Bundespatentgericht, Beschluss vom 20.12.2023, Az. 1 W (pat) 24/22

1. Senat | REWIS RS 2023, 10081

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Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 11 2015 005 893.1

(hier: Rückzahlung der Beschwerdegebühr)

hat der 1. Senat (Juristischer Beschwerdesenat) des [X.] am 20. Dezember 2023 durch die Präsidentin [X.] sowie [X.] und die Richterin [X.] beschlossen:

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin begehrt nach Rücknahme ihrer Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Teilungserklärung nunmehr die Rückerstattung gezahlter Gebühren.

2

Die Prüfungsstelle für [X.] des [X.] ([X.]) hat mit Beschluss vom 30. April 2021 die Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen 11 2015 005 893.1 antragsgemäß erteilt. Unter Bezugnahme auf den ihr am 3. Mai 2021 zugegangenen Erteilungsbeschluss hat die Anmelderin durch ihren damaligen Vertreter mit am 1. Juni 2021 beim [X.] eingegangenem und mit „[X.] – BITTE SOFORT VORLEGEN“ gekennzeichnetem Schriftsatz erklärt: „…Es wird hiermit beantragt, die Erteilung der obigen Patentanmeldung bis zum 30. Juni 2021 auszusetzen, da die Anmelderin die Einreichung einer Teilanmeldung beabsichtigt...“.

3

Die Prüfungsstelle hat mit Schreiben vom 4. Juni 2021 mitgeteilt, dass eine Aussetzung der Erteilung gem. § 49 Abs. 2 [X.] lediglich innerhalb einer Frist von 15 Monaten ab dem Anmeldetag möglich sei und dass dem Aussetzungsantrag daher nicht entsprochen werden könne. Am 7. Juni 2021 hat die Anmelderin unter Einreichung von Unterlagen eine Teilungserklärung abgegeben sowie Gebühren i. H. v. 960.- Euro entrichtet.

4

Mit Beschluss vom 19. Juli 2021 hat die Prüfungsstelle für [X.] die Teilungserklärung zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Erklärung der Beschwerdeführerin vom 1. Juni 2021eindeutig und zweifelsfrei lediglich ein Antrag auf Aussetzung einer Erteilung zu entnehmen sei, nicht aber eine Teilungserklärung. Eine Teilung sei vielmehr erst am 7. Juni 2021 erklärt worden. Diese Erklärung sei jedoch nicht rechtzeitig erfolgt, da eine Teilungserklärung nach einem Erteilungsbeschluss lediglich bis zum Ablauf der Beschwerdefrist abgegeben werden könne und vorliegend die Beschwerdefrist am 4. Juni 2021 geendet habe.

5

Auf den am 31. Juli 2023 versandten Hinweis des Senats hat die Anmelderin ihre Beschwerde mit Schriftsatz vom 9. November 2023 ihres jetzigen Vertreters zurückgenommen. Zugleich hat sie die Rückerstattung der Beschwerdegebühr und der für die Teilanmeldung gezahlten Gebühren (Jahresgebühren, Anmeldegebühr, Prüfungsgebühr) beantragt.

6

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

7

Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde zurückgenommen hat, war nur noch über den Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu entscheiden. Dieser Antrag ist zulässig und sachlich begründet, § 80 Abs. 3, Abs. 4 [X.].

8

1. Die Beschwerdegebühr ist mit der rechtswirksamen [X.]egung der Beschwerde verfallen. Die Gebührenpflicht ist dabei grundsätzlich unabhängig vom Ausgang des Verfahrens.

9

Eine Rückzahlung erfolgt gem. § 80 Abs. 3 [X.] nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit. Über die beantragte Rückzahlung der verfallenen Beschwerdegebühr aus Gründen der Billigkeit entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei die Möglichkeit der Rückzahlung gem. § 80 Abs. 4 [X.] auch im Falle der Rücknahme der Beschwerde besteht und eine Rückzahlung selbst bei einer erfolglosen Beschwerde angeordnet werden kann (vgl. B[X.], Beschluss vom 20.02.2017, 19 W (pat) 3/17; [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl. 2022, § 73 Rn. 138).

Die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr setzt voraus, dass es nach Ansicht des Gerichts unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Verhaltens der Beteiligten und der Sachbehandlung durch das [X.] unbillig wäre, die Beschwerdegebühr einzubehalten (vgl. [X.]/[X.], [X.], 12. Aufl. 2023, § 80 Rn. 22). Unbilligkeit ist zu bejahen, wenn das Verfahren vor dem [X.] einen schwerwiegenden Verfahrensfehler oder eine anderweitige unsachgemäße Behandlung zu Lasten eines Beteiligten aufweist und wenn die [X.]egung der Beschwerde – aus der Sicht eines verständigen Beschwerdeführers – auf diesem Verfahrensfehler oder dieser unsachgemäßen Behandlung kausal beruht (vgl. [X.]/[X.], a. a. [X.], § 80 Rn. 22). Eine unrichtige Beurteilung (error in judgement) allein rechtfertigt die Rückzahlung nach ständiger Rechtsprechung nicht, selbst wenn ein erfahrener Patentrechtler sie ohne Weiteres als unzutreffend ansehen würde (vgl. [X.]/[X.], a. a. [X.], § 73 Rn. 129 f. m. w. N.). Demgegenüber rechtfertigt ein Verstoß gegen die Aufklärungs- und Hinweispflicht eine Rückzahlung, wenn aus den Umständen erkennbar war, dass der Beteiligte keinen sachdienlichen Antrag stellt oder sein Vorbringen ergänzungsbedürftig ist (vgl. [X.]/[X.], a. a. [X.], § 73 Rn. 152). Die Ursächlichkeit zwischen [X.] und [X.] ist zu bejahen, wenn der Erlass einer anderen, nicht zur [X.] zwingenden Entscheidung ohne den Fehler jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann; die Rückzahlung der Beschwerdegebühr scheidet demgegenüber aus, wenn ein verständiger Beschwerdeführer die Beschwerde auch bei ordnungsgemäßer Sachbehandlung eingelegt hätte (vgl. B[X.], Beschluss vom 22.11.2013 - 7 W (pat) 70/11).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und unter Würdigung der Gesamtumstände des vorliegenden Falles ist die Einbehaltung der Beschwerdegebühr ausnahmsweise als unbillig im Sinne von § 80 Abs. 3 [X.] anzusehen.

a) Im vorliegenden Fall hätte die Prüfungsstelle die Beschwerdeführerin rechtzeitig auf die mangelnden Erfolgsaussichten ihres [X.] hinweisen können und müssen.

Der Aussetzungsantrag der Beschwerdeführerin vom 1. Juni 2021 (Dienstag) war – wie die Prüfungsstelle in ihrer Mitteilung vom 4. Juni 2021 zutreffend festgestellt hat – mangels Einhaltung der Frist gem. § 49 Abs. 2 [X.] von vorneherein aussichtslos. Demgegenüber wäre eine Teilung der Patentanmeldung gem. § 39 Abs. 1 [X.] noch bis zum Eintritt der Rechtskraft des [X.] – vorliegend am 4. Juni 2021 (Freitag) – möglich gewesen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl. 2022, § 39 Rn. 16).

Da der Antrag der Beschwerdeführerin vom 1. Juni 2021 im Hinblick auf die fehlende rechtliche Möglichkeit der Fristverlängerung kein sinnvolles Rechtsschutzziel hatte und dieser Antrag offensichtlich auf einer Fehleinschätzung ihres früheren Vertreters beruhte, hätte die Prüfungsstelle im konkreten Fall vor Rechtskraft ihrer Hinweispflicht nachkommen und auf einen sachdienlichen Antrag der Anmelderin hinwirken müssen.

Zwar ist es in erster Linie Sache der – vorliegend anwaltlich vertretenen – Anmelderin, die Rechtslage zu beurteilen und korrekte Anträge zu stellen. Zugleich besteht jedoch im Einzelfall eine Verpflichtung des [X.], auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Die Verpflichtung zu verfahrensfördernden Hinweisen ergibt sich aufgrund der auch im patentamtlichen Verfahren geltenden Aufklärungs- und Hinweispflicht sowie aufgrund des Anspruchs der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör; die Vorschrift des § 139 ZPO ist insoweit im Verfahren vor dem [X.] entsprechend anzuwenden (vgl. [X.], [X.], 11. Aufl., [X.]. Rn. 115; van [X.]/[X.], Verfahrensrecht in [X.], 4. Aufl., Rn 194). Dementsprechend sehen auch die Richtlinien des [X.] für die Prüfung von Patentanmeldungen vom 7. März 2022 unter Ziff. 2.3.3.5. vor, dass im Falle unbestimmter Teilungserklärungen dem Anmelder zur Klarstellung eine kurze Frist zu setzen ist.

Auch wenn die Aufklärungs- und Hinweispflicht des [X.] nicht im Sinne einer allgemeinen und umfassenden Fragepflicht zu verstehen ist, so hätte die Prüfungsstelle im vorliegenden Fall angesichts der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin offensichtlich einen fehlerhaften Antrag gestellt hatte, das Ziel der Teilung der Anmeldung jedoch durch Abgabe einer Teilungserklärung bis zum 4. Juni 2021 noch hätte erreichen können, zeitnah auf die Stellung eines zutreffenden Antrags hinwirken müssen. Wie sich aus der Mitteilung der Prüfungsstelle vom 4. Juni 2021 ergibt, hatte diese die offensichtliche Fehleinschätzung der Anmelderin, die ihren am 1. Juni 2021 beim [X.] eingegangen Schriftsatz ausdrücklich als eilig gekennzeichnet hatte, noch rechtzeitig vor Fristablauf festgestellt. Aufgrund der ihr obliegenden Hinweis- und Aufklärungspflichten hätte die Prüfungsstelle es daher im konkreten Fall nicht bei dem der Anmelderin erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, nämlich am 7. Juni 2021, zugegangenen Hinweis vom 4. Juni 2021 belassen dürfen, sondern hätte beispielsweise im Wege einer Nachfrage beim anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin auf die Formulierung eines sachdienlichen Antrags bzw. auf eine entsprechende Klarstellung hinwirken müssen.

b) Die erforderliche Kausalität ist ebenfalls gegeben. Die [X.]egung der Beschwerde ist durch die vorstehende Sachbehandlung der Prüfungsstelle veranlasst. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin bei einem entsprechenden Hinweis durch die Prüfungsstelle unverzüglich und noch vor Eintritt der Rechtskraft des [X.] – per Fax – eine wirksame Teilungserklärung abgegeben hätte. In diesem Fall wäre der die Teilung zurückweisende Beschluss nicht ergangen und dementsprechend eine Beschwerde nicht eingelegt worden. Dies ist für die Annahme der erforderlichen Kausalität ausreichend, und zwar unabhängig davon, dass die tatsächlich eingelegte Beschwerde nach Einschätzung des Senats keine Aussicht auf Erfolg hatte.

3. Soweit die Beschwerdeführerin auch die Rückzahlung weiterer Gebühren (Jahresgebühren, Anmeldegebühr, Prüfungsgebühr) begehrt, liegt die Zuständigkeit beim [X.]. Da es diesbezüglich an einer beschwerdefähigen Entscheidung des [X.] fehlt, ist die Frage der Rückzahlung dieser Gebühren bereits nicht Gegenstand der Beschwerde, so dass auch keine Zurückverweisung der Sache an das [X.] im Wege des Beschlusses gem. § 79 Abs. 3 [X.] erfolgt. Vielmehr ist eine originäre Entscheidung durch das [X.] erforderlich.

4. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 78 [X.]).

Meta

1 W (pat) 24/22

20.12.2023

Bundespatentgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 20.12.2023, Az. 1 W (pat) 24/22 (REWIS RS 2023, 10081)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10081

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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