Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.12.2023, Az. B 4 AS 44/23 C

4. Senat | REWIS RS 2023, 9502

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Anhörungsrüge - Berufungsverfahren - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - Abweisung einer unzulässig geänderten Klage


Tenor

Auf die Anhörungsrüge der Klägerin vom 16. April 2023 wird das Verfahren über ihren Antrag, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 9. Januar 2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt J, B, beizuordnen, fortgeführt.

Der Beschluss des Senats vom 20. März 2023, mit dem der vorbezeichnete Antrag der Klägerin abgelehnt wurde, bleibt aufrechterhalten.

Gründe

1

1. Auf die zulässige und begründete sinngemäße Anhörungsrüge der Klägerin war das Verfahren fortzuführen (§ 178a Abs 5 Satz 1 [X.]), weil sich aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt, dass sie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ([X.]) fristgerecht gestellt hat.

2

2. Der Beschluss des Senats vom [X.] ist aber gemäß § 178a Abs 5 Satz 4 [X.] iVm § 343 ZPO (im Ergebnis) aufrechtzuerhalten, weil der Antrag auf Bewilligung von [X.] mangels Erfolgsaussichten abzulehnen ist.

3

Nach § 73a Satz 1 [X.] iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem [X.] nur dann [X.] bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nicht ausreichend ist nur eine entfernte Erfolgsaussicht ([X.] vom 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 ua - [X.]E 81, 347 [357]; [X.] [Kammer] vom 25.4.2012 - 1 BvR 2869/11 - [X.]K 19, 384 [386]). Insofern ist zu berücksichtigen, dass Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG auch einer Besserstellung desjenigen, der seine Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten muss und daher von vorneherein kein Kostenrisiko trägt, gegenüber dem [X.], der sein Kostenrisiko wägen muss, entgegensteht ([X.] [Kammer] vom 18.11.2009 - 1 BvR 2455/08 - [X.], 406 [408]; [X.] [Kammer] vom [X.] - 1 BvR 1974/08 - [X.]-1500 § 73a [X.] Rd[X.]3; [X.] [Kammer] vom 14.12.2011 - 1 BvR 2735/11 - juris Rd[X.]; [X.] [Kammer] vom 25.4.2012 - 1 BvR 2869/11 - [X.]K 19, 384 [386]). Muss aber [X.] selbst nicht schon immer dann gewährt werden, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden ist ([X.] [Kammer] vom 8.12.2020 - 1 BvR 149/16 - juris Rd[X.]4), ist der Antrag auf [X.] jedenfalls insbesondere dann abzulehnen, wenn eine Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden ist.

4

Nach diesen Maßstäben liegen keine hinreichenden Erfolgsaussichten vor. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 [X.]) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen. Da kein Anspruch auf Bewilligung von [X.] besteht, sind auch die Anträge auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 121 ZPO).

5

Nach § 160 Abs 2 [X.] ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat ([X.]), das Urteil des [X.] von einer Entscheidung des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ([X.]) oder des [X.] abweicht und auf dieser Abweichung beruht ([X.]) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann ([X.] 3).

6

Solche Zulassungsgründe sind nach summarischer Prüfung des Streitstoffs auf der Grundlage des Inhalts der Gerichtsakten sowie unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin nicht erkennbar.

7

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) ist nur anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Dies ist hier nicht der Fall. Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen, weil die Klage aufgrund anderweitiger Rechtshängigkeit teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet sei, weil die Voraussetzungen des § 44 SGB X und des § 22 Abs 1 [X.] nicht vorlägen. Dies betrifft die Umstände des Einzelfalls, wirft aber keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Gleiches gilt für die Beurteilung der Klageerweiterung, die das [X.] für unzulässig erachtet hat.

8

Es ist auch nicht erkennbar, dass die Entscheidung des [X.] von einer Entscheidung des [X.], des [X.] oder des [X.] abweicht, weshalb eine [X.] keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]).

9

Nach Aktenlage ist schließlich nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung des [X.] beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 1 [X.]). Insbesondere stellt es keinen Verfahrensmangel dar, dass das [X.] auch über die - nach seiner Ansicht vorliegende - Klageerweiterung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] entschieden hat (allgemein zu den Voraussetzungen nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] [X.] vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - juris Rd[X.] f mwN). Zwar ermächtigt diese Norm das [X.] nur, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Dies schließt aber zumindest die Möglichkeit ein, zugleich auch eine im Berufungsverfahren unzulässig geänderte Klage abzuweisen ([X.] vom 14.4.2010 - B 8 [X.] 22/09 B - juris Rd[X.] 6; [X.] vom [X.] KR 16/16 B - juris Rd[X.] 6; [X.] vom 3.1.2022 - B 1 KR 16/21 B - juris Rd[X.]1; vgl auch [X.] vom [X.] - 6 [X.] - juris Rd[X.] f). Anderenfalls hätte es ein Kläger in der Hand, durch jede noch so sinnlose Klageänderung eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 [X.] zu verhindern, obwohl diese Verfahrensweise gerade nicht zur Disposition des [X.] steht (vgl zu Letzterem [X.] vom [X.] - B 12 KR 21/19 R - [X.]E 129, 106 = [X.]-2400 § 7 [X.] 45, Rd[X.]1; [X.] vom [X.] [X.]/21 B - juris Rd[X.] 4; [X.] vom [X.] - juris Rd[X.]). Im Übrigen ist auch sonst nach der Rechtsprechung des [X.] das [X.] nicht darauf beschränkt, die Berufung zurückzuweisen, sondern kann durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] auch darüber entscheiden, ob sich das Verfahren durch Berufungsrücknahme oder [X.] erledigt hat ([X.] vom 8.12.2020 - B 4 [X.]/20 B - juris Rd[X.]; [X.] vom 10.5.2022 - B 1 KR 9/21 BH - juris Rd[X.]3; implizit auch [X.] vom 15.10.2020 - [X.] R 83/20 B - juris Rd[X.]0 ff), und über Urteilsergänzungsanträge ([X.] vom [X.] KR 4/16 B - juris Rd[X.]0 mwN), obwohl der Tenor auch in diesen Fällen nicht auf die Zurückweisung der Berufung gerichtet ist.

Diese Rechtsprechung des [X.] kollidiert auch nicht mit Art 6 Abs 1 [X.]. Unabhängig davon, ob der Anwendungsbereich dieser Norm ("Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine […] strafrechtliche Anklage") bei Streitigkeiten nach dem [X.] überhaupt eröffnet ist, und abgesehen davon, dass die [X.] nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes ([X.] vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - [X.]E 111, 307 [317]; [X.] vom [X.] - 2 BvC 62/14 - [X.]E 151, 1 [26 f., Rd[X.] 61] mwN) und damit keinen höheren Rang als § 153 Abs 4 [X.] hat, etabliert Art 6 Abs 1 [X.] keine uneingeschränkte Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung ([X.] vom 5.4.2016 - 33060/10 - NJW 2017, 2455 Rd[X.]0). Vielmehr ist in der Rechtsprechung des [X.] anerkannt, dass es Verfahren geben kann, die einer mündlichen Verhandlung nicht bedürfen, zum Beispiel wenn es nicht um die Glaubwürdigkeit oder um bestrittene Tatsachen geht und die Gerichte fair und angemessen auf der Grundlage des Parteivortrags oder anderer schriftlicher Unterlagen entscheiden können ([X.] vom 5.4.2016 - 33060/10 - NJW 2017, 2455 Rd[X.]0 mwN). Gemessen daran ist bei der bloßen - und im Beurteilungsspielraum des Gerichts stehenden (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl 2023, § 99 Rd[X.]1 mwN) - Entscheidung der reinen Rechtsfrage, ob eine Klageänderung sachdienlich ist (§ 99 Abs 1 Var 2 [X.]), eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger - bei Verneinung der Sachdienlichkeit - nicht gehindert ist, hinsichtlich seines zusätzlichen Antrags eine neue, eigenständige Klage zu erheben, weil über die Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags nicht entschieden ist, wenn bereits die Zulässigkeit der Klageänderung verneint worden ist. Dies unterscheidet die vorliegende Konstellation auch von den Fällen, in denen ein neuer Verwaltungsakt gemäß § 153 Abs 1 iVm § 96 Abs 1 [X.] Gegenstand des Berufungsverfahrens wird.

Es bedurfte auch keiner erneuten Anhörungsmitteilung, nachdem die Anhörungsmitteilung vom 7.9.2021 der Klägerin am nächsten Tag zugestellt wurde, der Beschluss des [X.] aber (erst) auf den [X.] datiert. [X.] verlieren nicht allein durch Zeitablauf ihre Wirksamkeit (vgl [X.] vom 15.3.1984 - 2 C 24.83 - juris Rd[X.]6; [X.] vom 16.2.1999 - 9 B 1011.98 - juris Rd[X.] 5 f; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.], 2. Aufl 2022, § 153 Rd[X.]65 ff; zur Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheids [X.] in [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl 2023, § 105 Rd[X.]1 mwN).

Allerdings ist zweifelhaft, ob das [X.] jedenfalls für die Jahre 2012 bis 2014 zu Recht davon ausgegangen ist, dass es sich bei dem Antrag der Klägerin, "die Differenz der Kosten für die Unterkunft gem. § 22 [X.] für die Jahre 2011 bis 2014 mit abschließender Entscheidung in voller Höhe auszugleichen", um eine Klageänderung handelt. Die Klägerin hat damit keinen neuen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt, sondern lediglich eine zusätzliche Begründung für ihr Begehren, höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zu erhalten. Ob es sich hierbei jedenfalls wegen § 99 Abs 3 [X.] und [X.] [X.] nicht um eine Klageänderung gehandelt hat und ob in einer etwaigen unzutreffenden Beurteilung durch das [X.] ein Verfahrensmangel liegt, weil das [X.] hierüber im Rahmen der Sachentscheidung hätte befinden müssen, kann dahinstehen. Denn jedenfalls würde die Entscheidung des [X.] nicht auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Das [X.] hat für die Verneinung eines Anspruchs auf (höhere) Leistungen für Unterkunft und Heizung selbständig tragend darauf abgestellt, dass die Klägerin zwischen Januar 2007 und Oktober 2015 mangels ernstgemeinter Mietforderung keine Kosten für Unterkunft und Heizung hatte; auf die Frage, in welcher Höhe Unterkunftskosten angemessen sind, kann es nicht ankommen, wenn bereits die Entstehung von Unterkunftskosten dem Grunde nach verneint wird.

3. Eine Kostenentscheidung bzgl des Anhörungsrügeverfahrens ist nicht zu treffen, da es sich um ein Annexverfahren zum [X.]-Verfahren handelt, bei dem seinerseits keine Kostenentscheidung zu treffen ist (vgl § 118 Abs 1 Satz 4 ZPO).

        

[X.]

Söhngen

[X.]

Meta

B 4 AS 44/23 C

07.12.2023

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 16. August 2019, Az: S 37 AS 3691/16

Art 6 Abs 1 MRK, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 99 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 178a SGG, § 114 ZPO, § 118 ZPO, § 343 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.12.2023, Az. B 4 AS 44/23 C (REWIS RS 2023, 9502)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9502

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2 BvC 62/14

2 BvR 1481/04

1 BvR 149/16

1 BvR 2735/11

1 BvR 1974/08

1 BvR 2869/11

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