Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2012, Az. 2 StR 219/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3256

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 219/12
vom
12.
September 2012
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers
am 12.
September 2012 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24.
Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] in zwei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verlet-zung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Mit Recht beanstandet der Beschwerdeführer, dass das [X.] unter Verstoß gegen §
261 StPO in seiner Beweiswürdi-gung die Aussage eines Zeugen berücksichtigt hat, der in der Hauptverhand-lung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Dem liegt Folgendes zugrunde:
1
-
3
-
1. Nach den Feststellungen des [X.] verblieb die zur Tatzeit
10-jährige Geschädigte in den Herbstferien 2001 allein bei dem Angeklagten in dessen Wohnung, nachdem ihre Mutter, die sie zunächst begleitet hatte, eines Morgens unerwartet abreisen musste. Den [X.] verbrachte die Ge-schädigte sodann mit dem Angeklagten und dessen 11-jährigem [X.], der ge-gen Abend ebenfalls die Wohnung verließ. Der
Angeklagte sah sich mit der Geschädigten
zunächst einen Videofilm an, bevor er ihr einen Zungenkuss gab, sie anschließend auszog und mit ihr den Vaginalverkehr vollzog (Fall II.
1 der Urteilsgründe). An mindestens einem weiteren Abend während des [X.] vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten wiederum den Vaginalverkehr (Fall II.
2). Bei einem Besuch einige Wochen später streichelte der Angeklagte die Geschädigte an ihrer unbedeckten Brust (Fall II.
3). Anfang 2002 legte er den Arm um
ihren Körper und versuchte, sie zu küssen (Fall II.
4).
Der Angeklagte hat die Taten bestritten und sich dahingehend einge-lassen, sein [X.] habe am [X.] der Mutter zusammen mit der [X.] im Nebenzimmer übernachtet. Das [X.] hat die Einlassung des Angeklagten durch die Aussage der Geschädigten als widerlegt angese-hen. Ihre Angaben, der [X.] des Angeklagten habe gegen Abend des [X.] die Wohnung verlassen, werde bestätigt durch die Aussage des [X.]es, der Entsprechendes bekundet habe. Die Überzeugung von dem fest-gestellten Tatgeschehen hat das [X.] im Folgenden auf die für [X.] erachteten und im Fall II.
1 durch die Aussage des [X.]es bestätigenden Angaben der Geschädigten gestützt.
2. Die formgerecht ausgeführte Verfahrensrüge der Verletzung des §
261 StPO dringt durch. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der [X.] des Angeklagten nicht zur Sache ausgesagt, sondern nach seiner Belehrung als Zeuge von seinem Aussageverweigerungsrecht gemäß §
52 StPO Ge-2
3
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4
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brauch gemacht. Der [X.] vermag auch auszuschließen, dass entsprechende Angaben des [X.]es im Wege der Vernehmung einer Verhörsperson einge-führt worden sein können. Denn ungeachtet dessen, dass sich dafür kein An-halt findet (s. auch § 252 StPO), hat sich die Kammer ausdrücklich auf die Aus-sage des [X.]es gestützt
(vgl. auch [X.], Beschluss vom 9. Februar 2010 -
4
StR 355/09, [X.], 409; Beschluss vom 7. Mai 2012 -
5 [X.], [X.], 257). Die Kammer hat damit ein nicht in die Verhandlung
einge-führtes Beweismittel berücksichtigt.
Auf diesem [X.] beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Obgleich das [X.] die Angaben der Geschädigten auch einer gesonder-ten Glaubhaftigkeitsbeurteilung unterzogen hat, ist nicht auszuschließen, dass es ohne die Verwertung der tatsächlich nicht erfolgten Angaben des [X.]es zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hinter-grund der hier gegebenen besonderen Anforderungen an die Beweiswürdi-gung. In einem Fall, in dem
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wie vorliegend
-
unmittelbar tatbezogene weitere Beweismittel fehlen und damit Aussage gegen Aussage steht, kann zwar allein auf der Grundlage der Angaben des einzigen Belastungszeugen verurteilt wer-den, wenn das Tatgericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage nach einer be-sonderen Glaubwürdigkeitsprüfung dieses einzigen Zeugen überzeugt ist. Dies erfordert aber, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, in seine Überlegungen
einbezogen und eine Gesamtwürdigung aller auch außerhalb der Aussage liegenden Indizien vorgenommen hat (st. Rspr. vgl. nur [X.],
Beschluss vom 22. April 1987 -
3 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdi-gung; Beschluss vom 18. Juni 1997 -
2 [X.], [X.], 16). Unter Beachtung dessen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das [X.] insgesamt zu einer anderen Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten gelangt wäre, wenn es nicht gestützt auf die angeblichen Angaben des [X.]es 5
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5
-
schon die Einlassung des Angeklagten als widerlegt und gleichzeitig die entge-genstehende Aussage der Geschädigten zu Fall II.
1 als bestätigt erachtet hätte (vgl. auch [X.], Beschluss vom 16. Juli 2009 -
5 [X.]/09).
3. Für die neue Hauptverhandlung gibt der [X.]
zu bedenken: Sollte sich das [X.] im Falle einer erneuten Verurteilung wiederum von einer bei dem Angeklagten vorliegenden ausgeprägten histrionischen und narzissti-schen Persönlichkeit sowie einer pädophilen Nebenströmung überzeugen, sind diese Faktoren im Hinblick auf das Vorliegen eines Eingangsmerkmals im Sin-ne des § 20 StGB nicht nur isoliert zu betrachten und zu würdigen. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner Entwicklung sowie der Taten selbst und
des Nachtatgeschehens (vgl. [X.], Beschluss vom 27. März 2007 -
5 [X.], [X.], 518, 519 mwN;
Urteil vom 12. Juni 2008 -
3 [X.]/08, [X.], 258, 259; vgl. auch
[X.]/[X.]/[X.]/[X.], NStZ 2005, 57, 60). In eine solche Gesamtbe-trachtung wäre auch die ausweislich der Feststellungen im Jahr 2001 erfolgte psychiatrische Behandlung des Angeklagten einzustellen.
Sofern sich das Tatgericht erneut davon überzeugt, dass der Angeklagte im Fall II.
4 der Urteilsgründe versucht hat, die Geschädigte zu küssen, wird es auch zu prüfen haben, ob insoweit die Erheblichkeitsschwelle des §
184g Nr.
1 StGB überschritten ist. Als erheblich im Sinne dieser Vorschrift sind nur solche Handlungen zu werten, die nach Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen ([X.], Urteil vom 24. September 1991 -
5 [X.], [X.], 324; Urteil vom 20. März 2012 -
1 [X.]). Bei einem Kussversuch ist dies nicht ohne weiteres der Fall (vgl. [X.], Urteil vom 24.
September 1987 -
4 [X.], [X.], 70, 71; Beschluss vom 30.
Januar 2001 -
4 StR 569/00 2001, 370, 371; vgl. auch [X.], Beschluss vom 6
7
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6
-
8.
Februar 2006 -
2 StR 575/05, [X.], 251, 252; [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2009 -
1 [X.], [X.], 45). Dass der Angeklagte weitergehende sexuelle Handlungen beabsichtigte und seine Tat auch insoweit im Versuchsstadium steckengeblieben ist, ist bisher nicht [X.].

[X.]

Appl

Berger

Ri[X.] Dr. [X.] befindet

Ott

sich im Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Meta

2 StR 219/12

12.09.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2012, Az. 2 StR 219/12 (REWIS RS 2012, 3256)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3256

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2 StR 219/12

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1 StR 447/11

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