Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. XIII ZB 47/21

13. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 9499

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Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 39. Zivilkammer des [X.] vom 23. August 2021 wird auf Kosten des Betroffenen als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste 2015 in die [X.] ein. Seine Asylanträge lehnte das [X.] mit - spätestens seit August 2020 bestandskräftigen - Bescheiden ab und forderte ihn auf, das [X.] zu verlassen. Auf Antrag der beteiligten Behörde, die den Betroffenen am 23. August 2021 mit einem Sammelcharter nach [X.] abschieben wollte, ordnete das Amtsgericht am 17. August 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung an, den Betroffenen bis zum Ablauf des 19. August 2021 in [X.] zu nehmen.

2

Mit Beschluss vom 19. August 2021 hat das Amtsgericht den Antrag der beteiligten Behörde auf Anordnung von [X.] bis zum 23. August 2021 abgelehnt. Auf die dagegen von der beteiligten Behörde eingelegte Beschwerde hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 23. August 2021 die Entscheidung des Amtsgerichts abgeändert und gegen den Betroffenen, der bereits aus der Haft entlassen worden war, [X.] bis zum Ablauf des 23. August 2021 angeordnet. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, der nicht erneut in Haft genommen wurde, die Feststellung, dass er durch den Beschluss des [X.] in seinen Rechten verletzt worden ist.

3

II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

4

1. Allerdings ist das Rechtsmittel gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft. Danach ist die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gegen solche Entscheidungen des [X.] eröffnet, die eine Freiheitsentziehung anordnen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil das Beschwerdegericht - in Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts - gegen den Betroffenen [X.] bis zum Ablauf des 23. August 2021 angeordnet hat. Dass sich der Betroffene tatsächlich aufgrund dieser Anordnung nicht in Haft befunden hat, steht dem nicht entgegen. Auf den Vollzug der angeordneten Freiheitsentziehung kommt es nach dem klaren Wortlaut der Norm für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels nicht an.

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unzulässig, weil sich der Beschluss des [X.] in der Hauptsache erledigt hat und der Betroffene kein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass ihn dieser in seinen Rechten verletzt hat.

6

a) Der Gegenstand der angefochtenen Entscheidung - die Anordnung der Freiheitsentziehung in Form des [X.]s gegen den Beklagten - hat sich mit Ablauf des 23. August 2021, dem Ende der am selben Tag für den Zeitraum bis 23.59 Uhr festgelegten Haftzeit, in der Hauptsache erledigt. Die Erledigung der Hauptsache hat die Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde zur Folge ([X.], Beschluss vom 8. Juni 2011 - [X.] 245/10, [X.], 1390 Rn. 6), sofern nicht zugunsten des Betroffenen ein besonderes Feststellungsinteresse besteht.

7

b) Ein solches Feststellungsinteresse ist im Streitfall nicht gegeben.

8

aa) Nach § 62 Abs. 1 FamFG spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt und der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Diese Vorschrift findet nach ständiger Rechtsprechung des [X.] im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechende Anwendung (vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. Februar 2010 - [X.], [X.] 2010, 249 Rn. 9 f.). Ein berechtigtes Interesse liegt gemäß § 62 Abs. 2 FamFG in der Regel vor, wenn entweder schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder eine Wiederholung konkret zu erwarten ist. Erforderlich ist allgemein ein schützenswertes Interesse daran, eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (vgl. [X.] in [X.], ZPO, 35. Aufl., § 62 FamFG Rn. 6; [X.] in Prütting/[X.], FamFG, 6. Aufl., § 62 Rn. 9).

9

bb) Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff liegt hier unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung im Beschluss des [X.] vom 23. August 2021 bereits deshalb nicht vor, weil diese Haft nicht vollzogen worden ist.

(1) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist ein tiefgreifender Grundrechtseingriff insbesondere im Fall einer Freiheitsentziehung gegeben. Dies gilt auch dann, wenn die Freiheitsentziehung aufgrund einer Haftanordnung zur Sicherung der Abschiebung erfolgt (vgl. [X.], Beschluss vom 16. April 2021 - 2 BvR 2470/17, [X.] 2021, 289 Rn. 15 mwN). Da sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf häufig auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann, gebietet es effektiver Grundrechtsschutz in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung auch des tatsächlich nicht mehr fortwirkenden [X.] gerichtlich klären zu lassen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. November 1989 - 2 BvR 3/88, [X.]E 81, 138 [juris Rn. 8]; vom 30. April 1998 - 2 BvR 817/90, [X.]E 96, 27 [juris Rn. 49]; vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, [X.]E 104, 220 [juris Rn. 34]; Urteil vom 12. März 2003 - 1 BvR 330/96, [X.]E 107, 299 [juris Rn. 132]; [X.], [X.] 2021, 289 Rn. 15). Zudem indiziert eine unberechtigte Inhaftierung ein [X.]. Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit, mit denen der Staat auf [X.], begründeterweise vermutetes oder zu besorgendes rechtswidriges Verhalten des Einzelnen reagiert, berühren den davon Betroffenen im [X.] seiner Persönlichkeit, auch wenn sie nicht mit einer strafrechtlichen Unwerterklärung verbunden sind. Daher hat eine solche Anordnung, wenn sie rechtswidrig ist, diskriminierenden Charakter und lässt eine auch nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit schutzwürdig erscheinen (vgl. [X.]E 104, 220, 235; [X.], [X.] 2021, 289 Rn. 15).

Vor diesem Hintergrund bejaht der [X.] in ständiger Rechtsprechung das erforderliche Feststellungsinteresse nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG, wenn der Betroffene nach Ablauf der Haftzeit die Rechtswidrigkeit der Anordnung einer gegen ihn vollzogenen [X.] rügt (vgl. nur [X.], [X.] 2010, 249 Rn. 9 f.). Gleiches gilt für die nachträgliche rechtliche Überprüfung eines vollzogenen [X.]s (vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. April 2023 - [X.], juris Rn. 7).

(2) Das mit einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff verbundene [X.] ist jedoch grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn es infolge der angefochtenen Entscheidung auch zu einem effektiven Eingriff in die Rechte des Betroffenen gekommen, die Rechtsverletzung also auch als solche eingetreten ist (vgl. [X.], [X.] 2004, 231 [juris Rn. 12, 13]; [X.], [X.], 802 Rn. 20; [X.], [X.], 1047 Rn. 24; [X.] in [X.]/[X.]/Schlünder, [X.] FamFG, [X.]., § 62 Rn. 23; [X.] in Sternal, FamFG, 21. Aufl., § 62 Rn. 20). Das ist nicht der Fall, wenn die - unterstellt rechtswidrig - angeordnete Haft, wie hier, gar nicht vollzogen worden und somit die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen nicht eingeschränkt worden ist. Denn dann ist auch die gerade mit dem (unrechtmäßigen) Freiheitsentzug verbundene Verletzung der Persönlichkeit nicht eingetreten.

Bei einer nur angeordneten, tatsächlich aber nicht vollzogenen Haft kann daher unter dem Gesichtspunkt des tiefgreifenden [X.] jedenfalls solange, wie nicht auf Seiten des Betroffenen besondere Umstände hinzutreten, die bereits die Androhung des [X.] als eine schwerwiegende Beeinträchtigung seiner Grundrechte erscheinen lassen, ein Feststellungsinteresse nicht bejaht werden. Solche besonderen Umstände sind im Streitfall nicht ersichtlich, denn der Betroffene hat nicht einmal vorgebracht, vor Ablauf der angeordneten Haftzeit Kenntnis von der angefochtenen Entscheidung erhalten zu haben.

cc) Auch eine Wiederholungsgefahr nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 FamFG besteht entgegen der Ansicht des Betroffenen im Streitfall nicht. Die Rechtsbeschwerde stützt die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Haftanordnung durch das Beschwerdegericht allein auf die fehlende Anhörung des Betroffenen in der Beschwerdeinstanz, die sie deshalb für unverzichtbar erachtet, weil das Beschwerdegericht abweichend vom Amtsgericht eine beim Betroffenen bestehende Fluchtgefahr bejaht hat. Sie legt jedoch nicht dar, dass eine Wiederholung dieses Verfahrensfehlers durch das Beschwerdegericht gegenüber dem Betroffenen konkret zu erwarten wäre, was Voraussetzung für die Bejahung eines Feststellungsinteresses wäre (vgl. zu diesem Erfordernis [X.] in [X.]/[X.]/Schlünder, aaO, § 62 Rn. 24). Eine solche Wiederholung erscheint auch schon deshalb fernliegend, weil offen ist, ob die beteiligte oder eine andere Behörde einen erneuten Haftantrag gegen ihn stellt, und weil zudem in einem solchen Fall die tatsächlichen Umstände neu festzustellen und von den Gerichten zu würdigen wären.

dd) Soweit die Rechtsbeschwerde schließlich meint, dem Betroffenen stehe ein besonderes [X.] zur Seite, weil dieser sich nach seiner Festnahme am 19. August 2021 über Stunden in einer verschmutzten Zelle des Amtsgerichts befunden habe, ist auch dem nicht zu folgen. Sie verkennt dabei, dass dieser von ihr genannte - mögliche - Grundrechtseingriff nicht auf der angefochtenen Entscheidung beruhte, sondern im Gegenteil im ersten Rechtszug des vorliegenden Verfahrens durch die Ablehnung des Haftantrags der beteiligten Behörde im Beschluss des Amtsgerichts vom 19. August 2021 gerade beendet wurde.

III. [X.] beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

Kochendörfer     

      

Meta

XIII ZB 47/21

19.12.2023

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Köln, 23. August 2021, Az: 39 T 87/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2023, Az. XIII ZB 47/21 (REWIS RS 2023, 9499)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9499

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XIII ZB 7/21

2 BvR 2470/17

V ZB 172/09

XII ZB 245/10

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