schwer und mit erheblichen Abschlägen verkäuflich sei. Der merkantile Minderwert betrage mindestens 10 %. Jeder Käufer müsse davon ausgehen, dass die Software seines Fahrzeugs in der Vergangenheit im Straßenverkehr zu oft in den "Sparmodus" geschaltet habe und deshalb der Dieselpartikelausstoß massiv erhöht gewesen sei, was zu einer Mehrbelastung des Dieselpartikelfilters und des [X.] geführt habe.

(2) Dieses Vorbringen erweist sich (jedenfalls derzeit) als ausreichend substantiiert, um einen allein aufgrund des Makels "vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug" bestehenden merkantilen Minderwert darzulegen. Wie der [X.] bereits mehrfach entschieden hat, lässt sich bislang nicht allgemeingültig und abschließend beantworten, ob die Eigenschaft eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs - in dem Charakter eines Fahrzeugs als Unfallfahrzeug vergleichbarer Weise - einen (unbehebbaren) Sachmangel darstellt, weil sie ebenfalls einen merkantilen Minderwert zur Folge hat (vgl. [X.]sbeschlüsse vom 29. September 2021 - [X.]I ZR 226/19, juris Rn. 25; vom 8. Dezember 2021 - [X.]I ZR 280/20, NJW 2022, 935 Rn. 26; vom 14. Dezember 2021 - [X.]I ZR 386/20, juris Rn. 29; vom 26. April 2022 - [X.]I ZR 19/21, juris Rn. 33; vom 5. Oktober 2022 - [X.]I ZR 88/21, [X.], 2242 Rn. 23). Der [X.] hat deshalb (jedenfalls derzeit) weitere, über den oben genannten Vortrag hinausgehende Darlegungen nicht für erforderlich gehalten.

3. Die von der Klägerin geltend gemachte Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, hätte es das oben wiedergegebene Vorbringen der Klägerin in gebotener Weise zur Kenntnis genommen und den angebotenen [X.] erhoben, zu der Überzeugung gelangt wäre, dass das klägerische Fahrzeug einen Sachmangel aufweist und es einer Fristsetzung mit Blick auf die von der Klägerin im [X.] - was vorliegend ausreicht (vgl. [X.]surteile vom 29. September 2021 - [X.]I ZR 111/20, [X.]Z 231, 149 Rn. 40; vom 26. Januar 2022 - [X.]I ZR 140/20, [X.], 703 Rn. 21) - als maßgebliche Nacherfüllungsvariante gewählte Nachbesserung namentlich gemäß der von ihm herangezogenen Vorschrift des § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB ausnahmsweise nicht bedurft hätte.

4. Die weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen [X.] hat der [X.] geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO).

IV.

1. Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).

2. Für das weitere Berufungsverfahren weist der [X.] vorsorglich darauf hin, dass das Vorbringen der Klägerin zum Vorliegen von Sachmängeln des Fahrzeugs im Hinblick auf das [X.] und die zwischen Normalbetrieb und Prüfstandsbetrieb unterscheidende [X.]-Dosierung - was das Berufungsgericht bislang hat dahinstehen lassen - hinreichend substantiiert erscheint.

Dr. Bünger     

  

Dr. Schmidt     

  

Dr. Matussek

  

Dr. Reichelt     

  

Dr. Böhm     

  

Meta

VIII ZR 160/21

09.05.2023

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 12. Mai 2021, Az: 4 U 34/20, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.05.2023, Az. VIII ZR 160/21 (REWIS RS 2023, 2974)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2974

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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