Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.11.2013, Az. AnwZ (B) 3/13

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2013, 1094

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Gegenstand

Widerruf der Rechtsanwaltszulassung: Feststellung des unbekannten Aufenthalts eines seit Jahren im außereuropäischen Ausland lebenden Zustellungsadressaten; Zulassungswiderruf wegen Nichtbestellung eines Zustellungsbevollmächtigten


Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des 2. Senats des [X.] vom 20. Januar 2012 und die Widerrufsverfügung der Antragsgegnerin vom 19. März 2009 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen und der Antragstellerin die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Nichtbestellung eines Zustellungsbevollmächtigten (§ 14 Abs. 3 Nr. 3 [X.]). Der [X.] hat den hiergegen erhobenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige [X.]eschwerde der Antragstellerin.

I.

2

Für das gerichtliche Verfahren ist das bis zum 31. August 2009 geltende Recht maßgebend (§ 215 Abs. 3 [X.]). Die sofortige [X.]eschwerde ist danach gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 2 [X.] a.F. statthaft und auch im Übrigen zulässig, namentlich nicht verfristet.

3

Durch die öffentliche Zustellung des angefochtenen [X.]eschlusses wurde die zweiwöchige [X.]eschwerdefrist (§ 42 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Satz 2 [X.] a.F., § 22 Abs. 1 Satz 2 [X.] a.F.) nicht in Gang gesetzt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung erkennbar nicht vorgelegen hatten. Der [X.] durfte unter den hier gegebenen Umständen nicht davon ausgehen, dass der Aufenthalt der Antragstellerin unbekannt im Sinne von § 185 Nr. 1 ZPO war (vgl. dazu [X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], NJW 2012, 3582 Rn. 16 ff. m.w.[X.]). Zwar war eine Zustellung an eine inländische Adresse der seit Jahren im außereuropäischen Ausland lebenden Antragstellerin persönlich fehlgeschlagen. Erfolglos war auch ein im [X.] mit Hilfe des Generalkonsulats der [X.] in [X.]unternommener Zustellversuch in den [X.] geblieben, weil die Antragstellerin einer - ihr freilich nicht nachweisbar zugegangenen - Vorladung zur Übergabe nicht nachgekommen war. Im Hinblick auf die besondere [X.]edeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. [X.]K 3, 264, 269) und die einschneidende Wirkung des Widerrufs einer Rechtsanwaltszulassung sind jedoch an die Feststellung unbekannten Aufenthalts des Zustellungsadressaten hohe Anforderungen zu stellen, die hier nicht erfüllt sind.

4

Der [X.] hätte den [X.]eschluss an den durch die Antragstellerin auf gerichtlichen Hinweis erneut benannten ([X.]. 53, 54 [X.]) Zustellungsbevollmächtigten [X.]zustellen können. Für den Fall, dass er dessen [X.]estellung als nicht hinreichend angesehen haben sollte oder sich die Zustellung an diesen als nicht ausführbar erwiesen hätte (§ 30 Abs. 3 Satz 2 [X.]), hätte er die Zustellung nach § 30 Abs. 3 [X.] durch Aufgabe bei der Post unter der von der Antragstellerin bis dahin im Verfahren verwendeten Adresse in [X.]bewirken können (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 10. Juni 1964 - [X.], [X.], 1021; Urteil vom 9. Oktober 1963 - [X.], [X.], 35). Hinzu kommt, dass das Verfahren vor Erlass des angefochtenen [X.]eschlusses am 20. Januar 2012 wegen der Erkrankung des ursprünglichen [X.]erichterstatters rund ein Jahr lang nicht betrieben worden ist. Auch in Anbetracht dessen hätte - entsprechend dem von der Rechtspflegerin unterbreiteten Vorschlag ([X.]. 95 [X.]) - vorab der Versuch unternommen werden können und müssen, über die im [X.]riefkopf der Antragstellerin angegebene E-Mail-Adresse mit dieser in Kontakt zu treten (vgl. etwa [X.]SG, [X.]eschluss vom 29. August 2012 - [X.] AL 72/11 [X.]).

5

Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung löst nach der Rechtsprechung des [X.] die [X.] des § 188 ZPO jedenfalls dann nicht aus und setzt dementsprechend keine Frist in Lauf, wenn die Fehlerhaftigkeit - wie hier - für das Gericht erkennbar war; in einem solchen Fall kommt das Verfahren nicht zum Abschluss und ist bei Entdeckung des Fehlers fortzusetzen, ohne dass es einer Wiedereinsetzung bedarf ([X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], aaO Rn. 19 m.w.[X.]).

II.

6

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

7

1. Nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 [X.] kann die Anwaltszulassung widerrufen werden, wenn der Rechtsanwalt nicht binnen drei Monaten nach Wegfall eines Zustellungsbevollmächtigten einen (neuen) Zustellungsbevollmächtigten bestellt. Der [X.] steht mithin - anders als in den Fällen des § 14 Abs. 2 [X.] - im Ermessen der Rechtsanwaltskammer. Von dem ihr zustehenden Ermessensspielraum hat die Antragsgegnerin nicht hinreichend Gebrauch gemacht. Sie wäre gehalten gewesen, nach Aufklärung des Sachverhalts unter Abwägung auf den Einzelfall bezogener Umstände darzulegen, warum hier gerade die am stärksten in die Rechtsstellung der Antragstellerin eingreifende Maßnahme des [X.]s zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich war. Dabei hätte sie erwägen müssen, ob nicht mit den anwaltsgerichtlichen Maßnahmen nach § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 [X.] schonendere Mittel zur Verfügung gestanden hätten (vgl. [X.], [X.]. 2005, 275, 276; [X.], [X.]eschluss vom 6. März 2006 - [X.] ([X.]) 29/05, Anw[X.]. 2006, 416 Rn. 7). Dies hat die Antragsgegnerin jedoch nicht erkennbar bedacht und sich auf die Feststellung beschränkt, sie sehe unter Hinweis auf im Einzelnen aufgeführte Versäumnisse der Antragstellerin keine andere Möglichkeit als den [X.]. Dem entspricht es, dass sie sich in ihrem Schriftsatz vom 24. September 2013 zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung maßgebend auf Umstände beruft, die erst nach dem Erlass der Widerrufsverfügung eingetreten sind.

8

2. Die Entscheidung hat auch nicht wegen einer Ermessensreduktion auf Null etwa im [X.]ick auf eine endgültige Verweigerung der [X.]enennung eines Zustellungsbevollmächtigten [X.]estand. Die Antragstellerin hat, wie schon dargelegt, im Verfahren vor dem [X.] den früher benannten Zustellungsbevollmächtigten erneut bestellt und diesen auch dem [X.] als Zustellungsbevollmächtigten benannt. Dies spricht dafür, dass sie (drohenden) Sanktionen nicht von vornherein unzugänglich ist. Damit ist zugleich den Ausführungen der Antragsgegnerin zum Verhalten der Antragstellerin im [X.] die Grundlage entzogen, ohne dass der Frage nachgegangen werden müsste, ob ein solches Nachschieben von Ermessenserwägungen im vorliegenden Fall überhaupt rechtlich zulässig wäre (vgl. dazu [X.], [X.]eschlüsse vom 30. Juni 1986 - [X.] ([X.]) 16/86, [X.]. 1986, 224; vom 17. Juni 1996 - [X.] ([X.]) 5/96, [X.]. 1996, 203, 205).

9

Mit dem Vortrag, der Widerruf der Zulassung hätte auch auf eine Verletzung der Kanzleipflicht nach § 14 Abs. 3 Nr. 4 [X.] gestützt werden können, kann die Antragsgegnerin von vornherein nicht gehört werden. Denn hierdurch würde der angefochtene Verwaltungsakt durch einen anderen ersetzt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 30. Juni 1986 - [X.] ([X.]) 16/86, aaO; [X.]/[X.], VwGO, 13. Aufl., § 113 Rn. 25 m.w.[X.]).

3. Da der angefochtene [X.]eschluss schon wegen fehlerhaften Ermessensgebrauchs aufzuheben war, braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob wegen der im [X.] erfolgten Neubestellung eines Zustellungsbevollmächtigten der [X.] nachträglich weggefallen ist. Nach dem hier noch anwendbaren alten Verfahrensrecht wäre dieser Umstand im Grundsatz berücksichtigungsfähig (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 18. Juli 2011 - [X.] ([X.]) 52/10; s. demgegenüber für das neue Verfahrensrecht [X.], [X.]eschluss vom 29. Juni 2011 - [X.] ([X.]rfg) 11/10, [X.]Z 190, 187 Rn. 9 ff., seither st. Rspr.).

Tolksdorf                    König                       Fetzer

                   Stüer                    [X.]

Meta

AnwZ (B) 3/13

18.11.2013

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Dresden, 20. Januar 2012, Az: AGH 4/09 (II)

§ 14 Abs 3 Nr 3 BRAO, § 114 Abs 1 Nr 1 BRAO, § 114 Abs 1 Nr 2 BRAO, § 114 Abs 1 Nr 3 BRAO, § 185 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.11.2013, Az. AnwZ (B) 3/13 (REWIS RS 2013, 1094)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1094

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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