Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.11.2012, Az. B 2 U 218/12 B

2. Senat | REWIS RS 2012, 1546

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - absoluter Revisionsgrund - Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter - fehlerhafte Besetzung der Richterbank - offensichtlich rechtswidriger Übertragungsbeschluss gem § 153 Abs 5 SGG - Entscheidung ohne ehrenamtliche Richter - keine wirksame Aufhebung durch Berichtigungsbeschluss - mangelnde Übertragungskompetenz - Zustellung nach der Entscheidung in der Sache)


Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Mai 2012 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt die Feststellung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall eines Nothelfers. Mit Urteil des Berichterstatters beim [X.] vom 7.5.2012 wurde auf die Berufung des [X.] "das Ereignis vom [X.]" als Arbeitsunfall festgestellt, für den der Beklagte zuständig sei.

2

Der Beklagte hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Er rügt insbesondere, das Urteil sei unter Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG, §§ 33, 153 [X.]) ergangen. Durch Beschluss des [X.] vom 3.11.2011 sei die Sache dem Berichterstatter zur Entscheidung über die Berufung gemäß "§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz" übertragen worden. Dieser Beschluss sei offensichtlich fehlerhaft gewesen. Der Berichterstatter habe danach einen Erörterungstermin durchgeführt, ohne hierzu gesetzlich befugt zu sein. Mit Beschluss vom [X.] habe das [X.] den früheren Beschluss zwar berichtigt und dem Berichterstatter die Entscheidung über die Berufung nach § 155 Abs 4 [X.] übertragen. Dieser Beschluss sei den Beteiligten aber erst mit dem Urteil des [X.] zugestellt worden. Die Entscheidung des [X.] sei deshalb unter Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen [X.] ergangen. Die erteilten Einverständnisse der Beteiligten zur Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter seien zudem verbraucht gewesen. Im Übrigen sei die Entscheidung auch unter Verletzung der §§ 117, 118 [X.] ergangen, weil das [X.] im Wege des [X.] Zeugenaussagen, die vor anderen Gerichten gemacht wurden, unangekündigt anders als diese Gerichte gewürdigt habe.

3

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

4

1. Der von dem Beklagten gerügte Verfahrensfehler, eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen [X.], liegt vor. Auf diesem absoluten Revisionsgrund kann das Urteil des [X.] in der Hauptsache beruhen (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]).

5

Das [X.] hat durch den Beschluss vom 3.11.2011, der den Beteiligten zugestellt und dadurch wirksam wurde, die Sache dem Berichterstatter zur Entscheidung "nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz" übertragen. Obwohl dieser Beschluss rechtswidrig war, weil eine solche Übertragung nur in Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 [X.], also nach einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid, in Betracht kommt und diese Voraussetzung nicht vorlag, ist er nicht nichtig (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 142 Rd[X.]c und § 125 RdNr 5b). Der Beschluss ist vielmehr wirksam (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 142 Rd[X.]c), da er nach Maßgabe der §§ 142 Abs 1, 133 Satz 2 [X.] den Beteiligten zugestellt und auch nicht wieder aufgehoben worden ist (vgl BSG vom [X.] - B 2 U 344/09 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 142 RdNr 7). Aufgrund dieses Beschlusses war der Berichterstatter nur gemeinsam mit den ehrenamtlichen [X.]n als gesetzlicher [X.] bestimmt worden (§ 153 Abs 5 [X.]). Die Entscheidung ist aber allein durch den Berichterstatter ohne ehrenamtliche [X.], also in einer Besetzung, die dem Beschluss nicht entspricht, getroffen worden.

6

Das [X.] hat zwar versucht, den Beschluss vom 3.11.2011 mit Beschluss vom [X.] zu "berichtigen". Ein Fall der Beschlussberichtigung (§§ 142 Abs 1, 138 [X.]) lag aber nicht vor. Denn es ging nicht um einen Schreibfehler, Rechenfehler oder "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" iS des § 138 Satz 1 [X.]. Vielmehr lag die dargestellte Gesetzwidrigkeit vor.

7

Ferner hat das [X.] in diesem "[X.]" seine rechtswidrige Übertragungsentscheidung aus dem Beschluss vom 3.11.2011 nicht ausdrücklich aufgehoben. Es hat nur eine andere Übertragungsentscheidung - nun auf den Berichterstatter allein "nach § 155 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz" - ausgesprochen. Es ist nicht zu entscheiden, ob darin sinngemäß und hinreichend bestimmt eine schlüssige Aufhebung der ersten Übertragungsentscheidung miterklärt worden sein könnte. Denn der zweite Übertragungsbeschluss ist erst nach dem Erlass des Urteils des Einzelrichters und zusammen mit diesem durch Zustellung wirksam geworden.

8

Der Übertragungsbeschluss vom [X.] wurde den Beteiligten nicht vor der Entscheidung in der Sache zugestellt. Bei Erlass und Zugang des Urteils des [X.] war daher weiterhin die Übertragung vom 3.11.2011 wirksam, nach der der Berichterstatter und die ehrenamtlichen [X.] zu gesetzlichen [X.]n bestimmt waren.

9

Auch stand dem Senat des [X.] keine Übertragungskompetenz auf den Einzelrichter nach § 155 Abs (3 oder) 4 [X.] zu. Die Bestellung eines Vorsitzenden oder Berichterstatters zum Einzelrichter tritt nicht durch einen in § 155 [X.] nicht vorgesehenen Beschluss des Senats beim [X.], sondern kraft Gesetzes ein, falls die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer solchen Entscheidung durch den Einzelrichter wirksam erklärt haben. Erst dann hat dieser zu befinden, ob seine Entscheidungskompetenz begründet ist oder nicht.

Im Übrigen ist auch fraglich, ob das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung nach § 155 Abs 4 und 5 [X.] durch den Beschluss vom 3.11.2011 nicht verbraucht war, da durch Übertragung der Sache nach § 153 Abs 5 [X.] eine neue prozessuale Situation eingetreten sein könnte. Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben, da der "[X.]" die Zuständigkeit des Einzelrichters nicht wirksam begründet hat.

Das angefochtene Urteil des [X.] ist aufzuheben, da die Entscheidung nicht durch den gesetzlichen [X.] getroffen worden ist. Das [X.] hat hierdurch § 33 Satz 1 [X.] und § 155 Abs 3 und 4 [X.] verletzt und damit die Beteiligten ihrem gesetzlichen [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) entzogen. Der gerügte Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist auch von Amts wegen zu beachten. Das Recht auf den gesetzlichen [X.] gehört zu den Grundlagen des Prozessrechts, bei deren Verletzung vermutet wird, dass die ergangene Entscheidung auf der Verletzung von [X.] beruht.

Der als Berichterstatter bestellte [X.] war allerdings - entgegen der Auffassung des Beklagten - beim Erörterungstermin vom 5.12.2011 der gesetzliche [X.], da der Vorsitzende seine Aufgaben nach §§ 104, 106 bis 108 [X.] gemäß § 155 Abs 1 [X.] auf den Berichterstatter übertragen hatte. Dieser konnte ohne Zustimmung der Beteiligten einen Erörterungstermin mit Beweisaufnahme durchführen.

2. Da das Urteil des [X.] schon wegen der Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen [X.] aufzuheben war, kann der Senat dahingestellt lassen, ob auch die von dem Beklagten gerügte Verletzung der §§ 117, 118 [X.] vorliegt.

Nur beiläufig sei darauf hingewiesen, dass es bei dem gegebenen Sachverhalt und den schon bei anderen Gerichten und der Staatsanwaltschaft durchgeführten Beweisaufnahmen auch verfahrensrechtlich angezeigt sein dürfte, wenn man meint, die Zeugen abweichend von der Beurteilung der anderen Stellen der Justiz würdigen zu sollen, diese persönlich zu hören, um sich einen unmittelbaren Eindruck davon zu verschaffen, ob der Kläger hier als Nothelfer einer dritten Person tätig geworden sein kann.

3. Der Senat macht von der durch § 160a Abs 5 [X.] eröffneten Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, weil ein nicht heilbarer Verfahrensmangel vorliegt.

Das [X.] wird in der nun zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 218/12 B

13.11.2012

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Braunschweig, 16. Oktober 2009, Az: S 16 U 118/05

§ 153 Abs 5 SGG, § 155 Abs 3 SGG, § 155 Abs 4 SGG, § 105 Abs 2 S 1 SGG, § 142 Abs 1 SGG, § 133 S 2 SGG, § 138 S 1 SGG, § 33 S 1 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.11.2012, Az. B 2 U 218/12 B (REWIS RS 2012, 1546)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1546

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 4 AS 188/20 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - gesetzlicher Richter - Berufungsverfahren - Übertragung des Verfahrens …


B 4 AS 133/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Recht auf den gesetzlichen Richter - vorschriftsmäßige Besetzung …


B 14 AS 423/16 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters - fehlende rechtzeitige Zustellung …


B 14 AS 426/16 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters - fehlende rechtzeitige Zustellung …


B 14 AS 96/15 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Entscheidung durch Einzelrichter ohne Einverständnis des Klägers - nicht vorschriftsmäßige …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.