Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.01.2020, Az. 1 B 65/19

1. Senat | REWIS RS 2020, 3773

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zur Bedeutung einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem minderjährigen Kind für die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 21. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

[X.] Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3

Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 10. März 2015 - 1 [X.] 7.15 - juris und vom 1. April 2014 - 1 [X.] 1.14 - [X.]uchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 8).

4

1. Die von der [X.]eschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob

"wenn, wie vorliegend, das [X.]estehen und Gelebt werden einer familiären [X.]eziehung positiv festgestellt ist -, die vorgenommene Zweiteilung des Gerichts in 1. Feststellung einer Vater-Kind-[X.]eziehung und 2. Kindeswohlgefährdung nicht eine künstliche unsachgerechte Trennung einer nur einheitlich zu beantwortenden, nicht zu trennenden Frage ist"

bzw. "ob das positiv festgestellte [X.]estehen einer Vater-Kind-[X.]eziehung bei Wegfall des [X.] nicht stets - außer bei Vorliegen gegenteiliger Umstände - mit einer Kindeswohlgefährdung aufgrund der eigenständigen Wichtigkeit des [X.] für das Kind einhergeht",

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.

5

Soweit die [X.]eschwerde damit (unter [X.]erücksichtigung der [X.]eschwerdebegründung) geklärt wissen möchte, ob die Ausweisung eines Ausländers schon immer dann das Kindeswohl gefährdet, wenn dieser in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Kind lebt, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine - revisionsgerichtlicher Klärung nicht zugängliche - Tatsachen(würdigungs)frage. Sollte die Frage hingegen ergebnisbezogen auf die Klärung der Frage zielen, ob der Umstand, dass ein Ausländer in familiärer Lebensgemeinschaft mit seinem minderjährigen Kind lebt, bereits für sich genommen seiner Ausweisung entgegensteht, ist bereits höchstrichterlich geklärt, dass die so verstandene Frage zu verneinen ist.

6

[X.]ei der Prüfung, ob das [X.] das [X.]leibeinteresse überwiegt und die Ausweisung verhältnismäßig ist, bedarf es einer einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen [X.]elange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter [X.]eachtung der insbesondere vom [X.] ([X.]) zu Art. 8 [X.] entwickelten Kriterien ([X.]VerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08 - [X.]VerwGE 135, 137 Rn. 28 m.w.[X.]). Zwar genießt das Familienleben auch nach der [X.] besonderen Schutz. In Art. 7 [X.], der Rechte enthält, die den in Art. 8 Abs. 1 [X.] garantierten Rechten entsprechen, wird das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anerkannt. Diese Vorschrift ist zudem in Verbindung mit der Verpflichtung zur [X.]erücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 [X.] und unter [X.]eachtung des in deren Art. 24 Abs. 3 niedergelegten Erfordernisses zu lesen, dass das Kind regelmäßig persönliche [X.]eziehungen zu beiden Eltern unterhält ([X.], Urteile vom 27. Juni 2006 - [X.]/03 [[X.]:[X.]:C:2006:429] - Rn. 58 und vom 6. Dezember 2012 - [X.]/11 [[X.]:[X.]:[X.]] u.a. - Rn. 76). Der [X.] (Urteil vom 27. Juni 2006 - [X.]/03 - Rn. 59) hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herbeizuführen ist (Rn. 54), aber sich hieraus ein das Ermessen auf Null reduzierender, grundsätzlicher Vorrang des Kindeswohls nicht ergibt (Rn. 59). Inhaltlich entspricht das Recht nach Art. 7 und 24 [X.] den in Art. 8 Abs. 1 [X.] gewährleisteten Rechten in ihrer Auslegung durch den [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 15. November 2011 - [X.]/11 [[X.]:[X.]:2011:734], [X.] u.a. - Rn. 70; [X.]VerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 - [X.]uchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 14 Rn. 23). Art. 7 und 24 [X.] ist somit die gleiche [X.]edeutung und Tragweite beizumessen wie Art. 8 Abs. 1 [X.] (vgl. zum Ganzen [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 21. Juli 2015 - 1 [X.] 26.15 - AuAS 2015, 194 Rn. 5).

7

Ein unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Interessen ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des [X.] zu [X.]. Ungeachtet dessen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Rechtsprechung schon nicht festgestellt sind (dazu unter [X.] 2.), lässt danach auch das [X.]srecht die Ausweisung eines [X.]sangehörigen, der mit seinem die [X.]sbürgerschaft besitzenden und von ihm abhängigen Kind zusammenlebt, zu, wenn sie auf dem persönlichen Verhalten des [X.]sangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der [X.] berührt, und die verschiedenen einander gegenüberstehenden Interessen berücksichtigt werden (vgl. [X.], Urteil vom 13. September 2016 - [X.]/14 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.]S. - Rn. 50).

8

Die [X.]eschwerde legt keinen weitergehenden oder neuerlichen einzelfallübergreifenden Klärungsbedarf dar und macht der Sache nach allenfalls eine - vermeintlich - fehlerhafte Anwendung der benannten Grundsätze geltend.

9

2. Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen,

"ob die Rechtsprechung von [X.]VerwG und [X.]VerfG unter [X.]eachtung der Rechtsprechung des [X.] zu [X.] noch europarechtskonform ist"

bzw. "ob unter [X.]eachtung der Rechtsprechung des [X.] zu [X.] eine generalpräventive Ausweisung von drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern von [X.]sbürgern noch europarechtskonform ist".

Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass sich die - im letztgenannten Sinne konkretisierte - Frage bei Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen des [X.]erufungsgerichts entscheidungserheblich stellte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]), auf die die [X.]eschwerde verweist, steht Art. 20 A[X.]V einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der ein wegen einer Straftat verurteilter [X.] auch dann in den [X.] auszuweisen ist, wenn er tatsächlich für ein Kleinkind sorgt, das die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt, in dem es sich seit seiner Geburt aufgehalten hat, ohne von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht zu haben, und das wegen der Ausweisung des [X.]sangehörigen das [X.]sgebiet verlassen müsste, so dass ihm der tatsächliche Genuss des [X.] seiner Rechte verwehrt würde. Unter außergewöhnlichen Umständen darf ein Mitgliedstaat jedoch eine Ausweisungsverfügung erlassen, sofern sie auf dem persönlichen Verhalten des [X.]sangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der [X.] berührt, und die verschiedenen einander gegenüberstehenden Interessen berücksichtigt werden (vgl. [X.], Urteil vom 13. September 2016 - [X.]/14 - Rn. 50, siehe auch Urteile von 8. März 2011 - [X.]/09 [[X.]:[X.]:C:2011:124], [X.] - und vom 13. September 2016 - [X.]/14 [[X.]:[X.]:C:2016:675], [X.] -). Ob zwischen dem Elternteil mit [X.]sangehörigkeit und dem Kind ein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind zum Verlassen des [X.] gezwungen sähe, wenn dem [X.]sangehörigen ein Aufenthaltsrecht verweigert würde, ist unter [X.]erücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls zu beantworten. Zu berücksichtigen sind - neben der Frage, ob der Elternteil, der [X.]sbürger ist, wirklich in der Lage und bereit ist, die tägliche und tatsächliche Sorge für das Kind allein wahrzunehmen - insbesondere auch das Alter des Kindes, seine körperliche und emotionale Entwicklung, der Grad seiner affektiven [X.]indung sowohl zu dem Elternteil, der [X.]sbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit [X.]sangehörigkeit, und das Risiko, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre (vgl. [X.], Urteil vom 10. Mai 2017 - [X.]/15 [[X.]:[X.]:C:2016:659], [X.] u.a. - Rn. 71).

Den tatsächlichen Feststellungen des [X.]erufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass zwischen dem Kläger und seinem [X.] ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis besteht, das indes Anwendungsvoraussetzung der dargestellten Rechtsprechung ist. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung zugelassen werden, wenn die Frage von angeblich grundsätzlicher [X.]edeutung von einer tatsächlichen Annahme ausgeht, die - wie hier - von der Vorinstanz nicht festgestellt wurde (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 6. Juni 2006 - 6 [X.] 27.06 - [X.]uchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 35 Rn. 8).

Nach alledem kann offenbleiben, ob die aufgeworfene Frage auch deshalb nicht entscheidungserheblich ist, weil das [X.]erufungsgericht seine Entscheidung gerade nicht nur auf generalpräventive [X.] gestützt hat, sondern auch auf erhebliche spezialpräventive [X.]n ([X.] ff.).

I[X.] Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Ohne Erfolg rügt die [X.]eschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe einen in der [X.]erufungsverhandlung gestellten [X.]eweisantrag des [X.] rechtsfehlerhaft abgelehnt und dadurch die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt.

1. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof hat der Kläger die Einholung eines psychologischen/sozialpsychologischen Sachverständigengutachtens zum [X.]eweis der Tatsache beantragt, "dass zwischen dem Kläger und seinem [X.] eine schützenswerte familiäre Gemeinschaft besteht, auf deren ununterbrochene Aufrechterhaltung mittels persönlichem Kontakt das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist, und dass die mehrjährige Abwesenheit des [X.] aus dem [X.]undesgebiet das Kindeswohl nachhaltig schädigt."

Das [X.]erufungsgericht hat diesen [X.]eweisantrag in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) als unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag abgelehnt. Zur [X.]egründung hat es ausgeführt, der Senat habe weder aus dem bisherigen Verfahren noch aus der heutigen mündlichen Verhandlung tatsächliche Anhaltspunkte für eine (erforderliche) Kindeswohlgefährdung erkennen können.

2. Aus dem [X.]eschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das [X.]erufungsgericht diesen [X.]eweisantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt hätte. Die Ablehnung eines förmlichen (unbedingt gestellten) [X.]eweisantrags ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 14. August 2017 - 9 [X.] 4.17 - juris Rn. 6). Das [X.]erufungsgericht hat den Antrag aber, wie nach § 86 Abs. 2 VwGO erforderlich, noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und begründet beschieden.

Auch die [X.]egründung ist nicht zu beanstanden. Ein [X.]eweisantrag ist unter anderem dann unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder [X.]eweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Auch [X.]eweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die [X.]eweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und [X.]ehauptungen aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden. So liegt es, wenn für den Wahrheitsgehalt der [X.]eweistatsachen nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, das heißt wenn sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins [X.]laue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" behauptet worden sind. Welche Anforderungen vom [X.] an die Substantiierung gestellt werden dürfen, bestimmt sich zum einen danach, ob die zu beweisende Tatsache in den eigenen Erkenntnisbereich des [X.]eteiligten fällt, und zum anderen nach der konkreten prozessualen Situation ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 30. Mai 2014 - 10 [X.] 34.14 - juris Rn. 9 m.w.[X.]).

3. Nach diesen Grundsätzen durfte das [X.]erufungsgericht den [X.]eweisantrag mit der [X.]egründung ablehnen, es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag, weil der Senat weder aus dem bisherigen Verfahren noch aus der mündlichen Verhandlung tatsächliche Anhaltspunkte für eine (erforderliche) Kindeswohlgefährdung habe erkennen können.

a) Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bzw. eine nachhaltige Schädigung des Kindeswohls ergeben sich entgegen der Auffassung des [X.] nicht schon aus der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellung, dass die [X.]eziehung des [X.] zu seinem [X.] über eine rein formale Ausübung des Sorgerechts hinausgeht, insbesondere habe der Kläger vor der Inhaftierung mit seinem [X.] in familiärer [X.]eziehung gelebt, und die familiäre Lebensgemeinschaft werde, soweit möglich, auch in der Haft aufrecht erhalten. Mit diesen Feststellungen hat das [X.]erufungsgericht gerade anerkannt, dass der Kläger als Vater eigenständige [X.]edeutung für das Wohl seines Kindes hat, der Kontakt mit ihm mithin dem Kindeswohl dient, so dass ein Abbruch dieser familiären [X.]eziehung die Kindeswohlinteressen berührt. Entgegen der Auffassung der [X.]eschwerde liegt darin für sich genommen aber noch kein Indiz dafür, dass das Kindeswohl im Falle einer (mehrjährigen) Ausweisung des [X.] nachhaltig geschädigt würde. [X.]ei dieser Annahme wird übersehen, dass der Wegfall von Faktoren, die dem Kindeswohl dienen bzw. am besten entsprechen, nicht schon gleichbedeutend mit einer Kindeswohlgefährdung bzw. -schädigung ist (vgl. zu dieser Differenzierung auch im Familienrecht etwa [X.]VerfG, [X.] vom 4. August 2015 - 1 [X.]vR 1388/15 - juris Rn. 5, und vom 19. November 2014 - 1 [X.]vR 1178/14 - juris Rn. 23; [X.], [X.]eschluss vom 19. März 2018 - 6 UF 213/17 - juris Rn. 13).

b) Die in der [X.]eschwerdebegründung zitierten Expertenstudien über die [X.]edeutung des [X.] für eine gesunde seelische und [X.] Entwicklung von Kindern sind weder im [X.]erufungsverfahren vorgebracht worden noch rechtfertigen sie den Schluss, dass ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls jeder (vorübergehende) "Ausfall" des [X.] zu einer (nachhaltigen) Kindeswohlgefährdung führt.

c) Dem [X.]eschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger im [X.]erufungsverfahren hinreichende einzelfallbezogene Anhaltspunkte dafür vorgetragen hätte, dass das Kindeswohl des neunjährigen [X.]es des [X.] im Falle von dessen Ausweisung aus dem [X.]undesgebiet für einen Zeitraum bis zu fünf Jahren in einer Weise beeinträchtigt werden könnte, dass er in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohlbefinden nachhaltig gefährdet würde. Die Mutter des Kindes habe danach zwar angegeben, ihr [X.] [X.] freue sich immer sehr auf die [X.]esuche bei dem Vater und sehe dessen Rückkehr sehnsuchtsvoll entgegen. Könnte der Kläger nicht nach Haftentlassung zurückkehren, wäre das eine "riesen Enttäuschung" für [X.], die womöglich zu psychischen Problemen und zum Zerbrechen der Familie führen könnte. Auch der Kläger habe im Rahmen seiner Darstellung der Vater-Kind-[X.]eziehung u.a. die freizeitlichen und schulischen Vorlieben seines [X.]es beschrieben und wie dieser ihn dabei seiner Ansicht nach vermisse; und die [X.] habe dem Kläger im Rahmen der von ihr begleiteten Vater-Kind-Treffen einen liebevollen, zugewandten und wertvollen Umgang bescheinigt. Unter den hier vorliegenden Umständen genügten diese - eher pauschalen - Angaben aber nicht, um Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung darzutun.

Zwar dürfen die Anforderungen an den Vortrag der [X.]eteiligten insoweit nicht überspannt und die [X.]eweiswürdigung nicht vorweggenommen werden. Hier hat das [X.]erufungsgericht eine nähere Substantiierung der behaupteten Kindeswohlgefährdung aber zu Recht insbesondere deshalb für erforderlich gehalten, weil die [X.]eklagte dieser [X.]ehauptung im Verfahren nachvollziehbar entgegengetreten sei. Sie habe dargelegt, dass sich eine emotionale [X.]eziehung zwischen dem Kläger und seinem [X.] erst nach der Entlassung aus der dritten Strafhaft habe aufbauen können und diese im Entstehen befindliche [X.]eziehung durch die erneute Inhaftierung abrupt unterbrochen worden sei. Die Abwesenheit des [X.] sei daher für den [X.] [X.] seit langem "gelebte Praxis". Auch die - informatorisch angehörte - Vertreterin des [X.] hatte bei ihrem Hausbesuch eine besonders enge emotionale [X.]indung des [X.]es zu seinem Vater nicht wahrgenommen; ihr persönlicher Eindruck sei, dass es für [X.] keinen Unterschied mache, ob er seinen Vater wie bisher im Gefängnis nur einmal im Monat sehe oder ob sein Vater in die [X.] zurückkehren müsse, da ein familiäres Zusammenleben offenbar bislang nicht thematisiert worden sei. Nachvollziehbar hat das [X.]erufungsgericht schlüssige Darlegungen dazu vermisst, weshalb der [X.] künftig unter der Abwesenheit des [X.] leiden sollte, obwohl er über einen Zeitraum von bald fünf Jahren im täglichen Leben ohne seinen Vater auskommt, diese Situation ohne große Nachfragen oder Proteste hinnimmt und auch keine Verhaltensauffälligkeiten entwickelt hat. Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des [X.]erufungsgerichts, eine gewisse Enttäuschung des Kindes über von den Eltern geweckte Erwartungen sowie die im Falle einer Aufenthaltsbeendigung zu erwartende Vergrößerung der Abstände zwischen den möglichen Kontaktaufnahmen (die mittels einer [X.]etretenserlaubnis möglich bleiben) wiesen noch nicht auf eine (mögliche) Kindeswohlgefährdung hin.

Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung des [X.]erufungsgerichts nicht zu beanstanden, eine tiefere emotionale [X.]indung des Kindes zum Kläger habe sich aufgrund der haftbedingten Trennungen nicht entwickeln können, weshalb es an tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung fehle. Das gilt auch dann, wenn - wie die [X.]eschwerde einwendet - sich die [X.] bei ihrem [X.]esuch nur wenig intensiv mit dem Jungen beschäftigt haben sollte, weil in Anbetracht der angeführten weiteren Umstände des Einzelfalls nichts dafür ersichtlich war, dass eine eingehendere [X.]efragung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

d) Entgegen der Auffassung der [X.]eschwerde ist auch aus dem [X.]srecht keine Verpflichtung abzuleiten, dem [X.]eweisantrag nachzukommen. Nach dem von der [X.]eschwerde herangezogenen Urteil des [X.] vom 10. Mai 2017 - [X.]/15 - muss der Feststellung, dass zwischen einem Elternteil mit [X.]sangehörigkeit und seinem die [X.]sbürgerschaft besitzenden Kind kein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind bei einer Verweigerung des Aufenthaltsrechts bzw. einer Aufenthaltsbeendigung dieses Elternteils gezwungen sähe, das Gebiet der [X.] als Ganzes zu verlassen, die [X.]erücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohls zugrunde liegen, so insbesondere des Alters des Kindes, seiner körperlichen und emotionalen Entwicklung, des Grades seiner affektiven [X.]indung sowohl zu dem Elternteil, der [X.]sbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit [X.]sangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre. Auch wenn das [X.]erufungsgericht auf diese Rechtsprechung nicht explizit eingegangen ist, hat es den Sachverhalt hinsichtlich der vorgenannten Aspekte hinreichend aufgeklärt und ist dabei zu Feststellungen gelangt, die auch nicht ansatzweise den Schluss auf ein so geartetes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem [X.] rechtfertigen. Anders als der Kläger meint, liegt ein solches Abhängigkeitsverhältnis im Sinne der Rechtsprechung des [X.] nicht schon dann automatisch vor, wenn die Anwesenheit des Elternteils mit [X.]sangehörigkeit "für das innere Gleichgewicht eines Kindes nicht ohne jede Relevanz" ist.

Art. 20 A[X.]V verbietet den Mitgliedstaaten nicht, die Darlegungslast hinsichtlich der Tatsachen, die belegen können, dass eine Aufenthaltsversagung gegenüber dem [X.]sangehörigen das Kind dazu zwänge, das Gebiet der [X.] als Ganzes zu verlassen, zunächst dem [X.]sangehörigen aufzuerlegen. Jedoch haben die zuständigen [X.]ehörden bzw. Gerichte auf der Grundlage der von dem [X.]sangehörigen beigebrachten Informationen die erforderlichen Ermittlungen anzustellen, um im Lichte aller Umstände des Einzelfalls beurteilen zu können, ob eine Entscheidung, mit der das Aufenthaltsrecht versagt wird, solche Folgen hätte (vgl. [X.], Urteil vom 10. Mai 2017 - [X.]/15 - Rn. 78). Dem ist nicht zu entnehmen, dass die nationalen Instanzen zur [X.]eurteilung der Frage, ob zwischen einem [X.]sangehörigen und seinem die [X.]sbürgerschaft besitzenden Kind ein solches Abhängigkeitsverhältnis besteht, generell auch ein Sachverständigengutachten einholen müssten. Sie haben vielmehr lediglich die nach Lage des Einzelfalls "erforderlichen" Ermittlungen durchzuführen. Dem hat das [X.]erufungsgericht hier (unter anderem durch die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte umfangreiche Sachverhaltsaufklärung durch Anhörung des [X.] und der Mitarbeiterin des [X.] sowie durch Vernehmung der Kindesmutter als Zeugin) genügt. Unabhängig davon lag der vorbezeichneten Entscheidung des [X.] eine signifikant abweichende Fallkonstellation zugrunde, in welcher der [X.]sangehörige als Elternteil des minderjährigen Kindes, das die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates besitzt, für dieses Kind täglich und tatsächlich sorgte und lediglich in Frage stand nachzuweisen, dass der andere Elternteil hierzu nicht in der Lage sei.

II[X.] Von einer weiteren [X.]egründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

IV. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

1 B 65/19

21.01.2020

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 21. Mai 2019, Az: 10 B 19.55, Urteil

Art 20 AEUV, § 53 AufenthG, Art 24 EUGrdRCh, Art 7 EUGrdRCh, Art 8 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.01.2020, Az. 1 B 65/19 (REWIS RS 2020, 3773)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3773

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 C 16/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Generalprävention kann ein Ausweisungsinteresse begründen


19 ZB 23.1946 (VGH München)

Aufenthaltserlaubnis zur Umgangswahrnehmung, Im Bundesgebiet gelebte familiäre Gemeinschaft, Kindeswohl, Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Passlosigkeit, Wehrdienst, Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht …


1 B 38/21 (Bundesverwaltungsgericht)

Begriff der "Ausländerbehörde"; erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde


Au 6 K 17.1538 (VG Augsburg)

Ableitung der Freizügigkeit eines Drittstaatsangehörigen von einem minderjährigen Unionsbürger


1 B 74/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Zum Verhältnis von Sachkunde des Gerichts und Sachverständigengutachten


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 1388/15

1 BvR 1178/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.