Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2010, Az. V ZB 121/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 1232

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF [X.] vom 18. November 2010 in der [X.]- 2 - Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 18. November 2010 durch [X.] [X.], die Richterin [X.], [X.] Czub und [X.] und die Richterin [X.] beschlossen: Auf die Rechtsbe[X.] des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 23. April 2010 ihn in seinen Rechten verletzt hat, soweit die Haft zur Sicherung der Abschiebung über den 13. April 2010 hinaus angedauert hat. Der weitergehende Feststellungsantrag wird zurückgewiesen. Der Beteiligte zu 2 trägt 44 % der notwendigen Auslagen des Be-troffenen. Die gerichtlichen Kosten des [X.] werden dem Betroffenen zu 56 % auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt und werden Gerichtskosten nicht erhoben. Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 •. Gründe: [X.] Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste mithilfe einer Schleuserorganisation im Jahr 2000 in das [X.] ein. Er gab vor, [X.] - 3 - [X.] Staatsangehöriger zu sein, und stellte unter Angabe fal[X.] Personalien einen Antrag auf Asyl. Das [X.] für die Anerkennung ausländi[X.] Flüchtlinge (nachfolgend [X.]) lehnte den Asylantrag am 29. November 2000 als offensichtlich unbegründet ab und drohte die Abschiebung in den "Herkunftsstaat" beziehungsweise einen anderen Staat an, in den der Betroffe-ne einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht am 25. Februar 2010 die Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den Betroffenen bis zum 19. Mai 2010 angeordnet. Hiergegen hat sich der Betroffene mit der Be[X.] [X.]. Die für den 13. April 2010 vorgesehene Abschiebung hat das Verwal-tungsgericht mit Beschluss vom 12. April 2010 vorläufig untersagt und zur [X.] ausgeführt, dass die in dem Bescheid des [X.]s vom 29. November 2000 enthaltene Abschiebungsandrohung zu unbestimmt sei, weil ein konkreter [X.] nicht genannt werde. Daraufhin drohte der Beteiligte zu 2 mit Schreiben vom 13. April 2010 die Abschiebung erneut an und [X.] zum [X.]. 2 Die gegen die Haftanordnung gerichtete Be[X.] ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbe[X.]. Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Mai 2010 die Vollziehung der [X.] einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene möchte nunmehr die Feststel-lung erreichen, dass die Be[X.]entscheidung und die Haftanordnung ihn in seinen Rechten verletzt haben. 3 I[X.] Das Be[X.]gericht meint, dass der Beteiligte zu 2 zwischenzeitlich wirksam den [X.] der Abschiebung bestimmt habe. Sowohl die Voraus-setzungen des Haftgrunds nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] als auch 4 - 4 - nach Nr. 5 lägen vor. Der Betroffene sei nach Ablauf seiner Ausreisefrist von 2004 bis 2007 untergetaucht. Er habe sich dann zwar wieder bei der [X.] gemeldet. Der Verdacht der Entziehungsabsicht ergebe sich aber aus dem zeitweiligen Untertauchen und der Täuschung über seine Identität und Herkunft sowie aus dem Umstand, dass er seinerzeit mittels einer Schleuseror-ganisation in die [X.] gelangt sei. Infolge der nachträglichen Konkretisierung der Abschiebungsandrohung durch Bestimmung des [X.]s sei davon auszugehen, dass das Verwal-tungsgericht auf den Abänderungsantrag des Beteiligten zu 2 hin das vorläufige Abschiebungsverbot aufheben werde und die Abschiebung nunmehr am 18. Mai 2010, mithin innerhalb der [X.] nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] erfolgen könne. 5 Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor. Zwar sei es dem Beteiligten zu 2 möglich gewesen, die erforderliche Abschiebungsan-drohung so rechtzeitig nachzuholen, dass die für den 13. April 2010 geplante Abschiebung hätte durchgeführt werden können. Dass der Betroffene infolge dieses Säumnisses der Behörde erst am 18. Mai 2010 abgeschoben werden könne, sei aber mit dem Allgemeininteresse an einer tatsächlichen Abschiebung zu rechtfertigen, zudem halte sich die Verzögerung noch in einem vertretbaren Rahmen, weil der Betroffene jahrelang über seine Identität getäuscht und so die umfangreichen Nachforschungen verursacht habe. 6 II[X.] Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 [X.] statthafte (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - [X.], [X.] 2010, 150, 151; vom 4. März 2010 - [X.], [X.] 2010, 152, 153 und vom 29. April 2010 - [X.], [X.] 2010, 210, 212) 7 - 5 - und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbe[X.] ist teilweise begründet. 1. Die Entscheidung des [X.] ist rechtsfehlerhaft und hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (§ 62 Abs. 1 FamFG), weil das Be-[X.]gericht die Abschiebungshaft nach dem Scheitern der am 13. April 2010 vorgesehenen Abschiebung des Betroffenen hätte aufheben müssen. 8 a) Eine solche Entscheidung ist geboten, wenn die Haftanordnung zwar rechtmäßig war, der Grund für die Freiheitsentziehung danach aber gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 FamFG weggefallen ist. Darauf ist ein die Freiheitsentzie-hung anordnender Beschluss im Be[X.]verfahren ebenfalls von Amts we-gen zu überprüfen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - [X.], [X.] 2010, 150, 152 Rn. 27; vom 10. Juni 2010 - [X.], NVwZ 2010, 1172, 1173 Rn. 18). Berücksichtigt werden müssen auch erst nach der Haftanordnung entstandene, auf Entscheidungen der Verwaltungsgerichte beruhende [X.] (vgl. [X.], NJW 1987, 3076; NVwZ 1996, Beilage 3, [X.], 18; NJW 2009, 2659, 2660). 9 b) Die Haftanordnung war allerdings nicht allein deswegen aufzuheben, weil das Verwaltungsgericht die Abschiebung des Betroffenen vorläufig [X.] hatte. [X.], die auf einstweiligen Anordnungen der Verwaltungsgerichte nach §§ 80, 123 VwGO beruhen, stellen nämlich nur dann zugleich [X.] dar, wenn sie einer Abschiebung auf Dauer oder auf längere Zeit entgegenstehen (vgl. [X.], NJW 1987, 3076; NVwZ 1996, [X.], [X.], 18; NJW 2009, 2659, 2660). Liegt eine solche Anordnung des [X.] vor, muss der Haftrichter im Rahmen der von ihm nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] vorzunehmenden Prognose darüber befinden, ob das Hafthindernis innerhalb der Frist von drei Monaten seit Haftbeginn [X.] - 6 - sichtlich behoben werden wird ([X.], NVwZ 1996, Beilage 3, [X.], 18; NJW 2009, 2659, 2660). Die erforderliche Prognose hat das Be[X.]gericht vorgenommen, wobei es auf der Grundlage der Hinweise des [X.] an den [X.] zu 2, den [X.] nach § 59 Abs. 2 [X.] bestimmen und danach einen Abänderungsantrag analog § 80 Abs. 7 VwGO stellen zu können, von einem Erfolg des Rechtsbehelfs des Beteiligten zu 2 und von einer Durchführ-barkeit der Abschiebung noch innerhalb von drei Monaten ausgegangen ist. Diese Prognose war nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie sich im Nachhinein als unzutreffend herausgestellt hat. Dass der Betroffene nachfolgend vor dem Verwaltungsgericht sogenannte zielstaatsbezogene [X.] nach § 60 Abs. 7 [X.] geltend machte und deswegen auch die am 18. Mai 2010 vorgesehene Abschiebung scheiterte, musste das Be[X.]gericht nach dem Vorbringen des Betroffenen bis zu seiner Entscheidung nicht erahnen. 11 c) Eine Aufhebung der Haft war jedoch deshalb zwingend geboten, weil bei pflichtgemäßem Vorgehen des Beteiligten zu 2 die Abschiebung am 13. April 2010 - mithin schon vor der Entscheidung des [X.] - durchgeführt worden und die Freiheitsentziehung damit beendet gewesen wäre. 12 aa) Das Scheitern der ersten Abschiebung beruhte nämlich auf [X.] des Beteiligten zu 2. 13 (1) Nach den Feststellungen des [X.] hätte der Beteiligte zu 2 den [X.] dem Betroffenen so rechtzeitig benennen können, dass das Verwaltungsgericht die am 13. April 2010 vorgesehene Abschiebung nicht ver-hindert hätte. 14 - 7 - (2) Zu einer solchen Benennung war er gegenüber dem Betroffenen auch verpflichtet. Wenn - wie hier - die Abschiebungsandrohung einen [X.] nicht oder nicht namentlich bezeichnet, muss der konkrete [X.] dem Betrof-fenen vor der Abschiebung in einer Weise bezeichnet werden, dass er einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutz erlangen kann. Das gilt auch, wenn der Ausländer keine oder falsche Angaben über sei-ne Staatsangehörigkeit gemacht hat ([X.], 343, 346). 15 Diesen Anforderungen ist der Beteiligte zu 2 nicht nachgekommen. Der Beschluss des [X.] beruhte darauf, dass der [X.] nicht konkretisiert war. Dieser wurde dem Betroffenen erst am 13. April 2010 schrift-lich mitgeteilt. Der davon abweichende, neue Sachvortrag des Beteiligten zu 2 in der [X.], dem Betroffenen sei bereits am 25. Februar 2010 mündlich mitgeteilt worden, er werde nach [X.] abgeschoben, kann im Rechtsbe[X.]verfahren nicht berücksichtigt werden ([X.]/[X.], FamFG, 16. Aufl., § 74 Rn. 35 f. mwN). 16 [X.]) Vor diesem Hintergrund führte die Aufrechterhaltung der Haft in der Be[X.]entscheidung für eine erst nach weiteren fünf Wochen durchzufüh-rende Abschiebung zu einem unverhältnismäßigen Entzug der persönlichen Freiheit des Betroffenen. 17 Kann eine an sich mögliche Abschiebung - wie hier - infolge eines zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führenden Versäumnisses der Ausländerbehörde nicht erfolgen, ist das von dem Haftrichter bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer zu berücksichtigen. Dabei ist davon [X.], dass die Verlängerung der Haft, die auf einer für die [X.] vermeidbaren Verzögerung bei der Abschiebung beruht, einen an sich nicht erforderlichen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen bewirkt. Muss 18 - 8 - die Haft infolge des Versäumnisses der Behörde nicht nur um einen ganz kurz-fristigen Zeitraum verlängert werden, ist weiter zu beachten, dass sich das Ge-wicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften mit zunehmender Dauer der Haft regelmäßig vergrößert ([X.], NVwZ 1996, Beilage 3, [X.], 18). Danach stellt sich die wegen eines Fehlers der Behörde nötig werdende Fortdauer der Haft über mehrere Wochen als ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen dar (vgl. [X.], [X.], 639; [X.], [X.], 891, 892). [X.]) Demgegenüber fällt es entgegen der Ansicht des [X.] nicht ins Gewicht, dass der Betroffene auch in diesem Verfahren falsche Angaben über seine Identität und Staatsangehörigkeit gemacht und erst in [X.] Be[X.]schrift sich wahrheitsgemäß erklärt hat. Die Pflicht der Behörde nach § 59 Abs. 2 [X.], dem Ausländer rechtzeitig den [X.] der [X.] Abschiebung mitzuteilen, soll diesem ermöglichen, darauf bezogenen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Die Informationspflicht der Behörde über den [X.] besteht unabhängig davon, wie sich der Ausländer im Verfahren verhalten hat (vgl. [X.], 343, 346). 19 2. Die Haftordnung des Amtsgerichts vom 25. Februar 2010, die nach dem im Rechtsbe[X.]verfahren gestellten Antrag ebenfalls Gegenstand rechtlicher Nachprüfung ist (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - [X.], [X.] 2010, 152, 154), hat den Betroffenen dagegen nicht in seinen Rechten verletzt. 20 a) Die Annahme der Haftgründe nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 5 [X.] in der Haftanordnung ist unter Berücksichtigung der Feststellungen des [X.] rechtsfehlerfrei. Einwände erhebt die [X.] - 9 - [X.] insoweit auch nicht. Aufgrund der von dem Be[X.]gericht ange-stellten Prognose über die Durchführbarkeit der Abschiebung (siehe oben 1.b)) wirkt es sich im Ergebnis nicht aus, dass die erstinstanzliche Entscheidung [X.] nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] erkennen lässt (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - [X.], NVwZ 2010, 1172, 1174 Rn. 37). b) Das Amtsgericht musste - entgegen der Ansicht der [X.] - nicht deshalb von der Anordnung einer Sicherungshaft absehen, weil in der Abschiebeandrohung der [X.] der Abschiebung nicht konkret benannt war. Der Haftrichter hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt; denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsge-richtsbarkeit (Senat, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - [X.] 148/09, [X.] 2010, 50). Der insoweit erforderliche Rechtsschutz ist hier dem Betroffenen durch die Entscheidung des [X.] vom 12. April 2010 auch ge-währt worden. 22 - 10 - [X.] Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 84 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. 23 [X.] Czub

Roth [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom [X.] - 9 XIV 9/10 B - [X.], Entscheidung vom [X.]/10 -

Meta

V ZB 121/10

18.11.2010

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.11.2010, Az. V ZB 121/10 (REWIS RS 2010, 1232)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1232

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 246/11 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaftverfahren: Anforderungen an die Zulässigkeit des Haftantrags


V ZB 226/10 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaftverfahren: Einvernehmen der Ermittlungsverfahren führenden Staatsanwaltschaften; Anforderungen an den Haftantrag


V ZB 226/10 (Bundesgerichtshof)


V ZB 13/10 (Bundesgerichtshof)


V ZB 264/10 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaft: Haftanordnung im Mutterschutz; Pflicht des Haftrichters zur Berücksichtigung einer ärztlichen Untersuchung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

V ZB 172/09

V ZB 184/09

V ZB 218/09

V ZB 204/09

V ZB 14/10

V ZB 79/10

V ZA 9/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.