Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.11.2018, Az. 1 C 23/17

1. Senat | REWIS RS 2018, 1540

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Gegenstand

Kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des vertriebenenrechtlichen Aufnahmeverfahrens, wenn zu einem selbstständig tragenden Ablehnungsgrund kein durchgreifender Wiederaufnahmegrund vorgebracht wurde


Leitsatz

Ein Aufnahmebewerber, dessen Aufnahmeantrag nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) bestandskräftig abgelehnt worden ist, hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, wenn sich zwar bestimmte rechtliche Voraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufnahmebescheides nachträglich geändert haben, der bestandskräftige Ablehnungsbescheid jedoch auch auf einen Ablehnungsgrund gestützt worden ist, zu dem der Betroffene keinen durchgreifenden Wiederaufnahmegrund geltend gemacht hat.

Tatbestand

1

Die 1978 in [X.] geborene Klägerin begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem [X.] ([X.]).

2

Im April 1997 hatte die Klägerin erstmals einen Aufnahmeantrag gestellt. Mit Bescheid vom 5. August 2002 hatte das [X.] diesen Antrag abgelehnt, weil der Klägerin die [X.] nicht innerhalb der Familie vermittelt worden sei. Der Widerspruch der Klägerin war mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2003 zurückgewiesen worden. Zur Begründung hatte das [X.] ausgeführt, die Klägerin stamme bereits nicht von einem [X.] [X.] oder [X.] Staatsangehörigen ab. Der Aufnahmeantrag ihres [X.] sei mangels [X.] Volkszugehörigkeit abgelehnt worden. Im Übrigen verfüge sie nur über unzureichende [X.] Sprachkenntnisse, die für ein einfaches Gespräch nicht ausreichten. Von einer familiären Vermittlung der [X.] Sprache sei daher nicht auszugehen. Der Bescheid war bestandskräftig geworden.

3

Im Dezember 2013 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf das Zehnte [X.] und die zwischenzeitliche Teilnahme an einem Sprachkurs, ihr im Wege eines Wiederaufgreifens des Verfahrens einen Aufnahmebescheid zu erteilen.

4

Mit Bescheid vom 3. März 2015 lehnte das [X.] den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ab. Ein Wiederaufnahmeanspruch nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG bestehe nicht, denn hinsichtlich des [X.] habe sich für die Klägerin durch die Gesetzesänderung keine Besserstellung ergeben. Für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG lägen keine hinreichenden Gründe vor. Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch trug die Klägerin unter anderem vor, die Abstammung von einem [X.] [X.] liege vor, da auch im - seinerzeit negativ beendeten - Verfahren des [X.] für die Beurteilung der [X.] Volkszugehörigkeit die Vorschriften des Zehnten [X.]es Anwendung fänden. Im Übrigen könne hinsichtlich der Abstammung auch auf die Großeltern zurückgegriffen werden. Das [X.] wies den Widerspruch zurück.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung mit Urteil vom 21. Juli 2017 geändert und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Die Rechtslage habe sich durch das Zehnte [X.] nachträglich zu ihren Gunsten geändert. Mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 [X.] seien die Anforderungen an das Bekenntnis zum [X.] Volkstum und an das [X.] erleichtert worden. Diese Rechtslagenänderung ermögliche auch eine der Klägerin günstigere Entscheidung, da sie nunmehr alle Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides erfülle. Dass der bestandskräftige Ablehnungsbescheid auch auf das Fehlen der Abstammung von einem [X.] [X.] oder einem [X.] Staatsangehörigen gestützt worden sei und insoweit keine Rechtsänderung vorliege, sei unschädlich. Die Bestandskraft des ablehnenden Bescheides betreffe den Streitgegenstand als solchen und beziehe sich nicht darüber hinaus auch auf einzelne Tatbestandsvoraussetzungen. Auch das Abstammungserfordernis sei daher im Rahmen des wiederaufzugreifenden Verfahrens ohne Bindung an die bestandskräftige Ablehnung in der Sache neu zu prüfen. Die zu treffende neue Sachentscheidung falle zugunsten der Klägerin aus. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides lägen vor; insbesondere sei die Klägerin [X.] Volkszugehörige. Das Merkmal der Abstammung sei nach der neueren Rechtsprechung des [X.] generationenübergreifend zu verstehen. Es sei bei der Klägerin erfüllt, weil ihre Großeltern väterlicherseits [X.] Volkszugehörige gewesen seien. Die Klägerin habe sich zum [X.] Volkstum bekannt, da sie in ihrem kasachischen Reisepass mit [X.] Nationalität eingetragen sei. Sie habe durch entsprechende Bescheinigungen des [X.] auch nachgewiesen, dass sie ein einfaches Gespräch auf [X.] führen könne.

6

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Die Rechtslage habe sich nicht zugunsten der Klägerin geändert. Die Überwindung der Rechts- bzw. Bestandskraft des Verwaltungsakts nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG setze voraus, dass die Änderung Tatbestandsmerkmale betreffe, die im ursprünglichen Verfahren für den Inhalt des Verwaltungsakts entscheidungserheblich gewesen seien und an deren Stelle nunmehr eine wesentlich neue, für den Betroffenen günstigere Sach- oder Rechtslage getreten sei. Für den Anspruch auf Wiederaufgreifen sei nicht entscheidend, ob der Betroffene aktuell alle Voraussetzungen erfülle, sondern ob der Gesetzgeber die Durchbrechung der Bestandskraft für ihn ermöglichen wollte. Mit dem Zehnten [X.] habe der Gesetzgeber lediglich das Bekenntnis zum [X.] Volkstum auf andere Weise ermöglichen und das Merkmal der familiären Vermittlung der [X.] Sprache nicht mehr als unabdingbare Voraussetzung fordern wollen. Sollte diese Änderung der Rechtslage dazu führen, dass eine Änderung der Rechtsprechung zur generationenübergreifenden Abstammung einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens begründen könnte, konterkarierte dies die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass eine Änderung der [X.] nicht zu einer Änderung der Rechtslage führt.

7

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.

8

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich am Verfahren und tritt der Rechtsauffassung der Revision bei.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der [X.]eklagten ist begründet. Das [X.]erufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens unter Verletzung von [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bejaht. Seine Rechtsauffassung, ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen einer Änderung der Rechtslage könne auch dann bestehen, wenn der bestandskräftige Ablehnungsbescheid auch auf das Fehlen einer Tatbestandsvoraussetzung gestützt worden ist, zu der kein durchgreifender Wiederaufnahmegrund geltend gemacht worden ist, ist mit § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] unvereinbar. Das angegriffene Urteil stellt sich auf der Grundlage der vom [X.]erufungsgericht getroffenen, hinreichenden Tatsachenfeststellungen auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), sodass der Senat abschließend zulasten der Klägerin entscheiden kann.

Maßgeblich für die rechtliche [X.]eurteilung des von der Klägerin mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs sind § 51 [X.] in der Fassung der [X.]ekanntmachung der Neufassung des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 23. Januar 2003 ([X.] [X.]) sowie das [X.] in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.] [X.]), zuletzt geändert durch das Gesetz zur [X.]ereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20. November 2015 ([X.] [X.]). Die durch Art. 1 des [X.] zur Änderung des [X.]es - im Folgenden: Zehntes [X.] - vom 6. September 2013 ([X.] I S. 3554) bewirkten Änderungen der Anforderungen an die [X.] Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 [X.] gelten danach - abgesehen von einer redaktionellen Anpassung durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur [X.]ereinigung des [X.]es vom 7. November 2015 ([X.] I S. 1922) - unverändert fort.

Nachdem der Aufnahmeantrag der Klägerin aus dem [X.] unanfechtbar abgelehnt worden ist, kann ihr [X.]egehren auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nur Erfolg haben, wenn sie zuvor ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 [X.] (Anspruch auf Wiederaufgreifen) oder nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] (Wiederaufgreifen nach Ermessen) erreicht (vgl. [X.], Urteil vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - juris Rn. 16). Die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 [X.] liegen indes nicht vor (1.). Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] hat die [X.]eklagte ermessensfehlerfrei abgelehnt (2.).

1. Entgegen der Auffassung des [X.]erufungsgerichts hat die Klägerin keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 [X.]. Ihr Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens war nach § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht an eine Frist gebunden. Der allein geltend gemachte Wiederaufnahmegrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (Änderung der Sach- bzw. Rechtslage) liegt jedoch nicht vor. Die mit dem Antrag (und im weiteren Verlauf des Verfahrens) geltend gemachten Wiederaufnahmegründe bestimmen und begrenzen den Gegenstand der behördlichen und gerichtlichen Prüfung ([X.], [X.]eschluss vom 11. Dezember 1989 - 9 [X.] 320.89 - [X.] 316 § 51 [X.] Nr. 24; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 19. Aufl. 2018, § 51 Rn. 11). Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nicht, dass sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu ihren Gunsten geändert hat.

a) Eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des [X.]etroffenen liegt vor, wenn sich die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Rechtsnormen oder tatsächlichen Grundlagen geändert haben, sodass die Änderung eine dem [X.]etroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder doch ermöglicht (vgl. [X.], Urteile vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - juris Rn. 18 und vom 8. Mai 2002 - 7 [X.] 18.01 - [X.] 428 § 2 VermG Nr. 66 S. 68; [X.], in: [X.]/[X.]onk/[X.], [X.], 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 92). Die Sach- oder Rechtslage muss sich hinsichtlich solcher Umstände geändert haben, die für den bestandskräftigen Verwaltungsakt - hier: den Ablehnungsbescheid - tatsächlich maßgeblich waren. Nicht ausreichend ist die Änderung tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen für den mit der Verpflichtungsklage erstrebten Verwaltungsakt, die für die bestandskräftige Ablehnung nicht (allein) ausschlaggebend waren.

b) Der bestandskräftige [X.]escheid vom 5. August 2002 in der maßgeblichen Fassung des Widerspruchsbescheides (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, zur entsprechenden Anwendbarkeit auf Verpflichtungsklagen vgl. [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 23. Aufl. 2017, § 79 Rn. 3) hatte das Nichtvorliegen der [X.]n Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 [X.] in der Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes vom 30. August 2001 ([X.] I S. 2266) sowohl mit der fehlenden Abstammung von einem [X.]n [X.] oder [X.]n Staatsangehörigen als auch mit der mangelnden Erfüllung der Anforderungen an die [X.]eherrschung der [X.]n Sprache begründet.

c) Das [X.]erufungsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, dass sich die Klägerin hinsichtlich des [X.] auf eine Änderung der Sach- und Rechtslage berufen kann. Sie hat ihren Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens jedenfalls darauf gestützt, dass § 6 Abs. 2 [X.] 2013 die Erfüllung der Anforderungen an die [X.]n Sprachkenntnisse erleichtert habe, indem er keine familiäre Vermittlung mehr verlange. Zugleich hat sie geltend gemacht und durch Vorlage entsprechender Sprachzertifikate hinreichend belegt, dass sie in nachträglich absolvierten Sprachkursen nunmehr die Fähigkeit erworben hat, ein einfaches Gespräch in [X.]r Sprache zu führen. Hierin liegt eine Änderung der Sach- und Rechtslage, die zu einer günstigeren [X.]eurteilung einer im bestandskräftigen [X.]escheid verneinten Tatbestandsvoraussetzung für die [X.] Volkszugehörigkeit führt.

Hinsichtlich des Erfordernisses der Abstammung von einem [X.]n Staatsangehörigen oder [X.]n [X.] hat das [X.]erufungsgericht im Ergebnis zu Recht keinen eigenständigen Wiederaufnahmegrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 [X.] angenommen. Ausdrücklich hat die Klägerin einen solchen bereits nicht geltend gemacht. Soweit sie geltend macht, dass in Anbetracht der durch das Zehnte [X.] geänderten Rechtslage auch ihr Vater als [X.]r Volkszugehöriger anzusehen sei, ist dem Vorbringen der Klägerin jedenfalls nicht zu entnehmen, dass ihr Vater während ihres ersten Aufnahmeverfahrens bereits hinreichende Deutschkenntnisse hatte und diese lediglich nicht auf familiärer Vermittlung beruhten. Soweit ein etwaiger nachträglicher Erwerb hinreichender Deutschkenntnisse durch ihren Vater ein Wiederaufgreifen wegen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtfertigen könnte, hat sie diesen ebenfalls nicht geltend gemacht.

Eine Änderung der Rechtslage ist auch nicht mit dem Vorbringen dargetan, hinsichtlich der Abstammung könne nach dem Urteil des [X.] vom 25. Januar 2008 - 5 [X.] 8.07 - ([X.]E 130, 197) auch auf die Großeltern abgestellt werden. Mit diesem Urteil hat das [X.] eine umstrittene, zuvor in der Rechtspraxis überwiegend enger gehandhabte Auslegungsfrage zu dem [X.] erstmals geklärt. Die erstmalige Klärung einer Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung begründet ebenso wie eine Änderung dieser Rechtsprechung regelmäßig keine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478 Rn. 27).

d) Mit [X.]undesrecht unvereinbar ist hingegen die Annahme des [X.]erufungsgerichts, dass sich allein aus der Änderung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der [X.] bereits ein Anspruch der Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt, ohne dass auch hinsichtlich des zweiten, selbstständig tragenden [X.] - der fehlenden Abstammung von einem [X.]n Staatsangehörigen oder [X.]n [X.] - ein durchgreifender Wiederaufnahmegrund vorgebracht sein müsste. Denn eine Änderung der Sach- und/oder Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist nicht entscheidungserheblich, wenn sie sich nur auf einen von mehreren Ablehnungsgründen bezieht, die für den unanfechtbaren Ablehnungsbescheid je für sich ausschlaggebend waren. Eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- bzw. Rechtslage liegt bei mehreren selbstständig tragenden Ablehnungsgründen nur vor, wenn sie sich auf alle Ablehnungsgründe auswirkt. Denn hinsichtlich eines nicht von [X.] betroffenen [X.] bleibt die [X.]estandskraft des ablehnenden [X.]escheides bestehen und steht einer neuen Sachentscheidung auf der Grundlage der aktuellen (möglicherweise gewandelten) Rechtsauffassung entgegen (soweit die [X.]ehörde das Verfahren nicht nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] wiederaufgreift, dazu unten 2.).

aa) Die [X.]ehörde darf einen bestandskräftigen Verwaltungsakt nach § 51 Abs. 1 [X.] nicht beliebig aufheben oder ändern. Die [X.]efugnis zu einer neuen Sachentscheidung reicht bei § 51 Abs. 1 [X.] vielmehr nur so weit, wie der festgestellte Wiederaufnahmegrund dies rechtfertigt (vgl. [X.], Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] - juris Rn. 22; [X.]eschlüsse vom 5. August 1987 - 9 [X.] - [X.] 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 6 S. 2 f. und vom 15. September 1992 - 9 [X.] 18.92 - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 69 S. 67 f.). Für den Fall mehrerer selbstständig tragender Ablehnungsgründe folgt hieraus, dass es für einen erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag nach § 51 Abs. 1 [X.] nicht ausreicht, wenn nur hinsichtlich eines [X.] ein durchgreifender Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wird (vgl. [X.], Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 [X.] 285.86 - [X.]E 78, 332 <336 f.>).

bb) Die Ausführungen des [X.]erufungsgerichts zum [X.] vernachlässigen, dass es um die Reichweite der [X.]estandskraft von Verwaltungsakten geht, die eine [X.]egünstigung versagen. Diese erstreckt sich auf die ausschlaggebenden Ablehnungsgründe (vgl. auch [X.], Die [X.]indungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, [X.]), die nicht mit der Ablehnung als solcher gleichzusetzen sind (zutreffend [X.], Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 37). Eine Durchbrechung der [X.]estandskraft gemäß § 51 Abs. 1 [X.] setzt voraus, dass die tragenden Ablehnungsgründe jeweils durch einen Wiederaufnahmegrund überwunden werden. Der Antrag und die damit geltend gemachten Wiederaufnahmegründe begrenzen insoweit den Streitgegenstand einer Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens.

Nichts anderes folgt aus der - vom [X.]erufungsgericht herangezogenen - Rechtsprechung des [X.]undesgerichtshofs zur Reichweite der Rechtskraft klageabweisender Urteile. Danach beschränkt sich die Rechtskraft einer Entscheidung zwar auf die Rechtsfolge, die den Entscheidungssatz bildet. [X.]ei klageabweisenden Urteilen ist der aus der Urteilsbegründung zu ermittelnde ausschlaggebende [X.] aber gerade Teil dieses Entscheidungssatzes (vgl. [X.]GH, Urteil vom 24. Juni 1993 - [X.] - NJW 1993, 3204 <3205>). Entsprechend bestimmt sich im Verwaltungsprozess die Reichweite der materiellen Rechtskraft des eine Verpflichtungsklage abweisenden Urteils nach den das Urteil tragenden Entscheidungsgründen (vgl. [X.], Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im Öffentlichen Recht, 1995, S. 229).

cc) Kein anderes Ergebnis rechtfertigt ferner die Erwägung, das Abstellen auf die tragenden Gründe des ablehnenden [X.]escheides bei der Prüfung des [X.] führe zu zufälligen oder gar willkürlichen Ergebnissen. § 51 Abs. 1 [X.] macht die Durchbrechung der [X.]estandskraft eines Verwaltungsakts gerade davon abhängig, dass sich Faktoren geändert haben, die im ursprünglichen Verfahren für den Inhalt des bestandskräftigen Verwaltungsakts entscheidend waren ([X.], in: [X.]/[X.], [X.], 19. Aufl. 2018, § 51 Rn. 25; [X.], Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 35). Die von der [X.]ehörde angeführten Ablehnungsgründe prägen den [X.]escheid und sind Anknüpfungspunkt für das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in den [X.]estand des [X.]escheides und damit für die Rechtssicherheit. Es entspricht gerade der Funktion der [X.]estandskraft und bewirkt ungeachtet der bei der [X.]egründung des Erstbescheides möglichen Zufälligkeiten der Heranziehung rechtlich je tragender Gründe keine Willkür, für die [X.]prüfung an die den [X.]escheid tragenden Gründe anzuknüpfen (siehe auch [X.], Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 35).

dd) Die Klägerin kann sich für ihre - dem [X.]erufungsurteil entsprechende - Auffassung im Ergebnis auch nicht auf die im Gesetzgebungsverfahren gegebene [X.]egründung zu § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] berufen. Dort ist ausgeführt, dass Anträge auf Erteilung eines Aufnahmebescheides oder auf Einbeziehung auch dann gestellt werden können, "wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides oder die Einbeziehung in einem früheren Verfahren bestandskräftig abgelehnt worden ist, nun aber die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen" (vgl. [X.]eschlussempfehlung und [X.]ericht des [X.] vom 12. Juni 2013, [X.]T-Drs. 17/13937 S. 7). Daraus ist bereits nicht zwingend abzuleiten, dass - wie die Klägerin meint - der Gesetzgeber die Vergünstigungen der Gesetzesänderung all denjenigen zugutekommen lassen wollte, deren Aufnahmeantrag nach früherem Recht zwingend abzulehnen war, oder sogar all denjenigen, die die gesetzlichen Voraussetzungen "nun" erfüllen. Selbst wenn der Gesetzgeber aber tatsächlich allen Personen mit bestandskräftig abgelehntem Aufnahmeantrag, die nach aktueller Rechtslage und Rechtsauffassung die Voraussetzungen erfüllen, die Erteilung eines Aufnahmebescheides hätte ermöglichen wollen, hätte dieser Wille im Gesetz keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Denn wie sich aus § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] ausdrücklich ergibt, hat der Gesetzgeber solche Anträge im Grundsatz weiterhin als [X.]anträge eingestuft und - mit Ausnahme der Fristbindung - dem Regime des § 51 [X.] unterstellt.

2. Das [X.]erufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klägerin hat insbesondere auch nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Die [X.]eklagte hat ein Wiederaufgreifen nach diesen Vorschriften vielmehr ermessensfehlerfrei abgelehnt.

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann die [X.]ehörde - auch wenn, wie hier, die in § 51 Abs. 1 bis 3 [X.] normierten Voraussetzungen nicht vorliegen - ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Sachentscheidung treffen. Hinsichtlich der in § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] zu sehenden Ermächtigung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne, welche die Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen ermöglicht, besteht für den [X.]etroffenen allerdings nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ([X.], Urteil vom 21. Juni 2017 - 6 [X.] 43.16 - [X.] 421.2 Hochschulrecht Nr. 196 Rn. 9 m.w.N.).

Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung [X.] belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der [X.]estandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit [X.]lick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist, was von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt (stRspr, [X.], Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 [X.] 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13, vom 20. März 2008 - 1 [X.] 33.07 - [X.] 402.242 § 54 [X.] Nr. 5, vom 24. Februar 2011 - 2 [X.] 50.09 - [X.] 316 § 51 [X.] Nr. 58 und vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - juris Rn. 31). Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann "schlechthin unerträglich", wenn die [X.]ehörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die [X.]erufung der [X.]ehörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich ([X.], Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 [X.] 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13 und vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478 Rn. 29 f.).

Diese Voraussetzungen liegen auf der Grundlage der vom [X.]erufungsgericht getroffenen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, nicht vor. Für einen Verstoß gegen Treu und Glauben sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Das Absehen von einer Wiederaufnahme ist nicht allein deshalb grob unbillig, weil der bestandskräftige Ablehnungsbescheid auf zwei tragende Gründe gestützt war und eine Klage deshalb wegen der eindeutigen Nichterfüllung des [X.] im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Denn zumindest wäre es durch eine [X.]eschreitung des Rechtswegs möglich gewesen, die Verneinung der [X.]n Abstammung als die Ablehnung tragende [X.]egründung zu beseitigen, wenn die Klägerin mit dem dem [X.]escheid zugrunde liegenden Verständnis des Abstammungskriteriums nicht einverstanden gewesen sein sollte.

Die bestandskräftige Ablehnung war auch nicht offensichtlich rechtswidrig. Sie orientierte sich hinsichtlich der angenommenen [X.]eschränkung des [X.]s auf die Eltern der Sache nach an der Rechtsprechung des [X.] zur früheren Rechtslage und konnte sich auf die Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz berufen (vgl. [X.], Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 -[X.]ayV[X.]l. 2012, 478; [X.]T-Drs. 12/3212 [X.]). Allein der Umstand, dass der ablehnende Verwaltungsakt - gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt werden durfte, genügt für die Annahme seiner offensichtlichen Rechtswidrigkeit nicht (vgl. [X.], Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478 Rn. 29).

Dafür, dass die [X.]eklagte in vergleichbaren Fällen, in denen die bestandskräftige Versagung eines Aufnahmebescheides auch oder nur auf das Merkmal der Abstammung gestützt worden war, das Verfahren wiederaufgegriffen hätte, ist nichts ersichtlich oder geltend gemacht. Die von der Klägerin angeführten Folgen, dass der Erfolg eines [X.]egehrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheides (auch) von "Zufälligkeiten" der [X.]egründung eines früheren [X.]escheides sowie davon abhängt, ob der Aufnahmeantrag erstmals gestellt worden ist oder nach [X.] Ablehnung eines früheren [X.], machen das Festhalten an der bestandskräftigen Ablehnung ebenfalls nicht schlechthin unerträglich. Sie sind gerade Ausfluss der [X.]estandskraft von Verwaltungsakten.

Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Die [X.]eklagte hat ihr Ermessen über das Wiederaufgreifen des Verfahrens fehlerfrei zulasten der Klägerin ausgeübt. Ist die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht "schlechthin unerträglich" und das [X.]ermessen damit auf Null reduziert, ist es in aller Regel und so auch hier ermessensfehlerfrei, wenn die [X.]ehörde dem Aspekt der Rechtssicherheit den Vorzug gibt. Ins Einzelne gehender Ermessenserwägungen bedarf es insoweit nicht.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

1 C 23/17

20.11.2018

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 21. Juli 2017, Az: 11 A 2411/16, Urteil

§ 27 Abs 3 S 1 BVFG, § 6 Abs 2 BVFG, § 79 Abs 1 Nr 1 VwGO, § 48 VwVfG, § 49 VwVfG, § 51 Abs 5 VwVfG, § 51 Abs 1 VwVfG, § 51 Abs 1 Nr 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.11.2018, Az. 1 C 23/17 (REWIS RS 2018, 1540)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1540

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5 K 1696/18

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