Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.11.2011, Az. 3 StR 315/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 1308

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
315/10
vom
17. November 2011

Nachschlagewerk:

ja
[X.]St:

ja
Veröffentlichung:

ja

___________________________________

BtMG §
29a Abs. 1 Nr. 2, §
30 Abs. 1 Nr. 4

Für Methamphetaminracemat -
(RS)-(methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan -
beginnt die nicht geringe Menge im Sinne von §
29a Abs. 1 Nr. 2, §
30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei 10
g der wirkungsbestimmenden Base.

[X.], Urteil vom 17. November 2011 -
3 [X.] -
LG Verden

-
2
-

in der Strafsache
gegen

wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

-
3
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 17. November 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
[X.],

die [X.] am [X.]
Pfister,
von [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Menges

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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4
-
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. März 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückver-wiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Besitzes von [X.] in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung
materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteils-formel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.

Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

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1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der an der Chemie interessierte Angeklagte betrieb ab 1995 ein [X.] Labor und forschte dort unter anderem an (legalen) Amphetaminderiva-ten. In einem später eingestellten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Zuwiderhandlung gegen das [X.] stellte die Staatsan-waltschaft im November 1999 die Laboreinrichtung kurzzeitig sicher. Nach [X.] Pfändung durch einen privaten Gläubiger nahm der Angeklagte sie 2001 wieder in Besitz und lagerte sie zunächst im Hause seiner Eltern ein.

Nach einem Umzug im Jahre 2009 beschloss der Angeklagte, der sich zwischenzeitlich einer operativen Behandlung wegen eines Prostatakarzinoms unterzogen und als Dauerfolge u.a. eine erektile Dysfunktion davongetragen hatte, sein Labor wieder aufzubauen. Beim Sichten der eingelagerten Bestände fiel ihm ein Glaskolben mit einer kristallinen Substanz auf, deren Herkunft das [X.] nicht hat klären können. Nach seinen früheren Forschungen hielt es der Angeklagte zumindest für möglich, dass es sich dabei um [X.] handelte. Er erwärmte eine Probe, inhalierte diese und empfand die Wirkung wie erhofft als "angenehm, blutdruck-
und sinnsteigernd en beabsichtigten weiteren [X.] verpackte er die Substanz in Klemmtüten, die er -
nebst der Erwärmung die-nender Folienstreifen -
versteckt in seinem Schlafzimmer verwahrte. Bei einer Durchsuchung am 13. Mai 2009 fanden sich dort neun Klemmtüten, die insge-samt 915,8 g [X.] mit einem Reinheitsgrad von 99,5 % enthielten. Die Base bestand stereochemisch aus [X.]racemat -
(RS)-(methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan -
mit gleichen Anteilen der Enantiomere des [X.],
also des "rechtsdrehenden" [X.]S)-N-3
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Methyl-1-phenylpropan-2-amin (auch d-Methamphetamin; gemäß [X.] II zu § 1 BtMG: Methamphetamin), und des "linksdrehenden" (R)-(methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan (auch l-Methamphetamin; gemäß [X.] II zu § 1 BtMG: Levmethamphetamin).

b) Das [X.] hat das Gewicht des in dem Gemisch enthaltenen Hydrochlorid-Salzes mit 911 g und die Menge der Base hiernach mit 731,96 g errechnet (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 -
2 [X.], [X.]St 53, 89, 90). Den Grenzwert der nicht geringen Menge der Base im Sinne von §
29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat es, beraten durch den Sachverständigen Dr.

D.

, Apotheker für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie beim [X.], wie bei [X.]S)-Methamphetamin (vgl. hierzu
[X.] aaO) mit 5 g angenommen. Im Hinblick auf das besondere Gefährdungs-potential aller drei der in [X.] zu § 1 Abs. 1 BtMG als verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig aufgeführten stereochemischen Erscheinungsformen sei es
nicht angezeigt, das [X.] wegen seines [X.] insoweit anders zu behandeln, zumal die Stoffe nicht auf getrennten Märkten gehandelt würden. Zwar liege die Wirksamkeit von Levme-thamphetamin unter der von [X.]S)-Methamphetamin, was damit zu erklären sei, dass letzteres in höherem Maße geeignet sei, an die maßgeblichen Rezeptoren im Gehirn anzudocken und damit das Zentralnervensystem zu beeinflussen. Jedoch könne Levmethamphetamin leichter über Rezeptoren etwa in Herz und Nieren aufgenommen werden und wirke damit stärker auf das [X.] Nervensystem. Im Vergleich zum [X.]S)-Methamphetamin liege der Wirkungsgrad des Racemats damit jedenfalls bei "deutlich mehr als 50 %". Letztlich sei dieser Unterschied zu vernachlässigen, denn bei rechtsmiss-bräuchlichem [X.] werde in allen Fällen die therapeutisch wirksame Dosis um ein Vielfaches und die Grenze zur Risikodosis bei weitem überschritten.
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c) Davon ausgehend hat das [X.] bei der Bemessung der Strafe zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass das in seinem Besitz [X.] Gemisch den Grenzwert der nicht geringen Menge "um das 146,329-fache" überschritten habe.

2. Der Senat ermittelt den Grenzwert der nicht geringen Menge von
[X.] -
anders als das [X.] -
mit 10 g der [X.]. Nach Anhörung der Sachverständigen Dr. D.

und Prof. Dr.

Da.

, [X.] im [X.], kann der Senat keine gesicherten wissenschaftlichen [X.] feststellen, die es rechtfertigen, den Grenzwert für dieses Amphe-taminderivat zu Lasten des Angeklagten anders zu beurteilen als für den Grundstoff Amphetamin. Im Einzelnen:

a) Durchgreifende rechtliche Bedenken
bestehen gegen den methodi-schen Ansatz des [X.]s, den Grenzwert der nicht geringen Menge von [X.] ungeachtet im Raum stehender Unterschiede im Wirkungsgrad deshalb an den für [X.]S)-Methamphetamin anzugleichen, weil bei rechtsmissbräuchlichem [X.] ohnehin stets die Grenze zur Risikodosis überschritten werde. Zu Ende gedacht würde dies die Bedeutung des [X.] für die Bemessung des [X.] der Tat relativieren, denn die präzise Ermittlung eines Vielfachen der nicht
geringen Menge hätte vor ei-nem Hintergrund möglicher nicht unerheblicher Unterschiede im Wirkungsgrad der einzelnen Substanzen nur noch eine begrenzte Aussagekraft.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt [X.], Urteil vom [X.] 2010 -
1 StR 581/09,
NJW 2011, 1462, 1464 f.) ist der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels vielmehr stets in Abhängigkeit von 7
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dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. [X.] ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. [X.] hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen [X.]einheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten [X.]enten, das zu bemessen ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösen-den oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials. Lassen sich auch zum [X.]verhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen ([X.], Urteil vom 24. April 2007
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1 [X.], [X.]St 51, 318, 321 ff.). Nicht zu verkennen ist, dass sich -
etwa wegen des Fehlens getrennter Märkte -
ein praktisches Bedürfnis ergeben kann, zwei oder mehrere Substanzen mit gleicher Wirkungsweise, aber unter-schiedlicher Wirkungsintensität einheitlich zu behandeln. Dem müsste indes dadurch Rechnung getragen werden, dass insgesamt der Wert für diejenige Erscheinungsform zugrunde gelegt wird, welche die geringste Wirkungsintensi-tät aufweist (vgl. zu den
Amphetaminderivaten [X.], MDMA und MDE [X.], Urteil vom 9. Oktober 1996 -
3 [X.], [X.]St 42, 255, 267 f.).

b) Nach diesen Maßstäben hat der [X.] den Grenzwert der nicht geringen Menge für Amphetamin
mit 10 g [X.] be-stimmt (Urteil vom 11. April 1985 -
1 [X.], [X.]St 33, 169; vgl. auch Ur-teil vom 1. September 1987 -
1 [X.], [X.]St 35, 43, 48). Amphetamin ist nach [X.] [X.] zu § 1 Abs. 1 BtMG das Racemat ([X.], bestehend aus dem "rechtsdrehenden"
Dexamphetamin [([X.]; [X.] [X.] zu § 1 Abs. 1 BtMG] und dem "linksdrehenden"
Levamphetamin [([X.]; [X.] II zu § 1 Abs. 1 BtMG]. Im Einzelnen hat sich der [X.] davon leiten lassen, dass die hohe Dosis für den nicht Amphetamingewohnten bei 50 mg anzunehmen sei, indes [X.]
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wicklung und der Wunsch, stärkere Effekte zu erleben, zu immer stärkeren Do-sen führten. Bei intravenöser Verabreichung könnten so Einzeldosen von 160 mg bis zu zehnmal täglich oder von 1.000 mg in Abständen von wenigen Stun-den erreicht werden. Bei oraler Einnahme könne es zu Einzeldosen von 200 mg Amphetamin und mehr kommen. Der Missbrauch führe zu psychischer, wenn auch nicht zu körperlicher Abhängigkeit. Er könne indes nicht nur psychi-sche, sondern auch schwerwiegende physische Folgeschäden nach sich zie-hen. Zu beobachten seien überwache Zustände, ängstliche Getriebenheit, [X.], Depressionen, illusionäre Verkennungen, Störungen des [X.], [X.], Hyperthermie, Kreislaufkollaps oder Herzversagen sowie Gehirnschädigungen. Persönlichkeitsveränderungen gingen mit beruflichem und sozialem Abstieg einher. "[X.]" träten nicht nur als Folge eines chronischen Missbrauchs, sondern auch als akutes Vergiftungssymptom auf. Als psychisches Stimulans erweise sich [X.] häufig als Schrittmacher für eine Polytoxikomanie. Die Gefahr einer Wiederaufnahme der Missbrauchsgewohnheiten nach einer Entzugsperiode sei hoch. Todesfälle seien andererseits eher selten. In Abwägung dieser Umstände hat der [X.] die nicht geringe Menge schließlich beim 200-fachen der Einzeldosis von 50 mg als erreicht angesehen (vgl. Urteil vom 1. September 1987 -
1 [X.], [X.]St 35, 43, 48).

c) Für [X.]S)-Methamphetamin
hat der [X.] den Grenzwert der nicht geringen Menge mit 5 g Methamphetamin-Base festgelegt (Urteil vom 3.
Dezember 2008 -
2 [X.], [X.]St 53, 89). Ausgehend von einer Wir-kungsweise sowie von physischen und psychischen Missbrauchsfolgen, die denen des Amphetamins ähneln, hat er für ausschlaggebend erachtet, dass die pharmakodynamische Wirkung von [X.]S)-Methamphetamin bei oraler Aufnahme etwa eineinhalb-
bis zweimal so stark sei wie die von Amphetamin; in der [X.]
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sumform des Rauchens -
die bei Amphetamin nicht möglich sei -
wirke es [X.] doppelt so stark und vor allem erheblich schneller, weil aufgrund [X.] die Blut-Hirn-Schranke schneller überwunden werde. Auch [X.] das gesamte aufgenommene Rauschgift unmittelbar zum Gehirn, während beim oralen [X.] mehrere Stunden bis zur vollständigen Resorption im Körper vergehen könnten. Für diese gefährlichste und heute gängigste [X.]form sei daher eine Gleichsetzung in der Wirkung mit "Crack"
(Kokain-Base) gerechtfertigt; sie falle für die Festlegung des [X.] erheblich ins Gewicht. Zu demselben Ergebnis führe es, wenn man die nicht geringe Menge -
wie bei Amphetamin -
beim 200-fachen einer [X.]-einheit als erreicht annehme, denn für den an Methamphetamin nicht Gewohn-ten sei eine Einzeldosis von 25 mg bereits sehr hoch.

d) Der Senat gelangt jedenfalls für das hier in Frage stehende
[X.] wie beim Amphetamin-Racemat (Amphetamin) zu einem Grenzwert der nicht geringen Menge von 10 g Base. Nach gegenwärti-gem Forschungsstand finden sich keine Belege dafür, dass die Wirkungsinten-sität und die Gefährlichkeit dieser Substanz signifikant höher liegen als beim Ausgangsstoff Amphetamin.

aa) Wie schon in den oben genannten Urteilen des [X.] beschrieben, sind sich Amphetamin und dessen methyliertes Derivat in ihrer Wirkung weitestgehend ähnlich. Unter anderem in [X.] werden beide [X.] medizinisch zur Behandlung von Narkolepsie, Aufmerksamkeitsdefiziten, Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Adipositas eingesetzt. Wegen ihrer stimmungsanhebenden, das Selbstvertrauen, die Konzentrationsfähigkeit, die Energie und die Wachheit steigernden Wirkung werden sie nicht selten miss-bräuchlich verwendet. Dauerkonsum und Überdosierung können dabei zu Ver-13
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wirrung, Aggressivität, paranoiden Halluzinationen und Panikzuständen führen. In unmittelbarem Zusammenhang mit der durch eine Dauerstimulation hervor-gerufenen körperlichen Erschöpfung ist auch mit [X.] bis hin zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen zu rechnen. Namentlich
Methamphetamin gilt -
bei einer geschätzten Jahresproduktion von 290 Ton-nen
-
als die weltweit zweitpopulärste illegale Droge nach Cannabis, wenn-gleich es in [X.] neben Amphetamin bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt. Trotz der hohen Zahl der [X.]enten dieser Droge sind indes Todesfälle weltweit eher selten zu beobachten.

bb) Zu folgen ist dem [X.] insoweit, als unterschiedliche Grenz-werte für [X.]S)-
und ([X.] auch bei Betrachtung der konkreten Wirkintensität nicht gerechtfertigt erscheinen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. Da.

dargelegt hat, erbrachten Tierversuche den Nachweis, dass
Methamphetamin nach der körperlichen Aufnahme größtenteils zu
Amphetamin metabolisiert, welches dann insbesondere im frontalen [X.] kumuliert. [X.] ist zu vermuten, dass bei chronischem Missbrauch von Methamphetamin die Gesamtwirkung ohnehin wesentlich von der zentralen Wirkung des im Zen-tralnervensystem angereicherten Amphetamins bestimmt wird. Zwar dürfte, wie ebenfalls aus Tierversuchen abzuleiten ist, die Toxizität des ([X.]s nur etwa 30 bis 50 % derjenigen des [X.]S)-[X.] betragen. Eine Studie an [X.]enten (Mendelson J. et al., [X.], [X.] 80:403-420; 2006) zeigt jedoch auf, dass gleiche Dosen des Race-mats und des [X.]S)-[X.] insbesondere in Bezug auf das Herz-kreislaufsystem vergleichbare pharmakodynamische Wirkungen hervorrufen; die entsprechende Dosis des ([X.] blieb demgegenüber wir-kungslos. Als Ursache wird vermutet, dass das im Racemat vorhandene (R)-15
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Methamphetamin die beschriebene Metabolisierung des Anteils an [X.]S)-Methamphetamin in (S)-Amphetamin fördert.

[X.]) Indes sieht der Senat nach Anhörung der Sachverständigen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die es rechtfertigen könnten, den Grenzwert der nicht geringen Menge jedenfalls bei ([X.] nied-riger anzusetzen als bei (RS)-Amphetamin.

(1) Für die Gleichbehandlung von Amphetamin und Methamphetamin spricht zunächst die in [X.] zu beobachtende weitgehend unterschiedslose medizinische Applikation beider Wirkstoffe. Unabhängig davon, ob Amphetamin oder Methamphetamin zur Anwendung kommt, beträgt die übliche Dosis 5 mg alle 4 bis 6 Stunden. Die Dosierung für die Langzeitbehandlung von Kindern mit ADHS ab 6 Jahren wird für Methamphetamin (Desoxyn®) mit 20 bis 25 mg pro Tag und für Amphetamin ([X.]®) mit maximal 30 mg pro Tag emp-fohlen.

[X.]) Unter Berücksichtigung des meist erheblich geringeren Körperge-wichts von Kindern ergeben sich hieraus zugleich Bedenken dagegen, 20 bis 30 mg Methamphetamin im Falle missbräuchlicher Einnahme der Substanz bereits als eine die Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge maßgeblich beeinflussende hohe Dosis anzusehen. Der Wirkstoffgehalt der in [X.] bislang sichergestellten illegalen [X.] be-trägt demgegenüber durchschnittlich 25 bis 60 mg; in dieser Bandbreite bewe-gen sich nach bisherigen Erkenntnissen auch die Dosen, die schon Erstkonsu-menten zum Erreichen des gewünschten Rauschzustandes einnehmen. In der medizinischen Fachliteratur werden Mengen zwischen 5 und 30 mg als niedri-ge, auch für die klinische Erprobung der Substanz am Menschen verwendete 16
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Dosen bezeichnet (Cruickshank et [X.], [X.], [X.] 104:1085-1099, 1088; 2009). [X.] et al.
(Acute Physiological and Behavioral Effects
of Intranasal Methamphetamine in [X.], [X.], 1847-1855, 1848 f; 2008) berichten über eine klinische Untersuchung der Wirkung von Methamphetamin auf den Men-schen, bei der Einzeldosen von bis zu 50 mg/70 kg Körpergewicht verabreicht wurden; die aus Sicherheitsgründen festgelegte Höchstdosis betrug 60 mg.

(3) Auch sonst finden sich in der Fachliteratur keine Belege dafür, dass Methamphetamin im Vergleich zu Amphetamin einen höheren Wirkungsgrad und eine erhöhte Gefährlichkeit aufweist.

Die Überlegung, Methamphetamin verfüge auf Grund der veränderten chemischen Strukturen über eine verbesserte Lipophilie mit der Folge gestei-gerter Bioverfügbarkeit und Wirkung, erweist sich letztlich nicht als tragfähig. Zwar stimmten beide vom
Senat angehörten Sachverständigen darin überein, dass die weitere Methylgruppe des [X.] dessen gegenüber [X.] gesteigerte Lipophilie aus organisch-chemischer Sicht geradezu auf-drängt. Die Aussagekraft der von Prof. Dr. Da.

benannten experimentellen Studien, welche diese auf theoretischen Grundannahmen beruhende Erwar-tung nicht bestätigten, sondern für beide Substanzen ein annähernd gleiches Verteilungsvolumen -
ca. 3,7 bis 4 l/kg -
ergaben ([X.] et al., Pharmacokinetiks of Methamphetamine self-administered to human subjects by smoking S-(+)-methamphetamine hydrochloride, Drug Metabolism Disposition 21:717-723; 1993; [X.] et al., [X.], [X.] 43:157-185;
2004), hat indes auch der Sachverständige Dr. D.

, der den Wirkungsgrad von Methamphetamin bis zu zweimal höher einschätzt, nicht in Frage gestellt.
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Ebenso wenig lässt sich eine erhöhte Gefährlichkeit von [X.] überzeugend mit der bei dieser Substanz verbreiteten [X.]form des Rauchens begründen. Im Vergleich zur oralen Aufnahme kommt es hier -
wie bei der intravenösen Applikation -
zwar zu einem bis zu zehnfach schnelleren Wirkungseintritt, jedoch liegt die dadurch erreichbare maximale Wirkstoffkon-zentration im Körper durchschnittlich um etwa die Hälfte niedriger (Cruickshank et [X.] aaO 1087). Gleichermaßen kann die Bioverfügbarkeit von [X.] beim Rauchen belastbar lediglich mit 67 % der vom [X.]enten ver-wendeten Dosis angenommen werden; dieser Wert entspricht im Wesentlichen dem bei der oralen Aufnahme erzielten und liegt deutlich unter dem bei [X.] Anwendung erreichbaren Wert (Cruickshank et [X.] aaO; [X.] et al., [X.] in [X.], [X.], 1847-1855, 1848; 2008). Im Übrigen dürfte auch die Annahme, bei Amphetamin scheide eine solche die Anflutung beschleunigende -
und damit möglicherweise das Suchtverhalten beeinflussen-de -
[X.]form mangels genügender Flüchtigkeit des Stoffes aus, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffen. Jedenfalls bei [X.] steht die Höhe des Siedepunkts dem Rauchen nicht entgegen (vgl. [X.]). Aber auch beim [X.] von Gemischen des Sulfatsalzes wurden im Kondensat teils nicht uner-hebliche Wirkstoffkonzentrationen nachgewiesen ([X.] et [X.], [X.], [X.] 78:200-210; 2011).

Schließlich ergeben sich auch Bedenken, die durch die einzelnen Kon-sumformen von Methamphetamin einerseits und Kokain andererseits erzielba-ren Anflutungseffekte gleichzusetzen. Nach der Untersuchung von [X.] et al. (aaO 1847, 1850 f.) erreichen bei [X.] (der jedenfalls in den 21
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USA weitaus häufigsten [X.]form), intravenöser Verabreichung und Inhalie-ren (Rauchen) von Methamphetamin gleichermaßen sowohl die kardiovaskulä-ren Wirkungen als auch das subjektive Rauschempfinden durchschnittlich in-nerhalb von 15 Minuten ihren Höhepunkt. Dies entspricht im Wesentlichen auch den Werten, welche die Studie von [X.] ([X.] 48:1724-1732, 1729; 2007) zur Auswirkung intravenös verabreichten d-
und l-[X.] auf das Verhalten von Primaten ermittelt hat. Die von [X.] darüber hinaus angestellten vergleichenden Untersuchungen mit Kokain ergaben demgegenüber einen Durchschnittswert von 4 Minuten (aaO 1729 f.).

(4) Der Senat sieht sich bei seinem Ergebnis im Einklang auch mit der Rechtslage in der [X.].
Die Untergrenze der die einzelnen Be-gehungsweisen des unerlaubten Umgangs mit Suchtstoffen jeweils [X.] tatbezogenen Menge, die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen (§§ 28b, 31b [X.]), wird dort für Amphetamin und seine Derivate ohne weitere Differen-zierung ebenfalls einheitlich bestimmt und bei 10 g der Reinsubstanz angesetzt (Anhang 3 zur ÖStSuchtgift-Grenzmengenverordnung; vgl. auch [X.], Urteil vom 20. Dezember 1995 -
13 [X.] unter Verweis auf das Gutachten des [X.] vom 10. Mai 1985 [abgedruckt in [X.]/Litzka, [X.], 2. Aufl., [X.] ff.]).

In der Schweiz wird zwar bei der Bestimmung der Menge, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann (Art. 19 Ziff. 2 Buchst.
a SchwBetmG), nunmehr für Methamphetamin mit 12 g Methamphetamin-Hydrochlorid (= 9,68 g Base) ein noch
schärferer Grenzwert vorgeschlagen als für Kokain (18 g; Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Rechts-23
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medizin vom Juni 2010 zur Gefährlichkeit von Methamphetamin). Dieser [X.] orientiert sich aber im Wesentlichen nur am Urteil des ([X.]) [X.] vom 3. Dezember 2008 [X.] [X.], [X.]St 53, 89) und an der darin mitgeteilten Auffassung der angehörten Gutachter. Weiterreichende Forschungsergebnisse liegen ihm nicht zugrunde.

(5) Die vom Sachverständigen Dr. D.

im Weiteren als Beleg für eine bessere Bioverfügbarkeit von Methamphetamin herangezogenen [X.] sind für die zu treffende Entscheidung nicht ergiebig. [X.] (in: [X.], Amphetamine and its Analogs, 1994, [X.]) greift zwar die These auf, Methamphetamin weise fast die zweifache Potenz von Amphetamin auf, lässt aber wiederum nicht erkennen, worauf diese Annahme beruht. Die Ab-handlung von [X.] ([X.] 69:
187-192; 2010) enthält keine aussagekräftigen Hinweise auf eine höhere Bioverfügbarkeit von [X.] im Vergleich zu Amphetamin, sondern befasst sich in erster Linie mit den Metaboliten, die in Abhängigkeit von der jeweiligen stereochemischen Beschaf-fenheit des verabreichten [X.] beim Abbau typischerweise ent-stehen. Im Übrigen haben weder [X.] et al. noch [X.] in ihren oben angesprochenen Studien Vergleiche zwischen Methamphetamin und Amphe-tamin angestellt.

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3. Ob danach für [X.]S)-Methamphetamin weiterhin der Auffassung gefolgt werden kann, es wirke bis zu zweimal stärker als Amphetamin ([X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 -
2 [X.], [X.]St 53, 89), kann offen bleiben, denn der Senat hat nur über den Grenzwert bei ([X.] zu entscheiden.

[X.]

Pfister von [X.]

[X.] Menges
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Meta

3 StR 315/10

17.11.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.11.2011, Az. 3 StR 315/10 (REWIS RS 2011, 1308)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1308

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 124/14

Zitiert

3 StR 315/10

1 StR 581/09

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