Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.05.2015, Az. 2 AZR 531/14

2. Senat | REWIS RS 2015, 11106

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Juni 2014 - 4 [X.]/14 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt im [X.] mehrere Krankenhäuser. Die im Jahre 1952 geborene Klägerin war bei ihr seit April 1991 als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Regelungen des [X.] Anwendung.

3

Zwischen den Parteien kam es zu Auseinandersetzungen über ihre beiderseitigen Rechte und Pflichten. Im Juni 2013 erteilte die Beklagte der Klägerin zwei Abmahnungen. Diese sind Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits der Parteien.

4

Am 11. September 2013 gab es ein Gespräch zwischen der Klägerin und ihrer Vorgesetzten. Der Inhalt im Einzelnen ist zwischen den Parteien streitig gewesen.

5

Mit Schreiben vom 19. September 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „außerordentlich mit [X.] Auslauffrist zum Ablauf des 31.03.2014“.

6

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, die auf Gründe in ihrem Verhalten gestützt sei, sei aufgrund des ihr zustehenden besonderen Kündigungsschutzes nach § 34 Abs. 2 [X.] ausgeschlossen. Zudem liege kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor. Im Übrigen sei auch der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.

7

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. September 2013 nicht beendet wird, sondern unverändert über den 31. März 2014 hinaus fortbesteht;

        

2.    

die Beklagte zu verpflichten, sie zu unveränderten Bedingungen als Reinigungskraft über den 31. März 2014 hinaus weiterzubeschäftigen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Der wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung liege im Verhalten der Klägerin. Diese habe in dem Gespräch am 11. September 2013 ihrer Vorgesetzten eine Ohrfeige angedroht. Außerdem habe sie in Aussicht gestellt, dass ihr [X.] die Vorgesetzte ohrfeigen werde, falls sie selbst dazu nicht in der Lage sei. Die Auslauffrist habe sie, die Beklagte, ausschließlich aus [X.] Gründen gewährt. Den Betriebsrat habe sie ordnungsgemäß angehört.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, dem Feststellungsantrag mit dem Tenor, „dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.09.2013 nicht mit Ablauf der [X.] Auslauffrist zum 31.03.2014 endet“. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das [X.] der Klage gegen die Kündigung vom 19. September 2013 nicht stattgeben. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Ob die Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest.

A. Die Revision ist zulässig. Sie ist ordnungsgemäß innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 ArbGG begründet worden.

[X.] Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des [X.]s in einer Weise verdeutlichen, die Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennen lässt. Die Revisionsbegründung hat sich deshalb mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils gezielt auseinanderzusetzen ([X.] 2. Mai 2014 - 2 [X.] - Rn. 15; 10. April 2014 - 2 [X.] - Rn. 10). Dadurch soll ua. sichergestellt werden, dass der Revisionskläger das angefochtene Urteil auf das Rechtsmittel hin überprüft und die Rechtslage genau durchdenkt. Die Kritik des angefochtenen Urteils soll außerdem zur richtigen Rechtsfindung beitragen. Die Darstellung anderer Rechtsansichten ohne Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung ([X.] 2. Mai 2014 - 2 [X.] - Rn. 15).

I[X.] Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und setzt sich mit dem angefochtenen Urteil in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise auseinander. Sie legt dar, aus welchen Gründen sie die das Berufungsurteil tragenden Erwägungen für rechtsfehlerhaft hält.

1. Die Beklagte macht geltend, eine Auslauffrist könne entgegen der Auffassung des [X.]s bei einer außerordentlichen Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers zumindest dann gewährt werden, wenn das zum Anlass der Kündigung genommene Verhalten objektiv eine fristlose Kündigung rechtfertige. Das [X.] habe dagegen ausschließlich subjektive Elemente geprüft. Damit rügt die Beklagte eine fehlerhafte Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB.

2. Ferner beanstandet die Beklagte, das [X.] sei zu Unrecht zu der Einschätzung gelangt, sie habe auf ihr Recht, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, verzichtet. Es habe dabei den Umstand, dass sie ausdrücklich eine „[X.]“ Auslauffrist gewährt habe, nicht bedacht. Zudem habe es den zugunsten der Klägerin bestehenden allgemeinen Beschäftigungsanspruch nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt. Die Beklagte rügt damit in der Sache Rechtsfehler bei der Anwendung der §§ 133, 157 BGB.

B. Die Revision ist begründet. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.]s war zulässig ([X.]). Das [X.] durfte auf der Basis seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, die Kündigung vom 19. September 2013 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst (I[X.]). Ob die Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest (II[X.]).

[X.] Die Revision ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht deshalb unbegründet, weil die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.]s unzulässig gewesen wäre.

1. Eine Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das [X.] mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen ([X.] 11. November 2014 - 3 [X.] - Rn. 18; 12. August 2014 - 3 [X.] - Rn. 88).

2. Die Berufungsbegründung der Beklagten entspricht diesen Anforderungen. Sie zeigt ausreichend deutlich auf, in welchen Punkten die Beklagte das erstinstanzliche Urteil für fehlerhaft hält.

a) Die Beklagte hat die Würdigung des [X.]s, das Verhalten der Klägerin rechtfertige allenfalls eine ordentliche Kündigung, unter Darlegung ihrer eigenen Wertung infrage gestellt. Eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil war in diesem Punkt nicht erforderlich. Das [X.] hatte seine Auffassung seinerseits nicht näher begründet.

b) Mit der weiteren Annahme des [X.]s, es sei jedenfalls deshalb nur eine ordentliche Kündigung in Betracht gekommen, weil die Beklagte mit der Gewährung der Auslauffrist - ohne die Klägerin gleichzeitig freizustellen - zu verstehen gegeben habe, ihr sei deren Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Frist zumutbar gewesen, hat sich die Beklagte ebenfalls hinreichend auseinandergesetzt. Sie hat eingewandt, der ihr insoweit entgegen gehaltene Wertungswiderspruch bestehe nicht. Das [X.] habe nicht genügend berücksichtigt, dass sie die Auslauffrist lediglich aus [X.]r Verantwortung, nicht aufgrund rechtlicher Verpflichtung gewährt habe.

I[X.] Die bisherigen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, die Kündigung der Beklagten vom 19. September 2013 sei unwirksam.

1. Das [X.] ist - unausgesprochen - davon ausgegangen, neben dem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG sei kein eigenständiger allgemeiner Feststellungsantrag in die Berufungsinstanz gelangt. Diese Würdigung begegnet keinen Bedenken. Das [X.] hatte - ebenfalls unausgesprochen - den Feststellungsantrag bereits als einheitlichen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ausgelegt und dementsprechend tenoriert. Dagegen hat die Klägerin keine Einwände erhoben.

2. Das [X.] hat angenommen, eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers komme gegenüber Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 [X.] ordentlich nicht kündbar seien, nicht in Betracht. Dies trifft nicht zu.

a) Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 [X.] können die Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und die den Regelungen des Tarifgebiets West unterliegen, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Die Klägerin erfüllte im Zeitpunkt der Kündigung die Voraussetzungen für den tariflichen Sonderkündigungsschutz.

b) Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an. Deren Verständnis ist deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend ([X.] 31. Juli 2014 - 2 [X.] - Rn. 23; 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 12; 26. November 2009 - 2 [X.] - Rn. 12, [X.]E 132, 299).

c) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann.

[X.]) Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht ([X.] 31. Juli 2014 - 2 [X.] - Rn. 25; 8. Mai 2014 - 2 [X.] - Rn. 16).

bb) Dabei gilt ein objektiver Maßstab. Nach § 626 Abs. 1 BGB bestimmt sich der wichtige Grund anhand des Vorliegens von Tatsachen [X.]/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 109; [X.]/Griebeling 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 58; APS/[X.]/[X.] 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 22). Maßgeblich ist nicht, ob ein bestimmter Arbeitgeber meint, ihm sei die Einhaltung der Kündigungsfrist nicht zuzumuten, und ob er weiterhin hinreichendes Vertrauen in einen Arbeitnehmer hat. Es kommt darauf an, ob die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem Kündigenden aus der Sicht eines objektiven und verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist oder nicht ([X.] 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 47, [X.]E 134, 349).

cc) Der Arbeitgeber ist bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB nicht gezwungen, fristlos zu kündigen. Er kann die Kündigung grundsätzlich auch - etwa aus [X.]n Erwägungen oder weil eine Ersatzkraft fehlt - unter Gewährung einer Auslauffrist aussprechen ([X.] 13. April 2000 - 2 [X.] - zu II 2 a der Gründe, [X.]E 94, 228; 9. Februar 1960 - 2 [X.] 585/57 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 9, 44). Ob die Gewährung einer Auslauffrist zu der Annahme berechtigt, dem Arbeitgeber sei die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der Frist auch objektiv zumutbar, ist unabhängig davon und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. [X.] 6. Februar 1997 - 2 [X.] 51/96 - zu II 2 b der Gründe; 9. Februar 1960 - 2 [X.] 585/57 - [X.]O). Für sich genommen erlaubt die Gewährung einer Auslauffrist, auf die das [X.] allein abgestellt hat, einen solchen Schluss nicht.

dd) Aus § 34 Abs. 2 Satz 1 [X.] folgt nichts anderes. Schon der Wortlaut der Bestimmung schließt lediglich eine Kündigung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aus, nicht aber eine Kündigung aus wichtigem Grund mit Auslauffrist. Ein solches Verständnis widerspricht nicht etwa dem Sinn und Zweck des tariflichen Sonderkündigungsschutzes. Durch ihn sollen länger beschäftigte ältere Arbeitnehmer, die im Allgemeinen weniger schnell Zugang zum Arbeitsmarkt finden, einen weiter gehenden Arbeitsplatzschutz erlangen (BeckOK [X.]/[X.] Stand 1. September 2014 [X.]-AT § 34 Rn. 24; [X.]/[X.]/[X.]/Wiese [X.] Stand März 2015 § 34 Rn. 656). Dieser Schutz wird bei Vorliegen eines wichtigen Grundes durch die Gewährung einer Auslauffrist in keiner Weise geschmälert.

3. Die Würdigung des [X.]s, die Beklagte habe auf ein - mögliches - Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichtet, ist ebenfalls nicht ohne Rechtsfehler.

a) Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer - außerordentlichen oder ordentlichen - Kündigung jedenfalls nach dessen Entstehen durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich. So liegt im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte ([X.] 26. November 2009 - 2 [X.] 751/08 - Rn. 11 f.; 6. März 2003 - 2 [X.] 128/02 - zu [X.]). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn gemäß §§ 133, 157 BGB der Abmahnung selbst oder den Umständen zu entnehmen ist, dass der Arbeitgeber die Angelegenheit mit der Abmahnung nicht als „erledigt“ ansieht ([X.] 13. Dezember 2007 - 6 [X.] 145/07 - Rn. 24, [X.]E 125, 208).

b) Das [X.] hat angenommen, die Beklagte habe sich ihres - etwaigen - Rechts zur außerordentlichen Kündigung begeben, indem sie das Arbeitsverhältnis der Parteien unter Gewährung einer Auslauffrist gekündigt habe. Dabei hat es nicht alle relevanten Umstände in den Blick genommen.

[X.]) Nach §§ 133, 157 BGB sind Willenserklärungen so auszulegen, wie die Parteien sie nach [X.] und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt ([X.] 22. Juli 2014 - 9 [X.] 1066/12 - Rn. 13, [X.]E 148, 349).

bb) Die Auslegung von nichttypischen Willenserklärungen - etwa Kündigungsschreiben - obliegt vorrangig den Tatsachengerichten. Das Revisionsgericht kann die Auslegung nur daraufhin überprüfen, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt sind, ob dabei nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und ob das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet oder ob eine gebotene Auslegung vollständig unterlassen worden ist ([X.] 6. März 2003 - 2 [X.] 128/02 - zu [X.] 2 a der Gründe).

c) Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.

[X.]) Das [X.] hat nicht berücksichtigt, dass die Beklagte ausdrücklich eine außerordentliche Kündigung erklärt hatte. Dies spricht gegen ein Verständnis, sie habe auf eben dieses Recht zur außerordentlichen Kündigung verzichten wollen. Die Gewährung einer Auslauffrist besagt für sich genommen nichts anderes. Ihre Bezeichnung als „[X.] Auslauffrist“ im Zusammenhang mit der Erklärung einer außerordentlichen Kündigung bestätigt vielmehr, dass die Beklagte ein - vermeintliches - Recht zur außerordentlichen Kündigung hat ausüben und nicht etwa hat aufgeben wollen.

bb) Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte statt der ausdrücklich erklärten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist in Wirklichkeit eine - wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 2 Satz 1 [X.] allemal rechtsunwirksame - ordentliche Kündigung hätte aussprechen und insofern zugleich auf das nach dem Wortlaut der Erklärung gerade in Anspruch genommene Recht zur außerordentlichen Kündigung hätte verzichten wollen.

II[X.] [X.] ist nicht entscheidungsreif. Der [X.] kann nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung vom 19. September 2013 wirksam ist. Es fehlt an erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das [X.] zurückzuverweisen.

1. Es steht noch nicht fest, ob ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. September 2013 gegeben war. Das [X.] hat - aus seiner Sicht konsequent - zu den Äußerungen der Klägerin in dem Gespräch mit ihrer Vorgesetzten am 11. September 2013 keine Feststellungen getroffen.

a) Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - objektiv - nicht zuzumuten ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diesem Fall wäre eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre (vgl. [X.] 10. Oktober 2002 - 2 [X.] 418/01 - zu [X.] 5 b der Gründe; 27. April 2006 - 2 [X.] 386/05 - Rn. 34 f., [X.]E 118, 104; [X.]/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 301b).

b) Es kann nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass das von der Beklagten behauptete Verhalten der Klägerin einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt. Als solcher ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die erhebliche Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. [X.] 8. Mai 2014 - 2 [X.] - Rn. 19 f.; [X.]/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408; APS/[X.]/[X.] 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 231 f.). Im Streitfall wird daher ggf. aufzuklären sein, ob und in welchem Zusammenhang es zu den behaupteten Äußerungen der Klägerin gekommen ist. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalls wird im Rahmen einer Abwägung der beiderseitigen Interessen zu prüfen sein, ob es der Beklagten aufgrund des Verhaltens der Klägerin - objektiv - unzumutbar war, sie auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

c) Denkbar ist ferner, dass ein pflichtwidriges Verhalten, das bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen kann ([X.] 15. November 2001 - 2 [X.] 605/00 - zu II 5 a der Gründe, [X.]E 99, 331; 13. April 2000 - 2 [X.] - zu II 3 d cc der Gründe, [X.]E 94, 228; offengelassen [X.] 21. Juni 2012 - 2 [X.] 343/11 - Rn. 16, 21). Zwar wirkt sich der Sonderkündigungsschutz insofern zum Nachteil für den Arbeitnehmer aus. Dies ist jedoch im Begriff des wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB angelegt. Dieser richtet sich nach der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs muss in einem solchen Fall allerdings zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber ordentlich nicht gekündigt werden kann, darf im Ergebnis nicht schlechter gestellt sein, als wenn er dem Sonderkündigungsschutz nicht [X.] ([X.] 15. November 2001 - 2 [X.] 605/00 - zu II 5 b der Gründe; 13. April 2000 - 2 [X.] - [X.]O; 11. März 1999 - 2 [X.] 427/98 - zu [X.]I 3 b der Gründe).

[X.]) Bei Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers wird eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Die Pflichtverletzung müsste einerseits so gravierend sein, dass sie im Grundsatz auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnte. Andererseits müsste es dem Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zumutbar sein, dennoch die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Wäre etwa die Gefahr einer Wiederholung des [X.] zwar für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist auszuschließen, nicht aber darüber hinaus (zu einer solchen Konstellation vgl. [X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] 284/10 - Rn. 29), könnte ausnahmsweise gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung - mit notwendiger Auslauffrist - bestünde (ebenso [X.]/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 301b; [X.]. § 626 Rn. 80, 87; [X.] AR-Blattei SD 1010.7 Rn. 74; vgl. auch [X.]/[X.] 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 49 [X.]; [X.]/[X.] 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 80).

bb) Ist die Pflichtverletzung zwar nicht so schwerwiegend, dass sie „an sich“ als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht käme, könnte sie jedoch eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen, führte auch der Ausschluss der ordentlichen Kündigung regelmäßig nicht dazu, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung - mit notwendiger Auslauffrist - bestünde. Bei einem typischerweise nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers bedingen es vielmehr Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes, dass sich der Arbeitgeber von der freiwillig eingegangenen, gesteigerten Vertragsbindung nicht lösen kann (vgl. zur Problematik auch [X.] 21. Juni 2012 - 2 [X.] 343/11 - Rn. 20; [X.]/[X.] 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 49 [X.]; [X.]/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 301b).

d) Im Streitfall sind auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen keine besonderen Umstände ersichtlich, die gerade deshalb eine außerordentliche Kündigung mit - insofern notwendiger - Auslauffrist rechtfertigen könnten, weil die ordentliche Kündigung für die Beklagte ausgeschlossen war.

2. Der [X.] kann nicht selbst beurteilen, ob die Kündigung vom 19. September 2013 nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist. Das [X.] hat zur Anhörung des Betriebsrats bislang - aus seiner Sicht konsequent - keine Feststellungen getroffen.

[X.]. Von der Zurückverweisung ist auch der als Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zu verstehende Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung erfasst. Die Entscheidung über ihn ist abhängig von der Entscheidung über den Feststellungsantrag.

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    A. Claes    

        

    Brossardt    

                 

Meta

2 AZR 531/14

13.05.2015

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Stuttgart, 30. Januar 2014, Az: 10 Ca 1737/13, Urteil

§ 626 Abs 1 BGB, § 34 Abs 2 S 1 TVöD, § 241 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.05.2015, Az. 2 AZR 531/14 (REWIS RS 2015, 11106)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11106

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