Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2022, Az. XIII ZB 1/21

13. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 2678

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 3. November 2020 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 31. Januar 2020 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 3. August 2015 nach [X.] ein. Mit Bescheid vom 15. März 2018 lehnte das [X.] ([X.]) seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab. Der Bescheid ist bestandskräftig und gemäß der Abschlussmitteilung des [X.]s vom 8. August 2019 vollziehbar seit dem 2. August 2019. Der Betroffene reiste nicht aus. Ein [X.] am 11. Dezember 2019 scheiterte, weil er nicht angetroffen wurde.

2

Am 31. Januar 2020 hat das [X.] bis zum 6. Februar 2020 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Nachdem er am 5. Februar 2020 abgeschoben worden war, hat das [X.] die noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Anordnung von [X.] gemäß § 62b Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d [X.] hätten vorgelegen. Die Vollziehung des Abschiebegewahrsams in der Abschiebungshafteinrichtung [X.] sei nicht zu beanstanden. Die Unterkunft könne auch im weiteren Umfeld eines Flughafens liegen, wenn er in einer üblichen Fahrzeit von etwa einer Stunde erreicht werden könne. Die Fahrzeit von der Abschiebeeinrichtung bis zum [X.], von dem aus die Abschiebung vollzogen worden sei, belaufe sich auf etwa 75 Minuten. Der Betroffene habe nicht geltend gemacht, dass ihm die freiwillige Ausreise, die auch über den Flughafen [X.] hätte stattfinden können, nicht ermöglicht worden sei. Ein Verstoß gegen das faire Verfahren liege nicht vor. Der Betroffene habe nicht ausdrücklich erklärt, seine Anwältin beiziehen zu wollen. Auch nachträglich habe er dies dadurch deutlich gemacht, dass er im Beschwerdeverfahren einen anderen Anwalt beauftragt habe.

5

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6

a) Entgegen der Rechtsbeschwerde ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Haft zwar nicht daraus, dass der angeordnete [X.] in der Abschiebungshafteinrichtung [X.] vollzogen werden sollte und nach der Anordnung dort auch vollzogen worden ist.

7

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] muss der Haftrichter die Anordnung von [X.] ablehnen, wenn dieser in einer Einrichtung vollzogen werden soll, die den - zwingenden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BT-Drucks. 18/4097, [X.]) - Vorgaben des § 62b Abs. 2 [X.] widerspricht ([X.], Beschluss vom 23. Februar 2021 - [X.]/20, [X.] 2021, 339 Rn. 14 mwN).

8

bb) Das war hier indes nicht der Fall. Die Abschiebehafteinrichtung [X.] liegt - wovon auch die Rechtsbeschwerde ausgeht - in ausreichender Nähe zum Flughafen [X.] und erfüllt damit die Voraussetzungen des § 62b Abs. 2 [X.]. Darauf, dass die Abschiebung vom [X.] aus erfolgen sollte, sowie darauf, ob es unter Berücksichtigung von Umsteigemöglichkeiten Linienflüge in die Heimat des Betroffenen vom Flughafen [X.] aus gab, kommt es nicht an ([X.], [X.] 2021, 339 Rn. 17 f. mwN). Dass es dem Betroffenen mit Unterstützung des in der Abschiebehafteinrichtung tätigen Personals - unter der Voraussetzung der etwa durch Vorlage von Reisedokumenten glaubhaft gemachten Absicht, aus dem [X.] auszureisen - nicht möglich gewesen wäre, die Einrichtung zu verlassen, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend. Dass sie dies pauschal in Zweifel zieht, reicht dafür jedenfalls nicht aus.

9

b) Die Rechtsbeschwerde rügt aber zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.

aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - [X.], [X.] 2014, 442 Rn. 8, vom 12. November 2019 - [X.]/19, juris Rn. 7, und vom 6. Oktober 2020 - [X.], juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - [X.], [X.] 2019, 152 Rn. 5, vom 7. April 2020 - [X.]/19, juris Rn. 9 f., und vom 15. Dezember 2020 - [X.], juris Rn. 16). [X.] das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. April 2017 - [X.], [X.] 2017, 292 Rn. 7, und vom 12. November 2019 - [X.]/19, juris Rn. 7).

bb) Dem hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen. Es hat den Betroffenen ausweislich des Protokolls "analog § 115 Abs. 3, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO" über das Recht der Äußerung über einen Verteidiger belehrt. Daraufhin hat der Betroffene erklärt, eine Rechtsanwältin - Rechtsanwältin B. - zu haben und darum gebeten, ihr die Unterlagen in der Sache zuzuschicken und sie von seiner Verhaftung zu informieren. Nach dieser Äußerung des Betroffenen hätte das Amtsgericht aufklären müssen, ob er Rechtsanwältin B. zu der Anhörung hinzuziehen wollte. Es durfte nicht aus dem Umstand, dass der Betroffene weiter an der Anhörung mitwirkte, ohne weiteres auf einen Verzicht schließen. Wenn der Betroffene einen solchen nicht erklären wollte, hätte das Amtsgericht ihm Gelegenheit geben müssen, seine Rechtsanwältin hinzuzuziehen. Wäre dies nicht möglich gewesen, hätte das Amtsgericht die Haft nicht endgültig, sondern nur im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig (§ 427 FamFG) anordnen dürfen ([X.], Beschlüsse vom 27. April 2020 - [X.]/19, juris Rn. 10, vom 15. Dezember 2020 - [X.] 123/19, [X.] 2021, 242 Rn. 12, und vom 22. Februar 2022 - [X.] 74/20, z. Veröff. best., Rn. 14). Dem hätte nicht entgegengestanden, dass die Abschiebung bereits für den 5. Februar 2020 geplant war, denn damit endete die Freiheitsentziehung ohnehin. Eine für die Entscheidung im Hauptsacheverfahren erforderliche (erneute) Anhörung unter Beiziehung von Rechtsanwältin B. nach § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG wäre daher durchzuführen gewesen, sofern dies bei der gebotenen Beschleunigung in dem bis zur Abschiebung zur Verfügung stehenden Zeitraum noch möglich gewesen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 2021 - [X.] 88/20, juris Rn. 16).

c) Nachdem das Amtsgericht den Willen des Betroffenen nicht aufgeklärt hat und daher offengeblieben ist, ob der Betroffene Rechtsanwältin B. zu seiner Anhörung hinzuziehen wollte, ist zur wirksamen Sicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren zu vermuten, dass ihm der Zugang zu einem Anwalt verwehrt wurde.

3. [X.] beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]    

        

[X.]    

        

Tolkmitt

        

Picker    

        

Rombach    

        

Meta

XIII ZB 1/21

22.03.2022

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Dresden, 3. November 2020, Az: 2 T 105/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2022, Az. XIII ZB 1/21 (REWIS RS 2022, 2678)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2678

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