Bundesverfassungsgericht, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren vom 15.05.2019, Az. 2 BvR 351/19

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 7278

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Gegenstandswertfestsetzung im Verfassungsbeschwerdeverfahren und im Verfahren über den Erlass einer eA nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde - hälftige Kostenerstattungspflicht des Bundes bei Abweichung einer im bundesrechtlichen Verwaltungsverfahren ergangenen auslieferungsrechtlichen Bewilligungsentscheidung von der gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung


Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend [X.]) sowie für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend [X.]) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betraf die Auslieferung eines [X.] Staatsangehörigen in die [X.] zur Strafverfolgung wegen Raubes.

2

1. Das [X.] erklärte die Auslieferung des Beschwerdeführers auf Grundlage einer Entscheidung des Bezirksgericht [X.] in der Stadt [X.] mit Beschluss vom 17. September 2018 nach Maßgabe weiterer Bedingungen für zulässig. Unter anderem sah das [X.] es wegen der Gefahr der politischen Verfolgung und unmenschlichen Behandlung während des Strafverfahrens in [X.] für erforderlich an, dass das Gerichtsverfahren nicht in dem [X.] durchgeführt werde, aus dem die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Entscheidung stammte. Es führte aus, im Bewilligungsverfahren werde insoweit eine ergänzende Zusicherung durch die Generalstaatsanwaltschaft des [X.] bei den [X.] Behörden einzuholen sein.

3

2. Die Bewilligung der Auslieferung erfolgte am 12. Oktober 2018, ohne dass eine weitere Zusicherung der [X.] Behörden eingeholt worden war. Stattdessen wurde der Botschaft der [X.] im Rahmen einer [X.] des [X.] vom 12. Oktober 2018 zunächst mitgeteilt, dass die Regierung der [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers unter Bezugnahme auf die durch die Generalstaatsanwaltschaft der [X.] abgegebenen Zusicherungen bewilligt habe. Mit [X.] vom 17. Oktober 2018 an die Botschaft der [X.] ergänzte das [X.] sodann, es gehe im Übrigen davon aus, dass das Gerichtsverfahren außerhalb der Verwaltungseinheit [X.] Föderalbezirk durchgeführt werde.

4

3. Der Beschwerdeführer erfuhr von der [X.] seinem Vortrag zufolge erstmals, als das [X.] den zwischenzeitlich außer Vollzug gesetzten [X.] mit angegriffenem Beschluss vom 3. Januar 2019, der dem Beschwerdeführer am 19. Februar 2019 zuging, angesichts der unmittelbar bevorstehenden Durchführung der Auslieferung wieder in Vollzug setzte. In den Gründen des Beschlusses führte das [X.] aus, dass das mit dem Bewilligungsverfahren betraute [X.] zwischenzeitlich erklärt habe, eine Zusicherung eines abweichenden örtlichen Gerichtsstandes könne von den [X.] Justizbehörden nicht abgegeben werden, weil dem Beschwerdeführer ansonsten der nach Art. 47 Abs. 1 der [X.] Verfassung garantierte gesetzliche Richter entzogen werde. Diesen Umstand habe es zur Kenntnis genommen. Die in der [X.] enthaltene "Bedingung", der zufolge auch das Gerichtsverfahren außerhalb des nordkaukasischen [X.] stattfinden müsse, sei ausreichend.

5

4. Mit seiner mit einem Eilantrag verbundenen Verfassungsbeschwerde vom 24. Februar 2019 trug der Beschwerdeführer vor, die Bewilligung der Auslieferung ohne die förmliche Zusicherung, dass das Gerichtsverfahren nicht im [X.] stattfinden werde, verletze ihn in seinen Grundrechten. Die Zusicherung könne nicht durch eine in der [X.] benannte einseitige Bedingung ersetzt werden. Vor einem tschetschenischen Gericht drohe ihm ein rechtsstaatswidriges Strafverfahren. Zwar seien Zusicherungen geeignet, Zweifel an der Zulässigkeit einer Auslieferung auszuräumen. Dies gelte aber nicht für einseitige Bedingungen, die die [X.] ohne Erklärung des Zielstaats in die [X.] aufnehme. Hinzu komme, dass sich die [X.] vorliegend darauf verlasse, dass die [X.] in Erfüllung der Bedingung in der Bewilligung gegen die [X.] verstoßen werde. Denn die [X.] Behörden hätten bereits bekundet, dass sie die von der [X.] verlangte Verlagerung des Gerichtsstandes aus Gründen höherrangigen Rechts nicht zusichern könnten.

6

5. Die [X.] des [X.] hat mit Beschluss vom 27. Februar 2019 die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der [X.] gemäß § 32 Abs. 1 und 2 [X.] einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, ausgesetzt und die Generalstaatsanwaltschaft des [X.] mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt. Dies ist angesichts der Eilbedürftigkeit gemäß § 32 Abs. 5 [X.] ohne Begründung erfolgt.

7

Die Verfassungsbeschwerde war weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die demnach erforderliche Folgenabwägung ging zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Auslieferung war für zulässig erklärt und bewilligt worden. Sie stand auch tatsächlich unmittelbar bevor. Die Folgen, die eingetreten wären, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen worden wäre, sich später aber herausgestellt hätte, dass die Auslieferung rechtswidrig war, haben erheblich schwerer gewogen als die Folgen, die entstanden wären, wenn die einstweilige Anordnung erlassen worden wäre, sich später aber herausgestellt hätte, dass die Auslieferung ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine Geltendmachung seiner Einwände gegen die Auslieferung nicht mehr möglich gewesen. Im letztgenannten Fall hätte sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers in [X.] lediglich bis zu einem späteren Termin verlängert.

8

6. Auf den Antrag des Beschwerdeführers hin hob das [X.] Brandenburg mit Beschluss vom 7. März 2019 den Beschluss vom 17. September 2018 über die Zulässigkeit der Auslieferung auf. Dem Beschwerdeführer sei insoweit zuzustimmen, dass der Umstand, dass im Bewilligungsverfahren keine Zusicherung eingeholt worden sei, geeignet sei, eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zu begründen. Aufgaben der Judikative im Zulässigkeitsverfahren könnten nicht der Exekutive im Bewilligungsverfahren überantwortet werden. An der im Beschluss vom 3. Januar 2019 geäußerten Rechtsauffassung werde insoweit nicht festgehalten. Eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung werde bis zum 12. April 2019 ausgesetzt, um der [X.] zu geben, ergänzende Zusicherungen einzuholen.

9

7. Unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 7. März 2019 hat der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 25. März 2019 für erledigt erklärt und Auslagenerstattung sowie unter dem 4. Mai 2019 die Festsetzung des [X.] auf 20.000 Euro für die Hauptsache beziehungsweise 10.000 Euro für die einstweilige Anordnung beantragt.

8. Mit Schreiben vom 11. April 2019 nahm das [X.] und Verbraucherschutz des [X.] auf Aufforderung zum Gegenstandswert Stellung.

9. Das [X.] teilte mit Schreiben vom 11. April 2019 mit, eine Auslagenerstattungspflicht der [X.] bestehe nicht, weil die angefochtene Entscheidung durch das [X.] erlassen worden sei und ihr keine für verfassungswidrig erklärte Rechtsnorm in der Verantwortung des [X.]esgesetzgebers zugrunde gelegen habe.

II.

Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren und das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entstandenen notwendigen Auslagen gemäß § 34a Abs. 3 [X.] zu erstatten. Die Auslagenerstattungspflicht trifft den [X.] und das [X.] jeweils hälftig.

1. Über die Hauptsache ist nicht mehr zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer sie mit Schriftsatz vom 25. März 2019 für erledigt erklärt hat (vgl. [X.] 85, 109 <113>). Nach Erledigung der Hauptsache ist über die Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 [X.] nach [X.] zu befinden. Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund wesentliche Bedeutung zukommen, der zur Erledigung geführt hat. Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall entspricht es der Billigkeit, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, als wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. etwa [X.] 85, 109 <115>; 87, 394 <397>; [X.]K 5, 316 <327 f.>). Eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde findet im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des [X.]esverfassungsgerichts im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. [X.] 33, 247 <264 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. Mai 2018 - 2 BvR 2767/17 -, juris, Rn. 13).

2. Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, neben der Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch die Erstattung seiner notwendigen Auslagen im Hauptsacheverfahren anzuordnen (vgl. [X.] 85, 109 <116>). Das [X.] hat mit dem Beschluss vom 7. März 2019, mit dem es die Zulässigkeitsentscheidung vom 17. September 2018 aufhob und damit die Voraussetzungen für die Durchführung der Auslieferung beseitigte, die Erledigung des [X.] herbeigeführt und in der Begründung zum Ausdruck gebracht, dass es das Anliegen des Beschwerdeführers für berechtigt erachtete. Hierdurch hat es den gemäß § 12 [X.] zwingenden Bezugspunkt der Bewilligungsentscheidung beseitigt und diese ebenfalls zu Fall gebracht.

3. Die Auslagenerstattungspflicht fällt hälftig dem [X.] und dem [X.] zu. Die Verfassungsbeschwerde hat sich zwar zum einen gegen den Beschluss des Brandenburgischen [X.]s vom 3. Januar 2019 gerichtet. Angegriffen hat der Beschwerdeführer aber zum anderen gerade die Bewilligungsentscheidung wegen ihres Abweichens von den Vorgaben der Zulässigkeitsentscheidung, in der eine förmliche Zusicherung der Gerichtsstandsverlegung verlangt worden war. Die Bewilligung einer Auslieferung erfolgt in einem Verwaltungsverfahren des [X.]es (vgl. § 74 Abs. 1 S. 1 [X.]). Dies rechtfertigt hier die Annahme einer Erstattungspflicht des [X.]es.

4. Die Festsetzung des [X.] beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 351/19

15.05.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren

Sachgebiet: BvR

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 3. Januar 2019, Az: (1) 53 AuslA 66/17 (34/17), Beschluss

§ 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren vom 15.05.2019, Az. 2 BvR 351/19 (REWIS RS 2019, 7278)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7278

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

2 BvR 828/19

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2 BvR 2767/17

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