Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.05.2017, Az. I R 54/15

1. Senat | REWIS RS 2017, 10189

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Gegenstand

Haftung der Organgesellschaft bei mehrstufiger Organschaft


Leitsatz

Der Gegenstand der Haftung (§ 73 Satz 1 AO) ist für eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) auf solche Steueransprüche beschränkt, die gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Organträger gerichtet sind. Dies ist auch bei mehrstufigen Organschaften zu beachten.

Tenor

Auf die Revision des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 19. Februar 2015  16 [X.](K), die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 10. Februar 2012 sowie der Haftungsbescheid des Beklagten vom 18. Juli 2011 aufgehoben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids im Rahmen einer sog. mehrstufigen Organschaft.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.], der Rechtsnachfolgerin der [X.] [X.] hatte die [X.] mit ihrer damaligen Muttergesellschaft, der [X.], einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. [X.] wurde die [X.] (unter Beibehaltung der Organschaft mit der [X.]) auf die [X.] verschmolzen, die wiederum mit dem sie beherrschenden Unternehmen, der [X.], einen Gewinnabführungsvertrag (mit Wirkung zum 1. Januar 2001) abgeschlossen hatte.

3

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) die [X.] (als Rechtsnachfolgerin der [X.]) mit auf § 191 i.V.m. § 73 sowie § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) gestützten Haftungsbescheid vom 18. Juli 2011 für einen Teil der rückständigen Körperschaftsteuer 2001 und 2002 sowie [X.] 2001 und 2002 der [X.] i.L. in Anspruch. In diesem Bescheid hatte das [X.] unter dem Gesichtspunkt einer "Veranlassungshaftung" den [X.] durch den Anteil des Einkommens der [X.] (originäres Organeinkommen) an der Summe der (aller) positiver Organeinkommen bei der [X.] bestimmt. Die weiteren Gesellschaften, die mit der [X.] in den Jahren 2001 und 2002 eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft gebildet hatten, wurden ebenfalls nach dieser Berechnungsmethode nach § 73 [X.] im [X.] in Anspruch genommen. Maßnahmen betreffend anderweitige (ggf. gesamtschuldnerische) Haftungsinanspruchnahmen (z.B. solche nach § 69 i.V.m. § 34 [X.] sowie nach § 71 [X.]) wurden vom [X.] nicht ergriffen.

4

Im Einspruchsverfahren hatte die [X.] u.a. die Auffassung vertreten, sie könne wegen fehlender unmittelbarer körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft zur [X.] nicht nach § 73 [X.] in Haftung genommen werden. Gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung vom 10. Februar 2012 hatte sie Klage erhoben.

5

Das Klageverfahren ist vom Kläger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] aufgenommen worden. Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf wies die Klage ab (Urteil vom 19. Februar 2015  16 K 932/12 H(K), abgedruckt z.B. in [X.] 2015, 1116).

6

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid vom 18. Juli 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Februar 2012 aufzuheben.

7

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

8

[X.]ie Revision ist begründet; da die angefochtene [X.]ntscheidung Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), ist sie --wie ebenfalls der Haftungsbescheid und die [X.]inspruchsentscheidung des FA-- auf die Revision hin aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

9

1. Nach § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des [X.], für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. [X.]ie Haftung der im [X.] untergeordneten Organgesellschaft für Steuerschulden des die Organgesellschaft beherrschenden [X.] soll die steuerlichen Risiken ausgleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. [X.]urch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des [X.] Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von [X.] innerhalb des [X.]es entstehen könnten (z.B. Urteil des [X.] vom 5. Oktober 2004 VII R 76/03, [X.], 18, [X.], 3). Insoweit wird in der die Regelung betreffenden Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung einer Abgabenordnung (AO 1977) ausgeführt, die Haftungsvorschrift finde ihre Rechtfertigung darin, "daß bei steuerlicher Anerkennung einer Organschaft die vom Organträger zu zahlende Steuer auch die Beträge umfaßt, die ohne diese Organschaft von der Organgesellschaft geschuldet worden wären" ([X.], S. 120). Im Übrigen heißt es, man habe sich der [X.] Regelung, wonach die Haftung auf solche Steuern beschränkt wird, die auf den Betrieb des beherrschten Unternehmens entfallen, nicht angeschlossen. In diesem Zusammenhang wird auf die Notwendigkeit einer praktikablen Regelung verwiesen; darüber hinaus könne es "durchaus als sachgerecht angesehen werden, den [X.] als einheitliches Ganzes zu betrachten" ([X.], a.a.[X.]; s. insoweit auch [X.], Urteil vom 22. Oktober 1992 IX ZR 244/91, [X.], 50).

2. [X.]er Gegenstand der Haftung ist für eine Organgesellschaft auf die gegen den --durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten-- Organträger gerichteten Steueransprüche beschränkt.

a) Letzteres ergibt sich aus dem Wortlaut, der die Haftung der [X.] des [X.] anordnet, für die "die Organschaft zwischen ihnen" --also das zweipersonale Organschaftsverhältnis-- von Bedeutung ist. Im Streitfall, in dem keine sog. mittelbare Organschaft bzw. Klammerorganschaft (s. [X.] in [X.]/Watrin [Hrsg.], Unternehmensbesteuerung, Festschrift für [X.], 2010, S. 259, 280; [X.], [X.]ie Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des [X.] gemäß § 73 AO, 2014, S. 161; [X.] in [X.]/[X.]/Möhlenbrock, [X.]ie Körperschaftsteuer, § 14 [X.] Rz 682; Schimmele/[X.], [X.]er Konzern 2015, 437, 438) zwischen der [X.] und der [X.] (später: [X.]) [X.] einer finanziellen [X.]ingliederung vermittels der mittelbaren Beherrschung und einem direkten [X.]rgebnisabführungsvertrag bestand, fehlt es hieran (gl.A. [X.] in Festschrift für [X.], a.a.[X.], S. 259, 279 ff.; [X.], a.a.[X.], S. 188 f.; [X.], GmbH-Steuerberater 2015, 307).

b) Auch wenn die Haftungsnorm bezweckt, die steuerlichen Risiken auszugleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind (s. hier zu 1.), bezieht sich die Haftung auf die Steuerschuldnerschaft ([X.] in Festschrift für [X.], a.a.[X.], S. 259, 272), die nach der einzelgesetzlichen Begriffsbestimmung der im Streitfall einschlägigen Organschaftsregelung (s. insoweit [X.], S. 120 - hier: § 14 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes --[X.]--) personell an den Organträger geknüpft ist (s.a. [X.]licker/Hartrott, Betriebs-Berater --BB-- 2011, 2775).

[X.]abei verkennt der Senat nicht, dass nach Ansicht der Finanzbehörde bei gestuften Organschaftsverhältnissen ein weitergehender Haftungsumfang zweckgerecht erscheinen mag (zur "[X.]" – s. z.B. [X.] in Festschrift für [X.], a.a.[X.], S. 259, 261 und 279 ff.; [X.], a.a.[X.], S. 187 ff.; Braunagel/Paschke, [X.]ie Unternehmensbesteuerung 2011, 233, 238; Schimmele/[X.], BB 2013, 2263, 2268; dieselben, [X.]er Konzern 2015, 437, 438 f.; s.a. --wohl [X.] in Schnitger/[X.], [X.], § 14 Rz 688). Hierbei handelt es sich jedoch um eine rechtspolitische Frage, die nicht von den Gerichten, sondern zuvörderst vom Gesetzgeber zu beantworten ist und die --wie aufgezeigt-- insbesondere mit Rücksicht auf den klaren Wortlaut des § 73 AO nicht Gegenstand einer ausdehnenden Gesetzesauslegung sein kann.

3. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Meta

I R 54/15

31.05.2017

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 19. Februar 2015, Az: 16 K 932/12 H(K), Urteil

§ 73 AO, § 14 Abs 1 S 1 KStG 1999, § 14 Abs 1 S 1 KStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.05.2017, Az. I R 54/15 (REWIS RS 2017, 10189)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10189

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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