Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.05.2023, Az. 5 StR 483/22

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 3290

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Notwendiger Urteilsinhalt bei Tatnachweis durch Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen


Tenor

1. Im Fall II.4 der Urteilsgründe wird der Vorwurf des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO von der Strafverfolgung ausgenommen.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird

a) das Urteil des [X.] vom 1. Juli 2022 im Schuldspruch im Fall II.4 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung schuldig ist,

b) das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

aa) im Schuldspruch in den Fällen II.1 und II.2 der Urteils gründe,

bb) im Strafausspruch im Fall II.4 der Urteilsgründe,

cc) im Gesamtstrafausspruch.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (II.1 und II.2 der Urteilsgründe), des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ([X.]) und des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit bewaffnetem Sichverschaffen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung (Fall II.4 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Anrechnungsmaßstab für erlittene Auslieferungshaft bestimmt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Der Senat hat mit Zustimmung des [X.] im Fall II.4 den Vorwurf des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG aus prozessökonomischen [X.]ünden gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO von der Strafverfolgung ausgenommen, da insoweit ein Vollstreckungshindernis aufgrund des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes besteht (§ 83h Abs. 1 [X.]). Die Beschränkung führt zu der aus der [X.] ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs, die angesichts der strafschärfenden Berücksichtigung des tateinheitlich verwirklichten, nunmehr von der Strafverfolgung ausgenommenen Verbrechens nach § 30a Abs. 2 BtMG den Wegfall der im Fall II.4 verhängten [X.] zur Folge hat.

3

2. Die Verurteilung in den Fällen II.1 und II.2 hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

4

a) Das [X.] hat insoweit festgestellt, der Angeklagte habe an zwei nicht näher bestimmbaren Tagen im [X.]raum vom 18. August bis 2. Oktober 2018 an den gesondert verfolgten [X.].         im Stadtgebiet von [X.]     im ersten Fall (II.1) mindestens 100 [X.]amm [X.] zum Preis von 4.500 Euro und im zweiten Fall (II.2) ein Kilogramm Marihuana zum Preis von 3.000 Euro sowie 150 [X.]amm [X.] zum Preis von 6.000 Euro verkauft und übergeben. Die Betäubungsmittel hatten einen durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 65 Prozent S-Methamphetamin-Base ([X.]) und 4 Prozent THC (Marihuana).

5

b) Das [X.] hat die Feststellungen zum Tathergang und seine Überzeugung von der Täterschaft des – hierzu schweigenden – Angeklagten maßgeblich auf die Angaben des [X.]     gestützt. Allein dieser Zeuge hatte den Angeklagten als Täter identifiziert, allerdings nur anlässlich seiner eigenen polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das [X.]. Der Zeuge hatte bekundet, im Tatzeitraum gemeinsam mit dem gesondert verfolgten [X.].         mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. In diesem Rahmen sei es bei zwei Gelegenheiten zur Übergabe größerer Betäubungsmittelmengen (wie festgestellt) durch „Tschetschenen“, darunter den Angeklagten, gekommen. Der Zeuge habe den gesondert Verfolgten mit dem Pkw zum Übergabeort, einem Hinterhof in [X.]     , gefahren. Dort habe er aus kurzer Entfernung beobachtet, wie drei „Tschetschenen“ zur Abwicklung des Geschäfts in einen dort stehenden Pkw [X.] mit B.     er Kennzeichen eingestiegen seien. Der gesondert Verfolgte habe die Betäubungsmittel vom „Hauptakteur“ überreicht bekommen. Diesen habe der Zeuge später bei der Polizei „anhand der [X.]“ als den Angeklagten identifiziert. Die weiteren Ermittlungen der Polizei ergaben, dass ein Pkw mit B.     er Kennzeichen auf den Angeklagten zugelassen gewesen war und dieser, so wie vom [X.]     in Bezug auf den „Verkäufer“ berichtet worden war, „etwas, mit Boxen“ „zu tun“ gehabt habe.

6

c) Die Beweiswürdigung des [X.]s erweist sich auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen [X.] (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 6. August 2020 – 1 [X.], [X.], 184, 185 mwN) als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

7

aa) In schwierigen Beweislagen, zu denen Konstellationen zählen, in denen – wie hier – der [X.] im Wesentlichen auf dem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht, ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen [X.]ünden regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben (vgl. [X.], [X.] vom 30. April 2003 – 2 BvR 2045/02, NJW 2003, 2444, 2445; [X.], Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 [X.], [X.], 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 [X.], [X.], 283). Um die tatgerichtliche Würdigung nachvollziehen zu können, bedarf es zudem eines Abgleichs der Beschreibung des Zeugen mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten ([X.], Beschluss vom 25. Januar 2006 – 5 [X.], [X.], 212). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.

8

bb) Im Urteil fehlen jegliche Angaben dazu, welche Merkmale oder Ausprägungen der Erscheinung des Angeklagten den [X.]     im [X.]punkt seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in die Lage versetzt haben sollen, ihn „anhand einer [X.]“ wiederzuerkennen.Darüber hinaus gibt es im Urteil keine Täterbeschreibung. Schon aus diesen [X.]ünden leidet die Beweiswürdigung unter erheblichen Lücken. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung „nicht direkt als den von ihm identifizierten Täter benennen“ „wollte“. Besondere Anforderungen an die Darlegungen des [X.] ergaben sich hier aber auch zusätzlich daraus, dass der Zeuge den Angeklagten vor den festgestellten [X.] nicht kannte. Dies folgt aus seinem Bekunden, wonach ihm der gesondert Verfolgte die „Tschetschenen“ als „neue Geschäftspartner“ präsentiert habe, bevor es zu dem Treffen auf einem [X.]    er Hinterhof kam. Für derartige Identifizierungsleistungen gilt: Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze [X.] beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf dessen subjektive Gewissheit beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen ([X.], Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 [X.], [X.], 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 [X.], [X.], 283).

9

Diese Anforderungen erfüllt das Urteil nicht. Zur konkreten Wahrnehmungssituation des Zeugen bei der jeweiligen Betäubungsmittelübergabe, insbesondere dazu, ob er den Angeklagten hierbei längere [X.] beobachten oder nur kurzzeitig sehen konnte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es kann nicht nachvollzogen werden, wie der Zeuge von seiner Position heraus den Angeklagten als „Fahrer“ und „Hauptakteur“, welcher „etwas mit Boxen zu tun“ habe, ausmachen konnte. Die Wahrnehmung solch markanter Eigenschaften erscheint angesichts dessen, dass die „Tschetschenen“ in einen parkenden Pkw stiegen, ungewöhnlich; erst recht mit Blick darauf, dass die polizeiliche Sachbearbeiterin die Angaben des Zeugen zu diesen Vorfällen als eine „absolute Randnotiz“ bezeichnete. Aufgrund der aufgezeigten Erörterungsmängel entbehrt die Schlussfolgerung des [X.]s, der Zeuge habe den Angeklagten „eindeutig“ „anhand der [X.]“ identifiziert – ungeachtet dessen, dass auch hier erforderliche Ausführungen zur konkreten Durchführung der Lichtbildvorlage bei der Polizei fehlen (dazu vgl. [X.], Beschluss vom 4. April 2023 – 6 StR 110/23) – jeder [X.]undlage.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Mit der Aufhebung der Schuldsprüche entfallen die in den Fällen II.1 und II.2 verhängten [X.]n.

3. Der Wegfall der [X.]n in den Fällen II.1, II.2 und II.4 entzieht auch dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die [X.]undlage.

4. Die [X.] und Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang hat der Kostenentscheidung die [X.]undlage entzogen, so dass die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde gegenstandslos geworden ist.Für eine (isolierte) Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich der Verfolgungsbeschränkung ist kein Raum (vgl. [X.], Beschlüsse vom 31. Mai 2016 – 3 StR 54/16; vom 4. September 2014 – 1 StR 70/14).

Cirener     

  

Gericke     

  

[X.]

  

von Häfen     

  

Werner     

  

Meta

5 StR 483/22

25.05.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dresden, 1. Juli 2022, Az: 3 KLs 424 Js 35697/21

§ 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.05.2023, Az. 5 StR 483/22 (REWIS RS 2023, 3290)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3290

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