Bundespatentgericht, Beschluss vom 11.07.2012, Az. 20 W (pat) 29/11

20. Senat | REWIS RS 2012, 4787

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Gegenstand

Patentbeschwerdeverfahren – unzulässiger Wiedereinsetzungsantrag -Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist – anwaltliche Sorgfaltspflicht – zurechenbares Verschulden


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2008 059 867.4-55

hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) in der Sitzung vom 11. Juli 2012 durch den Vorsitzenden [X.]. Dr. [X.], die Richterin [X.] sowie [X.] und Dipl.-Ing. Musiol

beschlossen:

1. Der Antrag der Anmelderin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verworfen.

2. Die Beschwerde der Anmelderin gilt als nicht eingelegt.

Gründe

I.

1

Die am 1. Dezember 2008 von den inländischen Bevollmächtigten der [X.] Anmelderin beim [X.] ([X.]) eingereichte Patentanmeldung 10 2008 059 867.4 mit der Bezeichnung "Objektverfolgungssystem" ist durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 04 W vom 16. März 2010 zurückgewiesen worden. Der Beschluss ist den Inlandsvertretern der Anmelderin gegen [X.] zugestellt worden. Die Vertreter haben seinen Empfang mit Eingangsstempel vom 22. März 2010 bestätigt.

2

Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2011, eingegangen beim [X.] per Fax am selben Tag, hat die Anmelderin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 123 [X.] beantragt. Mit gleichem Fax ist am 24. Januar 2011 außerdem die Beschwerde der Anmelderin gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 16. März 2010 sowie eine Einzugsermächtigung für die [X.] in Höhe von 200,-- € beim [X.] eingegangen.

3

Die Anmelderin trägt zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen Folgendes vor.

4

Der Antrag sei fristgemäß innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses beantragt worden. Die Anmelderin sei erst am 23. November 2010 auf den Verfall des Schutzrechts aufmerksam geworden, als sie versucht habe, mittels ihres Zahlungsdienstes die entsprechenden Jahresgebühren zu zahlen.

5

Bei der Anmelderin handle es sich um eine [X.], die von der Firma [X.] in [X.], [X.], [X.] (i. F. Firma [X.]) kontrolliert werde. Gemäß Auftrag des Direktors der Patententwicklung der Firma [X.], Herrn H… (i. F. Herr H.), habe die von der Anmelderin beauftragte [X.] Kanzlei [X.] (i. F. Kanzlei [X.]) die Inlandsvertreter der Anmelderin instruiert, das vorliegende Patent sowie vier weitere Patente der Anmelderin beim [X.] anzumelden. Sämtliche Entscheidungen betreffend die Anmeldung, Aufrechterhaltung und Verteidigung der fünf Schutzrechte oblägen [X.] von der Firma [X.]. Ansprechpartner der Inlandsvertreter in der [X.]n Kanzlei [X.] sei die dort seit 21 Jahren, insbesondere seit 7 Jahren im Portfoliomanagement beschäftigte Rechtsanwaltssekretärin bzw. Paralegal Frau [X.] (i. F. [X.]), die seit März 2009 u. a. zur Bearbeitung der genannten Patentanmeldungen unter Leitung der erfahrenen Anwälte [X.]… und [X.] (i. F. Anwälte B. und K.) eingeteilt gewesen sei.

6

Im April 2009 habe bei der Firma [X.] Unschlüssigkeit über die Aufrechterhaltung u. a. der o. g. fünf Patentanmeldungen bestanden. Es sei deshalb beschlossen worden, weitere Kosten bis zur endgültigen Entscheidung zu vermeiden. Entsprechend habe [X.] von [X.] Weisungen zur Umsetzung dieser Maßnahmen erhalten, die diese unglücklicherweise dahin interpretiert habe, dass es sich bereits um die Entscheidung zur Aufgabe der Patentanmeldungen handle und sie entsprechende Weisungen an die lokalen Anwälte weiterleiten solle. [X.] sei weiterhin gebeten worden, [X.] darüber zu unterrichten, wenn der Verfall einzelner Fälle auftreten sollte. Den Erhalt dieser Anweisungen des [X.] habe [X.] mit [X.] vom 24. April 2009 bestätigt und am selben Tag zwei E-Mails an die Inlandvertreter der Anmelderin abgesandt. Die erste E-Mail habe folgenden Text enthalten "[X.]. [X.], [X.].", die zweite E-Mail die Passage "Please be advised that our client has requested that the above-referenced applications be allowed to go abandoned. [X.], we request that any work on these applications be discontinued and that no further costs being cured in [X.] prosecution."

7

Die Inlandsvertreter hätten den Erhalt der zweiten E-Mail am 27. April 2009 bestätigt. Diese Bestätigung habe [X.] am selben Tag [X.] mitgeteilt.

8

Daraufhin hätten die Inlandsvertreter die Akten der Patentanmeldungen geschlossen und ein [X.] mit Datum vom 4. Mai 2009 abgesandt, worin sie mitgeteilt hätten, dass keine weiteren Schritte unternommen und insbesondere keine weitere Amtspost in Bezug auf die Patentanmeldungen an die Kanzlei [X.] weitergeleitet werden würde.

9

Basierend auf der Fehlannahme, dass die Firma [X.] den Verfall der Patentanmeldungen wünsche, seien die Inlandsvertreter nicht instruiert worden, die Patentanmeldungen zu überwachen und typische Ereignisse wie [X.] mitzuteilen. Entsprechend sei auch die Firma [X.] nicht von der Kanzlei [X.] hinsichtlich [X.] der Patentanmeldungen, insbesondere nicht über die Zurückweisungsbeschlüsse und Beschwerdefristen, unterrichtet worden, obwohl die Patentanmeldungen von der Firma [X.] als lebend geführt worden seien. Die Firma [X.] habe daher nicht, wie geplant, die Verfahren fortführen können. Letztlich habe ein Missverständnis zwischen der Firma [X.] und der Kanzlei [X.] dazu geführt, dass Firma [X.] nicht rechtzeitig über [X.] der Patentanmeldung und den drohenden Verfall informiert gewesen sei. [X.] sei ausführlich geschult und ständig durch die beiden Anwälte überwacht worden. [X.] menschliches Versehen habe dazu geführt, dass [X.] bei der unmittelbaren Umsetzung der [X.] an die Inlandsvertreter übersehen habe, dass es ein spezielles Prozedere gebe, wie mit Schutzrechten umgegangen werden solle, die für einen möglichen Verfall vorgesehen seien. Dadurch sei es unterlassen worden, den Inlandsvertretern mitzuteilen, dass Bericht über [X.] erfolgen müsse, weil tatsächlich noch keine Endentscheidung über das Schicksal der Patentanmeldungen stattgefunden habe.

Der Senat hat die Anmelderin in einem Zwischenbescheid vom 19. Januar 2012 auf die mangelnde Erfolgsaussicht des Wiedereinsetzungsantrags sowie bestehende Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Zweimonatsfrist des § 123 Abs. 2 Satz 1 [X.] hingewiesen.

Mit Schriftsatz vom 16. April 2012 hat die Anmelderin angekündigt, dass sie dem Wiedereinsetzungsantrag keine weiteren Argumente hinzuzufügen habe und um Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen und verwiesen.

II.

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zwar gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 [X.] statthaft. Die Anmelderin hat die einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 73 Abs. 2 Satz 1 [X.]) gegen den die Patentanmeldung 10 2008 059 867.4 zurückweisenden Beschluss der Prüfungsstelle vom 16. März 2010 sowie die mit der Beschwerdefrist gleichlaufende Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr (§ 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG) versäumt. Der Beschluss ist der Anmelderin ausweislich des von den Inlandsvertretern zurückgeschickten [X.]ses am 22. März 2010 zugestellt worden, die Beschwerde und die Einzugsermächtigung zur Zahlung der Beschwerdegebühr (§ 1 Nr. 4 i. V. m. § 2 Nr. 4 PatKostZV) gingen jedoch erst verspätet am 24. Januar 2011 beim [X.] ein. Die Versäumung dieser Frist hat nach gesetzlicher Vorschrift einen Rechtsnachteil zur Folge. Eine verspätet eingelegte Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen ist, bzw. gilt sie im Fall der Versäumung auch der Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr als nicht eingelegt (§ 6 Abs. 2 PatKostG).

Es ist jedoch nicht schlüssig dargetan und glaubhaft gemacht, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung fristgemäß innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses beantragt worden ist (§ 123 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher unzulässig und war zurückzuweisen.

Das Hindernis zur Einhaltung der Frist fällt weg, wenn der Säumige oder sein Vertreter bei Anwendung der zuzumutenden Sorgfalt nicht mehr gehindert ist, die säumige Handlung vorzunehmen, wenn also das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet anzusehen ist. Im Fall der Unkenntnis vom Ablauf einer Frist fällt das Hindernis weg, wenn die Säumnis bei Beachtung der zu erwartenden Sorgfalt hätte erkannt werden können (vgl. [X.], [X.], 8. Aufl., § 123 Rdn. 27). Die Kenntnis des Vertreters, sowohl die des inländischen als auch die eines ausländischen Vertreters (vgl. [X.], a. a. O., § 123 Rdn. 83), steht dabei der Kenntnis der [X.] bzw. des Beteiligten gleich (§ 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Vorliegend hätte die Anmelderin bzw. die sie kontrollierende Firma [X.] bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem 23. November 2010 erkennen können, dass die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss des [X.] versäumt worden ist.

Nach dem Vortrag der Anmelderin hat die Rechtsanwaltssekretärin [X.] in der von der Anmelderin beauftragten [X.] Kanzlei [X.] die von der die Anmelderin kontrollierenden Firma [X.] im April 2009 beschlossenen Maßnahmen, vorerst weitere Kosten mit der vorliegenden sowie mit vier weiteren Patentanmeldungen bis zur endgültigen Entscheidung über deren Fortführung zu vermeiden, irrtümlich als endgültige Aufgabe der betreffenden Patentanmeldungen interpretiert. Daher seien die Inlandsvertreter nicht instruiert worden, die Patentanmeldungen zu überwachen und [X.] mitzuteilen. Infolgedessen sei die Firma [X.] nicht von der Kanzlei [X.] über den Ablauf der Beschwerdefrist und den drohenden Verfall der Patentanmeldungen informiert worden und habe erst bei dem Versuch am 23. November 2010, die Jahresgebühren für die Patentanmeldungen zu zahlen, von dem Verfall der Schutzrechte erfahren. Dieser Irrtum der Rechtsanwaltssekretärin mag entschuldbar bzw. als das Verschulden einer Dritten der Anmelderin nicht zuzurechnen sein.

Unabhängig von dem behaupteten Irrtum der [X.] hätte die Anmelderin aber gleichwohl bereits Monate vor dem 23. November 2010 Kenntnis von dem Verlust der Patentanmeldung erlangen können. Denn weiterhin ist vorgetragen, dass Herr H. [X.] in der Kanzlei [X.] außerdem gebeten habe, ihn darüber zu unterrichten, wenn der Verfall einzelner Schutzrechte auftreten sollte. Ob [X.] diese Bitte bzw. Anweisung ebenfalls missverstanden und nicht an die Inlandsvertreter weitergeleitet hat, wird nicht behauptet und geht auch nicht aus dem Vorbringen der Anmelderin hervor. Von den beiden E-Mails, die [X.] am 24. April 2009 an die Inlandsvertreter geschickt haben soll, sind nur Ausschnitte zitiert, nicht aber der gesamte Text. Ausgeführt wird nur, dass die Inlandsvertreter keine Instruktion zur Weiterleitung typischer Ereignisse, wie [X.], hatten, nicht aber, dass sie keine Kenntnis von der Weisung hatten, der Anmelderin den endgültigen Verfall der Patentanmeldungen mitzuteilen. Sollte [X.] aber diese Weisung an die Inlandsvertreter weitergegeben haben, hätten - bei der vorauszusetzenden anwaltlichen Sorgfalt - die Inlandsvertreter die [X.] Kanzlei [X.] und diese wiederum die Firma [X.] nach Eintritt der Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses, d. h. nach Ablauf der Beschwerdefrist am 22. April 2010, über den Verfall der Patentanmeldung informieren müssen. Eine gewisse Bearbeitungs- und Übermittlungsdauer von ca. einem Monat eingerechnet, wäre das Hindernis demnach spätestens Ende Mai 2010 entfallen, so dass mit dem am 24. Januar 2011 eingegangenem Wiedereinsetzungsantrag die Zweimonatsfrist des § 123 Abs. 2 Satz 1 [X.] in jedem Fall überschritten worden ist. Hiervon wäre im Übrigen auch für den Fall auszugehen, dass [X.] die Bitte des [X.] nicht weitergegeben haben sollte. Insoweit ist es zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten eines beauftragten patentanwaltlichen Vertreters zu zählen, auch dann, wenn ein Schutzrecht gewollt durch Untätigkeit aufgegeben werden soll, die Mandantschaft von sich aus, ohne besonderen Auftrag über den Abschluss des patentamtlichen Verfahrens und den endgültigen Verfall des Schutzrechts zu informieren (vgl. B[X.]E 15, 42; [X.], a. a. O., § 123 Rdn. 101).

2. Nachdem der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde und zur Zahlung der Beschwerdegebühr zurückzuweisen war (Ziffer 1. des Tenors), gilt demzufolge die am 24. Januar 2011 verspätet eingegangene Beschwerde der Anmelderin gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 16. März 2010 wegen der ebenfalls am 24. Januar 2011 per Einzugsermächtigung verspätet gezahlten Beschwerdegebühr als nicht eingelegt (§ 6 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 PatKostG und § 73 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

Meta

20 W (pat) 29/11

11.07.2012

Bundespatentgericht 20. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 11.07.2012, Az. 20 W (pat) 29/11 (REWIS RS 2012, 4787)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4787

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