Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.04.2014, Az. 10 AZB 6/14

10. Senat | REWIS RS 2014, 6227

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Gegenstand

Aussetzung - Verfassungsbeschwerde


Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 29. Januar 2014 - 4 Ta 248/13 (9) - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 8.137,02 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über [X.] der Klägerin für die Monate Juni 2012 bis Mai 2013 in Höhe von 60.000,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 19.314,90 Euro.

2

Die [X.]eklagte hatte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 hat das [X.] der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die von der [X.]eklagten eingelegte [X.]erufung ist durch das [X.] durch [X.]eschluss vom 5. April 2013 (- 6 [X.]/13 -) ohne Zulassung der Revisionsbeschwerde als unzulässig verworfen worden. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das [X.] mit [X.]eschluss vom 11. Juni 2013 (- 6 [X.]/13 -) zurück. Die [X.]eklagte erhob daraufhin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und die [X.]eschlüsse des [X.] beim [X.] Verfassungsbeschwerde (- 1 [X.]vR 1954/13 -), über die noch nicht entschieden ist.

3

Mit [X.]eschluss vom 27. September 2013 hat das [X.] den Rechtsstreit auf Antrag der [X.]eklagten gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Auf die sofortige [X.]eschwerde der Klägerin hat das [X.] durch [X.]eschluss vom 29. Januar 2014 diese Entscheidung aufgehoben und den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die [X.]eklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

4

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das [X.] nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht in [X.]etracht kommt.

5

1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem [X.]estehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat ([X.] 17. Juni 2003 - 2 [X.] [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 106, 293). Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen ([X.] 17. Juni 2003 - 2 [X.] [X.] 2 c der Gründe, aaO). Dabei ist der [X.]eschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer (§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG).

6

2. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des [X.]s zutrifft, wonach es wegen der rechtskräftigen Entscheidung des [X.] über die Kündigung bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits ist, fehlt.

7

a) Das [X.] nimmt insoweit zutreffend an, dass die Entscheidung des [X.] nach Verwerfung der [X.]erufung der [X.]eklagten als unzulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO) und (spätestens) nach der Entscheidung über deren Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) rechtskräftig geworden ist. Hieran ändert die erhobene Verfassungsbeschwerde nichts. [X.]ei ihr handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt ([X.] 30. April 2003 - 1 [X.] 1/02 - zu [X.] 2 a aa der Gründe, [X.]E 107, 395; 18. Januar 1996 - 1 [X.]vR 2116/94 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 93, 381). Damit steht (zunächst) rechtskräftig fest, dass die Kündigung vom 23. April 2012 unwirksam war.

8

b) Kommt allerdings das [X.] im Rahmen der erhobenen Verfassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass das Recht der [X.]eklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde und hebt es die [X.]eschlüsse des [X.]s gemäß § 95 Abs. 2 [X.]G auf, stünde die Wirksamkeit der Kündigung erneut im Streit. Deshalb spricht manches dafür, dass trotz des anderen Streitgegenstandes der Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu Zuck Das Recht der Verfassungsbeschwerde 4. Aufl. Rn. 19) die Annahme des [X.]estehens eines vorgreiflichen Rechtsstreits und eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind (vgl. zu dieser Möglichkeit: [X.] 11. Januar 2000 - 1 [X.]vR 1392/99 - zu II 2 der Gründe; [X.] 28. Januar 1988 - 2 [X.] - zu II 3 a der Gründe; [X.]GH 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - [jeweils zu anhängigen Verfassungsbeschwerden über ein entscheidungserhebliches Gesetz]; [X.] 27. Januar 1998 - 3 [X.] - zu [X.] [zu Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Parallelfällen]).

9

3. Unabhängig hiervon ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit über die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche (§ 615 [X.]G[X.]) nicht aussetzen. Auch unter [X.]erücksichtigung der - was die Ermessensausübung angeht - eingeschränkten Überprüfungskompetenz im [X.]eschwerderechtszug (vgl. dazu [X.] 26. Oktober 2009 - 3 AZ[X.] 24/09 - Rn. 7 ff.; [X.]GH 12. Dezember 2005 - II Z[X.] 30/04 - Rn. 6) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Es hat die Grenzen seines Ermessens deutlich überschritten und wesentliche Aspekte verkannt.

a) [X.] eines Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist ([X.] 22. September 2008  - 1 [X.]vR 1707/08 - Rn. 19, [X.]K 14, 270).

b) Führen Parteien einen Rechtsstreit über [X.], die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in [X.]etracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche [X.]eschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (vgl. z[X.] [X.] 19. Juni 2006 - 3 Ta 60/06 -; [X.] 24. November 2006 - 2 Ta 268/06 -; [X.] 3. Juli 2002 - 12 Ta 213/02 -; [X.] 27. Juni 2001 - 6/9 Ta 160/00 -; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 25; GK-ArbGG/[X.] Stand Dezember 2013 § 55 Rn. 48; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 29; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 43; vgl. auch [X.] 22. September 2008 - 1 [X.]vR 1707/08 - Rn. 20, [X.]K 14, 270). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen ([X.] 14. Dezember 1992 - 11 Ta 234/92 -). Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das zunächst vorgreifliche Verfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung rechtskräftig abgeschlossen und lediglich ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Solche besonderen Gründe hat das Arbeitsgericht weder erwogen noch hat die [X.]eklagte diese vorgetragen. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Vorgreiflichkeit ihrer Verfassungsbeschwerde berufen. Allein die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde und einem Erfolg der [X.]eklagten im dann fortzusetzenden Kündigungsschutzprozess führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Arbeitgeberin bleibt auch im Fall einer Ablehnung der Aussetzung nicht schutzlos. Sollte es nach einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zur Abweisung der Kündigungsschutzklage kommen, stünde ihr, falls der [X.] rechtskräftig stattgegeben worden ist, die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung (vgl. [X.] 7. November 2002 - 2 [X.]/01 - zu [X.] I 6 der Gründe, [X.]E 103, 290; vgl. auch [X.]GH 23. November 2006 - [X.]/04 - zu I 2 b der Gründe). Ob in Fällen, in denen erkennbar eine Überschreitung der 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO droht, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

        

    Mikosch    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    [X.]    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

10 AZB 6/14

16.04.2014

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Dresden, 27. September 2013, Az: 8 Ca 1359/13, Beschluss

§ 148 ZPO, § 580 Nr 6 ZPO, § 9 Abs 1 ArbGG, § 95 Abs 2 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.04.2014, Az. 10 AZB 6/14 (REWIS RS 2014, 6227)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6227

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