Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.07.2010, Az. 27 W (pat) 198/09

27. Senat | REWIS RS 2010, 4900

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "Leaving The Comfort Zone" – Unterscheidungskraft - Freihaltungsbedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2008 032 660.3

hat der 27. Senat ([X.]) des [X.] am 13. Juli 2010 durch [X.] [X.], [X.] und [X.] Kruppa

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 des [X.] vom 18. Mai 2009 wird insoweit aufgehoben, als die Anmeldung für die Waren "Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Registrierkassen, Rechenmaschinen" zurückgewiesen worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 19. Mai 2008 für die Waren und Dienstleistungen

2

"Wissenschaftliche Schifffahrts-, Vermessungs-, photographische, Film-, optische, [X.], Mess-, Signal-, Kontroll-, Messungs- und Unterrichtsapparate und -instrumente; Kontrollieren von Elektrizität; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; Magnetaufzeichnungsträger, Schallplatten; Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Registrierkassen, Rechenmaschinen, Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Feuerlöschgeräte; Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen; Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; sportliche und kulturelle Aktivitäten"

3

angemeldete Wortmarke

4

[X.]

5

ist von der mit einer Beamtin des höheren Dienstes besetzten Markenstelle für Klasse 9 des [X.] mit Beschluss vom 18. Mai 2009 wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen worden. Die angesprochenen Verkehrskreise würden die aus Wörtern des [X.] Grundwortschatzes zusammengesetzte Wortfolge ohne weiteres mit der Bedeutung "Verlassen der Komfortzone" verstehen. Dem Beschluss beigefügt sind umfangreiche Internetausdrucke, in denen von einem Verlassen der Komfortzone die Rede ist.

6

[X.] bezeichne dabei einerseits das körperliche Hinausbegeben aus einem geographischen Bereich mit Annehmlichkeiten und Behaglichkeiten in einen anderen Bereich, in dem diese nicht vorhanden seien (z. B. bei Überlebenstrainings oder [X.] oder fremde Umgebung). Es bezeichne aber auch die bewusste Vornahme von Veränderungen im täglichen Leben, das bewusste Ausprobieren von etwas Neuem, das bewusste Kennenlernen von fremden Menschen usw., um eine persönliche Weiterentwicklung und Bereicherung zu erfahren. Als Komfortzone würden in diesem Zusammenhang die gewohnte, angestammte Umgebung bzw. die bekannten Gewohnheiten im Handeln, Denken und Fühlen bezeichnet. Wie sich aus den dem Beschluss beigefügten Anlagen ergebe, sei das Verlassen der Komfortzone - weil es zur persönlichen Weiterentwicklung beitragen könne - ein viel diskutiertes und beachtetes Konzept, das nicht nur im [X.], sondern auch im [X.] Sprachraum verbreitet sei. Es habe eine Kommerzialisierung erfahren, z. B. durch Lebens- und Unternehmensberater, Anbieter von [X.], Autoren usw.

7

In Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen weise das Zeichen nur eine sachbezogene Werbefunktion auf, hinter der die Herkunftsfunktion zurücktrete. Hinsichtlich der Waren "Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen" sei das Zeichen eine Zweckangabe. Es drücke aus, dass die Waren zum Einsatz außerhalb bequemer und komfortabler Umgebungen geeignet und bestimmt seien, z. B., dass es sich um Bekleidungsstücke speziell für Aufenthalte in der Wildnis bzw. Natur (sog. Outdoorkleidung ) handle. Dies gelte auch hinsichtlich der Waren "Wissenschaftliche, Schifffahrts-, Vermessungs-, photographische, Film-, optische, [X.], Mess-, Signal-, Kontroll-, Messungs- und Unterrichtsapparate und -instrumente; Kontrollieren von Elektrizität; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; Verkaufsautomaten und Mechaniken über geldbetätigte Apparate; Registrierkassen, Rechenmaschinen, Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Feuerlöschgeräte". Auch dabei könne es sich um speziell für den Aufenthalt in der Natur, Wildnis und sonstigen nicht komfortablen Umgebung entwickelte Instrumente oder Apparate handeln (z. B. solche, die besonders wasser-, kälte-, oder hitzebeständig seien oder die über Akkumulatoren verfügten, die mittels Sonnenenergie aufgeladen werden könnten, usw.). Für die Waren "Magnetaufzeichnungsträger, Schallplatten" könne das Zeichen eine Inhaltsangabe darstellen. Wie dargelegt, sei das Verlassen der Komfortzone ein viel beachtetes Konzept zur persönlichen Fortentwicklung, zu dem mehrere Publikationen existierten, die auch auf anderen Datenträgern - wie Magnetaufzeichnungsträger oder Schallplatten - publiziert werden könnten. Für die Dienstleistungen "Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; sportliche und kulturelle Aktivitäten" könne das angemeldete Zeichen ebenfalls als Inhalts- oder Themenschwerpunkt dienen. Sowohl [X.] als auch Ausbildungsmaßnahmen könnten auf dem dargestellten Prinzip der persönlichen Weiterentwicklung durch das Verlassen der Komfortzone beruhen. Im Rahmen der Recherche habe sich ergeben, dass es zahlreiche Anbieter für Ausbildung, Weiterbildung und Erziehung gebe, deren Konzepte auf diesem Ansatz beruhten. Dies gelte auch für Anbieter von [X.] und sportlichen und kulturellen Aktivitäten. So sei das Grundprinzip eines Überlebenstrainings das Verlassen komfortabler Gebiete. Ein solches Training könne [X.] oder Ausbildungsmaßnahme sein, es könne aber auch mit sportlichen oder kulturellen Aktivitäten verbunden sein und der Unterhaltung (z. B. eine Sendung über Überlebenstraining, vgl. etwa Dschungelcamp) dienen.

8

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Amtsverfahren vertritt er weiterhin die Auffassung, die angemeldete Marke sei unterscheidungskräftig und nicht freihaltungsbedürftig. Es fehle an einem unmittelbaren Produktbezug zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Dem Anmelder sei es vor allem durch die Bestimmung des § 23 Nr. 2 [X.] verwehrt, mit Hilfe des Markenschutzes gegen beschreibende Angaben einzuschreiten, nicht aber über eine weite Auslegung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 - 3 [X.].

II.

9

1. Das [X.] entscheidet über Beschwerden in Markensachen grundsätzlich im schriftlichen Verfahren (§ 69 [X.]) und ohne zeitliche Bindung. Der Anmelder hat eine mündliche Verhandlung nicht beantragt. Diese ist nach Wertung des Senats auch nicht dienlich.

Der Senat musste dem Anmelder den beabsichtigten Termin zur Beschlussfassung nicht zuvor mitteilen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verlangt es lediglich, Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu geben, Stellungnahme zum Sachverhalt abzugeben, ihre Auffassung zu Rechtsfragen darzulegen sowie Anträge zu stellen. Hierzu bestand seit [X.] hinreichend Gelegenheit.

2. Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg; einer Registrierung der angemeldeten Marke steht für die von der Markenstelle versagten Waren und Dienstleistungen mit Ausnahme der im Tenor genannten Waren das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entgegen.

Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen. Die Hauptfunktion der Marke besteht nämlich darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (st. Rspr.; [X.] GRUR Int. 2005, 1012, Rdn. 27 ff. - BioID; [X.], 850, 854 - [X.]). Enthält eine Bezeichnung einen beschreibenden oder gebräuchlichen Begriffsinhalt, der für die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen ohne weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird, ist der angemeldeten Bezeichnung die Eintragung als Marke wegen Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft zu versagen. Derartige Angaben verstehen die Verbraucher nicht als Unterscheidungsmittel ([X.], 1151, 1152 - marktfrisch; [X.], 417, 418 - [X.]).

a) Nach diesen Grundsätzen kommt der Bezeichnung "[X.]" hinsichtlich der beschwerdegegenständlichen Waren und Dienstleistungen - mit Ausnahme der im Tenor genannten Waren - nicht die erforderliche Unterscheidungskraft zu.

Den Bedeutungsgehalt der aus der zum Grundwortschatz der [X.] Sprache zusammengesetzten Wortfolge "[X.]" im Sinne von "Verlassen der Komfortzone" hat die Markenstelle zutreffend dargelegt. Die angesprochenen inländischen Verkehrskreise werden keine Schwierigkeiten haben, die Wortfolge in diesem Sinne zu übersetzen.

Die Markenstelle hat durch die dem Beschluss beigefügten umfangreichen Internetausdrucke belegt, dass die Wortfolge "Verlassen der Komfortzone" im Inland bereits vielfach von [X.] verwendet wird. Das Publikum wird der Wortfolge im Bezug auf die weiterhin zu versagenden Waren und Dienstleistungen die allgemeine Werbeaussage entnehmen, dass die so gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen dazu geeignet und bestimmt sind, außerhalb einer Komfortzone eingesetzt zu werden. Auf die insoweit zutreffenden Ausführungen der Markenstelle wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Der Hinweis des Anmelders auf die Vorschrift des § 23 Nr. 2 [X.] vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist abschließend geklärt, dass diese Bestimmung keinen Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der absoluten Schutzhindernisse hat ([X.] GRUR 2004, 946, 947 - [X.]).

b) Eine andere Beurteilung ist für die Waren "Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Registrierkassen, Rechenmaschinen" angezeigt. Für diese Waren entbehrt die Wortfolge "[X.]" nicht des notwendigen Mindestmaßes an Unterscheidungskraft. Dass diese Geräte in der Wildnis oder Natur zum Einsatz kommen, hält der Senat entgegen der Auffassung der Markenstelle für abwegig. Mangels eines im Vordergrund stehenden beschreibenden und werbemäßigen [X.] kann der Marke nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden. Insoweit ist die Marke auch nicht geeignet, Merkmale der Waren unmittelbar zu beschreiben und unterliegt damit auch keinem Freihaltungsbedürfnis im Sinn des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

Meta

27 W (pat) 198/09

13.07.2010

Bundespatentgericht 27. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.07.2010, Az. 27 W (pat) 198/09 (REWIS RS 2010, 4900)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4900

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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