Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.07.2012, Az. VIII ZR 323/11

8. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4799

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Gegenstand

Rechtsanwaltsgebühren: Voraussetzungen für die Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus


Leitsatz

Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war, und ist deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Toleranzrechtsprechung bis zu einer Überschreitung von 20% der gerichtlichen Überprüfung entzogen (Fortführung BGH, 13. Januar 2011, IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603 und BGH, 8. Mai 2012, VI ZR 273/11, juris).

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 7. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Das Amtsgericht hat die Beklagten im schriftlichen Vorverfahren mit Teil-Versäumnisurteil und Endurteil aufgrund einer Kündigung wegen [X.] zur Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung sowie zur Zahlung von 2.660 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 808,25 € verurteilt. Hinsichtlich weiterer 98,05 € vorgerichtlicher Anwaltskosten hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass von den Klägern entgegen VV-RVG Nr. 2300 eine Begründung für einen 1,3 überschreitenden Satz der Geschäftsgebühr nicht gegeben worden sei, weshalb die verlangte 1,5-fache Gebühr nicht zugesprochen werden könne.

2

Die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Kläger hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung weiterer 98,05 € vorgerichtlicher Anwaltskosten weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

5

VV-[X.] Nr. 2300 sehe vor, dass eine [X.] von mehr als 1,3 nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dementsprechend sei bei der vom Gericht anzustellenden [X.] vor Erlass eines Versäumnisurteils nicht nur zu prüfen, ob die verlangte [X.] unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 [X.] sei, sondern auch, ob eine Überschreitung der Kappungsgrenze von 1,3 gerechtfertigt sei. Tatsachenvortrag, der die Überschreitung dieser Kappungsgrenze rechtfertige, sei vorliegend nicht erfolgt. Dementsprechend habe das Amtsgericht im angegriffenen Urteil mangels schlüssigen Vortrags zu Recht keine 1,5-fache [X.], sondern nur eine 1,3-fache [X.] angesetzt.

6

Zwar stehe dem Rechtsanwalt nach der sogenannten [X.] bei der Festlegung der konkreten [X.] ein Spielraum von 20 % zu, so dass eine sich innerhalb dieser Grenze bewegende [X.] nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 [X.] und deshalb grundsätzlich hinzunehmen sei. Die Kammer teile aber die Ansicht des Amtsgerichts und anderer Amtsgerichte, dass die sogenannte [X.] erst dann zum Zuge kommen könne, wenn die Kappungsgrenze nach VV-[X.] Nr. 2300 zu Recht überschritten sei, weil es sich um eine umfangreiche oder schwierige Sache handele oder aber sich die [X.]en unterhalb dieser Grenze bewegten, so dass die Kappungsgrenze nicht tangiert sei. Ob eine Tätigkeit umfangreich oder schwierig im Sinne der VV-[X.] Nr. 2300 sei, sei vom Gericht genauso zu überprüfen, wie es auch sonst zu überprüfen habe, ob gesetzliche Tatbestandsmerkmale vorlägen. Andernfalls könnte ein Rechtsanwalt den Regelfall stets mit der 1,5-fachen [X.] abrechnen, ohne darlegen zu müssen, weshalb im konkreten Fall eine höhere [X.] als 1,3 angemessen sei. Dies könne angesichts des eindeutigen Wortlauts in VV-[X.] Nr. 2300 nicht richtig sein. Der eindeutige Gesetzeswortlaut sei insoweit bindend und könne auch nicht mit der [X.] umgangen werden.

II.

7

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

8

1. Gemäß § 2 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit Nr. 2300 des [X.] in der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 [X.] kann eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, mithin "überdurchschnittlich" war ([X.], Urteil vom 31. Oktober 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 420 Rn. 6 mwN zu der [X.] in Nr. 2400). Dementsprechend ist, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, bei der vom Gericht anzustellenden [X.] vor Erlass eines Versäumnisurteils zu prüfen, ob eine Überschreitung der "Kappungsgrenze" von 1,3 wegen überdurchschnittlichen Umfangs oder überdurchschnittlicher Schwierigkeit gerechtfertigt ist. Die Kläger haben dazu nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nichts vorgetragen. Übergangenen Sachvortrag zeigt die Revision nicht auf. Daher haben die Vorinstanzen zu Recht keine 1,5-fache [X.], sondern nur eine 1,3-fache [X.] für gerechtfertigt gehalten. Denn die Schwellengebühr von 1,3 ist die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle ([X.], Urteil vom 31. Oktober 2006 - [X.], aaO Rn. 8; Urteil vom 13. Januar 2011 - [X.], NJW 2011, 1603 Rn. 16; BT-Drucks. 15/1971, S. 207).

9

2. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der sogenannten [X.] nichts anderes.

Zwar steht dem Rechtsanwalt, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gemäß § 14 Abs. 1 [X.] bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 ein Ermessensspielraum zu. Solange sich die vom Rechtsanwalt im Einzelfall bestimmte [X.] innerhalb einer Toleranzgrenze von 20 % bewegt, ist die [X.] nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 [X.] und daher von einem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen ([X.], Urteil vom 13. Januar 2011 - [X.], aaO Rn. 18; Urteil vom 31. Oktober 2006 - [X.], aaO Rn. 5).

Das Berufungsgericht hat aber mit Recht angenommen, dass diese [X.] zu Gunsten des Rechtsanwalts, der eine [X.] von mehr als 1,3 beansprucht, nur dann eingreift, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Nr. 2300 für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 vorliegen (ebenso [X.], [X.] 2012, 20; [X.], Beschluss vom 20. Juli 2011 - 93 C 57/10, juris; [X.], Urteil vom 9. September 2011 - 4 C 59/11, juris; vgl. auch [X.], Beschluss vom 12. Juli 2011 - 2 KO 225/11, juris). Das ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, nach der eine Ausnutzung des [X.]enrahmens unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 [X.] bis zum 2,5-fachen der [X.] nur bei schwierigen oder umfangreichen Sachen im billigen Ermessen des Anwalts steht, während es bei der Regelgebühr von 1,3 verbleibt, wenn Umfang und Schwierigkeit der Sache nur von durchschnittlicher Natur sind (BT-Drucks. 15/1971, aaO).

Daher ist eine Erhöhung der Regelgebühr von 1,3 auf eine 1,5-fache [X.] hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 entgegen der Auffassung der Revision nicht der gerichtlichen Überprüfung entzogen (ebenso [X.], aaO mwN). Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne Weiteres eine 1,5-fache [X.] verlangen. Das verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen [X.]entatbestandes in Nr. 2300, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine [X.] von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war. Der [X.] Zivilsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er ebenfalls dieser Auffassung sei und sich aus seinem Urteil vom 13. Januar 2011 ([X.], aaO Rn. 18) nichts anderes ergebe. Der [X.] Zivilsenat hat mitgeteilt, dass er im Hinblick auf die Äußerung des [X.] Zivilsenats, dessen Entscheidung er sich angeschlossen hatte (Urteil vom 8. Mai 2012 - [X.], juris), keine Bedenken gegen die in Aussicht genommene Entscheidung des [X.]. Zivilsenats hat.

[X.]                                               Dr. Frellesen                                                Dr. Hessel

                     Dr. [X.]                                                Dr. [X.]

Meta

VIII ZR 323/11

11.07.2012

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Memmingen, 7. Oktober 2011, Az: 12 S 1187/11

§ 14 Abs 1 RVG, Nr 2300 RVG-VV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.07.2012, Az. VIII ZR 323/11 (REWIS RS 2012, 4799)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4799

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