Bundessozialgericht, Urteil vom 12.07.2012, Az. B 3 KR 15/11 R

3. Senat | REWIS RS 2012, 4736

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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 4. August 2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 423,13 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch auf restliche Vergütung einer Krankenhausbehandlung in Höhe von 423,13 [X.] nebst Zinsen, nachdem die beklagte Krankenkasse eine unstreitige Krankenhausrechnung über 1750,46 [X.] um jenen Betrag wegen eines zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruchs aus einem früheren Behandlungsfall gekürzt hatte.

2

Die klagende Gesellschaft betreibt ein zur Versorgung der Versicherten zugelassenes Krankenhaus (§ 108 [X.]), in dem die bei der Beklagten versicherte Patientin [X.] wegen einer Geschwulst an der Gebärmutter zunächst vom 1. bis zum 8.7.2008 sowie erneut vom 11. bis zum 14.7.2008 vollstationär behandelt worden ist. Für die erste Behandlung mit der Hauptdiagnose ICD D 25.9 (Leiomyom des Uterus, nicht näher bezeichnet) setzte die Klägerin nach dem auf Diagnosis Related Groups ([X.]; diagnosebezogene Fallgruppen) basierenden Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2008 die [X.] (Hysterektomie außer bei bösartiger Neubildung, ohne äußerst schwere oder schwere Komplikationen oder Komorbiditäten <[X.]>, ohne komplexen Eingriff) mit einer Vergütung von 3434,51 [X.] ([X.] 3374,93 [X.] nebst diversen Zu- und Abschlägen nach dem [X.] sowie abzüglich 80 [X.] Zuzahlung der Versicherten nach § 39 Abs 4 iVm § 61 S 2 [X.]) an (Rechnung vom 17.7.2008 über 3436,19 [X.], abzüglich 1,68 [X.] für die Förderung der integrierten Versorgung). Die zweite Behandlung mit der Hauptdiagnose [X.] (Blutung und Hämatom als Komplikation eines Eingriffs, anderenorts nicht klassifiziert) wurde auf der Basis der [X.] (Vergiftungen/toxische Wirkungen von Drogen, Medikamenten und anderen Substanzen oder Folgen einer medizinischen Behandlung) mit 1557,01 [X.] berechnet (Rechnung vom 23.7.2008 über 1597,75 [X.], abzüglich 40 [X.] Zuzahlung der Versicherten und 0,74 [X.] für die Förderung der integrierten Versorgung). Die Beklagte beglich zunächst beide Rechnungen, vertrat aber nach Einholung mehrerer Stellungnahmen des [X.] ([X.]) vom 3. und 15.9. sowie 1.10.2008 die Auffassung, nach § 8 Abs 5 [X.] iVm § 2 Abs 3 der [X.] ([X.] 2008) müssten beide Behandlungsfälle zu einem Fall zusammengeführt werden, weil die Zweitbehandlung der Beseitigung einer auf die Erstbehandlung zurückzuführenden typischen Komplikation gedient habe und die Wiederaufnahme noch vor Ablauf der oberen [X.] (11 Tage) der [X.] erfolgt sei. Bei der Fallzusammenführung hätte dem Krankenhaus nach der Hauptdiagnose ICD D 25.9 und der Nebendiagnose [X.] auf der Basis der [X.] (Hysterektomie außer bei bösartiger Neubildung, mit äußerst schweren oder schweren [X.] oder komplexem Eingriff) ein [X.] von 4485,38 [X.] und unter Berücksichtigung der diversen Zu- und Abschläge sowie der Zuzahlung der Versicherten von 80 [X.] eine Vergütung von 4568,39 [X.] zugestanden. Statt der Vergütung für die Zweitbehandlung von 1557,01 [X.] hätte die Klägerin daher für die "Gesamtbehandlung" noch einen "Aufpreis" von 1133,88 [X.] (4568,39 - 3434,51 = 1133,88) berechnen können, woraus sich ein Erstattungsanspruch der Beklagten von 423,13 [X.] (1557,01 - 1133,88 = 423,13) errechne. Da die Klägerin die Rückzahlung dieses Differenzbetrages ablehnte, erklärte die Beklagte am 4.6.2009 die Aufrechnung gegen einen unstreitigen Vergütungsanspruch über 1750,46 [X.] aus der Behandlung einer anderen Versicherten ([X.]), sodass am [X.] nur noch der Restbetrag von 1327,33 [X.] überwiesen wurde.

3

Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, die Aufrechnung sei zu Unrecht erfolgt. Eine Fallzusammenführung sei nach der Änderung der entsprechenden Regelung in § 2 Abs 3 [X.] 2008 nur noch möglich, wenn die Wiederaufnahme eines Patienten auf einer Komplikation beruhe, die in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses falle. Dies scheide bei Komplikationen aus, die sich erst nach abgeschlossener Erstbehandlung des Patienten und dessen Entlassung aus dem Krankenhaus gezeigt hätten und auf einem unvermeidbaren, schicksalhaften Verlauf beruhten. Nur bei Komplikationen, die auf Fehlern bei der ärztlichen Behandlung oder der Pflege im Krankenhaus basierten und deshalb für das Krankenhaus vermeidbar seien, komme eine Fallzusammenführung in Betracht. Demgegenüber meint die Beklagte, eine Fallzusammenführung scheide nur aus, wenn die Komplikation auf einem unvernünftigen Verhalten ("mangelnde Compliance") des Patienten oder einer Behandlung durch einen anderen Arzt, zB den Hausarzt, beruhe. Zeige sich dagegen - wie hier - noch vor Ablauf der oberen [X.] eine Komplikation, die typischerweise bei einer bestimmten Krankheit oder einem konkreten Eingriff auftrete und praktisch unvermeidbar sei, falle die Komplikation in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses.

4

Das [X.] hat die Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom [X.]) und das L[X.] die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom [X.]): Eine Fallzusammenführung wegen einer in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation sei nicht auf Fälle vorwerfbaren Handelns oder Unterlassens von Ärzten oder Pflegekräften des Krankenhauses beschränkt, sondern setze lediglich eine Ursache-Folge-Verknüpfung zwischen der vom Krankenhaus durchgeführten medizinischen oder pflegerischen Leistung und dem Eintritt einer zur Wiederaufnahme des Patienten führenden unerwünschten Folge der Behandlung ("Komplikation") voraus, die allerdings dann unterbrochen werde, wenn für die Komplikation ein nicht vom Krankenhaus gesetzter weiterer Umstand ausschlaggebend sei, zB ein den Anweisungen des [X.] Verhalten des Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, ein fehlerhaftes Behandlungsverhalten des ambulant weiterbehandelnden Arztes oder ein Verkehrsunfall. Da hier eine solche Ausnahmesituation nicht vorgelegen habe, weil mit dem [X.] eine für die Erkrankung der Versicherten typische, unvermeidbare Komplikation aufgetreten sei, und die erneute stationäre Aufnahme der Versicherten am 11.7.2008 noch vor Ablauf der oberen [X.] der [X.] erfolgt sei, hätte die Klägerin beide Behandlungen abrechnungstechnisch zusammenführen müssen.

5

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 8 Abs 5 [X.] iVm § 2 Abs 3 [X.] 2008). Sie hält die Fallzusammenführung nach wie vor für rechtswidrig und beantragt,

 die Urteile des L[X.] Rheinland-Pfalz vom [X.] und des [X.] Koblenz vom [X.] zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 423,13 [X.] nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem [X.] zu zahlen.

6

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der [X.] aus der Begleichung der Kostenrechnungen für die stationäre Behandlung der Patientin [X.] wegen der Unterlassung der gebotenen Fallzusammenführung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 423,13 Euro zustand, mit dem sie wirksam gegen einen Vergütungsanspruch über 1750,46 Euro aus der späteren stationären Behandlung der Versicherten [X.] aufgerechnet hat, sodass dieser Vergütungsanspruch nur noch in Höhe von 1327,33 Euro Bestand hatte. Diesen Betrag hat die Beklagte an die Klägerin überwiesen.

8

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Eines Vorverfahrens iS von § 78 SGG bedurfte es nicht, weil die Klage zu Recht als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) erhoben worden ist. Da sich der Krankenhausträger und die Krankenkasse bei der Frage, wie die stationäre Behandlung eines gesetzlich gegen Krankheit Versicherten zu vergüten ist, im [X.] gegenüberstehen, kommt eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht. Es war auch keine Klagefrist zu beachten (stRspr, vgl zB [X.], 1 f = [X.] 3-2500 § 112 [X.]; [X.], 164 = [X.] 4-2500 § 39 [X.], Rd[X.] 10; [X.], 172 = [X.] 4-2500 § 109 [X.], Rd[X.] 9; [X.], 15 = [X.] 4-2500 § 109 [X.], Rd[X.]).

9

2. Rechtsgrundlage des mit der Klage geltend gemachten weiteren Vergütungsanspruchs aus der in der [X.] vom 27. bis zum [X.] erfolgten stationären Behandlung der Versicherten [X.], die das Krankenhaus mit einem - in der Höhe nicht streitigen - Betrag von 1750,46 Euro in Rechnung gestellt hat, ist § 109 Abs 4 S 3 [X.] (idF des Fallpauschalengesetzes <[X.]> vom [X.], [X.]) iVm § 7 S 1 [X.] 1 und § 9 Abs 1 S 1 [X.] 1 [X.] (jeweils idF des [X.] vom 15.12.2004, [X.] 3429) sowie § 17b [X.] (idF der [X.], [X.] 2407) in Verbindung mit der Anlage 1 Teil a) des [X.] 2009 sowie der zwischen der [X.] und den Krankenkassen bzw ihren Verbänden geschlossene Vertrag nach § 112 Abs 2 [X.] über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung ([X.]) und die Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten für das Jahr 2009. Rechtsgrundlage des - von der [X.] beglichenen - Vergütungsanspruchs aus den stationären Behandlungen der Versicherten [X.] von Mitte 2008 ist § 109 Abs 4 S 3 [X.] iVm § 7 S 1 [X.] 1 und § 9 Abs 1 S 1 [X.] 1 [X.], § 17b [X.] der [X.] und die Pflegesatzvereinbarung für das [X.]. [X.] richtet sich nach § 8 Abs 5 [X.] iVm § 2 Abs 3 der [X.] ([X.] 2008).

Nach § 109 Abs 4 S 3 [X.] entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die stationäre Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 [X.]) durchgeführt wird und iS des § 39 Abs 1 S 2 [X.] erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser (§ 109 Abs 4 S 2 [X.]) steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16, 17 [X.] in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse festgelegt wird ([X.], 166, 168 = [X.] 3-2500 § 112 [X.] 1; [X.], 1, 2 = [X.] 3-2500 § 112 [X.]). Hiernach hat die Klägerin für die Behandlung der Versicherten [X.] zu Recht eine Vergütung von 1750,46 Euro berechnet.

3. Rechtsgrundlage der von der [X.] mit Schreiben vom 4.6.2009 geltend gemachten und durch die Überweisung von nur 1327,33 Euro am [X.] realisierten Aufrechnung ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch ([X.], 137 = [X.] 4-2500 § 137c [X.] 2, Rd[X.] 9 f; [X.], 158, 160 = [X.] 3-1300 § 113 [X.] 1). Dadurch ist der Vergütungsanspruch der Klägerin über 1750,46 Euro in Höhe eines Teilbetrages von 423,13 Euro durch Aufrechnung gemäß § 69 S 2 und 3 [X.] (idF des [X.]) iVm §§ 387, 389 BGB erloschen.

Der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (vgl nur [X.] 16, 151, 156 = [X.] [X.] 1 zu § 28 [X.] mwN zur älteren Rspr und Literatur), der aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hergeleitet wird ([X.], 10 = [X.] 4-2500 § 264 [X.] 2, Rd[X.] 27), setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind ([X.] 16, 151, 156 = [X.] [X.] 1 zu § 28 [X.]; [X.], 158, 160 = [X.] 3-1300 § 113 [X.] 1; [X.], 137 = [X.] 4-2500 § 137c [X.] 2, Rd[X.] 8; BSG [X.] 4-2500 § 264 [X.] Rd[X.] 15). Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen zwar, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen [X.] nach den §§ 812 ff BGB (vgl [X.], 10 = [X.] 4-2500 § 264 [X.] 2, Rd[X.] 27 mwN zu Rspr des [X.]). Es scheidet aber ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Normen aus, soweit der vom öffentlichen Recht selbstständig entwickelte Erstattungsanspruch reicht (vgl [X.] 38, 46, 47 = [X.] 2200 § 1409 [X.] 1). Dies gilt namentlich für die Nichtanwendbarkeit der bereicherungsrechtlichen Vorschriften, denen öffentlich-rechtliche Wertungszusammenhänge entgegenstehen (vgl zB zur Nichtanwendbarkeit des § 818 Abs 3 BGB bei der Rückforderung von Berufsausbildungsbeihilfe wegen des Vorrangs von § 152 Abs 3 [X.] aF [X.] 45, 38, 47 = [X.] 4100 § 40 [X.] S 54, mwN; vgl auch [X.]E 71, 85, 88; 112, 351, 353 f).

4. Die Beklagte hat die auf 3434,51 Euro und 1557,01 Euro bezifferten Kostenrechnungen der Klägerin vom 17.7. und 23.7.2008 für die beiden stationären Aufenthalte der Versicherten [X.] in Höhe eines Teilbetrages von 423,13 Euro ohne Rechtsgrund beglichen. Die Klägerin hätte nach § 8 Abs 5 [X.] iVm § 2 Abs 3 [X.] 2008 beide Behandlungsfälle zu einem Fall mit einer Gesamtvergütung von 4568,39 Euro zusammenfassen müssen; daraus ergibt sich die Überzahlung von 423,13 Euro.

a) § 8 Abs 5 [X.] (idF des [X.]) lautet seit dem [X.]: "Werden Patientinnen oder Patienten, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen [X.] wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs 2 Satz 1 [X.] oder eine Rechtsverordnung nach § 17b Abs 7 [X.]." Diese Fassung der Vorschrift ist auf die Abrechnungen der im Juli 2008 erfolgten beiden Krankenhausaufenthalte der Versicherten [X.] anzuwenden. Aufgrund der Ermächtigung in § 8 Abs 5 S 2 [X.] haben die damaligen Spitzenverbände der Krankenkassen, der [X.] und die [X.] nach § 17b Abs 2 [X.] am 21.9.2007 die zum 1.1.2008 in [X.] getretene [X.] 2008 vereinbart, um eine verbesserte Handhabung der Regelungen zur Fallzusammenführung bei Wiederaufnahme wegen Komplikationen zu erreichen.

§ 2 Abs 3 [X.] 2008 lautet: "Werden Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen [X.], bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift zur Zusammenfassung fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Eine Zusammenfassung und Neueinstufung wird nicht vorgenommen bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Die Absätze 1 und 2 gehen den Vorgaben nach den Sätzen 1 und 2 vor. Die Sätze 1 und 2 ergänzen die Vorgaben nach § 8 Abs. 5 des Krankenhausentgeltgesetzes."

b) Zur Auslegung dieser Vorschriften ist die historische Entwicklung des Rechts zur Fallzusammenführung bedeutsam.

aa) Vor der Einführung des [X.] sah bereits die [X.] eine solche Regelung vor. Bis zum 31.12.2003 galt nach § 14 Abs 2 S 5 BPflV ein Sanktionsmechanismus, wonach tagesgleiche Pflegesätze für die Kalendertage innerhalb der [X.] der Fallpauschale (§ 11 BPflV) nicht berechnet werden durften, sofern ein Fallpauschalenpatient wegen Komplikationen in dasselbe Krankenhaus wieder aufgenommen wurde. Hintergrund dieser Regelung war nach der Gesetzesbegründung ([X.], [X.]), dass insbesondere bei [X.], die nach sehr kurzer Verweildauer entlassen werden, zusätzlich tagesgleiche Pflegesätze abgerechnet wurden, wenn die bereits mit der Fallpauschale bezahlte Verweildauer noch nicht abgelaufen ist. Dies sollte nach Möglichkeit verhindert werden.

bb) Für das [X.]-System hat der Gesetzgeber die Fallzusammenführung wegen Komplikationen in § 8 Abs 5 [X.] geregelt. In seiner Ursprungsfassung sah der Satz 1 dieser Vorschrift vor: "Wird ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, darf für die Kalendertage innerhalb der [X.] dieser Fallpauschale die Fallpauschale nicht erneut berechnet werden." Die Fassung durch das Fallpauschalenänderungsgesetz vom 17.7.2003 ([X.] 1461), in [X.] ab 22.7.2003, lautete: "Wird ein Patient, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, im [X.]raum von der Entlassung bis zur [X.] der abgerechneten Fallpauschale wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen, darf eine Fallpauschale nicht erneut berechnet werden." Seit dem [X.] gilt die bereits zitierte Fassung des [X.]. Dabei ist der Begriff der Komplikation stets unverändert geblieben. Er umfasst negative Folgen einer medizinischen Behandlung wie zB Nachblutungen, Hämatome, Thrombosen, Infektionen und auch deren unerwünschte Nebenwirkungen ([X.], [X.] 2011, 808, 809).

c) Mit der Umstellung auf das [X.]-System wurde also zunächst vorgesehen, dass für die Kalendertage innerhalb der [X.] einer abgerechneten Fallpauschale diese Fallpauschale nicht erneut berechnet werden durfte, sofern ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen wurde. Bei Anwendung dieser Regelung ist es im [X.] zu erheblichen Problemen gekommen, da die Norm von Krankenhaus- und [X.] unterschiedlich ausgelegt wurde. Zum 22.7.2003 wurde die Vorschrift insoweit geändert, als nunmehr ausdrücklich nur auf "Komplikationen im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt wurde, um den Anwendungsbereich der Regelung zur Fallzusammenführung einzugrenzen. Dies wurde durch die zum [X.] in [X.] getretene neue Fassung der Vorschrift bekräftigt. Dennoch bestanden in der Folgezeit zwischen den Leistungserbringern und der [X.] weiterhin erhebliche Auslegungsunterschiede. Diese Differenzen sollten über den Weg der vertraglichen Abweichungsmöglichkeit nach § 8 Abs 5 S 2 [X.] endgültig durch die [X.] für das [X.] beseitigt werden, indem in § 2 Abs 3 [X.] 2008 nicht mehr nur, wie bis dahin, auf "Komplikationen im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt wurde, sondern zusätzlich gefordert wurde, dass die zur Wiederaufnahme führende Komplikation "in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses" fallen muss.

d) Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: In den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen, die auf irgendwie geartete Fehler und Mängel bei der ärztlichen Behandlung oder bei der Pflege im Krankenhaus zurückzuführen sind. Nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen, die zwar auch im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung des Krankenhauses stehen, aber maßgeblich erst durch ein hinzukommendes weisungswidriges oder sonstwie unvernünftiges Verhalten des Versicherten nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, durch ein Behandlungsverhalten des ambulant weiterbehandelnden Arztes, zB des Hausarztes, oder durch ein sonstiges, nicht vom Krankenhaus zu beeinflussendes Ereignis wie zB einen Verkehrsunfall hervorgerufen worden sind. Streitig geblieben ist trotz der Neufassung der [X.] zum 1.1.2008, ob all jene Komplikationen, die bei bestimmten Krankheiten bzw Eingriffen typischerweise oder auch nur in Ausnahmefällen auftreten und nicht (bzw nicht beweisbar) auf ein irgendwie geartetes fehlerhaftes Verhalten der Krankenhausärzte oder des Pflegepersonals zurückzuführen sind, also unvermeidbar erscheinen und einem schicksalhaften Verlauf entsprechen, in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen - so die Ansicht der Krankenkassen - oder dem Verantwortungsbereich der [X.], also der Krankenkassen und der Versicherten zuzurechnen sind - so die Auffassung der Krankenhausträger. Diese Streitfrage ist zugunsten der Krankenkassen und der Versicherten zu entscheiden, weil sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Vergütungsregelungen für stationäre Behandlungen diese unvermeidbaren Komplikationen in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen, sofern sie vor Ablauf der oberen [X.] zur Wiederaufnahme des Versicherten führen.

5. a) Vergütungsregelungen sind grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut auszulegen; nur so sind sie für die routinemäßige Anwendung in zahlreichen Behandlungsfällen handhabbar (vgl allgemein zur Funktion von Vergütungsregelungen: BSG [X.] 3-5565 § 14 [X.] 2; BSG [X.] 3-5565 § 15 [X.] 1; BSG [X.] 4-2500 § 109 [X.] 11, Rd[X.] 18). Da das [X.] vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b [X.] [X.]) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten, Unbilligkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese Mängel mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen ([X.] 107, 140 = [X.] 4-2500 § 109 [X.] 21, Rd[X.] 18 mwN). Der Begriff "Verantwortungsbereich" knüpft an die Begriffe "Verantwortung" und "verantworten" an. Im hier maßgeblichen Zusammenhang der rechtlichen (also nicht der politischen, moralischen, [X.] oder religiösen) Verantwortung bedeutet der Begriff die (gesetzliche oder vertragliche) Verpflichtung, für "etwas Geschehenes" einzustehen (vgl [X.], [X.], 5. Aufl 2003, Stichworte "Verantwortung" und "verantworten"), und zwar unabhängig davon, ob das "Geschehene" auf einem vorwerfbaren Verhalten des Verantwortungsträgers beruht oder für ihn unvermeidbar ist. Beide Alternativen fallen in die "[X.]" des Verantwortungsträgers und damit in seinen Verantwortungsbereich (ebenso [X.], [X.] 2011, 808, 809). Die von der Klägerin vertretene Rechtsauffassung liefe dagegen auf eine Gleichsetzung der Begriffe Verantwortung und Schuld hinaus. Dies kann nicht gemeint sein, weil das Vorliegen von Schuld voraussetzt, dass der Verantwortungsträger oder die für ihn handelnde Person vorsätzlich oder fahrlässig gegen Rechtsnormen, vertragliche Verpflichtungen oder - hier von besonderem Interesse - gegen medizinische oder pflegerische Standards bzw Leitlinien verstoßen hat. Darum geht es vorliegend aber nicht, sondern vielmehr um die Frage, ob jemanden die Verantwortung für eine negative Folge auch dann treffen kann, wenn zwar korrekt gehandelt worden ist, daraus aber gleichwohl eine negative Folge erwachsen ist. Deshalb schließt sich der Senat der Rechtsauffassung der [X.] an.

b) Bestätigt wird diese am Wortlaut orientierte Auslegung des § 2 Abs 3 [X.] 2008 durch den Sinn und Zweck der Regelung. Ziel der Fallzusammenführung ist es, im Hinblick auf mögliche Komplikationen zu frühe Entlassungen der Patienten zu vermeiden, zumindest keinen finanziellen Anreiz in diese Richtung zu geben. Da mit der Fallpauschale die Behandlung eines Patienten bis zur festgelegten oberen [X.] vergütet wird, muss das Krankenhaus auch bei der Wiederaufnahme eines Patienten wegen einer Komplikation in diesem [X.]raum seine Leistungen grundsätzlich ohne Abrechnung eines zweiten Behandlungsfalls erbringen, kann dann aber die Gesamtleistung durch die Fallzusammenführung regelmäßig nach einer anderen, höher vergüteten [X.] abrechnen. Das Krankenhaus trägt somit das Risiko von innerhalb der oberen [X.] auftretenden Komplikationen (vgl die Begründung zu § 8 Abs 5 S 1 [X.], BT-Drucks 15/994, [X.]), soweit sie nicht auf das Verhalten des Versicherten oder Dritter zurückzuführen sind. Stellt sich folglich ein konkreter stationärer Behandlungsbedarf als spezifische Folge einer Erkrankung bzw deren Behandlung dar, auf die sich der Behandlungsauftrag des Krankenhauses bereits während des vorangegangenen Krankenhausaufenthalts erstreckt hat, und erfolgt wegen dieser Komplikation noch innerhalb der oberen [X.] die Wiederaufnahme des Versicherten, so bleibt das Krankenhaus aufgrund desselben [X.] auch für die weitere Krankenhausbehandlung verantwortlich und hat Anspruch auf eine einheitliche Vergütung. Wenn die nach Beginn der Behandlung eingetretenen Komplikationen bis zum Ablauf der oberen [X.] auftreten und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit begründen, kann es keinen Unterschied machen, ob der Patient sich ununterbrochen in der Klinik aufgehalten hat oder ob das Krankenhaus ihn zwischenzeitlich entlassen hatte. Denn mit dem Eintritt der Komplikation verwirklicht sich gerade das spezifische Gesundheitsrisiko des [X.], das zu bekämpfen das Krankenhaus gegen Zahlung der Fallpauschale beauftragt worden ist.

Trifft dies schon auf Fälle unvorhersehbarer, atypischer Komplikationen zu, so muss es für absehbare, behandlungstypische Nebenwirkungen erst recht gelten. Nur wenn die erneute Einweisung in dasselbe Krankenhaus auf Umständen beruht, die mit der früheren Behandlung in keinerlei Zusammenhang im Sinne direkter oder gemeinsamer Ursächlichkeit stehen, handelt es sich um einen neuen Behandlungsfall, der zur Abrechnung einer weiteren Fallpauschale berechtigt.

c) Das Krankenhaus wird durch die Anwendung dieser Regelung nicht ungerechtfertigt aus Gründen benachteiligt, die außerhalb seiner Verantwortung liegen. Die Verantwortung des Krankenhauses wird durch den Auftrag zur Behandlung der Erkrankung bestimmt, welche die Veranlassung für den (ersten) Krankenhausaufenthalt gegeben oder auf die sich die Behandlung sonst erstreckt hat. Auf ein Verschulden hinsichtlich der erneuten Behandlungsbedürftigkeit kommt es dabei nicht an. [X.] wäre es vielmehr, einen zusammenhängenden Krankheits- und Behandlungsfall innerhalb der oberen [X.] in zwei Behandlungsfälle aufzuspalten und dem Krankenhaus so einen Anreiz zu bieten, durch die - mehr oder weniger zufällige oder sogar willkürliche - zwischenzeitliche Entlassung des Patienten eine weitere Fallpauschale geltend zu machen, obwohl der ursprüngliche Behandlungsfall im Ganzen betrachtet noch nicht abgeschlossen war.

d) Die grundsätzliche Zuordnung der unvermeidbaren Komplikationen zum Verantwortungsbereich der Krankenhäuser wird bestätigt durch die ebenfalls zum 1.1.2008 in die [X.] aufgenommene Regelung des § 2 Abs 3 S 2, wonach eine Fallzusammenführung und Neueinstufung nicht vorgenommen wird bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Diese Zusatzregelung wäre überflüssig, wenn unvermeidbare Komplikationen, zu denen nach den Internationalen Klassifikationen der Krankheiten ([X.] 10, vgl dort [X.] Y 57.9) auch typische Nebenwirkungen von Arzneimitteltherapien und deren Folgen gehören können ([X.], [X.] 2011, 808), ohnehin nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen würden.

6. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

7. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 S 1, [X.] GKG.

Meta

B 3 KR 15/11 R

12.07.2012

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Koblenz, 9. November 2010, Az: S 3 KR 364/09, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 12.07.2012, Az. B 3 KR 15/11 R (REWIS RS 2012, 4736)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4736

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