Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.11.2018, Az. 1 C 25/17

1. Senat | REWIS RS 2018, 1522

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Gegenstand

Anspruch auf Wiederaufgreifen des vertriebenenrechtlichen Aufnahmeverfahrens nur bei Änderungen zu allen Ablehnungsgründen


Tatbestand

1

Der 1983 in [X.] geborene Kläger, der in der [X.] wohnhaft ist, begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem [X.] ([X.]).

2

Im Oktober 2003 hatte der Kläger erstmals einen Aufnahmeantrag gestellt, den das [X.] mit Bescheid vom 26. September 2006 abgelehnt hatte. Zur Begründung hatte es ausgeführt, es bestünden bereits Zweifel an der [X.] Abstammung des [X.], für die es nur auf die Eltern ankomme. Soweit seine Mutter in der vorliegenden Neuausstellung seiner Geburtsurkunde aus dem [X.] mit [X.] Nationalität geführt werde, sei dies nicht [X.], weil es seit 1990 möglich sei, [X.] ändern zu lassen. Der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, dass zumindest ein Elternteil auch bereits in der [X.] seiner Geburtsurkunde mit [X.] Nationalität geführt worden sei. Zudem habe der Kläger ein durchgängiges Bekenntnis zum [X.] Volkstum nicht nachgewiesen, da sein [X.] 2003 ohne Nationalitätseintrag neu ausgestellt worden und nicht ersichtlich sei, mit welcher Nationalität er in seinem ersten [X.] geführt worden sei. Der Bescheid war bestandskräftig geworden.

3

Im November 2014 stellte der Kläger unter Bezugnahme auf die Änderungen durch das Zehnte [X.] einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, den er zunächst nicht weiter begründete. Das [X.] lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. März 2015 ab. Ein Wiederaufnahmeanspruch nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG bestehe nicht, denn hinsichtlich des [X.] habe sich für den Kläger durch die Gesetzesänderung keine Besserstellung ergeben. Für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG lägen keine hinreichenden Gründe vor.

4

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, nach Inkrafttreten des Zehnten [X.]es sei ein durchgängiges Bekenntnis zum [X.] Volkstum nicht mehr erforderlich. Das fehlende Bekenntnis sei im Ablehnungsbescheid damit begründet worden, nach 1990 ausgestellte Urkunden seien nicht [X.]. Mit derselben Begründung seien Zweifel an der [X.] Abstammung geäußert worden. Unabhängig von der Frage, ob neu ausgestellte Personenstandsurkunden zur Feststellung einer [X.] Abstammung [X.] seien, könne der Kläger seine [X.] Abstammung über seine Großeltern nachweisen, denn seine Großmutter sei anerkannte Spätaussiedlerin. Das [X.] wies den Widerspruch zurück.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung mit Urteil vom 14. Juli 2017 geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen Aufnahmebescheid zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Die Rechtslage habe sich durch das Zehnte [X.] nachträglich zu seinen Gunsten geändert. Mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 [X.] seien die Anforderungen an das Bekenntnis zum [X.] Volkstum und an das [X.] erleichtert worden. Diese Rechtslagenänderung ermögliche auch eine dem Kläger günstigere Entscheidung, da er nunmehr alle Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides erfülle. Dass der bestandskräftige Ablehnungsbescheid - entgegen der Auffassung des [X.] - auch auf das Fehlen der Abstammung von einem [X.] Staatsangehörigen oder [X.] [X.] gestützt worden sei und insoweit keine Rechtsänderung vorliege, sei unschädlich. Die Bestandskraft des ablehnenden Bescheides betreffe den Streitgegenstand als solchen und beziehe sich nicht darüber hinaus auch auf einzelne Tatbestandsvoraussetzungen. Auch das Abstammungserfordernis sei daher im Rahmen des wiederaufzugreifenden Verfahrens ohne Bindung an die bestandskräftige Ablehnung in der Sache neu zu prüfen. Die zu treffende neue Sachentscheidung falle zugunsten des [X.] aus. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheides lägen vor; insbesondere sei der Kläger [X.] Volkszugehöriger. Das Merkmal der Abstammung sei nach der neueren Rechtsprechung des [X.] generationenübergreifend zu verstehen. Es sei beim Kläger erfüllt, weil seine Großmutter mütterlicherseits anerkannte Spätaussiedlerin sei. Er habe sich auch zum [X.] Volkstum bekannt. Zwar weise sein 2003 ausgestellter [X.] keinen Nationalitäteneintrag auf. Der Kläger werde aber in der Ende 2012 ausgestellten Geburtsurkunde seines [X.] mit [X.] Nationalität geführt. Dass er ein einfaches Gespräch in [X.] Sprache führen könne, sei bereits beim Sprachtest im August 2006 festgestellt worden.

6

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Die Rechtslage habe sich nicht zugunsten des [X.] geändert. Die Überwindung der Bindungswirkung der Rechts- bzw. Bestandskraft nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG setze voraus, dass die Änderung Tatbestandsmerkmale betreffe, die im ursprünglichen Verfahren für den Inhalt des Verwaltungsakts entscheidungserheblich gewesen seien und an deren Stelle nunmehr eine wesentlich neue, für den Betroffenen günstigere Sach- oder Rechtslage getreten sei. Für den Anspruch auf Wiederaufgreifen sei nicht entscheidend, ob der Betroffene aktuell alle Voraussetzungen erfülle, sondern ob der Gesetzgeber die Durchbrechung der Bestandskraft für ihn ermöglichen wollte. Mit dem Zehnten [X.] habe der Gesetzgeber lediglich das Bekenntnis zum [X.] Volkstum auf andere Weise ermöglichen und das Merkmal der familiären Vermittlung der [X.] Sprache nicht mehr als unabdingbare Voraussetzung fordern wollen. Sollte diese Änderung der Rechtslage dazu führen, dass eine Änderung der Rechtsprechung zur generationenübergreifenden Abstammung einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens begründen könnte, konterkarierte dies die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass eine Änderung der [X.] nicht zu einer Änderung der Rechtslage führt.

7

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

8

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich am Verfahren und tritt der Rechtsauffassung der Revision bei.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der [X.]eklagten ist begründet. Das [X.]erufungsgericht hat einen Anspruch des [X.] auf Wiederaufgreifen des Verfahrens unter Verletzung von [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) bejaht. Seine Rechtsauffassung, ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen einer Änderung der Rechtslage könne auch dann bestehen, wenn der bestandskräftige Ablehnungsbescheid auch auf das Fehlen einer Tatbestandsvoraussetzung gestützt worden ist, zu der kein durchgreifender Wiederaufnahmegrund geltend gemacht worden ist, ist mit § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] unvereinbar. Das angegriffene Urteil stellt sich auf der Grundlage der vom [X.]erufungsgericht getroffenen, hinreichenden Tatsachenfeststellungen auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), sodass der Senat abschließend zulasten des [X.] entscheiden kann.

Maßgeblich für die rechtliche [X.]eurteilung des vom Kläger mit der Verpflichtungsklage verfolgten Anspruchs sind § 51 [X.] in der Fassung der [X.]ekanntmachung der Neufassung des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 23. Januar 2003 ([X.] [X.]) sowie das [X.] in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.] [X.]), zuletzt geändert durch das Gesetz zur [X.]ereinigung des Rechts der Lebenspartner vom 20. November 2015 ([X.] [X.]). Die durch Art. 1 des [X.] zur Änderung des [X.]es - im Folgenden: Zehntes [X.] - vom 6. September 2013 ([X.] I S. 3554) bewirkten Änderungen der Anforderungen an die [X.] Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 [X.] gelten danach - abgesehen von einer redaktionellen Anpassung durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur [X.]ereinigung des [X.]es vom 7. November 2015 ([X.] I S. 1922) - unverändert fort.

Nachdem der Aufnahmeantrag des [X.] aus dem [X.] unanfechtbar abgelehnt worden ist, kann sein [X.]egehren auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nur Erfolg haben, wenn er zuvor ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 [X.] (Anspruch auf Wiederaufgreifen) oder nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] (Wiederaufgreifen nach Ermessen) erreicht (vgl. [X.], Urteil vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - juris Rn. 16). Die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 [X.] liegen indes nicht vor (1.). Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] hat die [X.]eklagte ermessensfehlerfrei abgelehnt (2.).

1. Entgegen der Auffassung des [X.]erufungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 [X.]. Sein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens war nach § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht an eine Frist gebunden. Der allein geltend gemachte Wiederaufnahmegrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (Änderung der Sach- bzw. Rechtslage) liegt jedoch nicht vor. Die mit dem Antrag (und im weiteren Verlauf des Verfahrens) geltend gemachten Wiederaufnahmegründe bestimmen und begrenzen den Gegenstand der behördlichen und gerichtlichen Prüfung ([X.], [X.]eschluss vom 11. Dezember 1989 - 9 [X.] 320.89 - [X.] 316 § 51 [X.] Nr. 24; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 19. Aufl. 2018, § 51 Rn. 11). Aus dem Vorbringen des [X.] ergibt sich nicht, dass sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu seinen Gunsten geändert hat.

a) Eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des [X.]etroffenen liegt vor, wenn sich die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Rechtsnormen oder tatsächlichen Grundlagen geändert haben, sodass die Änderung eine dem [X.]etroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder doch ermöglicht (vgl. [X.], Urteile vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - juris Rn. 18 und vom 8. Mai 2002 - 7 [X.] 18.01 - [X.] 428 § 2 VermG Nr. 66 S. 68; [X.], in: [X.]/[X.]onk/[X.], [X.], 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 92). Die Sach- oder Rechtslage muss sich hinsichtlich solcher Umstände geändert haben, die für den bestandskräftigen Verwaltungsakt - hier: den Ablehnungsbescheid - tatsächlich maßgeblich waren. Nicht ausreichend ist die Änderung tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen für den mit der Verpflichtungsklage erstrebten Verwaltungsakt, die für die bestandskräftige Ablehnung nicht (allein) ausschlaggebend waren.

b) Der bestandskräftige [X.]escheid vom 26. September 2006 hatte das Nichtvorliegen der [X.]n Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 [X.] in der Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes vom 30. August 2001 ([X.] I S. 2266) nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des [X.]erufungsgerichts sowohl mit der fehlenden Abstammung von einem [X.]n [X.] oder [X.]n Staatsangehörigen als auch mit dem fehlenden durchgängigen [X.]ekenntnis zum [X.]n Volkstum begründet.

c) Das [X.]erufungsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, dass sich der Kläger hinsichtlich des [X.] auf eine Änderung der Rechtslage berufen kann. Er hat seinen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens jedenfalls darauf gestützt, dass § 6 Abs. 2 [X.] 2013 die Anforderungen an das [X.]ekenntnis zum [X.]n Volkstum erleichtert habe, indem er kein durchgängiges [X.]ekenntnis mehr verlange. Darin liegt eine Änderung der Rechtslage, die zu einer günstigeren [X.]eurteilung einer im bestandskräftigen [X.]escheid verneinten Tatbestandsvoraussetzung für die [X.] Volkszugehörigkeit führt.

Hinsichtlich des Erfordernisses der Abstammung von einem [X.]n Staatsangehörigen oder [X.]n [X.] hat das [X.]erufungsgericht im Ergebnis zu Recht keinen eigenständigen Wiederaufnahmegrund im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 [X.] angenommen. Zwar hat der Kläger darauf hingewiesen, dass mit der [X.]egründung, neu ausgestellte Personenstandsurkunden seien nicht geeignet, ein durchgängiges [X.]ekenntnis zu belegen, auch die [X.] Volkszugehörigkeit seiner Mutter und damit die [X.] Abstammung des [X.] bezweifelt worden sei; dies habe sich durch das Zehnte [X.] geändert. Soweit er sich damit sinngemäß auch hinsichtlich der Abstammung auf eine Änderung der Rechtslage berufen haben sollte, fehlt es jedenfalls an einer substantiierten Darlegung, dass seine Mutter nach den geänderten Kriterien des § 6 Abs. 2 [X.] 2013 [X.] Volkszugehörige wäre (zur Darlegungspflicht hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen des [X.] vgl. [X.], Urteil vom 21. April 1982 - 8 [X.] 75.80 - [X.] 316 § 51 [X.] Nr. 11 S. 5 ff.).

Eine Änderung der Rechtslage ist auch nicht mit dem sinngemäßen Vorbringen dargetan, hinsichtlich der Abstammung könne nach dem Urteil des [X.] vom 25. Januar 2008 - 5 [X.] 8.07 - ([X.]E 130, 197) auch auf die Großeltern abgestellt werden. Mit diesem Urteil hat das [X.] eine umstrittene, zuvor in der Rechtspraxis überwiegend enger gehandhabte Auslegungsfrage zu dem [X.] erstmals geklärt. Die erstmalige Klärung einer Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung begründet ebenso wie eine Änderung dieser Rechtsprechung regelmäßig keine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478 Rn. 27).

d) Mit [X.]undesrecht unvereinbar ist hingegen die Annahme des [X.]erufungsgerichts, dass sich allein aus der Änderung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich des [X.]ekenntnismerkmals bereits ein Anspruch des [X.] auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergibt, ohne dass auch hinsichtlich des zweiten, selbstständig tragenden [X.] - der fehlenden Abstammung von einem [X.]n Staatsangehörigen oder [X.]n [X.] - ein durchgreifender Wiederaufnahmegrund vorgebracht sein müsste. Denn eine Änderung der Sach- und/oder Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist nicht entscheidungserheblich, wenn sie sich nur auf einen von mehreren Ablehnungsgründen bezieht, die für den unanfechtbaren Ablehnungsbescheid je für sich ausschlaggebend waren. Eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- bzw. Rechtslage liegt bei mehreren selbstständig tragenden Ablehnungsgründen nur vor, wenn sie sich auf alle Ablehnungsgründe auswirkt. Denn hinsichtlich eines nicht von [X.] betroffenen [X.] bleibt die [X.]estandskraft des ablehnenden [X.]escheides bestehen und steht einer neuen Sachentscheidung auf der Grundlage der aktuellen (möglicherweise gewandelten) Rechtsauffassung entgegen (soweit die [X.]ehörde das Verfahren nicht nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] wiederaufgreift, dazu unten 2.).

aa) Die [X.]ehörde darf einen bestandskräftigen Verwaltungsakt nach § 51 Abs. 1 [X.] nicht beliebig aufheben oder ändern. Die [X.]efugnis zu einer neuen Sachentscheidung reicht bei § 51 Abs. 1 [X.] vielmehr nur so weit, wie der festgestellte Wiederaufnahmegrund dies rechtfertigt (vgl. [X.], Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] - juris Rn. 22; [X.]eschlüsse vom 5. August 1987 - 9 [X.] - [X.] 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 6 S. 2 f. und vom 15. September 1992 - 9 [X.] 18.92 - [X.] 412.3 § 6 [X.] Nr. 69 S. 67 f.). Für den Fall mehrerer selbstständig tragender Ablehnungsgründe folgt hieraus, dass es für einen erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag nach § 51 Abs. 1 [X.] nicht ausreicht, wenn nur hinsichtlich eines [X.] ein durchgreifender Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wird (vgl. [X.], Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 [X.] 285.86 - [X.]E 78, 332 <336 f.>).

bb) Die Ausführungen des [X.]erufungsgerichts zum [X.] vernachlässigen, dass es um die Reichweite der [X.]estandskraft von Verwaltungsakten geht, die eine [X.]egünstigung versagen. Diese erstreckt sich auf die ausschlaggebenden Ablehnungsgründe (vgl. auch [X.], Die [X.]indungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, [X.]), die nicht mit der Ablehnung als solcher gleichzusetzen sind (zutreffend [X.], Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 37). Eine Durchbrechung der [X.]estandskraft gemäß § 51 Abs. 1 [X.] setzt voraus, dass die tragenden Ablehnungsgründe jeweils durch einen Wiederaufnahmegrund überwunden werden. Der Antrag und die damit geltend gemachten Wiederaufnahmegründe begrenzen insoweit den Streitgegenstand einer Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens.

Nichts anderes folgt aus der - vom [X.]erufungsgericht herangezogenen - Rechtsprechung des [X.]undesgerichtshofs zur Reichweite der Rechtskraft klageabweisender Urteile. Danach beschränkt sich die Rechtskraft einer Entscheidung zwar auf die Rechtsfolge, die den Entscheidungssatz bildet. [X.]ei klageabweisenden Urteilen ist der aus der Urteilsbegründung zu ermittelnde ausschlaggebende [X.] aber gerade Teil dieses Entscheidungssatzes (vgl. [X.]GH, Urteil vom 24. Juni 1993 - [X.] - NJW 1993, 3204 <3205>). Entsprechend bestimmt sich im Verwaltungsprozess die Reichweite der materiellen Rechtskraft des eine Verpflichtungsklage abweisenden Urteils nach den das Urteil tragenden Entscheidungsgründen (vgl. [X.], Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im Öffentlichen Recht, 1995, S. 229).

cc) Kein anderes Ergebnis rechtfertigt ferner die Erwägung, das Abstellen auf die tragenden Gründe des ablehnenden [X.]escheides bei der Prüfung des [X.] führe zu zufälligen oder gar willkürlichen Ergebnissen. § 51 Abs. 1 [X.] macht die Durchbrechung der [X.]estandskraft eines Verwaltungsakts gerade davon abhängig, dass sich Faktoren geändert haben, die im ursprünglichen Verfahren für den Inhalt des bestandskräftigen Verwaltungsakts entscheidend waren ([X.], in: [X.]/[X.], [X.], 19. Aufl. 2018, § 51 Rn. 25; [X.], Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 35). Die von der [X.]ehörde angeführten Ablehnungsgründe prägen den [X.]escheid und sind Anknüpfungspunkt für das Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in den [X.]estand des [X.]escheides und damit für die Rechtssicherheit. Es entspricht gerade der Funktion der [X.]estandskraft und bewirkt ungeachtet der bei der [X.]egründung des Erstbescheides möglichen Zufälligkeiten der Heranziehung rechtlich je tragender Gründe keine Willkür, für die [X.]prüfung an die den [X.]escheid tragenden Gründe anzuknüpfen (siehe auch [X.], Urteil vom 10. Juli 2018 - 7 K 9402/16 - juris Rn. 35).

dd) Der Kläger kann sich für seine - dem [X.]erufungsurteil entsprechende - Auffassung im Ergebnis auch nicht auf die im Gesetzgebungsverfahren gegebene [X.]egründung zu § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] berufen. Dort ist ausgeführt, dass Anträge auf Erteilung eines Aufnahmebescheides oder auf Einbeziehung auch dann gestellt werden können, "wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides oder die Einbeziehung in einem früheren Verfahren bestandskräftig abgelehnt worden ist, nun aber die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen" (vgl. [X.]eschlussempfehlung und [X.]ericht des [X.] vom 12. Juni 2013, [X.]T-Drs. 17/13937 S. 7). Daraus ist bereits nicht zwingend abzuleiten, dass der Gesetzgeber die Vergünstigungen der Gesetzesänderung all denjenigen zugutekommen lassen wollte, deren Aufnahmeantrag nach früherem Recht abzulehnen war, oder sogar all denjenigen, die die gesetzlichen Voraussetzungen "nun" erfüllen. Selbst wenn der Gesetzgeber aber tatsächlich allen Personen mit bestandskräftig abgelehntem Aufnahmeantrag, die nach aktueller Rechtslage und Rechtsauffassung die Voraussetzungen erfüllen, die Erteilung eines Aufnahmebescheides hätte ermöglichen wollen, hätte dieser Wille im Gesetz keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Denn wie sich aus § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] ausdrücklich ergibt, hat der Gesetzgeber solche Anträge im Grundsatz weiterhin als [X.]anträge eingestuft und - mit Ausnahme der Fristbindung - dem Regime des § 51 [X.] unterstellt.

2. Das [X.]erufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Kläger hat insbesondere auch nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Die [X.]eklagte hat ein Wiederaufgreifen nach diesen Vorschriften vielmehr ermessensfehlerfrei abgelehnt.

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann die [X.]ehörde - auch wenn, wie hier, die in § 51 Abs. 1 bis 3 [X.] normierten Voraussetzungen nicht vorliegen - ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Sachentscheidung treffen. Hinsichtlich der in § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 [X.] zu sehenden Ermächtigung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne, welche die Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen ermöglicht, besteht für den [X.]etroffenen allerdings nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ([X.], Urteil vom 21. Juni 2017 - 6 [X.] 43.16 - [X.] 421.2 Hochschulrecht Nr. 196 Rn. 9 m.w.N.)

Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung [X.] belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der [X.]estandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit [X.]lick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist, was von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt (stRspr, vgl. [X.], Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 [X.] 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13, vom 20. März 2008 - 1 [X.] 33.07 - [X.] 402.242 § 54 [X.] Nr. 5, vom 24. Februar 2011 - 2 [X.] 50.09 - [X.] 316 § 51 [X.] Nr. 58 und vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - juris Rn. 31). Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann "schlechthin unerträglich", wenn die [X.]ehörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die [X.]erufung der [X.]ehörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich ([X.], Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 [X.] 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13 und vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478 Rn. 29 f.).

Diese Voraussetzungen liegen auf der Grundlage der vom [X.]erufungsgericht getroffenen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, nicht vor. Für einen Verstoß gegen Treu und Glauben sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Das Absehen von einer Wiederaufnahme ist nicht allein deshalb grob unbillig, weil der bestandskräftige Ablehnungsbescheid auf zwei tragende Gründe gestützt war und eine Klage deshalb wegen des eindeutigen Fehlens eines durchgängigen [X.]ekenntnisses zum [X.]n Volkstum im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Denn zumindest wäre es durch eine [X.]eschreitung des Rechtswegs möglich gewesen, die Verneinung der [X.]n Abstammung als die Ablehnung tragende [X.]egründung zu beseitigen, wenn der Kläger mit dem dem [X.]escheid zugrunde liegenden Verständnis des Abstammungskriteriums nicht einverstanden gewesen sein sollte.

Die bestandskräftige Ablehnung war auch nicht offensichtlich rechtswidrig. Sie orientierte sich hinsichtlich der angenommenen [X.]eschränkung des [X.]s auf die Eltern der Sache nach an der Rechtsprechung des [X.] zur früheren Rechtslage und konnte sich auf die Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz berufen (vgl. [X.], Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478; [X.]T-Drs. 12/3212 [X.]). Allein der Umstand, dass der ablehnende Verwaltungsakt - gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt werden durfte, genügt für die Annahme seiner offensichtlichen Rechtswidrigkeit nicht (vgl. [X.], Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 [X.] 9.11 - [X.]ayV[X.]l. 2012, 478 Rn. 29).

Dafür, dass die [X.]eklagte in vergleichbaren Fällen, in denen die bestandskräftige Versagung eines Aufnahmebescheides auch oder nur auf das Merkmal der Abstammung gestützt worden war, das Verfahren wiederaufgegriffen hätte, ist nichts ersichtlich oder geltend gemacht. Die mit der vorstehenden Auslegung des § 51 Abs. 1 [X.] verbundenen Folgen, dass der Erfolg eines [X.]egehrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheides (auch) von "Zufälligkeiten" der [X.]egründung eines früheren [X.]escheides sowie davon abhängt, ob der Aufnahmeantrag erstmals gestellt worden ist oder nach [X.] Ablehnung eines früheren [X.], machen das Festhalten an der bestandskräftigen Ablehnung nicht schlechthin unerträglich. Sie sind gerade Ausfluss der [X.]estandskraft von Verwaltungsakten.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Die [X.]eklagte hat ihr Ermessen über das Wiederaufgreifen des Verfahrens fehlerfrei zulasten des [X.] ausgeübt. Ist die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht "schlechthin unerträglich" und das [X.]ermessen damit auf Null reduziert, ist es in aller Regel und so auch hier ermessensfehlerfrei, wenn die [X.]ehörde dem Aspekt der Rechtssicherheit den Vorzug gibt. Ins Einzelne gehender Ermessenserwägungen bedarf es insoweit nicht.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

1 C 25/17

20.11.2018

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. Juli 2017, Az: 11 A 155/17, Urteil

§ 27 Abs 3 S 1 BVFG, § 6 Abs 2 BVFG, § 144 Abs 4 VwGO, § 48 VwVfG, § 49 VwVfG, § 51 Abs 5 VwVfG, § 51 Abs 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.11.2018, Az. 1 C 25/17 (REWIS RS 2018, 1522)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1522

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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M 5 K 19.1285

M 5 K 19.1884

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