Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.06.2023, Az. IX ZR 56/22

9. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4674

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Gegenstand

Einbeziehung eines Dritten in Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Beratungsvertrags


Leitsatz

1. Die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen Mandatsvertrags ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dem Berater im Verhältnis zum Mandanten nur eine Schutz- oder Fürsorgepflichtverletzung zur Last fällt.

2. Die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz für den Geschäftsleiter der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten; Voraussetzung ist ein Näheverhältnis zu der nach dem Mandatsvertrag geschuldeten Hauptleistung.

3. In den Schutzbereich des Vertrags bei Verletzung der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund kann auch ein faktischer Geschäftsleiter einbezogen sein.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats des [X.] vom 3. März 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines in Insolvenz gefallenen Rechtsanwalts (nachfolgend nur noch: Rechtsanwalt) in Anspruch. Sie macht geltend, ihr stünden Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht gegen den versicherten Rechtsanwalt zu, weil dieser Hinweis- und Warnpflichten verletzt habe.

2

Zedenten des abgetretenen Schadensersatzanspruchs sind M.  und [X.]       . M.  M.       senior war bis Ende 2009 Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der [X.] (nachfolgend: [X.]). Danach wurde sein [X.], [X.], Geschäftsführer. Die Klägerin behauptet, M.  M.        senior sei weiterhin faktisch als Geschäftsführer tätig gewesen. Die [X.] beauftragte den Rechtsanwalt ab Juli 2009 wiederholt mit ihrer Beratung. Auf Antrag vom 4. Juni 2012 wurde am 1. August 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm M.  und [X.]        wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Diese verpflichteten sich im Wege eines Vergleichs als Gesamtschuldner zu einer Zahlung in Höhe von 85.000 €. Die Zahlung wurde geleistet.

3

In Höhe dieses Betrags verlangt die Klägerin von dem beklagten Haftpflichtversicherer Schadensersatz. Sie meint, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Blick auf eine bestehende Insolvenzreife der [X.] verletzt; M.  und [X.]         seien als formaler und faktischer Geschäftsführer in den Schutzbereich der mit der [X.] geschlossenen Mandatsverträge einbezogen gewesen. Auf dieser Grundlage begehrt die Klägerin zudem Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 11.766,66 €, die M.  und [X.]        in der rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Insolvenzverwalter über den geltend gemachten Anspruch wegen Zahlungen nach Insolvenzreife entstanden sind.

4

Das [X.] hat der Klage in Höhe von [X.] (85.000 € zuzüglich 11.766,66 €) stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

6

Das Berufungsgericht hat sich nach Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass der Rechtsanwalt im Sinne einer Hauptpflicht gehalten gewesen sei, auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfenden [X.] [X.] hinzuweisen. Ob eine entsprechende Nebenpflicht bestanden habe, hat das Berufungsgericht offengelassen. Insoweit fehle es an einer Einbeziehung der Vertreter in den Schutzbereich der zwischen dem Rechtsanwalt und der [X.] geschlossenen Mandatsverträge. [X.] bloß nebenvertragliche Hinweis- und Warnpflichten, etwa wenn sich im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit Anhaltspunkte für die Gefahr einer Insolvenz des Mandanten ergäben, führe es zu weit, den organschaftlichen Vertreter in den haftungsrechtlich relevanten Schutzbereich des Vertrags zwischen der Gesellschaft und dem Rechtsanwalt auch hinsichtlich der Verletzung solcher bloß nebenvertraglicher Pflichten einzubeziehen. Grundsätzlich sei ein enger Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geboten, da ansonsten die Grenze zwischen deliktischer und vertraglicher Haftung zu verwischen drohe. Die Haftung des [X.]s - dessen Interessen im Rahmen einer Haftungserweiterung nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter genauso zu berücksichtigen seien - werde letztendlich ohne vertragliche oder gesetzliche Grundlage erweitert. Daher müsse der Kreis der geschützten [X.] für den Schuldner subjektiv erkennbar und vorhersehbar sein. Das Vertrags- und Haftungsrisiko müsse für den Schuldner bei Abschluss des Vertrags überschaubar, kalkulierbar und versicherbar sein. Nur dann könne ihm ein vertragliches Haftungsrisiko zugemutet werden.

II.

7

Die Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Einbeziehung eines [X.] in den Schutzbereich des zwischen Rechtsberater und Mandant geschlossenen [X.] ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dem Berater im Verhältnis zum Mandanten nur eine Schutz- oder Fürsorgepflichtverletzung (§ 241 Abs. 2 [X.]) zur Last fällt. Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob es revisionsrechtlicher Prüfung standhält, dass sich das Berufungsgericht nicht hat von einer Hauptpflicht des Rechtsanwalts überzeugen können, auf eine mögliche Insolvenzreife der [X.] und die daran anknüpfenden [X.] hinzuweisen.

8

1. Bei einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter steht die geschuldete (Haupt-)Leistung allein dem Gläubiger zu, der Dritte ist jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Die Herausbildung des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] beruht auf ergänzender Vertragsauslegung und knüpft damit an den hypothetischen Willen der Parteien an, der gemäß § 157 [X.] unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu erforschen ist. Um die Haftung für den Schuldner nicht unkalkulierbar auszudehnen, sind an die Einbeziehung von [X.] in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen ([X.], Urteil vom 7. Dezember 2017 - [X.], NJW 2018, 1537 Rn. 16 mwN). Strenge Anforderungen an die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrags verhindern zugleich, dass die Grenzen zwischen Vertrags- und Deliktshaftung in unzuträglicher Weise verwischt werden (vgl. [X.], Urteil vom 11. Januar 1977 - [X.], [X.], 638 mwN).

9

2. Im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung und damit der Rechtssicherheit knüpft der [X.] die Einbeziehung eines [X.] in den Schutzbereich des Vertrags an bestimmte Voraussetzungen: Der Dritte muss mit der vertraglich geschuldeten Hauptleistung bestimmungsgemäß in Berührung kommen. Der Gläubiger muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des [X.] in den Schutzbereich des Vertrags haben. Die Einbeziehung des [X.] muss dem [X.] bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein. Schließlich bedarf es eines Bedürfnisses für die Ausdehnung des [X.], das regelmäßig fehlt, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt ([X.], Urteil vom 21. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 251 Rn. 17; vom 7. Dezember 2017, aaO Rn. 18; vom 9. Juli 2020 - [X.], [X.], 329 Rn. 12; st. Rspr).

3. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für die Einbeziehung eines [X.] in den Schutzbereich des Vertrags gesehen. Geprüft hat es die Einbeziehung von M.  und [X.]        in den Schutzbereich der zwischen der [X.] und dem Rechtsanwalt geschlossenen Mandatsverträge jedoch nicht nach diesen Voraussetzungen. Es hat seiner Beurteilung einen abweichenden Maßstab zugrunde gelegt, indem es die Einbeziehung in den Schutzbereich allein anhand der Qualität der von ihm unterstellten Pflichtverletzung des Rechtsanwalts geprüft und abgelehnt hat. Das ist ein revisibler Rechtsfehler. Das Berufungsgericht überschreitet den Spielraum, der dem Tatrichter bei der Beurteilung der Frage eingeräumt ist, ob ein Dritter in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen ist (vgl. [X.], Urteil vom 19. November 2009 - [X.], [X.], 124 Rn. 10 f; vom 21. Juli 2016, aaO Rn. 18).

4. Die Ablehnung der Einbeziehung eines [X.] in den Schutzbereich des Vertrags anhand der Qualität der im Verhältnis zum Vertragspartner begangenen Pflichtverletzung findet in der Rechtsprechung des [X.] keine Grundlage. Dies gilt sowohl im Allgemeinen als auch im Blick auf die vom Berufungsgericht unterstellte Verletzung einer Hinweis- und Warnpflicht des [X.] bei möglichem Insolvenzgrund.

a) Die Rechtsprechung geht seit jeher davon aus, dass auch die Verletzung von Schutz- und Fürsorgepflichten zu einem Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter führen kann. Die Verletzung von Schutz- und Fürsorgepflichten bildete den Ausgangspunkt der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (vgl. [X.], Urteil vom 2. Juli 1996 - [X.], [X.]Z 133, 168, 170 ff; vom 24. April 2014 - [X.], [X.], 972 Rn. 10); sie ist hauptsächlich im Zusammenhang mit der Verletzung von Schutz- und Fürsorgepflichten entwickelt worden (vgl. [X.], Urteil vom 11. Januar 1977 - [X.], [X.], 638; vom 12. November 1979 - [X.], [X.]Z 75, 321, 324 f). Die Rechtsprechung hat allerdings erkannt, dass auch Nebenpflichten, die auf die Herbeiführung des Leistungserfolgs bezogen sind, Drittschutz entfalten können. Für die Hauptpflicht selbst gilt nichts anderes. Die Verpflichtung, um deren Verletzung willen der Schuldner einem [X.] haften soll, kann daher in einer weiteren oder engeren Beziehung zur vertraglichen Hauptleistung stehen oder sich mit dieser decken (vgl. [X.], Urteil vom 12. November 1979, aaO S. 325).

Es ist danach unzweifelhaft, dass die Einbeziehung eines [X.] in den Schutzbereich eines Vertrags auch dann in Betracht kommt, wenn der [X.] nur eine Schutz- oder Fürsorgepflicht verletzt hat. Das wird auch im Schrifttum so gesehen ([X.][X.], 9. Aufl., § 328 Rn. 181 f; [X.]/[X.], 2023, § 328 [X.] Rn. 75.1; [X.]/[X.], [X.], 2020, § 328 Rn. 116; [X.]/[X.], [X.], 16. Aufl., § 328 Rn. 65).

b) Auch die Hinweis- und Warnpflicht des [X.] bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz entfalten.

aa) Mit Urteil vom 26. Januar 2017 ([X.], [X.]Z 213, 374 Rn. 43 ff) hat der [X.] eine Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund erstmals in Betracht gezogen. Diese bezog sich auf die Haftung eines Steuerberaters, der mit der Erstellung des Jahresabschlusses einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung beauftragt ist ([X.], Urteil vom 26. Januar 2017, aaO Rn. 45). Die Entscheidung des [X.] hat den Gesetzgeber dazu veranlasst, die Hinweis- und Warnpflicht in § 102 [X.] berufsstandübergreifend als Instrument zur Früherkennung der Bestandsgefährdung eines Unternehmens zu etablieren (BT-Drucks. 19/24181, [X.]). Zu einer Einbeziehung des Geschäftsleiters in den Schutzbereich eines Vertrags, der eine Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund begründet, äußert sich weder das Urteil des [X.] vom 26. Januar 2017 noch § 102 [X.] (vgl. BT-Drucks. 19/24181, aaO).

bb) Mit Urteil vom 14. Juni 2012 ([X.], [X.]Z 193, 297 Rn. 27 ff) hat der [X.] die Einbeziehung des Geschäftsleiters in den Schutzbereich eines Vertrags angenommen, der die Prüfung der Insolvenzreife einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung vorsah (vgl. auch [X.], Urteil vom 21. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 251 Rn. 23). Ausgangspunkt der Prüfung des Drittschutzes war damit die vertragliche Hauptpflicht. Zur Begründung der Einbeziehung des Geschäftsleiters in den Schutzbereich des Vertrags hat der [X.] zum einen auf dessen Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 1 [X.]) und zum anderen auf die bei einer Missachtung dieser Pflicht drohenden Haftungsfolgen (§ 823 Abs. 2 [X.] iVm § 15a Abs. 1 [X.]; § 15b [X.]) verwiesen (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juni 2012, aaO Rn. 28 f).

Die Insolvenzantragspflicht begründet [X.] für den Geschäftsleiter; missachtet er die Antragspflicht, drohen ihm persönlich Haftungsfolgen. Die Haftungsfolgen sind im [X.] angeordnet, nicht aber im Interesse des Mandanten. Es handelt sich materiell um eine Haftung im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger der [X.], um die verteilungsfähige Vermögensmasse zu erhalten und eine zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (vgl. [X.], Urteil vom 21. Juli 2016, aaO). Die Insolvenzantragspflicht und die Haftung im [X.], welche den Drittschutz begründen können, sind der maßgebliche Unterschied zu der Fallgestaltung, in der die Beratung für Entscheidungen des Mandanten Gegenstand des [X.] ist und für den (organschaftlichen) Vertreter die Gefahr besteht, auf der Grundlage der Beratung seinerseits seine gegenüber dem Mandanten bestehenden Pflichten zu verletzen. Verhält es sich so, scheiden Schutzwirkungen des [X.] zugunsten des Vertreters im Allgemeinen aus (vgl. [X.], Urteil vom 21. Juli 2016, aaO Rn. 24 ff).

cc) Zu der Frage, ob auch die Hinweis- und Warnpflicht des [X.] bei möglichem Insolvenzgrund eine drittschützende Wirkung zugunsten des Geschäftsleiters einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten kann, hat sich der [X.] bislang nicht geäußert. Im Schrifttum wird die Frage nicht vertieft diskutiert. Zum Teil wird von einer drittschützenden Wirkung ausgegangen ([X.], [X.], 260, 264 f; [X.], [X.], 258, 261 f), zum Teil wird sie abgelehnt oder jedenfalls kritisch gesehen (Froehner, [X.], 390; vgl. auch [X.]/[X.], DStR 2022, 61, 62; [X.], EWiR 2022, 7, 8). Die Frage ist dahingehend zu beantworten, dass eine drittschützende Wirkung in Betracht kommt. Allerdings hängt dies vom Inhalt des [X.] ab.

(1) Die Einbeziehung eines [X.] in die Schutzwirkungen eines Vertrags bei reinen Vermögensschäden setzt voraus, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommt ([X.], Urteil vom 24. April 2014 - [X.], [X.], 972 Rn. 11; vom 18. Februar 2016 - [X.], [X.], 1541 Rn. 21; vom 21. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 251 Rn. 19). Das erforderliche Näheverhältnis liegt nur vor, wenn die Leistung des Rechtsanwalts bestimmte Rechtsgüter eines [X.] nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen kann. Entscheidend für eine Ersatzpflicht hinsichtlich von Vermögensschäden des [X.] ist, ob die vom Anwalt zu erbringende Leistung nach dem objektiven [X.] auch dazu bestimmt ist, dem [X.] Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Inwieweit dieses Näheverhältnis besteht, hängt entscheidend von Ausprägung und Inhalt des anwaltlichen [X.] ab (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juli 2020 - [X.], [X.], 1720 Rn. 15).

(2) Die Hinweis- und Warnpflicht des [X.] bei möglichem Insolvenzgrund kann demnach nur dann drittschützende Wirkung zugunsten des Geschäftsleiters einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten, wenn der Geschäftsleiter insoweit bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommt. Darüber entscheiden Ausprägung und Inhalt des [X.]. Nicht erforderlich ist, dass die Hauptpflicht selbst drittschützend ist. Es reicht aus, wenn das geschützte Drittinteresse bei Erbringung der Hauptleistung typischerweise beeinträchtigt werden kann. [X.] der erforderlichen Leistungsnähe ist, dass der Dritte ein besonderes Interesse an der Hauptleistung hat, weil die Leistung des Anwalts nach objektivem [X.] (auch) dazu bestimmt ist, dass der Dritte konkret feststehende Handlungsgebote, die ihn persönlich treffen, einhalten und so eine persönliche Haftung vermeiden kann (vgl. [X.], Urteil vom 21. Juli 2016, aaO Rn. 22).

Im Streitfall folgt das geschützte Drittinteresse aus der Insolvenzantragspflicht und den bei ihrer Missachtung drohenden Haftungsfolgen (vgl. oben Rn. 16 f). Eine Beeinträchtigung dieses Interesses scheidet regelmäßig aus, wenn der Rechtsberater nur mit der Durchsetzung eines Anspruchs beauftragt wird oder eine rechtliche Gestaltung unabhängig von einer Krise der Mandantin vornehmen soll. Treten während der Bearbeitung eines solchen Mandats die Voraussetzungen für die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund ein (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2017 - [X.], [X.]Z 213, 374 Rn. 44; vom 21. Juni 2018 - [X.], Z[X.] 2018, 1846 Rn. 12), erstreckt sich der Schutz dieser (Neben-)Pflicht in der Regel nicht auf den Geschäftsleiter, weil die ihn treffende Insolvenzantragspflicht und die bei ihrer Missachtung drohenden Haftungsfolgen keinen (hinreichenden) Bezug zur geschuldeten Hauptleistung aufweisen.

Anders liegt der Fall, wenn die juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit den Berater mit der Beurteilung oder Bearbeitung einer Krisensituation betraut. Daraus folgt zunächst ein Näheverhältnis der Hauptleistung zu den nunmehr in § 1 [X.] rechtsformübergreifend zusammengefassten Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement, die wie die Insolvenzantragspflicht aus § 15a Abs. 1 [X.] den Geschäftsleiter treffen. Ob Haftungsfolgen aus der Verletzung von Pflichten zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement wie die Folgen einer Missachtung der Insolvenzantragspflicht im [X.] angeordnet sind und sich deshalb ein Drittschutz auch insoweit ergeben kann, muss nicht entschieden werden. Das erforderliche Näheverhältnis besteht jedenfalls im Blick auf die Insolvenzantragspflicht, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft regelmäßig in Betracht zu ziehen ist.

(3) Der so verstandene Drittschutz der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund birgt kein unbilliges Haftungsrisiko für den Rechtsberater. Muss er sich zur ordnungsgemäßen Erbringung der geschuldeten Hauptleistung mit einer wirtschaftlichen Krise des Rechtsträgers befassen, dessen Geschäftsleiter der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 [X.] unterliegt, ist das mit der Übernahme eines solchen Mandats verbundene, durch den Drittschutz erweiterte Haftungsrisiko von Anfang an hinreichend überschaubar. Es kommt hinzu, dass die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund nur unter engen Voraussetzungen eingreift. Geschuldet sind Hinweis oder Warnung erst, wenn dem Berater der mögliche Insolvenzgrund bekannt wird, dieser für ihn offenkundig ist oder der Insolvenzgrund sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängt. Die bloße Erkennbarkeit reicht nicht aus. Ferner muss der Berater Grund zu der Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden [X.] bewusst ist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2017, aaO; vom 21. Juni 2018, aaO). Zudem erfordert die Hinweis- und Warnpflicht keine eigenständige Prüfung oder Ermittlung des [X.].

III.

Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht - auch nicht nur teilweise - aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

1. Die Klägerin kann den beklagten Haftpflichtversicherer des insolventen Rechtsanwalts direkt in Anspruch nehmen (§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG).

2. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob dem Rechtsanwalt eine Verletzung der Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund zur Last fällt. Davon ist revisionsrechtlich auszugehen.

3. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus abgetretenem Recht des M.  M.        senior scheitert nicht zwingend daran, dass dieser nur faktischer Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der [X.] gewesen sein soll. In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass ein faktischer Geschäftsführer sowohl zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet ist als auch für die zivilrechtlichen Folgen einer verspäteten Antragstellung einzustehen hat (vgl. [X.], Urteil vom 21. März 1988 - [X.], [X.]Z 104, 44, 46; vom 25. Februar 2002 - [X.], [X.]Z 150, 61, 69; vom 11. Juli 2005 - [X.], [X.], 1550 f; Beschluss vom 2. Juni 2008 - [X.], [X.], 1329 Rn. 4). Die Erwägungen, die eine Einbeziehung des ordnungsgemäß bestellten Geschäftsleiters in den Schutzbereich des [X.] rechtfertigen können (vgl. dazu oben Rn. 14 ff), gelten deshalb entsprechend. Mit dem Vorhandensein eines faktischen Geschäftsführers muss der Rechtsberater allerdings nicht ohne weiteres rechnen. Die Einbeziehung des faktischen Geschäftsführers in den Schutzbereich des Vertrags setzt daher zusätzlich zumindest die Erkennbarkeit seiner Existenz für den Rechtsberater voraus.

IV.

Das Urteil ist danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird die Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs aus abgetretenem Recht neu zu prüfen haben.

Bejaht das Berufungsgericht die Verletzung einer Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund, wird es erneut der Frage des Drittschutzes nachzugehen haben. Gegebenenfalls sind die Kausalität der Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden und ein mögliches Mitverschulden zu prüfen (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2017 - [X.], Z[X.] 2018, 1846 Rn. 52 f, insoweit nicht abgedruckt in [X.]Z 213, 374).

Schoppmeyer     

      

Lohmann     

      

Schultz

      

Selbmann     

      

Harms     

      

Meta

IX ZR 56/22

29.06.2023

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 3. März 2022, Az: 18 U 12/20

§ 241 Abs 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 328 BGB, § 675 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.06.2023, Az. IX ZR 56/22 (REWIS RS 2023, 4674)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4674

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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