Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2021, Az. AK 43/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 2049

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Gegenstand

Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Ausgedehnter systematischer Angriff auf die eigene Zivilbevölkerung


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

1

Der Beschuldigte wurde aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 3. März 2021 (4 [X.] 19/21) am 16. März 2021 festgenommen. Seither befindet er sich ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe zwischen dem 25. Dezember 2003 und dem 31. Dezember 2006 in [X.] im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung gemeinschaftlich handelnd in drei Fällen, davon in zwei Fällen heimtückisch und in einem Fall grausam, einen Menschen getötet, wobei es in einem Fall beim Versuch geblieben sei, strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 [X.], § 211 Abs. 1, 2 Gruppe 2 Variante 1, 2, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

II.

2

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

3

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.

4

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

5

[X.]) In [X.] kam es während der Amtszeiten des St[X.]tspräsidenten [X.] von 1996 bis 2017 zu systematischen Menschenrechtsverletzungen, die sich über das gesamte St[X.]tsgebiet erstreckten. Sie betrafen eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen, vom politischen Sektor (oppositionelle Politiker oder Studentenvertreter) über die Presse (kritische Journalisten) und das Rechtswesen ("unbequeme" Rechtsanwälte) bis hin zum religiösen und spirituellen Bereich ("unerwünschte" Vertreter religiöser Gemeinschaften und vermeintliche spirituelle Gegner). Die Menschenrechtsverletzungen gingen von dem vom St[X.]tspräsidenten kontrollierten und auf ihn ausgerichteten st[X.]tlichen Machtapparat aus. Sie beruhten auf einem organisierten Handeln, für das die folgenden Umstände kennzeichnend waren: auf zentrale Anordnung ausgeführte Tötungen; Bildung von außerhalb des st[X.]tlichen Gefängnissystems bestehenden Gewahrsamseinrichtungen; Häufigkeit der Anwendung von Folter gegenüber Gefangenen; fehlende Unabhängigkeit der Justiz mit der daraus resultierenden Gefahr st[X.]tlicher Rechtsverletzungen; ständige Neubesetzung von st[X.]tlichen Posten; restriktives Vorgehen gegen Oppositionsparteien, Medien und Versammlungen mit flankierender Gesetzgebung; Drohreden des Präsidenten gegen politische Widersacher. Dabei bezweckte das gewaltsame Vorgehen der st[X.]tlichen Sicherheitskräfte, [X.]s Macht durch Unterdrückung der Opposition und Einschüchterung der Zivilbevölkerung zu erhalten.

6

Der St[X.]tspräsident bediente sich jedenfalls seit 2003 des "[X.]s" der [X.], um seine tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner zu töten. Diese militärische Einheit, deren Angehörige in der Alltagssprache auch "[X.]" genannt wurden, wurde für die Ausführung seiner illegalen [X.] eingesetzt; ihr wurden "Todeslisten" übermittelt.

7

bb) Im Tatzeitraum vom 25. Dezember 2003 bis zum 31. Dezember 2006 gehörte der Beschuldigte dem "[X.]" als Fahrer an. Die Einheit führte die ihr befohlenen Tötungen aufgrund eines vorab gefassten Tatplans arbeitsteilig aus. Dem Beschuldigten war bekannt, dass diese Befehle illegal waren, auf den St[X.]tspräsidenten zurückgingen und die Ziele der Unterdrückung der Opposition sowie der Einschüchterung der Zivilbevölkerung verfolgten.

8

Im Einzelnen beging der Beschuldigte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen Mitgliedern des "[X.]s" die folgenden drei Taten:

9

(1) Am 25. oder 26. Dezember 2003 beförderte der Beschuldigte sechs andere Angehörige des "[X.]s" mit einem Pritschenwagen an eine Straßenecke in die Nähe des Anwesens des [X.] Rechtsanwalts       [X.]  in dem Stadtteil [X.].    der Hauptstadt B.    . Zweck der Fahrt war die Tötung des Rechtsanwalts, der von dem St[X.]tspräsidenten als Gegner betrachtet wurde. Zwei der Mitglieder der Einheit stiegen aus dem Fahrzeug aus und liefen das letzte Stück zu Fuß zu [X.]  Wohnanwesen. Als der Rechtsanwalt in seinem Auto vorfuhr, eröffnete das eine Mitglied mit einer Schusswaffe das Feuer auf ihn, so dass [X.], der sich keines Angriffs versehen hatte, getroffen auf dem Fahrersitz zusammensank. Das andere Mitglied, das beauftragt war, den Rechtsanwalt sicher zu töten, hielt ihn für tot und lief deshalb davon. Als der Beschuldigte die Schüsse hörte, machte er sich fahrbereit. Nachdem sich die beiden Mitglieder vom [X.] entfernt hatten und wieder in den Pritschenwagen eingestiegen waren, fuhr der Beschuldigte mit ihnen davon. [X.] überlebte den Anschlag schwerverletzt (Fall 1).

(2) Am 16. Dezember 2004 war das "[X.]" auf Befehl des St[X.]tspräsidenten mit der Tötung des bekannten [X.] Journalisten      [X.]     , Herausgeber der Zeitung "T.      ", beauftragt. Für die Tatausführung wurden mindestens zwei Limousinen genutzt, die wie Taxis lackiert waren. Der Beschuldigte steuerte eines dieser Fahrzeuge. Er und jedenfalls vier weitere Mitglieder des "[X.]s" postierten sich, auf die Limousinen verteilt, zunächst an einer Polizeistation in [X.]      . Als sich der Journalist in seinem Fahrzeug näherte, fuhr eines der "Taxis" vor seinen Wagen. Als das vor [X.]    befindliche Fahrzeug bis zum Stillstand abbremste und ihn auf diese Weise zum Anhalten zwang, schloss der Beschuldigte dieses Fahrzeug ein, indem er direkt hinter ihm hielt. Sodann entstieg ein Mitglied der Einheit dem ersten Wagen und eröffnete mit einer Schusswaffe das Feuer auf den Journalisten, der sich keines Angriffs versehen hatte. Ein weiteres Mitglied verließ daraufhin das von dem Beschuldigten gelenkte Fahrzeug und gab mindestens einen weiteren Schuss auf [X.]    ab, der an Ort und Stelle verstarb. Anschließend begaben sich die Schützen wieder in die "Taxis", und das "[X.]" verließ den [X.] (Fall 2).

(3) An einem nicht näher bestimmbaren Tag im Tatzeitraum fuhr der Beschuldigte mit einem Pick-up mindestens vier Angehörige des "[X.]s" zunächst an einen Ort, an dem sich der [X.]    aufhielt, dessen Tötung als mutmaßlicher Gegner der St[X.]tspräsident angeordnet hatte. Ein Bekannter N.    s, der in Absprache mit dem Kommandanten der Einheit handelte, hatte ihn auf unverdächtige Weise dorthin gebeten. Der Kommandant nahm den [X.] fest; dieser stieg auf Geheiß in das Fahrzeug ein. Der Beschuldigte beförderte die Insassen zu einem Ort zwischen dem [X.] und M.        , wo N.    an einen [X.]um gebunden und, obwohl er um sein Leben flehte, von einem der Mitglieder der Einheit erschossen wurde. Anschließend wurde die Leiche vor Ort vergraben, woraufhin das "[X.]" in dem vom Beschuldigten gesteuerten Fahrzeug den [X.] verließ (Fall 3).

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus einer Gesamtschau der bisherigen Ermittlungsergebnisse, von denen namentlich folgende von Bedeutung sind:

Die Erkenntnisse zu den systematischen Menschenrechtsverletzungen in [X.] während der Amtszeit des St[X.]tspräsidenten [X.] beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen. Hierzu zählen Berichte st[X.]tlicher und überst[X.]tlicher Organisationen, insbesondere des [X.] ([X.]) der [X.] aus dem Dezember 2017, des [X.] vom 9. Juni 2011 sowie zweier Sonderberichterstatter der [X.] vom 16. März und 11. Mai 2015. Darüber hinaus sind von wesentlicher Bedeutung die Dokumentationen der [X.] Wahrheitskommission ([X.]), die durch den [X.], Reconciliation and Reparations Commission Act 2017 zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen während der Amtszeiten des St[X.]tspräsidenten [X.] eingesetzt wurde.

Die Erkenntnisse zu den vom "[X.]" auf Befehl des St[X.]tspräsidenten ausgeführten Tötungen und der Tatbeteiligung des Beschuldigten beruhen auf dessen Angaben im Asylverfahren und bei Interviews mit einem [X.] Auslandssender, ferner vor allem auf von den [X.] Strafverfolgungsbehörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Unterlagen (insbesondere zu einem Interview eines anderen Mitglieds der militärischen Einheit und zu der Zeugenaussage eines engen Freundes des Beschuldigten), auf gegen ihn durchgeführten Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung sowie auf öffentlich zugänglichen Quellen (namentlich zu Vorgängen vor der [X.] und zu einem Interview mit Rechtsanwalt [X.]). Die seit [X.] durchgeführten weiteren Ermittlungen (Durchsuchungsmaßnahmen gegen den Beschuldigten, Auswertung seines Mobiltelefons und im [X.] gewonnene - ergänzende - Zeugenaussagen) haben den insoweit bestehenden dringenden Verdacht noch erhärtet.

Wegen der Einzelheiten zu den Beweisergebnissen wird auf den Haftbefehl Bezug genommen, des Weiteren auf die zugrundeliegende Antragsschrift des [X.] vom 18. Februar 2021 sowie auf dessen Einleitungsvermerk vom 14. Februar 2020 und Zuleitungsschrift vom 10. September 2021.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter Gliederungspunkt II. 1. a) geschilderte Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass der Beschuldigte jedenfalls des [X.] in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Mord und in dem anderen Fall mit Totschlag, und des versuchten [X.] in Tateinheit mit versuchtem Mord dringend verdächtig ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 [X.], § 211 Abs. 1, 2 Gruppe 2 Variante 1, § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB). Auf der Grundlage des dem Beschuldigten angelasteten Sachverhalts ist seine Strafbarkeit wie folgt zu beurteilen:

[X.]) Die drei Taten sind [X.]eils als - mittäterschaftlich begangenes (§ 25 Abs. 2 StGB, § 2 [X.]) - Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (Fälle 2 und 3) bzw. versuchtes Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1, § 2 [X.], §§ 22, 23 Abs. 1 StGB (Fall 1) zu bewerten.

(1) Der [X.] st[X.]tliche Machtapparat führte - nach hinreichend gesicherten Erkenntnissen vor allem auch aus der Tätigkeit der [X.] - im Tatzeitraum vorsätzlich einen ausgedehnten und systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung im Sinne des § 7 Abs. 1 [X.].

(a) Bei einer Zivilbevölkerung handelt es sich um eine größere Gruppe von Menschen, die über gemeinsame Unterscheidungsmerkmale (etwa das gemeinsame Bewohnen eines geografischen Gebiets oder eine gemeinsame politische Willensrichtung) verfügen, aufgrund derer sie angegriffen werden. Kennzeichnend ist, dass die Maßnahmen auf die einzelnen Tatopfer nicht in erster Linie als individuelle Persönlichkeiten, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe zielen. Nicht notwendig ist hingegen, dass sich der Angriff gegen die gesamte - in einem Gebiet ansässige - Bevölkerung richtet. Vielmehr ist ausreichend, dass gegen eine erhebliche Anzahl von Einzelpersonen vorgegangen wird. Für eine St[X.]tsmacht kann auch die eigene Zivilbevölkerung taugliches Tatobjekt sein; außerhalb bewaffneter Konflikte sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit regelmäßig von einem derartigen einseitigen Vorgehen geprägt.

Unter einem ausgedehnten Angriff ist - in Anlehnung an die Rechtsprechung der internationalen Strafgerichte - ein in großem Maßstab durchgeführtes Vorgehen mit einer hohen Anzahl von Opfern zu verstehen; dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass sich der Angriff gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Als systematisch ist er zu beurteilen, wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (s. zum Ganzen [X.], Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, [X.]St 55, 157 Rn. 25 ff.; Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 [X.], [X.]St 64, 10 Rn. 164 ff.; Beschlüsse vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, [X.]St 64, 89 Rn. 56; vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, [X.], 596 Rn. 32).

(b) Das Vorgehen der st[X.]tlichen Sicherheitskräfte gegen die Opposition in [X.] erfüllt im Tatzeitraum diese tatbestandlichen Voraussetzungen.

Das Vorgehen stellt sich als Angriff gegen eine Zivilbevölkerung dar. Tatsächliche und vermeintliche Gegner des St[X.]tspräsidenten (Oppositionelle, Journalisten, normale Bürger) wurden festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. In außerrechtlichen Gewahrsamseinrichtungen wurden Gefangene über Wochen und Monate ohne Vorführung vor [X.] festgehalten. In den st[X.]tlichen Gefängnissen bestanden schwerwiegende Missstände. Die durch die Sicherheitskräfte plan- und routinemäßig ausgeübte Gewalt diente nicht nur der (repressiven) Unterdrückung der Opposition, sondern auch der (präventiven) Einschüchterung der Bevölkerung mit dem Ziel, die Macht des St[X.]tspräsidenten zu erhalten.

Der Angriff war darüber hinaus ausgedehnt und systematisch. Zum einen erfasste das Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft das gesamte St[X.]tsgebiet von [X.]. Eine Vielzahl [X.]r Bürger wurde durch st[X.]tliche Repressalien verletzt oder geschädigt; etliche wurden sogar getötet. Zum anderen folgten die - teils dem "[X.]" zuzuordnenden - Menschenrechtsverletzungen einem von der St[X.]tsspitze ausgehenden zielgerichteten Plan. Die Gewalt richtete sich in erster Linie gegen - auch persönliche - Gegner des St[X.]tspräsidenten (zum sog. Politikelement, dessen Vorliegen sich hier auf der Grundlage des der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Sachverhalts von selbst versteht, vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, juris Rn. 37 [X.]).

(2) Die [X.] wurden als [X.] im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 [X.] "im Rahmen" der von § 7 Abs. 1 [X.] vorausgesetzten Gesamttat ausgeführt. Zwischen ihnen und dem ausgedehnten und systematischen Angriff auf die Zivilgesellschaft bestand der notwendige funktionale Zusammenhang (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 20; [X.], Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, [X.], 596 Rn. 45). Für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist erforderlich, dass sich die vom Täter begangene Katalogtat in die Gesamttat einfügt, er mithin seinen Tatbeitrag funktional in den Angriff einstellt (s. [X.], Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, [X.], 596 Rn. 49). So liegt es hier. Gegen die drei Männer, die Teil der Zivilgesellschaft waren, ergingen die [X.], weil sie der Opposition zugerechnet oder als ihr nahestehend angesehen wurden. Dies gilt nicht nur für den missliebigen Rechtsanwalt [X.] (Fall 1) und den regierungskritischen Journalisten [X.]     (Fall 2), sondern auch für das Opfer N.    (Fall 3), das - nach den Ermittlungsergebnissen - oppositioneller Ansichten zumindest verdächtigt wurde.

(3) Der Beschuldigte beging die drei Taten gemäß § 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich mit den anderen Angehörigen des "[X.]s" (zu den Voraussetzungen der Mittäterschaft vgl. etwa [X.], Beschluss vom 12. August 2021 - 3 [X.], NJW 2021, 2896 Rn. 50). Den [X.] lag [X.]eils ein zuvor gefasster gemeinsamer Tatplan der Mitglieder dieser Einheit zugrunde, der auf die Umsetzung des Tötungsbefehls des St[X.]tspräsidenten gerichtet war und aufgrund dessen sie arbeitsteilig vorgingen. Der Beschuldigte hatte dabei Tatherrschaft. Er leistete den wesentlichen objektiven Beitrag, die Schützen zum [X.] hin- und von dort zurückzubefördern, und hielt sich während der [X.]eiligen Tatausführung am [X.] oder in dessen unmittelbarer Nähe auf; im Fall 3 verbrachte er auch das Opfer dorthin. Der Beschuldigte war somit Teil des [X.]eiligen [X.]. Im Fall 2 schloss er einvernehmlich mit dem Fahrer der vorausfahrenden Limousine das Fahrzeug des Opfers ein, um dessen Davonfahren zu unterbinden, und gestaltete so auf besondere Weise das Kerngeschehen mit.

(4) Der Beschuldigte handelte - hochwahrscheinlich - rechtswidrig und schuldhaft. Seinen Angaben, wer vom "[X.]" gegen Befehle aufbegehrt habe, habe riskiert, festgenommen und getötet zu werden, kann kein Sachverhalt mit entschuldigender Wirkung entnommen werden. Konkrete Drohungen für den Fall der Befehlsverweigerung, insbesondere solche, die gemäß § 35 StGB beachtlich sein könnten, sind nach Aktenlage nicht gegeben, ebenso wenig aussagekräftige Vorfälle in Bezug auf einen etwaigen anderen befehlsverweigernden Angehörigen des "[X.]s". Vielmehr ergibt sich aus den Aussagen zweier Zeugen, dass ein Mitglied (einer dieser Zeugen) die militärische Einheit freiwillig verließ. Ein diffuses "Klima der Angst" oder eine allgemeine Furcht ohne hinreichende Tatsachengrundlage ist für sich genommen nicht geeignet, eine entschuldigende Wirkung zu entfalten.

bb) [X.] ist zugleich als Mord (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Variante 1 StGB), zu beurteilen, diejenige im Fall 3 jedenfalls als Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) und diejenige im Fall 1 als versuchter Mord (§ 211 Abs. 1, 2 Gruppe 2 Variante 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB).

(1) In den Fällen 1 und 2 liegt das Mordmerkmal der Heimtücke vor. Diesbezüglich wird auf den Haftbefehl und den Vermerk des [X.] zu den Delikten aus dem Strafgesetzbuch vom 16. Februar 2021 Bezug genommen.

(2) Ob im Fall 3 ein Mordmerkmal erfüllt ist, kann hier dahinstehen; für die Haftfrage kommt es darauf nicht an.

Die Annahme des [X.] der Grausamkeit stößt allerdings - insbesondere in subjektiver Hinsicht - auf Bedenken. Soweit der [X.] in dem vorbenannten Vermerk vom 16. Februar 2021 ausgeführt hat, für die gefühllose und unbarmherzige Gesinnung genüge die emotional unbeteiligte und gleichgültige Einstellung des [X.] zur möglichst effektiven Tötung, könnte zweifelhaft sein, ob der Beschuldigte - nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen mit dem notwendigen Verdachtsgrad - bei Tatbegehung tatsächlich eine solche Einstellung hatte (s. oben II. 1. c) [X.]) (4); zur objektiv grausamen Tötung auf Befehl vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juni 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 189, 196 ff.).

In den Blick zu nehmen sind auch die Mordmerkmale der Heimtücke (zur Vorverlagerung des Zeitpunkts der Arglosigkeit bei von langer Hand geplanten und vorbereiteten Taten s. [X.], Beschluss vom 26. März 2020 - 4 [X.], [X.], 609 Rn. 13; MüKoStGB/[X.], 4. Aufl., § 211 Rn. 172 f., [X.]. [X.]) sowie der niedrigen Beweggründe (zur politischen Tatmotivation s. [X.], Beschlüsse vom 15. Januar 2020 - AK 62/19, juris Rn. 12 [X.]; vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 37).

cc) Die Konkurrenzen sind dahin zu bewerten, dass der Beschuldigte drei materiellrechtlich selbständige (§ 53 StGB) Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging, davon zwei vollendet und eines versucht. Der Mord, der Totschlag und der versuchte Mord stehen [X.]eils zu einer dieser Straftaten in Tateinheit (§ 52 StGB).

Beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, wenn mehrere individuelle Rechtsgutsträger durch zu ihrem Nachteil begangene [X.] verletzt werden, regelmäßig Realkonkurrenz anzunehmen. Etwas anderes kann allerdings in solchen Fällen gelten, in denen der Täter in der ihm in dem Angriff gegen eine Zivilbevölkerung zugewiesenen Funktion in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang wiederholt - nach [X.] und Unrechtsgehalt - gleichartige Ausführungshandlungen vornimmt. Dann können auch Taten gegen unterschiedliche Rechtsgutsträger eine Bewertungseinheit bilden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, [X.]St 64, 89 Rn. 69; vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, [X.], 596 Rn. 47).

Danach handelt es sich hier nach vorläufiger Beurteilung um drei tatmehrheitlich verübte Delikte. Zwar beging der Beschuldigte alle Taten in einer Zeit, in der er als Angehöriger des "[X.]s" bei Attentaten auf mutmaßliche Oppositionelle eingesetzt war und als Teil des [X.]eiligen [X.] insbesondere Fahrerdienste leistete. Dies begründet einen sachlichen Zusammenhang der Taten. Doch fehlt es am zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Die [X.], die verschiedene individuelle Rechtsgutsträger betrafen, erstreckten sich über einen ganz erheblichen Zeitraum. Zudem ereigneten sie sich an unterschiedlichen Orten.

dd) [X.] Strafrecht ist anwendbar. Für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 [X.] folgt dies unmittelbar aus dem in § 1 Satz 1 [X.] normierten Weltrechtsprinzip. Für die Tötungsdelikte nach §§ 211, 212 StGB ergibt sich dessen Geltung aus einer Annexkompetenz (s. [X.], Beschlüsse vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, [X.]St 64, 89 Rn. 71; vom 5. September 2019 - AK 47/19, juris Rn. 53; vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, [X.], 596 Rn. 51). Hinsichtlich dieser Straftaten liegen desgleichen die Voraussetzungen der stellvertretenden Strafrechtspflege nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor; insoweit wird auf den Haftbefehl und den Vermerk des [X.] zu den Delikten aus dem Strafgesetzbuch vom 16. Februar 2021 verwiesen.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 [X.]).

Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte - auf freien Fuß gesetzt - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Er hat im Fall seiner Verurteilung mit einer lebenslangen Haftstrafe zu rechnen. Dem von der Straferwartung ausgehenden hohen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte über persönliche und wirtschaftliche Bindungen nach [X.] verfügt, sich bereits Ende 2014 von den [X.] Behörden unbemerkt nach [X.] begeben hatte und in einem überwachten Telefongespräch äußerte, eine Rückkehr dorthin zu erwägen, um sich dort etwas aufzubauen. Im Übrigen wird auf den Haftbefehl und die ihm zugrundeliegende Antragsschrift des [X.] vom 18. Februar 2021 verwiesen.

Die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 [X.] (vgl. [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 112 Rn. 37 [X.]) desgleichen auf den dort geregelten - subsidiären - Haftgrund der [X.] gestützt werden kann.

3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 [X.] mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 [X.]) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

4. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 [X.] für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Der Aktenbestand umfasst mittlerweile 20 Stehordner und fünf weitere Bände. Das Ermittlungsverfahren ist, insbesondere auch nach der Festnahme des Beschuldigten am 16. März 2021, mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden:

a) Noch an diesem Tag sind aufgrund der Beschlüsse des Ermittlungsrichters des [X.] vom 25. Februar 2021 Durchsuchungen bei dem Beschuldigten und einem Zeugen (dem erwähnten engen Freund) durchgeführt worden. Es sind Ausweise, schriftliche Unterlagen, Lichtbilder und elektronische Medien (fünf Mobiltelefone, vier Computer und eine Speicherkarte) sichergestellt worden. Die Auswertung der Asservate ist zwar weitgehend, aber noch nicht vollständig abgeschlossen.

b) Zudem ist am 28. Mai 2021 - nach Anhörung des Verteidigers des Beschuldigten - ein politik- und gesellschaftswissenschaftliches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben worden. Ziel ist die weitere Aufklärung von Tatsachen zum (mit hoher Wahrscheinlichkeit) im verfahrensgegenständlichen Zeitraum geführten ausgedehnten und systematischen Angriff des [X.] st[X.]tlichen Machtapparats auf die Zivilgesellschaft.

c) Darüber hinaus sind seit der Invollzugsetzung des Haftbefehls acht Zeugen einvernommen worden; weitere relevante Zeugenvernehmungen sind geplant.

d) Schließlich ist, nachdem das Verfahren mit der Festnahme des Beschuldigten in die offene Phase eingetreten war, eine Vielzahl von Rechtshilfeersuchen veranlasst worden:

Die mit [X.] Ermittlungsanordnungen von den [X.], [X.] und [X.] Strafverfolgungsbehörden ersuchten Beweiserhebungen sind mittlerweile durchgeführt worden. Die unter Beteiligung des [X.] an den in [X.] ansässigen Gerichtshof der [X.]nischen Wirtschaftsgemeinschaft ([X.] Court of Justice) sowie die [X.] und [X.] Behörden gerichteten Ersuchen sind noch nicht erledigt. Der Entwurf eines Rechtshilfeersuchens an die Republik [X.] ist dem [X.] unter dem 9. September 2021 zur Bewilligung vorgelegt worden. Es zielt insbesondere auf die Vernehmung von Zeugen, die sich vor der [X.] [X.] über den Beschuldigten und die verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe geäußert hatten oder von denen aus anderen Gründen Erkenntnisse zu diesen Vorwürfen zu erwarten sind.

e) Wegen näherer Einzelheiten zu den [X.] und Rechtshilfemaßnahmen wird auf die Zuleitungsschrift des [X.] vom 10. September 2021 Bezug genommen.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Schäfer                    Berg                    Anstötz

Meta

AK 43/21

07.10.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 7 Abs 1 VStGB, § 211 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2021, Az. AK 43/21 (REWIS RS 2021, 2049)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2049

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3 StR 236/17

3 StR 441/20

4 StR 134/19

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