Bundespatentgericht, Beschluss vom 31.10.2022, Az. 1 W (pat) 11/22

1. Senat | REWIS RS 2022, 7949

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Patentbeschwerdesache – Wirksamkeit der Anfechtung eines Rechtsmittelverzichts


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2015 103 563

(hier: Wirksamkeit der Teilungserklärung)

hat der 1. Senat (Juristischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am

31. Oktober 2022 durch die Präsidentin [X.] und [X.] und Heimen beschlossen:

1. Der Patentinhaberin wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr gewährt.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Patent 10 2015 103 563 mit der Bezeichnung

2

„[X.] zum Aufnehmen von modularen Kontakteinsätzen“

3

wurde am 11. März 2015 beim [X.] ([X.]) angemeldet und mit Beschluss des [X.] vom 26. Juni 2020 erteilt. Nach Erhalt dieses Beschlusses hat die Patentinhaberin zunächst mit Schreiben vom 13. Juli 2020 einen [X.] erklärt. Mit Schreiben vom 21. Juli 2020 erklärte sie dann die Teilung des Patents. Nachdem sie daraufhin vom [X.] mit [X.] vom 23. Juli 2020 darüber informiert wurde, dass die Teilungserklärung aufgrund des zuvor erklärten [X.]s unwirksam sei, hat die Patentinhaberin den von ihr erklärten [X.] mit Schreiben vom 7. August 2020 wegen Irrtums gemäß §119 Abs. 1 [X.] angefochten. Der [X.] sei aufgrund eines Versehens erfolgt, da der Unterzeichner der Erklärung vom 13. Juli 2020 davon ausgegangen sei, es handle sich um eine andere Patentanmeldung.

4

Mit Beschluss vom 21. September 2020 hat das [X.] festgestellt, dass die Anfechtung des erklärten [X.]s unzulässig und die Teilungserklärung somit unwirksam sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Anmeldung nur solange geteilt werden könne, bis der [X.] bestandskräftig geworden sei. Mit der am 13. Juli 2020 beim [X.] eingegangenen Erklärung, auf Rechtsmittel gegen den [X.] vom 26. Juni 2020 zu verzichten, sei diese Bestandskraft jedoch bereits eingetreten. Der einmal erklärte [X.] könne auch nicht wegen eines Irrtums beim Abgeben der Verzichtserklärung angefochten werden.

5

Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin mit Schreiben vom 21. Oktober 2020 Beschwerde eingelegt, ohne jedoch innerhalb der maßgeblichen Frist die Beschwerdegebühr einzuzahlen.

6

Mit Schreiben vom 23. November 2020 hat sie Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Aufgrund eines Versehens der zuständigen [X.] sei es versäumt worden, mit der elektronischen Einreichung der Beschwerde per  [X.]direktPro  gleichzeitig auch die Beschwerdegebühr über die Auswahl der Zahlungsart "SEPA Mandatsverwendung eines [X.]" einzuzahlen. Dies entspreche aber den geltenden Arbeitsanweisungen in der Kanzlei und werde auch seit Jahren erfolgreich praktiziert. Bei der betreffenden [X.] handle es sich um eine sehr zuverlässige und mit diesen Arbeitsabläufen sehr vertraute Mitarbeiterin. Bei den regelmäßig sowohl vom Unterzeichner als auch von anderen Patentanwälten der Kanzlei durchgeführten Kontrollen seien bisher keine Fehler der [X.] bei solchen [X.] festgestellt worden. Auch sei es bisher nicht zu Fristversäumnissen aufgrund von fehlerhaften [X.] von Schriftstücken gekommen. Die Kanzleiangestellte selbst könne sich ihr Versäumnis ebenfalls nicht erklären, was sie in einer beigefügten Eidesstattlichen Versicherung bestätige. Die versäumte Handlung sei zeitgleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung nachgeholt worden.

7

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

8

ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr zu gewähren,

9

sowie den angefochtenen Beschluss vom 21. September 2020 aufzuheben und festzustellen, dass

1. die am 7. August 2020 eingereichte Anfechtung der Verzichtserklärung wegen Irrtums gemäß § 119 Abs. 1 [X.] zulässig und begründet ist,

sowie

2. dass die am 21. Juli 2020 eingereichte Teilungserklärung zur Patentanmeldung [X.] 2015 103 563.4 wirksam ist.

Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Patentinhaberin insbesondere vor, der angefochtene Beschluss habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass gegenüber dem [X.] abzugebende Willenserklärungen dann einer Irrtumsanfechtung im Sinne der §§ 119 ff. [X.] zugänglich sein können, wenn es sich hierbei um Rechtshandlungen mit Doppelcharakter handle, die also sowohl Verfahrenshandlungen als auch materiell-rechtliche Willenserklärungen darstellten, wie dies etwa für die Rücknahme einer Patentanmeldung gelte. In ihren Auswirkungen auf das durch die Patentanmeldung begründete Anwartschaftsrecht der Anmelderin bezüglich der in der Anmeldung offenbarten Erfindung, sei die Rücknahme einer Patentanmeldung aber mit dem Verzicht auf ein Rechtsmittel vergleichbar. Mit der Rücknahme einer Patentanmeldung erlösche das Anwartschaftsrecht der Anmelderin ebenso wie durch das Eintreten der Bestandskraft des [X.]es, da in beiden Fällen das Anmeldeverfahren beendet werde. Die Bestandskraft des [X.]es führe somit ebenfalls materiellrechtlich zum Verlust des Anwartschaftsrechts auf alle in der ursprünglichen Anmeldung offenbarten Erfindungsgegenstände. Ein sachlicher [X.] zwischen dem Verlust des Anwartschaftsrechts auf den Patentschutz durch Rücknahme der Anmeldung und durch die rechtskräftige Erteilung eines Patents sei nicht ersichtlich. Dementsprechend müsse die Anfechtbarkeit für den [X.] ebenso möglich sein wie für die Rücknahmeerklärung. Da vorliegend ein Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 [X.] vorliege, führe die erfolgte Anfechtung zur Beseitigung des [X.]s.

Der Senat hat die Beschwerdeführerin durch [X.] vom 6. Mai 2022 auf seine vorläufige Rechtsauffassung hingewiesen. Daraufhin hat die Beschwerdeführerin ihre Beschwerdebegründung ergänzend vertieft und ihren Standpunkt nochmals bekräftigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzungsantrag in die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben. Unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin geltend gemachten Gesamtumstände sieht der Senat die Versäumung der Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr als unverschuldet an. Die weiteren Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung sind ebenfalls erfüllt.

2. Im vorliegenden Fall ist es unstreitig, dass im Hinblick auf den [X.] vom 26. Juni 2020 ein [X.] erklärt wurde. Ebenfalls unstreitig ist es, dass die Teilung einer Anmeldung lediglich bis zum Eintritt der Bestandskraft des [X.]es möglich ist. Offen ist somit allein die Frage, ob der erklärte [X.] wirksam angefochten worden ist oder nicht.

3. Bei der Erklärung eines [X.]s handelt es sich um eine Prozess- bzw. Verfahrenshandlung, die im [X.] nicht ausdrücklich geregelt ist, so dass nach § 99 Abs. 1 [X.] insoweit die Zivilprozessordnung (hier § 515 ZPO) entsprechend anzuwenden ist. Besonderheiten des Verfahrens vor dem [X.] oder dem B[X.], aus denen sich Gründe ergeben könnten, die für den [X.] im Zivilprozess entwickelten Grundsätze nicht auch auf diese Verfahren anzuwenden, sind nicht ersichtlich.

Auf ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen des [X.] oder des B[X.] kann somit verzichtet und dadurch das Recht aufgegeben werden, die betreffende Entscheidung durch eine übergeordnete Instanz nachprüfen zu lassen. Wird im einseitigen Verfahren ein [X.] erklärt, erwächst die Entscheidung mit Zugang der Erklärung in sofortiger Rechtskraft. Als Prozess- bzw. Verfahrenshandlung kann der [X.] grundsätzlich weder widerrufen noch angefochten werden (vgl. hierzu etwa [X.]/[X.], ZPO, 19. Aufl. 2022, § 515 Rn. 11, m.w. N.). Eine - im vorliegenden Fall ersichtlich nicht einschlägige – Ausnahme hiervon kommt lediglich ausnahmsweise aus prozessökonomischen Gründen dann in Betracht, wenn bis zur Rechtskraft der betreffenden Entscheidung ein Restitutions- bzw. Wiederaufnahmegrund im Sinne der ZPO vorliegt.

Die Beschwerdeführerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Erklärungen, die gegenüber dem [X.] abzugeben sind, grundsätzlich dann einer Irrtumsanfechtung im Sinne der §§ 119 ff. [X.] zugänglich sein können, wenn es sich hierbei um Rechtshandlungen handelt, die einen Doppelcharakter aufweisen, d.h. sowohl als Verfahrenshandlung als auch materiell-rechtliche Willenserklärung zu werten sind, wie bspw. die Rücknahme einer Patentanmeldung. Als reine Prozess- bzw. Verfahrenshandlung entfaltet die Erklärung des [X.]s unmittelbar prozessuale Wirkung, weshalb sie im Interesse der Rechtssicherheit ausschließlich den strengen förmlichen Regeln des Prozessrechts und nicht der Anwendbarkeit der Anfechtungsvorschriften des [X.] unterliegt (vgl. hierzu etwa BeckOK [X.]/Wendtland, 61. [X.] 1.2.2022, [X.] § 119 Rn. 4, m.w.N.). Zwar sind im Hinblick auf diese Unwiderruflichkeit eines [X.]s hohe Anforderungen an die Eindeutigkeit einer entsprechenden Erklärung zu stellen, diese sind jedoch im vorliegenden Fall erfüllt. Auch die Beschwerdeführerin hat die Eindeutigkeit ihres anwaltlich erklärten [X.]s nicht in Abrede gestellt. Der Anwalt der Patentinhaberin befand sich ebenso wenig in einer irrigen Vorstellung über das Wesen der [X.]serklärung an sich, wie über ihre rechtliche Tragweite. Soweit der Erklärung des Anwalts ein Irrtum über das betreffende Patent zugrunde lag, scheitert eine Anfechtbarkeit der Erklärung aber gerade an der Unwiderruflichkeit des einmal erklärten [X.]s.

3. Da die Patentinhaberin somit an den von ihrem ordnungsgemäß bevollmächtigten Vertreter erklärten [X.] vom 13. Juli 2020 gebunden ist, muss es bei der mit dieser Erklärung eingetretenen Bestandskraft des [X.]es vom 26. Juni 2020 bleiben, so dass ihr Teilungsantrag vom 21. Juli 2020 unwirksam war. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

4. Nachdem die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat und der Senat eines solche ebenfalls nicht für erforderlich gehalten hat, konnte die vorliegende Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen.

Meta

1 W (pat) 11/22

31.10.2022

Bundespatentgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 99 Abs 1 PatG, § 515 ZPO, § 119 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 31.10.2022, Az. 1 W (pat) 11/22 (REWIS RS 2022, 7949)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7949

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 W (pat) 24/22 (Bundespatentgericht)


19 W (pat) 33/17 (Bundespatentgericht)

(Patentbeschwerdeverfahren – "Verfahren und System zur Abstandsberechnung" – Teilungserklärung während des Erteilungsbeschwerdeverfahrens – Adressat und …


10 W (pat) 4/12 (Bundespatentgericht)

Patentbeschwerdeverfahren – „Vorrichtungen zur Bestimmung des Blutvolumens und/oder Blutvolumenstroms und Verfahren zum Betreiben derselben“ – …


7 W (pat) 78/14 (Bundespatentgericht)

Patentbeschwerdeverfahren – „Techniken für rekonfigurierbare Decoder für ein drahtloses System“ – Änderung von Erteilungsunterlagen – …


7 W (pat) 8/14 (Bundespatentgericht)

Patentbeschwerdeverfahren – zur Wirksamkeit einer Teilungserklärung nach Erlass eines Berichtigungsbeschlusses


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.