Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.08.2020, Az. XIII ZB 83/19

13. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 839

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Gegenstand

Haftaufhebungssache: Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über die sachliche Berechtigung einer Beschwerde nach deren Zurückweisung als unzulässig; Richtigkeit der Abschlussmitteilung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge; Ausreisegewahrsam als eigenständiges Mittel zur Sicherung der Vollstreckung der Ausreisepflicht


Leitsatz

1. Das Rechtsbeschwerdegericht kann über die sachliche Berechtigung eines Antrags oder einer (Rechts-)Beschwerde auch nach deren Zurückweisung als unzulässig entscheiden, wenn die Beschwerdeentscheidung einen Sachverhalt enthält, der für die rechtliche Beurteilung eine verwertbare tatsächliche Grundlage bietet, und bei Zurückverweisung der Sache ein anderes Ergebnis nicht möglich erscheint.

2. Die beteiligte Behörde und die Haftgerichte dürfen von der Richtigkeit der Abschlussmitteilung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ausgehen. Ermittlungen von Amts wegen nach § 26 FamFG sind nur veranlasst, wenn sich Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Mitteilung ergeben.

3. Der Ausreisegewahrsam nach § 62b AufenthG ist keine mindere Form der Sicherungshaft, sondern ein eigenständiges Mittel zur Sicherung der Vollstreckung der Ausreisepflicht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 29. März 2019 wird auf Kosten der Person des Vertrauens des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 13. Oktober 2014 nach [X.] ein und stellte unter Angabe falscher Personalien einen Asylantrag. Das [X.] (fortan: [X.]) stellte mit Bescheid vom 27. Juli 2016 das Verfahren ein und forderte den Betroffenen unter Androhung der Abschiebung in sein Heimatland auf, [X.] innerhalb einer Woche zu verlassen. Nach der Abschlussmitteilung des [X.]s ist dieser Bescheid seit dem 16. August 2016 bestandskräftig, weil er dem Betroffenen am 15. August 2016 zugestellt wurde oder seit diesem Zeitpunkt als zugestellt gilt und Klage nicht erhoben wurde. Der Betroffene reiste nicht aus. Die beteiligte Behörde ermittelte die zutreffenden Personalien des Betroffenen, erwirkte am 21. Januar 2019 ein bis zum 6. März 2019 befristetes [X.] bei den [X.] Behörden und ließ den Betroffenen am 28. Januar 2019 in [X.] nehmen. Die für den 6. Februar 2019 geplante Flugabschiebung des Betroffenen nach [X.] scheiterte daran, dass der Luftfahrzeugführer wegen dessen Verhaltens im Flugzeug die Mitnahme des Betroffenen ablehnte. Noch am selben Tag organisierte die beteiligte Behörde einen neuen [X.] für den 16. März 2019 und erwirkte die Anordnung von Abschiebungshaft gegen den Betroffenen bis zum 21. März 2019.

2

Am 17. Februar 2019 hat sich der Beschwerdeführer schriftsätzlich als Vertrauensperson des Betroffenen gemeldet und beantragt, die Haft aufzuheben. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die - nach der Entlassung des Betroffenen aus der Haft wegen Ausbleibens einer Verlängerung des [X.]s mit einem Antrag, die Verletzung der Rechte des Betroffenen durch die Haft festzustellen, fortgeführte - Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Vertrauensperson des Betroffenen mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.

3

II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

4

1. Nach Auffassung des [X.] ist die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde unzulässig, weil die Freiheitsentziehung am 18. März 2019 beendet worden und der Betroffene nicht mehr beschwert ist. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung einer Verletzung der Rechte des Betroffenen durch die Haftanordnung nach § 62 FamFG sei ebenfalls unzulässig. Zweifelhaft sei schon, ob der Beschwerdeführer überhaupt Beteiligter im Sinne von § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG sei, weil er sich erst nach Erlass der Haftanordnung am 17. Februar 2019 als Vertrauensperson des Betroffenen bei Gericht gemeldet habe. Dies könne aber dahinstehen. Der Beschwerdeführer sei auch als Vertrauensperson jedenfalls nicht berechtigt, einen Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Haftanordnung nach § 62 FamFG zu stellen. Das Recht zur Einlegung der Beschwerde gegen eine Haftanordnung umfasse nicht gleichzeitig auch die Antragsbefugnis nach § 62 Abs. 1 FamFG. Die Vorschrift setze nach ihrem eindeutigen Wortlaut voraus, dass der "Beschwerdeführer" selbst durch die erledigte Maßnahme in seinen Rechten verletzt worden sei. Demgemäß könne nur der Beteiligte nach dieser Vorschrift antragsbefugt sein, dessen eigene Rechtssphäre betroffen sei und der ein berechtigtes Feststellungsinteresse nach § 62 Abs. 2 FamFG habe. Daraus habe der [X.] abgeleitet, dass in einem Betreuungsverfahren dem Verfahrenspfleger des Betroffenen trotz seines Beschwerderechts kein eigenes Antragsrecht nach § 62 Abs. 1 FamFG zustehe. Für den nach § 429 Abs. 2 FamFG privilegierten Personenkreis könne nichts anderes gelten.

5

Der Haftaufhebungsantrag sei aber auch unbegründet. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Der Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.] (a.[X.]) habe vorgelegen. Die erforderliche Abschiebungsandrohung sei dem Betroffenen im Rahmen seiner persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht vor Erlass der Haftanordnung übergeben worden. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Betroffene mit dem [X.] der beteiligten Behörde erst zu Beginn der persönlichen Anhörung vertraut gemacht worden sei. Schließlich habe auch ohne Beteiligung eines Rechtsanwalts entschieden werden können, weil der benannte Rechtsanwalt den Betroffenen nicht mehr vertreten und der Betroffene selbst keinen anderen Rechtsanwalt genannt habe.

6

2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nur im Ergebnis stand.

7

a) Für die Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Haftanordnung des Amtsgerichts bestand keine Veranlassung. Gegen diese haben nämlich weder der Betroffene selbst noch seine Vertrauensperson Beschwerde eingelegt. Die Vertrauensperson hat - offensichtlich deshalb, weil die Voraussetzungen für die Einlegung einer Beschwerde gegen die Haftanordnung nach § 10 Abs. 2 Nr. 2, § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG nicht vorlagen - Haftaufhebung nach § 426FamFG beantragt.

8

b) Die gegen die Zurückweisung dieses Antrags erhobene Beschwerde der Vertrauensperson ist entgegen der Auffassung des [X.] nach der Entlassung des Betroffenen aus der Haft mit einem Antrag auf Feststellung einer Verletzung der Rechte des Betroffenen durch die vollzogene Haft gemäß § 62 FamFG zulässig.

9

aa) Richtig ist allerdings, dass der für das [X.] zuständige XII. Senat des [X.]s die Vorschrift des § 62 FamFG streng am Wortlaut der Vorschrift orientiert (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. Oktober 2012 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 195 Rn. 7, und vom 27. Juli 2016 - [X.] 623/15, [X.], 1752 [Ls.] = juris Rn. 4) und sie damit - unter ausdrücklichem Hinweis auf dessen gegenteilige Rechtsprechung - enger auslegt als der seinerzeit für das [X.] zuständige V. Zivilsenat und der heute für dieses Rechtsgebiet zuständige beschließende Senat.

[X.]) Die unterschiedliche Auslegung der gleichen Vorschrift findet ihren Grund und ihre sachliche Berechtigung in der unterschiedlichen Funktion und Bedeutung, die die Regelung in § 62 FamFG im [X.] einerseits und im [X.] andererseits hat. Die Unterbringung einer Person ist regelmäßig nach Zielsetzung und Auswirkung eine Maßnahme der Fürsorge. Demgegenüber dient die Freiheitsentziehung dazu, die Durchsetzung der Ausreisepflicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung durch die Inhaftierung des Betroffenen abzusichern, wenn ein gesetzlich bestimmter Haftgrund vorliegt. Sie ist keine Maßnahme der Fürsorge und wird weder von dem Betroffenen noch von der Öffentlichkeit als eine solche wahrgenommen. Die Freiheitsentziehung wird vielmehr als eine staatliche Missbilligung angesehen, die deshalb auch eine effektive Rehabilitierung des Betroffenen erfordert, wenn sie rechtswidrig war. Das lässt sich nur mit einer an diesem Zweck ausgerichteten weiten Auslegung von § 62 FamFG erreichen. Deshalb lässt der [X.] zu, dass nach dem Ableben des Betroffenen im Fall einer Freiheitsentziehung seine Witwe sein Rehabilitierungsinteresse mit einem Antrag nach § 62 FamFG weiterverfolgt ([X.], Beschluss vom 6. Oktober 2011 - [X.] 314/10, [X.] 2012, 100 Rn. 11 f., für die Freiheitsentziehung; anders dagegen für die Unterbringung: [X.], Beschluss vom 24. Oktober 2012 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 195 Rn. 7). Daher kann die Vertrauensperson des Betroffenen nach § 426 FamFG aus eigenem Recht, aber im Interesse des Betroffenen Aufhebung der erlassenen Haftanordnung beantragen (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, juris Rn. 13-15 mwN). Sie ist dazu auch dann befugt, wenn sie in dem vorausgegangenen [X.] nicht beteiligt war (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, juris Rn. 11 f. mwN). Nach Erledigung des [X.] nach § 426 FamFG in der Hauptsache ist sie berechtigt, in dessen Interesse einen Antrag nach § 62 FamFG zu stellen ([X.], Beschlüsse vom 29. November 2012 - [X.] 115/12, [X.] 2013, 158 Rn. 3, vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, juris Rn. 15 f., und vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, juris Rn. 8).

c) [X.] ist indessen nicht begründet. Die Haftanordnung war rechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Einer sachlich-rechtlichen Entscheidung steht, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht entgegen, dass die Vorinstanzen den Haftaufhebungsantrag und die Beschwerde der Vertrauensperson als unzulässig behandelt haben.

(1) Rechtsausführungen des [X.] und im Grundsatz auch seine dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen gelten zwar, worauf die Rechtsbeschwerde im Ansatz zutreffend hinweist, als nicht geschrieben, wenn das Beschwerdegericht einen Antrag oder eine Beschwerde als unzulässig abweist. Es fehlte dann an einem Sachverhalt, den das Rechtsbeschwerdegericht einer Sachentscheidung zugrunde legen könnte. In der Rechtsprechung des [X.]s ist deshalb als Regel angenommen worden, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen und nicht in der Sache selbst zu befinden hat, wenn es im Gegensatz zum Beschwerdegericht die Zulässigkeit des Antrags oder - hier - der (Rechts-)Beschwerde bejaht (vgl. für Unzulässigkeit einer Klage: [X.], Urteil vom 29. September 2017 - [X.], [X.] 2018, 193 Rn. 43, 45, insoweit nicht in [X.]Z 216, 83 abgedruckt).

(2) Daraus folgt aber nicht, dass es dem Rechtsbeschwerdegericht schlechthin verwehrt ist, selbst in der Sache zu entscheiden, wenn die Vorinstanz einen Antrag oder eine Beschwerde als unzulässig abgewiesen hat. Vielmehr bringt § 74 Abs. 6 FamFG den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz im Rechtsbeschwerdeverfahren zur Geltung, von einer Zurückverweisung abzusehen, wenn die Sache bereits zur Endentscheidung reif ist. Das Rechtsbeschwerdegericht kann deshalb über die sachliche Berechtigung eines Antrags oder einer (Rechts-) Beschwerde auch nach deren Zurückweisung als unzulässig entscheiden, wenn die Beschwerdeentscheidung einen Sachverhalt enthält, der für die rechtliche Beurteilung eine verwertbare tatsächliche Grundlage bietet, und bei Zurückverweisung der Sache ein anderes Ergebnis nicht möglich erscheint. Hätte das Beschwerdegericht bei zutreffender verfahrensrechtlicher Behandlung der Beschwerde sofort eine Entscheidung in der Sache treffen können, besteht keine Veranlassung, den Beteiligten durch eine Zurückverweisung Gelegenheit zur weiteren Ergänzung ihres Vorbringens zu geben. In einem solchen Fall hat vielmehr das Rechtsbeschwerdegericht selbst in der Sache zu entscheiden (vgl. für eine Klageabweisung als unzulässig: [X.], Urteil vom 29. September 2017 - [X.], [X.] 2018, 193 Rn. 43, 45, insoweit nicht in [X.]Z 216, 83 abgedruckt). So liegt es hier. Die von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten sachlichen Einwände gegen die Entscheidung können auf der Grundlage des von Amts wegen zu prüfenden [X.]s, des in der Haftanordnung festgestellten Sachverhalts, des Protokolls der der Haftanordnung vorausgegangenen Anhörung des Betroffenen und der verwertbaren Teile der Beschwerdeentscheidung geprüft und beschieden werden. Abweichende oder neue Erkenntnisse hierzu sind nicht zu erwarten. Etwas anderes zeigt auch die Rechtsbeschwerde nicht auf.

[X.]) Die Haftanordnung ist, wie das Beschwerdegericht in seiner Hilfserwägung allerdings nur im Ergebnis richtig gesehen hat, sachlich nicht zu beanstanden.

(1) Ihr lag entgegen der Ansicht der Vertrauensperson des Betroffenen ein zulässiger [X.] zu Grunde.

(a) Der von der beteiligten Behörde eingereichte [X.] ist zwar nicht unterschrieben. Das steht aber seiner Wirksamkeit nicht entgegen.

Nach der Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 5 FamFG, die bestimmt, dass ein verfahrenseinleitender Antrag von dem Antragsteller oder dessen Bevollmächtigtem unterschrieben sein soll, ist eine Unterschrift im Regelfall erforderlich, jedoch nicht in jedem Fall unverzichtbar. [X.] ist sie etwa dann, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen ([X.], Beschlüsse vom 28. Oktober 2010 - [X.] 210/10, [X.] 2011, 41 Rn. 11 f., und vom 9. Februar 2012 - [X.] 305/10, juris Rn. 12). Das ist hier der Fall. Das Amtsgericht hat wesentliche Sachverhaltselemente aus dem Antrag in seiner Haftanordnung wiedergegeben und den Antrag damit insgesamt der beteiligten Behörde zugeordnet. Das Beschwerdegericht hat dem Protokoll über die dieser Haftanordnung vorausgegangene persönliche Anhörung des Betroffenen entnommen, dass der [X.] dort dem Betroffenen persönlich ausgehändigt worden ist. Aus diesem Protokoll ergibt sich ferner, dass der Mitarbeiter der beteiligten Behörde, der ihn verfasst hat, an der Anhörung und der Erörterung teilgenommen hat. Damit stand die Urheberschaft des Antrags und die Übernahme der Verantwortung der beteiligten Behörde für ihn vor Erlass der Haftanordnung fest.

(b) Der [X.] ist nicht deshalb unzulässig, weil die beteiligte Behörde, wie die Vertrauensperson des Betroffenen aber meint, für die Stellung des Antrags nicht zuständig gewesen ist.

(aa) Ein [X.] ist zwar nach § 417 Abs. 2 FamFG unzulässig, wenn er von einer unzuständigen Behörde gestellt wird ([X.], Beschluss vom 28. April 2011 - [X.] 239/10, [X.] 2011, 200 Rn. 6). Die beteiligte Behörde war aber für die Stellung des [X.]s zuständig. Der [X.] hätte allerdings nach § 13 Abs. 1 Nr. 7 ZustAVO [X.] in der hier noch maßgeblichen Fassung vom 4. April 2017 (GV. [X.]. [X.]) von der [X.] gestellt werden müssen, wenn es sich hierbei um einen Verlängerungsantrag gehandelt hätte.

([X.]) Das ist indes nicht der Fall. Der Betroffene befand sich nämlich vorher nicht in [X.] nach § 62 Abs. 3 [X.], sondern in [X.] nach § 62b [X.]. Der [X.] ist aber keine mindere Form der [X.], sondern ein eigenständiges Mittel zur Sicherung der Vollstreckung der Ausreisepflicht. Er kann nach § 62b Abs. 1 Satz 1 [X.] unabhängig von den Voraussetzungen der [X.] nach § 62 Abs. 3 [X.], insbesondere vom Vorliegen der Fluchtgefahr, angeordnet werden und dient der kurzfristigen Sicherung einer vollzugsreif vorbereiteten Abschiebung. Seine Anordnung setzt voraus, dass die Abschiebung innerhalb der nächsten zehn Tage durchgeführt werden kann. Deshalb blieb in [X.] die untere Ausländerbehörde zuständig, wenn der [X.] sein Ziel verfehlt und nunmehr [X.] für einen zweiten [X.] erforderlich wird und beantragt werden soll.

(c) Der eingereichte Antrag genügt auch den gesetzlichen Anforderungen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG.

(aa) Die beteiligte Behörde hat darin die vollziehbare Pflicht des Betroffenen zur Ausreise durch Vorlage des Bescheids des [X.]s, in dem der Betroffene zur Ausreise innerhalb einer Woche verpflichtet wird, und durch Vorlage einer Kopie der Abschlussmitteilung des [X.]s, aus der sich die Zustellung und der Eintritt der Bestandskraft ergeben, ausreichend dargelegt. Sie hatte keine Veranlassung, sich mit der Richtigkeit der Angaben des [X.]s in der Abschlussmitteilung näher zu befassen.

([X.]) Auch die erforderliche Haftdauer hat die beteiligte Behörde in einer den Anforderungen von § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG entsprechenden Weise dargelegt. Sie hat darauf verwiesen, dass die Abschiebung des Betroffenen nach [X.] jetzt mit Sicherheitsbegleitung durchgeführt werden solle und dafür in Abstimmung mit der Zentralstelle des Landes [X.] für Flugabschiebungen ein Termin für den 21. März 2019 vorgesehen sei, mithin ein Zeitraum von sechs Wochen benötigt werde. Das reicht nach der Rechtsprechung des [X.]s aus (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. September 2018 - [X.] 4/17, [X.] 2019, 23 Rn. 11, vom 7. März 2019 - [X.] 130/17, juris Rn. 7, vom 12. Februar 2020 - [X.], juris Rn. 9, und vom 24. Juni 2020 - [X.]/19, Rn. 11, z. Veröff. best.).

(cc) Der [X.] musste schließlich keine Ausführungen zu den zahlreichen Straftaten des Betroffenen und dem aufgrund dieser Straftaten nach § 72 Abs. 4 [X.] erforderlichen Einvernehmen der mit diesen Verfahren jeweils befassten Staatsanwaltschaften enthalten. Das fehlende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist nach der neueren Rechtsprechung des Senats ein mögliches Abschiebungs- oder Überstellungshindernis. Zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft muss sich die beteiligte Behörde in dem [X.] nur äußern, wenn sie darin strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen erwähnt; sie genügt ihrer Darlegungsverpflichtung dann regelmäßig durch den Hinweis, dass das Einvernehmen zu erwarten ist (Senat, Beschluss vom 12. Februar 2020 - [X.], [X.] 2020, 242 Rn. 12, 19). Hier hat die beteiligte Behörde strafrechtliche Ermittlungsverfahren schon nicht erwähnt. Sie musste sich mit diesen Verfahren auch nicht mehr befassen, da es ihr noch am [X.] gelungen wäre, den Betroffenen ungeachtet der laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abzuschieben, hätte dieser den Luftfahrzeugführer nicht veranlasst, seine Mitnahme abzulehnen. Daraus folgt, dass aus den laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ein Hindernis wegen fehlenden Einvernehmens der beteiligten Staatsanwaltschaften nicht zu erwarten war.

(2) Der Anordnung von [X.] stand auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht vor Erlass der Haftanordnung die vollziehbare Ausreisepflicht des Betroffenen unter Verletzung von § 26 FamFG nicht festgestellt hätte. Die beteiligte Behörde hatte nämlich, wie ausgeführt, nicht nur den Bescheid des [X.]s über die Einstellung des Asylverfahrens vorgelegt, die die Verpflichtung des Betroffenen begründete, [X.] innerhalb einer Woche zu verlassen. Sie hatte auch die Abschlussmitteilung des [X.]s beigefügt, aus der sich das Datum der Zustellung und die Bestandskraft des Bescheids ergaben. Von der Richtigkeit dieser Mitteilung durfte nicht nur die beteiligte Behörde, sondern auch das Amtsgericht ausgehen. Amtswegige Ermittlungen nach § 26 FamFG sind nur veranlasst, wenn sich Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Abschlussmitteilung ergeben. Daran fehlt es hier. Auch die Vertrauensperson des Betroffenen behauptet nicht, die Abschlussmitteilung des [X.]s sei falsch. Sie meint nur, diese hätte auch ohne Anlass zu Zweifeln auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden müssen. Das ist nicht richtig.

(3) Der für die Anordnung von [X.] nach § 62 Abs. 3 [X.] in der hier noch maßgeblichen bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung (fortan: a.[X.]) erforderliche Haftgrund lag vor.

(a) Aus der unerlaubten Einreise des Betroffenen ließ sich ein Haftgrund allerdings nicht ableiten. Die unerlaubte Einreise eines Betroffenen ist nämlich für das Bedürfnis zur Sicherung der Verwaltungsvollstreckung seiner Ausreisepflicht nicht (mehr) ursächlich, wenn nach der unerlaubten Einreise - wie hier - ein Asylverfahren durchgeführt worden ist ([X.], Beschlüsse vom 28. Oktober 2001 - [X.] 210/10, [X.] 2010, 41 Rn. 19, vom 19. Juni 2013 - [X.] 96/12, juris Rn. 17, vom 9. November 2017 - [X.] 15/17, juris Rn. 4, und vom 21. August 2019 - [X.] 138/18, juris Rn. 5).

(b) Es lag aber der von der beteiligten Behörde in dem [X.] geltend gemachte Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 6 [X.] a.[X.] vor, deren Darlegungen sich das Amtsgericht in der Haftanordnung zu Eigen gemacht hatte. Ein konkreter Anhaltspunkt für das Bestehen von Fluchtgefahr im Sinne der genannten Vorschriften kann nämlich auch ein Verhalten des Ausländers an Bord eines Luftfahrzeugs sein, das darauf zielt, von der Beförderung durch den Luftfahrzeugführer ausgeschlossen zu werden. Das Verhalten muss nicht darin bestehen, dass der Ausländer physischen Widerstand leistet oder androht ([X.], Beschlüsse vom 15. September 2016 - [X.] 69/16, [X.] 2017, 58 Rn. 6, und vom 24. Juni 2020 - [X.], juris Rn. 16). Ein solches Verhalten hatte das Amtsgericht in seiner Haftanordnung festgestellt.

(4) Die Haftanordnung ist auch nicht wegen des gerügten Verfahrensfehlers des Amtsgerichts aufzuheben.

(a) Zweifelhaft ist schon, ob Verfahrensfehler des Amtsgerichts im Haftaufhebungsverfahren überhaupt Berücksichtigung finden können. Das Haftaufhebungsverfahren besteht neben der Möglichkeit der Beschwerde und kann auch schon vor Rechtskraft der aufzuhebenden Haftanordnung eingeleitet werden (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, juris Rn. 23). Daraus folgt aber nicht, dass der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens einerseits und der des [X.] andererseits identisch sind. Das Beschwerdeverfahren zielt auf eine umfassende Überprüfung der angefochtenen Haftanordnung. Demgegenüber soll das Haftaufhebungsverfahren sicherstellen, dass der Betroffene nicht in Haft bleibt, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder eine erneute Prüfung ergibt, dass er doch nicht vorgelegen hat. Das Verfahren zielt auf eine eingeschränkte Überprüfung der Haftentscheidung auf ihre sachliche Berechtigung (vgl. Beschlüsse vom 18. September 2008 - [X.] 129/08, [X.]-Report 2008, 1232 Rn. 19, und vom 1. Juni 2017 - [X.] 39/17, [X.] 2017, 347 Rn. 6). Es spricht deshalb einiges dafür, dass Verfahrensfehler nur in dem dafür vorgesehenen Beschwerde-, nicht aber im Haftaufhebungsverfahren geltend gemacht werden können. Die Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.

(b) Der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Er hätte jedenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung der Haftanordnung geführt.

(aa) Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist die Frage eines Betroffenen nach einem Rechtsanwalt in seiner Anhörung in einer [X.] gemäß § 420 Abs. 1 FamFG zwar im Zweifel als Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenskostenhilfe auszulegen ([X.], Beschluss vom 20. Mai 2016 - [X.] 140/15, NVwZ 2016, 1430 Rn. 5). So lag der Fall hier aber nicht. Der Betroffene hatte vielmehr seinen Rechtsanwalt aus dem vorausgegangenen ausländerrechtlichen Verfahren hinzuziehen wollen; das Gericht hat mit Unterstützung der beteiligten Behörde festgestellt, welcher Rechtsanwalt dies war und - nach einer Rückfrage bei diesem - dass er den Betroffenen im vorliegenden haftrechtlichen Verfahren nicht vertritt. Der Betroffene hat auch nicht um Beiordnung eines Rechtsanwalts gebeten, sondern angekündigt, er werde sich um einen neuen Rechtsanwalt bemühen.

([X.]) Selbst wenn diese Ankündigung als Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zu verstehen gewesen wäre, führte das Unterlassen einer Entscheidung über einen entsprechenden Antrag zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung nur, wenn Verfahrenskostenhilfe im Zeitpunkt der Antragstellung zu bewilligen gewesen wäre ([X.], Beschluss vom 20. Mai 2016 - [X.] 140/15, NVwZ 2016, 1430 Rn. 13). Daran fehlt es. Aus den dargestellten Überlegungen hätte ein entsprechender Antrag des Betroffenen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt (vgl. § 76 FamFG, § 114 ZPO).

(5) Die [X.] gegen den Betroffenen musste auch nicht unmittelbar nach dem Eingang der Begründung des [X.] durch die Vertrauensperson des Betroffenen am 3. März 2019 aufgehoben werden. Mit dieser Begründung ist zwar auch eine Kopie der elektronischen Nachricht eines Mitarbeiters des [X.] an die Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige in [X.] vom 20. Februar 2019 vorgelegt worden, in welcher um Entlassung eines anderen Ausreisepflichtigen aus der Haft gebeten wird, weil das [X.] Generalkonsulat nach Mitteilung der [X.] in [X.] gegenwärtig keine [X.]e erteile. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Weigerung der [X.] Behörden, Passersatz-papiere für Ausreisepflichtige auszustellen, auch für die Verlängerung bereits erteilter [X.]e gelten würde, bestanden aber nicht. Deshalb durften die Haftgerichte abwarten, ob die [X.] Behörden auch die Verlängerung des - zudem erst kurz zuvor erteilten - [X.]s für den Betroffenen ablehnen würden. Nach der Verweigerung der Verlängerung ist die Haft auch umgehend von Amts wegen beendet worden.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

[X.]

      

Tolkmitt     

      

[X.]     

      

Meta

XIII ZB 83/19

24.08.2020

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Bonn, 29. März 2019, Az: 4 T 95/19

§ 26 FamFG, § 74 Abs 6 FamFG, § 62b AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.08.2020, Az. XIII ZB 83/19 (REWIS RS 2020, 839)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 839

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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