Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2011, Az. XII ZB 526/10

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 9624

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[X.]BESCHLUSS [X.] 526/10 vom 9. Februar 2011 in der [X.]
Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: [X.] § 1896 Abs. 1 a; FamFG § 280 Abs. 1 a) Nach der zum 1. Juli 2005 eingeführten Vorschrift des § 1896 Abs. 1 a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist deswegen ne-ben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. b) Zu den Anforderungen an die fachliche Qualifikation eines Sachverständigen nach § 280 Abs. 1 FamFG (Abgrenzung zum Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 383/10 - FamRZ 2010, 1726 zur Unterbringung). [X.], Beschluss vom 9. Februar 2011 - [X.] 526/10 - [X.] - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 9. Februar 2011 durch die Vorsitzende Richterin [X.], die Richterin [X.] und [X.], Schilling und Dr. Günter beschlossen: Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 23. September 2010 wird [X.]. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 Satz 2 [X.]). Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Gründe: [X.] Das Amtsgericht hat dem Betroffenen nach Einholung eines Sachver-ständigengutachtens und persönlicher Anhörung mit Beschluss vom 19. Juli 2010 eine Betreuerin mit den [X.]n der Vermögenssorge, der [X.] gegenüber Behörden, Versicherung, Renten- und Sozialleistungsträgern und für die Entgegennahme und das Öffnen der Post im Rahmen der übertra-genen [X.] bestellt. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] ein Zusatzgutachten zu der Frage eingeholt, ob der Betroffene, der der Einrichtung der Betreuung widerspricht, in der Lage ist, im Rahmen der Wirkungskreise einen freien Willen gemäß § 1896 Abs. 1 a BGB zu bilden. Nach Eingang des Sachverständigengutachtens hat das [X.] die [X.] - 3 - schwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbe-schwerde des Betroffenen. I[X.] 2 Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. 1. Die Rechtsbeschwerde rügt einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB. Nach dieser zum 1. Juli 2005 eingeführten Vorschrift darf gegen den [X.] ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betrof-fene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. 3 a) Die Vorschrift beruht auf der Rechtsprechung des [X.], wonach die Einrichtung einer Betreuung den Betreuten ganz oder teilweise in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG einschränkt. An seiner Stelle kann innerhalb des vom Gericht angeordneten [X.]s auch der Betreuer entscheiden. Je nach Aufgabenkreis kann es deshalb auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten zu Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Willen des Betreuten kommen. Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen gegen den Willen des zu Betreuenden setzt [X.] voraus, dass der Betreute seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Der Staat hat von [X.] wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger in ihrer Freiheit zu beschränken, ohne dass sie sich selbst oder andere gefährden. Die Bestellung eines Betreuers, ohne dass hinreichende Tatsachen für eine Beeinträchtigung des freien Willens 4 - 4 - vorliegen, verletzt deshalb das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG ([X.] FamRZ 2010, 1624 Rn. 43). 5 Hinzu kommt, dass das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen des eigenen Persönlichkeits-bildes schützt. Die Einrichtung einer Betreuung hat für den Betroffenen stigma-tisierende Wirkung. Mit ihr ist die Einschätzung verbunden, der Betreute könne einen freien Willen nicht bilden. Hierdurch wird das Persönlichkeitsbild des Be-troffenen negativ geprägt und beeinträchtigt. Ein solcher Eingriff in das Persön-lichkeitsrecht ist nur gerechtfertigt, wenn das zuständige Betreuungsgericht nach angemessener Untersuchung des Sachverhalts davon ausgehen darf, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung tatsächlich ge-geben sind. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Betreuung im Wege einer einstweiligen Anordnung eingerichtet wird ([X.] FamRZ 2010, 1624 Rn. 46). Ebenso hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass jeder das Recht habe, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit [X.]rang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Ist Letzteres nicht der Fall, hat der Staat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Soweit der Betroffene zur freien Willensbestimmung fähig ist, darf gegen seinen Willen ein Betreuer nicht bestellt werden. Eine Bestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stellt einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu be-seitigen ist (BT-Drucks. 15/2494 S. 28). 6 Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im [X.] deckungsgleich. Die beiden 7 - 5 - entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfä-higkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wi-der eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und ge-geneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderun-gen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an ei-nem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. So vermag ein an einer Psycho-se erkrankter Betroffener das Wesen und die Bedeutung einer Betreuung im Detail eher zu begreifen als der an einer Demenz leidende Betroffene. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen [X.] treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können (BT-Drucks. 15/2494 S. 28). Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknot-wendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen ([X.], 1436 Rn. 9; [X.] FamRZ 2009, 152 Rn. 10; [X.] FamRZ 2006, 1710 Rn. 4; [X.] 2006, 117 Rn. 5). Diese Voraussetzungen hat das fachärztlich beratene Gericht fest-zustellen. 8 b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind diese Voraus-setzungen hier erfüllt. Das [X.] hat zu dieser Frage ein Ergänzungsgut-achten eingeholt und der Sachverständige hat insoweit festgestellt, dass der 9 - 6 - Betroffene im Umfang der angeordneten Betreuung nicht zu einer freien Wil-lensbestimmung in der Lage sei. Infolge der extremen Störung seines Kurzzeit-gedächtnisses ist es dem Betroffenen nicht möglich, die Diskrepanz zwischen seiner eigenen Wahrnehmung und den von der Betreuungsbehörde ermittelten tatsächlichen Verhältnissen zutreffend einzuschätzen. Dies ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. 2. Soweit die Rechtsbeschwerde die Verwertung des Gutachtens und des Ergänzungsgutachtens rügt, weil sich aus der Akte nicht ergebe, dass der Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie im Sinne des § 280 Abs. 1 FamFG sei, bleibt ihr der Erfolg [X.], weil § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG insoweit lediglich eine Sollvorschrift ent-hält. 10 Im Rahmen der Einrichtung einer Betreuung "soll" der Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Nur bei psychischen Krankheiten oder geistig-seelischen Behinderungen "ist grundsätzlich" ein Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu beauftragen, zumindest aber ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt (zum früheren Recht vgl. [X.] Beschluss vom 16. Januar 2007 - 11 [X.] - juris Rn. 7; [X.], 351, 352). Der Gesetzgeber hat insoweit bewusst eine Sollvorschrift gewählt, um anderen Erkrankungen Rechnung zu tragen, die nicht lediglich aus psychiatrischer Sicht beurteilt werden können. In solchen Fällen sind eine Facharztausbildung oder Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie nicht zwingend erforderlich. Dabei unterscheidet sich diese Vorschrift von § 321 Abs. 1 Satz 4 FamFG, wonach der Gutachter im Rahmen einer Unterbringung Arzt für Psychiatrie sein soll und jedenfalls Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychiatrie haben "muss" (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - [X.] 383/10 - FamRZ 2010, 1726 Rn. 13 ff.). Im Hinblick auf das vorliegende 11 - 7 - hirnorganische Psychosyndrom des Betroffenen mit massiver Störung des Kurzzeitgedächtnisses erfüllt der beauftragte Amtsarzt deswegen die Voraus-setzungen des § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG. 12 Die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG iVm § 564 Satz 1 ZPO). 3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG ab-gesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätz-licher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitli-chen Rechtsprechung beizutragen. 13 Hahne [X.] Dose

Schilling

Günter Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 16.07.2010 - [X.] - [X.], Entscheidung vom 23.09.2010 - 4 T 927/10 -

Meta

XII ZB 526/10

09.02.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.02.2011, Az. XII ZB 526/10 (REWIS RS 2011, 9624)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9624

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XII ZB 454/11 (Bundesgerichtshof)


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