Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.07.2020, Az. IX ZR 289/19

9. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1264

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Gegenstand

Einbeziehung von Dritten in den Schutzbereich eines Rechtsberatungsvertrages


Leitsatz

Zur Frage der Einbeziehung von Dritten in den Schutzbereich eines Rechtsberatungsvertrages.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 29. Zivilsenats des [X.] vom 6. November 2019 wird auf Kosten der [X.], die auch die Kosten der Streithelferin des Beklagten zu tragen haben, zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die [X.] nehmen den Beklagten wegen fehlerhafter Rechtsberatung insbesondere auf die Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. Sie begehren zudem die Feststellung seiner Pflicht zum Ersatz zukünftiger Schäden.

2

[X.] der 1997 geborenen Klägerin zu 1 und der 1994 geborenen Klägerin zu 2 wurde bei einem Verkehrsunfall am 30. September 2006 schwer verletzt. Sie ist seitdem schwerstbehindert, auf einen Rollstuhl angewiesen und dauerhaft pflegebedürftig. Nach dem Unfall beauftragte die Mutter der [X.] zunächst eine Rechtsanwältin mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Ende November 2006 bestätigte die Streithelferin als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers ihre volle Einstandspflicht dem Grunde nach. Im Dezember 2007 beauftragte die Mutter der [X.] den Beklagten mit der Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche gegenüber der Streithelferin. Das Mandat endete im Mai 2016.

3

Die [X.] leben mit starken Schuldgefühlen ihrer pflegebedürftigen Mutter gegenüber. Die Klägerin zu 1 ist seit Oktober 2016 in psychotherapeutischer Behandlung; die Klägerin zu 2 hat sich einer solchen Behandlung von April 2013 bis September 2014 unterzogen.

4

Die [X.] haben behauptet, ihre seit Anfang 2016 und seit 2012 bestehenden Leiden seien auf den Unfall, bei dem auch sie in dem Fahrzeug der Mutter gesessen hätten und leicht verletzt worden seien, zurückzuführen. Sie haben gemeint, der Beklagte hätte im Rahmen des Mandats mit ihrer Mutter auch über die ihnen zustehenden und nach ihrer Ansicht inzwischen verjährten Ansprüche gegenüber der Streithelferin aufklären und beraten müssen.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen sie ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

7

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, Ansprüche der [X.] wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem Anwaltsvertrag zwischen ihrer Mutter und dem [X.]n bestünden nicht, weil dieser Vertrag keine Schutzwirkung zugunsten der [X.] entfalte. Es fehle bereits an der sogenannten [X.], weil die [X.] mit der Hauptleistung des [X.] nicht bestimmungsgemäß in Berührung kommen sollten. Gegenstand des Vertrages sei die Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche der Mutter gegenüber der Streithelferin gewesen. Entscheidend für die [X.] sei, dass Sinn und Zweck des [X.] und die erkennbaren Auswirkungen der vertragsgemäßen Leistung auf den [X.] dessen Einbeziehung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erforderten. Dies sei nicht der Fall.

II.

8

Das hält rechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei Ansprüche der [X.] gegen den [X.]n wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem mit ihrer Mutter geschlossenen Anwaltsvertrag verneint.

9

1. Das Zustandekommen eines [X.] zwischen den [X.] und dem [X.]n ist nicht behauptet worden. Vielmehr haben die [X.] geltend gemacht, ihnen stünden Ansprüche gegen den [X.]n aus dem mit ihrer Mutter geschlossenen Anwaltsvertrag zu.

2. Den [X.] stehen Schadensersatzansprüche gegen den [X.]n unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte nicht zu.

a) Es fehlt bereits an einer Einbeziehung der [X.] in den Schutzbereich des zwischen ihrer Mutter und dem [X.]n geschlossenen [X.]. Eine ausdrückliche Regelung hierüber ist nicht behauptet worden. Eine Einbeziehung ergibt sich auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung.

aa) Ein Anwaltsvertrag hat auch ohne eine ausdrückliche Regelung [X.] zu Gunsten eines [X.], sofern sich dies aus einer maßgeblich durch das Prinzip von Treu und Glauben geprägten ergänzenden Auslegung des [X.] ergibt. Hierzu müssen nach ständiger Rechtsprechung folgende Kriterien erfüllt sein: Der Dritte muss mit der Hauptleistung des Rechtsanwalts bestimmungsgemäß in Berührung kommen. Der Gläubiger muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des [X.] in den Schutzbereich des Beratungsvertrages haben. Die Einbeziehung Dritter muss dem schutzpflichtigen Berater bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein. Ausgeschlossen ist ein zusätzlicher Drittschutz regelmäßig dann, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt (vgl. [X.], Urteil vom 21. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 251 Rn. 16 f mwN).

Ob ein bestimmter Dritter im Einzelfall aufgrund dieser Kriterien in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen ist, ist zunächst eine Frage der Auslegung und insoweit vom Tatrichter zu entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 2. November 1983 - [X.], NJW 1984, 355, 356). Das Revisionsgericht prüft insoweit nur, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen wurde ([X.], Urteil vom 20. April 2004 - [X.], [X.]Z 159, 1, 6).

bb) Entgegen der Auffassung der Revision entspricht die Auslegung des Berufungsgerichts diesen Maßstäben. Die Beurteilung, der zwischen der Mutter der [X.] und dem [X.]n geschlossene Anwaltsvertrag entfalte keine Schutzwirkung zugunsten der [X.], weil es an einem ausreichenden Näheverhältnis fehle, ist nicht zu beanstanden.

(1) Wenn Dritte in die [X.] eines Vertrages einbezogen werden sollen, müssen diese bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommen (vgl. [X.], Urteil vom 24. April 2014 - [X.], NJW 2014, 2345 Rn. 11 mwN). Das erforderliche Näheverhältnis liegt nur vor, wenn die Leistung des Rechtsanwalts bestimmte Rechtsgüter eines [X.] nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen kann (vgl. [X.], Urteil vom 21. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 251 Rn. 20 mwN). Entscheidend für eine Ersatzpflicht hinsichtlich von Vermögensschäden des [X.] ist, ob die vom Anwalt zu erbringende Leistung nach objektivem Empfängerhorizont auch dazu bestimmt ist, dem [X.] Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Der Auftraggeber muss ein entscheidendes Eigeninteresse an der Wahrung der [X.] haben. Inwieweit dieses Näheverhältnis besteht, hängt entscheidend von Ausprägung und Inhalt des anwaltlichen Beratungsvertrages ab (vgl. [X.], aaO).

(2) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass Gegenstand des zwischen der Mutter der [X.] und dem [X.]n geschlossenen [X.] die Weiterverfolgung der unfallbedingten, zuvor von einer anderen Rechtsanwältin verfolgten, der Höhe nach zum Zeitpunkt der Mandatierung des [X.]n aber unklaren Schadensersatzansprüche der Mutter der [X.] gegenüber der Streithelferin, namentlich von Schmerzensgeld, Mehrbedarf, Verdienstausfall und Heilungskosten, war. Demgemäß ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass an den Rechtsverhältnissen, die Gegenstand des [X.] werden sollten und wurden, die [X.] persönlich nicht beteiligt und hierdurch in ihren Rechtspositionen allenfalls mittelbar betroffen waren. Ferner begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, die für die Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erforderliche [X.] entstehe bei einem Anwaltsvertrag nicht bereits dann, wenn sich für den Rechtsanwalt Anhaltspunkte für eigene Ansprüche dem Mandanten nahestehender Dritter aus demselben Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner ergeben, keinen Bedenken. Der Anwaltsvertrag diente der Verfolgung der Schadensersatzansprüche der Mutter der [X.] gegen die Streithelferin. Er machte nach seinem Sinn und Zweck und den erkennbaren Auswirkungen der vertragsgemäßen Leistung auf die [X.] unter Berücksichtigung von Treu und Glauben deren Einbeziehung in seinen Schutzbereich nicht erforderlich (vgl. [X.], Urteil vom 18. Februar 2014 - [X.], [X.]Z 200, 188 Rn. 9).

(3) Entgegen der Rüge der Revision hat das Berufungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe bei seiner Auslegung die besonders enge familienrechtliche Verbundenheit zwischen der Mutter der [X.] als Gläubigerin des [X.] und den [X.] sowie den Umstand, dass die [X.] bei dem Unfall im Auto gesessen hätten und verletzt worden seien, nicht unberücksichtigt gelassen. Das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts ist entgegen der Rüge der Revision auch nicht unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als nicht mehr verständlich und daher auf sachfremden Erwägungen beruhend anzusehen (vgl. [X.], NJW 1994, 2279 mwN).

b) Eine Haftung wegen der Verletzung von Warn- und Hinweispflichten scheitert im Übrigen schon daran, dass die Gefährdung von Vermögensinteressen der [X.] für den [X.]n nicht offenkundig war (vgl. [X.], Urteil vom 21. Juni 2018 - [X.], NJW 2018, 2476 Rn. 12 ff).

aa) Dem [X.]n musste sich nicht bereits bei Übernahme des Mandats aufdrängen, dass die [X.] wegen des familiären Alltags seit dem Unfallgeschehen im September 2006 sechs und [X.] erkranken würden und ihnen aus diesem Grund möglicherweise eigene Schadensersatzansprüche gegen die Streithelferin zustehen könnten. Denn nach dem eigenen Vorbringen der [X.] verlief deren Entwicklung zunächst ohne offensichtliche äußere Probleme. Beide schlossen die weiterführende Schule ab und nahmen Studiengänge auf.

bb) Soweit der [X.] mit der Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche der Mutter gegenüber der Streithelferin beauftragt war, ist durch die [X.] weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der [X.] im Rahmen seiner Tätigkeit von dem Eintritt der psychischen Beschwerden in 2016 und 2012 Kenntnis erlangt hätte oder sich ihm eine solche Kenntnis hätte aufdrängen müssen. Vielmehr wurde er nach deren Vortrag insoweit erst im Oktober 2016 und damit nach Beendigung des Mandats informiert.

Grupp     

      

Lohmann     

      

Möhring

      

Röhl     

      

Schultz     

      

Meta

IX ZR 289/19

09.07.2020

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 6. November 2019, Az: 29 U 4/18

§ 242 BGB, § 328 BGB, § 675 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.07.2020, Az. IX ZR 289/19 (REWIS RS 2020, 1264)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 1108-1109 WM 2021, 2306 REWIS RS 2020, 1264

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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