Bundessozialgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. B 7/14 AS 25/21 R

7. Senat | REWIS RS 2022, 8788

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - gemeinsame Einrichtung - Aufgabenwahrnehmung - Zuständigkeit - Wahrnehmung einzelner Aufgaben durch die Träger - Übertragungsbeschluss der Trägerversammlung des Jobcenters - Verwaltungsvereinbarung - Durchführung des Forderungseinzugs durch die Bundesagentur für Arbeit - Erlass von Widerspruchsbescheiden in eigenem Namen - sozialgerichtliches Verfahren - Zuständigkeit - Spruchkörper - Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende


Leitsatz

Ist eine gemeinsame Einrichtung gebildet, kann keiner der beiden Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in eigener Zuständigkeit beim Vollzug des Leistungsrechts des SGB II tätig werden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 5. November 2020 wird als unzulässig verworfen. Die Revision der Beklagten gegen die genannte Entscheidung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren zu erstatten. Weitere Kosten für das Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten. Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des [X.].

Tatbestand

1

[X.] ist die Berechtigung der beklagten [X.] zum Erlass von [X.] beim [X.] II-Forderungseinzug.

2

Die Klägerin und der Kläger erhielten vom als gemeinsame Einrichtung ([X.]) gebildeten beigeladenen Jobcenter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] II. Über deren Rückzahlung erließ der Beigeladene bestandskräftige Erstattungsbescheide.

3

Die Trägerversammlung des Beigeladenen beschloss am 23.11.2016, die Aufgaben des [X.] entsprechend einer "Zusatzverwaltungsvereinbarung nach § 44b Abs. 4 [X.] II zum Angebot 0.8 - Forderungseinzug - des Service Portfolios der [X.]" der [X.] zu übertragen. Diese sollte auch ermächtigt werden, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide im Namen des Beigeladenen zu erlassen, soweit dies für die [X.] Wahrnehmung der Aufgaben des [X.] erforderlich ist. Unter dem 27.12.2016 schlossen die [X.] und der Beigeladene ua die Zusatzverwaltungsvereinbarung ([X.]) ab dem 1.1.2017 für die Dauer von 3 Jahren. Nach der [X.] führt die [X.] den Forderungseinzug im Auftrag und im Namen des Beigeladenen durch (§ 1 Abs 2 Satz 1 [X.]). Unter der Überschrift § 2 "Auftrag" werden die Durchführung des [X.], die Bearbeitung von Widersprüchen und Klagen gegen Verwaltungsakte im Zusammenhang mit der Durchführung des [X.] sowie entsprechende hoheitliche Befugnisse nach § 44b Abs 4 [X.] II auf die zuständige Dienststelle der [X.] übertragen (§ 2 Abs 1 Satz 1, Satz 2 Buchst c, Satz 3 [X.]). Im Rahmen der Übertragung der Widerspruchs- und Klageverfahren gegen Verwaltungsakte im Zusammenhang mit der Durchführung des [X.] handelt die Dienststelle der [X.] im Namen des Beigeladenen. Insoweit erlässt sie Widerspruchsbescheide durch die [X.] des Operativen Service der [X.] und übernimmt die Vertretung im Klageverfahren im Namen der [X.] (§ 2 Abs 2 Satz 3 und 4 [X.]).

4

Die [X.] erinnerte bzw mahnte die Kläger wegen der Erstattung. Gegen Zahlungserinnerungen gerichtete Schreiben des [X.] verwarf die [X.] mit zwei [X.] vom 12.9.2019 als unzulässig. Sie leitete die Widerspruchsbescheide jeweils wie folgt ein: "Das Jobcenter Berlin Marzahn-Hellersdorf hat die [X.] mit der Wahrnehmung des [X.] beauftragt (§ 44c Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 44b Abs. 4 Zweites Sozialgesetzbuch - [X.] II). Aufgrund dieser Beauftragung ergeht dieser Widerspruchsbescheid …". Als erlassende Behörde ist die [X.], [X.], bezeichnet. Die Postanschrift der [X.] ist angegeben. Unterzeichnet ist "in Vertretung". Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält keinen Hinweis darauf, [X.] eine Klage als [X.] bezeichnen muss.

5

Mit ihrer "Klage gegen das Schreiben der [X.] […] vom 12.09.2019", der beide Widerspruchsbescheide beigefügt waren, haben die Kläger ua vorgebracht, die Beträge variierten ständig und die Forderungen seien verjährt. Das [X.] hat die Klagen als unzulässig abgewiesen (Gerichtsbescheid vom [X.]). Nach der vom L[X.] vorgenommenen Beiladung hat - soweit hier von Belang - der Kläger beantragt, die Widerspruchsbescheide vom 12.9.2019 aufzuheben. Insoweit hat das L[X.] der Berufung stattgegeben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 5.11.2020). Die angefochtenen Widerspruchsbescheide seien bereits aus formellen Gründen aufzuheben, weil für ihren Erlass der Beigeladene zuständig gewesen sei. Für die Wahrnehmung einzelner Aufgaben der [X.] durch einen ihrer Träger gälten die den Auftrag unter Leistungsträgern regelnden §§ 88 ff [X.] X. Im konkreten Fall trete hinzu, dass sich die [X.] in allen verfahrensgegenständlichen Schreiben an die Kläger darauf berufen habe, sie sei vom Beigeladenen "mit der Wahrnehmung des [X.] beauftragt" worden. Dies knüpfe sprachlich an §§ 88 ff [X.] X an. Das Handeln im Namen eines Auftraggebers - wie in § 89 Abs 1 [X.] X vorgesehen - sei indes ein maßgebliches Erkennungszeichen und Abgrenzungskriterium für ein Vorgehen auf der Grundlage von §§ 88 ff [X.] X. Damit greife § 90 [X.] X, nach dessen Satz 2 den Widerspruchsbescheid die für den Auftraggeber zuständige Widerspruchsstelle erlasse. Die Vorschrift sei zwingendes Recht.

6

Die unvertretene Klägerin hat gegen das ihr am [X.] zugestellte Urteil des L[X.] am 22.2.2021 Revision eingelegt.

7

Die [X.] rügt mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision die Verletzung von § 44b Abs 4 Satz 1 [X.] II iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 [X.] II. Ob die Auftragsvorschriften des [X.] X an[X.]dbar seien, hänge von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab. Eine [X.] nach § 44b Abs 4 Satz 1 [X.] II habe nicht stets zur Folge, dass §§ 88 ff [X.] X entsprechend gälten. Sie sei nicht im Rahmen eines Auftragsverhältnisses, sondern auf Grundlage eines Dienstleistungsvertrags tätig geworden. Soweit sie sich darauf berufen habe, von dem Beigeladenen "mit der Wahrnehmung des [X.] beauftragt worden" zu sein, habe das L[X.] ihren wirklichen Willen und denjenigen des Beigeladenen ermitteln müssen. Sie habe nicht unter dem Namen des Auftraggebers oder unter Offenlegung von Vertretungsverhältnissen gehandelt.

8

Die [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] vom 5. November 2020 abzuändern und die Berufung des [X.] gegen den Gerichtsbescheid des [X.] vom 13. Dezember 2019 insgesamt zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revisionen haben keinen Erfolg. Die Revision der Klägerin ist schon deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (§ 169 Satz 2, § 73 Abs 4 Satz 1 [X.]). Die Revision der Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]).

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind noch die Widerspruchsbescheide der Beklagten vom [X.] sowie der Gerichtsbescheid des [X.] vom 13.12.2019 und das Urteil des L[X.]-Brandenburg vom 5.11.2020. Die Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung der Widerspruchsbescheide, weil sie für deren Erlass sachlich zuständig gewesen sei. Nicht mehr zu entscheiden ist über inhaltliche Einzelheiten der Vollstreckungsmaßnahmen und das Vorbringen der Kläger gegen die Forderungen des Beigeladenen. Über die Revision der Klägerin ist nicht in der Sache zu befinden und der Kläger hat keine Revision eingelegt.

2. Geschäftsplanmäßig zuständig für die Entscheidung des Rechtsstreits ist der erkennende 7. [X.] in Nachfolge des 14. [X.]s des BSG. Ob die Beklagte unter Berufung auf ihr gesetzlich zugeordnete Aufgaben und vertraglich überlassene Zuständigkeiten den Forderungseinzug für den Beigeladenen betreiben durfte, betrifft Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und nicht der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der [X.], für die der 11. [X.] des BSG zuständig ist (vgl BSG vom [X.] AS 12/17 R - [X.], 137 = [X.] 4-4200 § 44c [X.], RdNr 9).

3. Der Sachentscheidung des [X.]s entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Die vom Kläger erhobene Klage war im jetzt noch streitbefangenen Umfang zulässig.

a) Der Kläger hat sich allein gegen die Widerspruchsbescheide statthaft mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 [X.]) gewandt. Die an ihn gerichteten Zahlungserinnerungen ergingen nicht als Verwaltungsakt. Mit ihnen wurde lediglich eine Forderungsaufstellung übermittelt und angekündigt, falls ein (konkret benannter) Zahlungstermin verstreiche, werde die Beklagte weitere Schritte gegen den Kläger prüfen. Eine Regelung (§ 31 Satz 1 [X.]) ist mit diesem Inhalt nicht verbunden. Hinsichtlich der möglichen Beschwer (§ 54 Abs 1 Satz 2 [X.]) des Klägers bezogen auf die Widerspruchsbescheide genügt insoweit, dass sie durch eine sachlich unzuständige Behörde erlassen worden sein können (vgl BSG vom 18.11.2014 - [X.] [X.] 23/13 R - [X.] 4-3500 § 75 [X.] Rd[X.]2; [X.] in [X.], § 95 Rd[X.]1, Stand 15.6.2022; zur entsprechenden Geltung von § 79 Abs 1 [X.] VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren [X.] in BeckOGK [X.], § 95 Rd[X.]4, Stand 1.11.2022).

b) Die Anfechtungsklage richtet sich zutreffend gegen die Beklagte. Richtiger Beklagter im Sinne der passiven Prozessführungsbefugnis ist derjenige, gegen den sich ein Kläger mit seinem Rechtsschutzbegehren wendet ([X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 92 Rd[X.]). Soweit keine Sonderregelungen bestehen (vgl § 70 [X.] [X.]), ist bei [X.] auf die juristische Person abzustellen, deren Behörde einen angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat. Ob sie hierfür zuständig war, ist eine Frage der Begründetheit der Klage.

Bei der Auslegung des [X.] kann auch für die Bestimmung des Beklagten auf den Inhalt der Klageschrift und die beigefügten Bescheide zurückgegriffen werden ([X.] in BeckOGK [X.], § 92 Rd[X.]1, Stand 1.11.2022). Insoweit haben die Kläger ihrer Klageschrift die Widerspruchsbescheide vom [X.] beigefügt und ua erklärt, die Klage richte sich "gegen das Schreiben der [X.]" sowie "… das ([X.]) [X.]" habe ihren "Widerspruch nicht anerkannt …". Als erlassende Behörde ist in den [X.] die [X.], [X.], bezeichnet. Daraus wird hinreichend deutlich, dass die Kläger jedenfalls bezogen auf die Widerspruchsbescheide gegen die Beklagte vorgehen wollten.

c) Auch sonst steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklage nichts entgegen. Soweit in der Sache darüber zu entscheiden ist, ob die Beklagte zum Erlass der Widerspruchsbescheide befugt war, berührt dies das für die Anfechtungsklage nach § 78 Abs 1 Satz 1 [X.] erforderliche Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht (vgl BSG vom 30.11.1965 - 3 RK 26/62 - [X.], 134, 136 f = [X.] Nr 7 zu § 85 [X.], juris Rd[X.]2; BSG vom 26.5.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.], 229 = [X.] 4-4200 § 44b [X.], Rd[X.]5).

4. Das [X.] hat die Widerspruchsbescheide der Beklagten zu Recht aufgehoben. Diese ist im Rahmen des ihr übertragenen [X.] zum Erlass von Verwaltungsakten, auch als Widerspruchsbescheide, nicht im eigenen Namen befugt gewesen.

Obwohl die Beklagte Trägerin von Leistungen nach dem [X.] ist, ist es ihr im Ausgangspunkt verwehrt, beim Vollzug des Leistungsrechts ohne Weiteres in eigener Zuständigkeit tätig zu werden (dazu a). Ist das [X.] als [X.] gebildet, bedarf es für die Übertragung der Wahrnehmung einer Aufgabe auf einen Träger einer gesetzlichen Ermächtigung sowie ihrer konkreten Umsetzung durch einen Beschluss der Trägerversammlung und vertragliche Vereinbarungen zwischen der [X.] und dem Träger (dazu b). Soweit die Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigung in der konkreten Umsetzung beachtet worden sind, sind sie in einem weiteren Schritt beim [X.] einzuhalten. Daran fehlt es hier, weil die Beklagte ihr Handeln im Namen des Beigeladenen nicht hinreichend gekennzeichnet hat (dazu c). Die infolgedessen rechtswidrigen Widerspruchsbescheide sind aufzuheben (dazu d).

a) Ist eine [X.] gebildet, kann keiner der beiden Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne Weiteres in eigener Zuständigkeit beim Vollzug des Leistungsrechts des [X.] tätig werden.

Gemäß § 44b Abs 1 Satz 1 bis 3 [X.] (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, [X.]) bilden zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] eine [X.]. Die [X.] nimmt die Aufgaben der Träger nach diesem Buch wahr; die Trägerschaft nach § 6 sowie nach den §§ 6a und 6b [X.] bleibt unberührt. Die [X.] ist befugt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen.

Aus diesen Regelungen ergibt sich, dass nicht die Aufgaben der einzelnen Träger (vgl § 6 Abs 1 Satz 1 [X.]) auf die [X.] übergehen, sondern kraft Gesetzes ihre Wahrnehmung übertragen wird. Es bedarf keines Zuweisungsakts für Kompetenzen aus Richtung der beiden Träger in Richtung der [X.]. Grundsätzlich fällt die Wahrnehmung mit der Bildung der [X.] von vornherein nicht bei den Trägern an. Aus § 44b Abs 1 Satz 2 [X.] ergibt sich bezogen auf den Umfang der Wahrnehmung keine Einschränkung. Daher obliegt es der [X.], alle operativen Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung nach dem [X.] zu erledigen (Grundsatz der Gesamtwahrnehmung; vgl BSG vom [X.] AS 12/17 R - [X.], 137 = [X.] 4-4200 § 44c [X.], Rd[X.]5). Mit der Wahrnehmungszuständigkeit korrespondiert die gesetzlich zugewiesene Befugnis, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide in eigenem Namen zu erlassen (vgl § 44b Abs 1 Satz 3 [X.]). Sie ist als Kompetenzvorschrift zu verstehen ([X.] in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 6 Rd[X.]3).

b) Eine die gesetzlich vorgesehene Wahrnehmungszuständigkeit ändernde - gewillkürte - Übertragung der Wahrnehmung von Aufgaben und einer damit einhergehenden Verwaltungsaktbefugnis bezogen auf die bei den Trägern verbliebenen Aufgaben bedarf einer rechtlichen Grundlage. Dem jeweiligen Träger steht kein Selbsteintrittsrecht zu (BSG vom [X.] AS 12/17 R - [X.], 137 = [X.] 4-4200 § 44c [X.], Rd[X.]6). Erst recht kann ein Träger nicht über die Übertragung der Wahrnehmungszuständigkeit für Aufgaben entscheiden, die dem anderen Träger zukommen (vgl schon zur getrennten Beurteilung der Befugnis zum Tätigwerden im eigenen Aufgabenbereich und demjenigen des anderen Trägers bei der [X.] vom 26.5.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.], 229 = [X.] 4-4200 § 44b [X.], Rd[X.]9).

Mit § 44b Abs 4 [X.] (idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.]) ist seit dem 1.1.2011 die Möglichkeit eingeführt, die Wahrnehmungskompetenz von der [X.] auf die Träger der Leistungen nach dem [X.] zu übertragen. Nach dessen bis zum [X.] alleiniger Regelung kann die [X.] einzelne Aufgaben auch durch die Träger wahrnehmen lassen. Der Gesetzgeber hat damit die Befugnis der [X.] geregelt, aus der ihr gesetzlich zugewiesenen Wahrnehmungszuständigkeit die Erledigung einzelner Aufgaben den Trägern zu überweisen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs habe die Praxis gezeigt, dass bestimmte Aufgaben ("zum Beispiel ... Forderungseinzug ...") zweckmäßigerweise nicht von den [X.] selbst erfüllt werden. Dem sollte mit der Neuregelung Rechnung getragen und der [X.] die Möglichkeit eröffnet werden, einzelne Aufgaben rechtsgeschäftlich auf die [X.] beziehungsweise den kommunalen Träger zu übertragen (vgl Entwurf der Fraktionen der [X.], [X.] und [X.] zum Gesetz zur Weiterentwicklung der [X.], BT-Drucks 17/1555 S 24). Flankiert wird § 44b Abs 4 [X.] durch § 44b Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 iVm § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 [X.]. Diese Vorschriften legen fest, dass die Entscheidungsmacht zur Übertragung von [X.] der Trägerversammlung der [X.] zukommt und dem unmittelbaren Einfluss der Träger der Leistungen nach dem [X.] durch [X.] entzogen ist.

Die Aufgabenwahrnehmung auf der Grundlage des § 44b Abs 4 [X.] wird durch öffentlich-rechtlichen Vertrag übertragen (BSG vom [X.] AS 12/17 R - [X.], 137 = [X.] 4-4200 § 44c [X.], Rd[X.]0). Die Vorschrift ermöglicht die Zuweisung einzelner Aufgaben durch Auftrag (§§ 88 ff [X.]; BSG vom 14.5.2020 - [X.] AS 28/19 R - [X.], 144 = [X.] 4-4200 § 44b [X.], Rd[X.]1). Jedenfalls in den Fällen, in denen eine Rückübertragung solcher Aufgaben erfolgt, für die der jeweilige Träger originär leistungsverantwortlich ist, kann sich die [X.] auf der Grundlage von § 44b Abs 4 [X.] der ihr gemäß § 44b Abs 1 Satz 2 und 3 [X.] übertragenen hoheitlichen Befugnisse zur Wahrnehmung einer Aufgabe auch vollständig begeben und diese auf den Träger übertragen, der im eigenen Namen und in eigener Verantwortung handelt (BSG vom 14.12.2021 - [X.] [X.]/20 R - [X.], 187 = [X.] 4-4200 § 28 [X.]2, Rd[X.]4). Der [X.] kann offenlassen, unter welchen Voraussetzungen diese Möglichkeit auch für den Forderungseinzug besteht, der bei der [X.] regelmäßig die Rückabwicklung von die Aufgabenbereiche beider Träger betreffende Leistungsgewährungen erfasst. Denn die der vorliegenden Übertragung zugrunde liegende Beschlusslage und die [X.] tragen die Annahme nicht, [X.] beim Forderungseinzug sollten in einem derart vollständigen Umfang übertragen werden.

Innerorganisatorisch obliegt der Trägerversammlung der [X.] gemäß § 44c [X.] die Entscheidung über die Verlagerung von Aufgaben nach § 44b Abs 4 [X.]. Überträgt eine [X.] - gestützt auf die Öffnungsklausel des § 44b Abs 4 [X.] - Zuständigkeiten für die gesetzlich grundsätzlich ihr zugewiesene Wahrnehmung von Aufgaben auf einen ihrer Träger, unterliegt sie dabei im Außenverhältnis zu den betroffenen Leistungsberechtigten denselben Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der Kompetenzzuordnung wie sie von [X.] wegen für Zuständigkeitszuweisungen durch den Gesetzgeber gelten (BSG vom [X.] AS 12/17 R - [X.], 137 = [X.] 4-4200 § 44c [X.], Rd[X.]3). Daher muss schon der Übertragungsbeschluss der Trägerversammlung ohne Weiteres erkennen lassen, welche Aufgaben im Einzelnen abweichend von § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] durch einen der beiden Träger wahrgenommen werden sollen (BSG vom [X.] AS 12/17 R - [X.], 137 = [X.] 4-4200 § 44c [X.], Rd[X.]4).

Eine hinreichend bestimmte Übertragungsentscheidung ist dem Beschluss der Trägerversammlung vom 23.11.2016 zu entnehmen. Denn mit dem Beschluss wurde die Beklagte ermächtigt, Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide im Namen des Beigeladenen zu erlassen, soweit dies für die [X.] Wahrnehmung der Aufgaben des [X.] erforderlich ist. Diese ausdrückliche Ermächtigung trägt dem Gedanken der Klarheit und Bestimmtheit der Kompetenzzuordnung auf zwei Ebenen Rechnung. Sie nimmt erstens formal die gesonderte Kompetenzzuweisung in § 44b Abs 1 Satz 3 [X.] auf. Zweitens lässt sie inhaltlich ("im Namen der [X.]") nach außen keine Unklarheiten über die konkret erlaubte Zuweisung von Befugnissen aufkommen, die anderenfalls Rechtsuchende mit der Prüfung belasten würde, sich im Einzelnen mit der Auslegung des Beschlusses und den in seiner Ausführung zwischen der [X.] und dem Träger getroffenen Vereinbarungen und ihrer rechtlichen Zuordnung zu befassen. Die Vorgaben des Beschlusses vom 23.11.2016 setzt die [X.] um. Für Widerspruchsverfahren im Zusammenhang mit der Durchführung des [X.] nach § 44b Abs 4 [X.] hält auch sie ausdrücklich fest, dass die Dienststelle (hier: die [X.] des Operativen Service der Beklagten) im Namen der [X.] handelt.

c) Wegen der konkreten Vorgaben des Beschlusses der Trägerversammlung vom 23.11.2016 und der [X.] kann vorliegend offenbleiben, welcher Vertragstypus bei der Ausführung im Einzelnen gewählt worden ist. In keinem Fall tragen die Beschlüsse und die [X.] die Annahme, die Beklagte sei berechtigt gewesen, im eigenen Namen zu handeln.

Nicht die von den Vorgaben des [X.] vom 23.11.2016 und den [X.] abweichende tatsächliche Umsetzung entscheidet über den Umfang der übertragenen Wahrnehmungszuständigkeit. Wäre ein solches Vorgehen zulässig, führte es dazu, dass der Beklagten für ihrer Aufgabenzuständigkeit unterfallende Angelegenheiten doch ein Selbsteintrittsrecht zustünde, weil sie ohne Bindung an die Vorgaben von Trägerversammlung und [X.] über den Inhalt der Übertragung selbst entscheiden kann.

Mit der [X.] hat der Beigeladene - in diesem Umfang ermächtigt durch die Trägerversammlung - die Übertragung seiner Wahrnehmungszuständigkeit auf die Beklagte ausgeführt. Dass dieser weitergehende Befugnisse, insbesondere die Rechtsmacht zur Entscheidung im eigenen Namen, zugewiesen wurden, ist gerade nicht vorgegeben bzw vereinbart. Davon abweichend hat die Beklagte weder im Namen des Beigeladenen noch unter Offenlegung eines Vertretungsverhältnisses für ihn agiert, worauf sie im Revisionsverfahren ausdrücklich abgestellt hat. Tatsächlich sind die Widerspruchsbescheide vom [X.] zwar "in Vertretung" unterzeichnet. Ohne weiteren Hinweis auf eine Befugnis, im Namen des Beigeladenen zu handeln, lässt sich das in Zusammenschau mit der weiteren Gestaltung des Bescheids aber nur als Zuordnung des [X.] der Dienststelle der Beklagten zu dieser verstehen (§ 33 Abs 3 Satz 1 [X.]).

d) Da die Beklagte zum Erlass der Widerspruchsbescheide vom [X.] im eigenen Namen nicht berechtigt gewesen ist, ist ihre Entscheidung rechtswidrig. Das [X.] hat die Aufhebung darauf gestützt, dass die Beklagte für ihren Erlass sachlich nicht zuständig gewesen sei. Das trifft zu, wenn dem Tätigwerden der Beklagten für den Beigeladenen ein Auftragsverhältnis zugrunde gelegen hat. Aber auch die bloß fehlende Wahrnehmungszuständigkeit zum Erlass von [X.] unterfällt nicht § 42 Satz 1 [X.], der neben der Verletzung von Vorschriften über das Verfahren und die Form nur die örtliche Zuständigkeit erfasst. Diesen Fällen nicht gleichzusetzen ist der Verstoß gegen die vertragliche Verpflichtung, das Handeln im Namen der [X.] offenzulegen. Denn Klarheit darüber, wem ein Verwaltungsakt zuzurechnen ist, gehört zu den unabdingbaren Rechtmäßigkeitserfordernissen eines jeden Verwaltungsakts (Hochheim in [X.]/[X.], [X.], § 89 RdNr 4, Stand November 2020).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.] und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

 Siefert

 [X.]

 Neumann

Meta

B 7/14 AS 25/21 R

08.12.2022

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend SG Berlin, 13. Dezember 2019, Az: S 84 AL 1210/19, Gerichtsbescheid

§ 44b Abs 1 S 1 SGB 2, § 44b Abs 1 S 2 SGB 2, § 44b Abs 1 S 3 SGB 2, § 44b Abs 3 S 2 Halbs 1 SGB 2, § 44b Abs 4 SGB 2, § 44c Abs 2 S 2 Nr 4 SGB 2, § 39 SGG, § 40 SGG, § 31 Abs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. B 7/14 AS 25/21 R (REWIS RS 2022, 8788)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8788

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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