Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.01.2004, Az. 1 StR 364/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2004, 4927

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[X.] DES VOLKESURTEIL1 StR 364/03vom21. Januar 2004in der Strafsachegegenwegen sexueller Nötigung u.a.- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung [X.] 2004 in der Sitzung vom 21. Januar 2004, an der teilgenommenhaben:[X.] am [X.] [X.] am [X.]. [X.],[X.],[X.],[X.]in am [X.],Staatsanwältin als Vertreterin der [X.],Rechtsanwalt , als Verteidiger,Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin [X.]- in der Verhandlung am 20. Januar 2004 -,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,- 3 -für Recht erkannt:[X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. April 2003 mit den Feststellungen auf-gehoben.I[X.] Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeich-nete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen [X.] soweit der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe (Tat zumNachteil [X.]) verurteilt worden ist [X.] im Ausspruch über die Gesamtstrafe.II[X.] Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere [X.] des [X.].Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in [X.] mit Bedrohung und versuchter Nötigung sowie wegen sexueller [X.] 4 -gung in Tateinheit mit Raub zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren undsechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der [X.]. Ebenfalls begründet ist die wirksam auf die Verurteilung im Fall 2 [X.] sowie den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte, zuun-gunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft.Nach den Feststellungen des [X.]s griff der Angeklagte [X.] August 2000 die joggende Zeugin [X.] auf einem Radweg zwi-schen zwei Ortschaften an, packte sie von hinten am Genick und drückte sie [X.]. Er legte ihr einen Arm um den Hals und drückte ihr mit der anderenHand den Kopf so gegen den Arm, daß ihr Genick überdehnt wurde und [X.] erhebliche Schmerzen erlitt. Er drohte, ihr das Genick zu brechen, fallssie schreie, und verklebte ihr den Mund und die Augen mit Klebeband. [X.] er, der sich heftig wehrenden Zeugin mit einer Schnur die Hände aufdem Rücken festzubinden. Infolge der massiven Gegenwehr der Zeugin gelangihm dies nicht. Deshalb ließ der Angeklagte nach wenigen Minuten von ihr ab,nachdem er erkannt hatte, daß er sein Ziel - nur dieses hat das [X.]festgestellt -, "die Geschädigte an einen anderen Ort zu bringen", nicht errei-chen konnte (Fall 1 der Urteilsgründe).Am 12. Januar 2001 packte der Angeklagte die gegen 6.35 Uhr auf [X.] befindliche 14jährige Schülerin [X.], hielt ihr den Mundzu und befahl ihr, ruhig zu sein und sich nicht umzudrehen. Er hielt ihr [X.] näher identifizierten spitzen Gegenstand gegen den Hals und die [X.], knebelte die Zeugin mittels eines von ihm mitgeführten weißen Stoff-tuchs und zerrte sie ca. 50 m weit über eine angrenzende Streuobstwiese. Dortstieß er sie zu Boden und befahl ihr, sich auszuziehen. Nachdem die Zeuginauch ihre Hose bis zu den Knien heruntergezogen hatte, fesselte der [X.] -klagte mit einer von ihm mitgeführten Paketschnur die Arme der vor ihm knien-den Zeugin auf den Rücken, wickelte die Schnur um ihre Fußgelenke und an-schließend um den Hals, um sie von dort wieder über den Rücken abwärts [X.] zu führen. Dort verschnürte er sie erneut. Er fragte die Zeugin,ob sie Geld habe. Diese deutete auf ihren Rucksack, in dem der [X.] zunächst nichts fand. Hierüber verärgert schlug er der Zeugin mit [X.] "ins Gesicht gegen das linke Auge", wodurch das Auge anschwoll undsich ein Hämatom bildete. Schließlich fand der Angeklagte den Geldbeutel derGeschädigten und entnahm hieraus einen Bargeldbetrag in Höhe von 60 DM,den er einsteckte. Er befahl der am Boden knienden Zeugin nun, ihr Gesäßhochzuheben und ihre Beine zu spreizen, durchtrennte schließlich mit [X.] näher erkannten scharfen Gegenstand ihren Slip, so daß Gesäß und Ge-schlechtsteil entblößt waren. Darauf stach er mit einem nicht identifiziertenspitzen Gegenstand mehrmals in die rechte [X.] der Zeugin, "um [X.] sexuell zu erregen". Die Zeugin hörte ein Reißverschlußgeräusch beimAngeklagten, dann Rascheln seiner Kleidung. Nach wenigen Minuten und [X.] es zu weiteren sexuellen Handlungen an der Zeugin gekommen wäre,brach der Angeklagte ab und entfernte das weiße Stofftuch aus dem Mund derZeugin; stattdessen steckte er ihr den Kragen ihrer Strickjacke in den [X.] entfernte sich (Fall 2 der Urteilsgründe).Die [X.] hat den bestreitenden Angeklagten für überführt er-achtet und sich dabei insbesondere auf ein [X.] gestützt.Diesem liegen [X.] zugrunde, die an dem vom Täter im Falle 1verwendeten Klebeband und an der im Falle 2 benutzten Schnur gesichertwerden konnten.[X.] Die Revision des [X.] Die Revision beanstandet zu Recht als Verstoß gegen den [X.], daß die [X.] in ihrer [X.], der Angeklagte habe über einen Zeitraum von sechs Monaten die(freiwillige) Abgabe einer Speichelprobe hinausgezögert, obwohl er gewußthabe, daß ihm ein schweres Verbrechen zur Last gelegt werde und er diesenVorwurf "bei reinem Gewissen umgehend durch die Abgabe einer Speichelpro-be hätte ausräumen können" ([X.]). Zuvor hatte der Angeklagte auf An-frage der Polizei zweimal die freiwillige Abgabe einer Speichelprobe zugesagt,war entsprechenden Bitten jedoch dann nicht nachgekommen. Der mit derSachrüge geltend gemachte Fehler der Beweiswürdigung des [X.]s istdurch die Urteilsgründe erwiesen; der Senat vermag nicht sicher auszuschlie-ßen, daß die Verurteilung des Angeklagten in beiden Fällen darauf beruhenkann.a) Die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 StPO findet ihreGrenze an dem Recht eines jeden Menschen, nicht gegen seinen [X.]en zuseiner Überführung beitragen zu müssen (Grundsatz des "nemo tenetur seipsum prodere" oder "nemo tenetur se ipsum accusare"). Danach ist ein Be-schuldigter im Strafverfahren grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv die [X.] zu fördern. In der Rechtsprechung des [X.] ist des-halb anerkannt, daß ein Beschuldigter nicht gehalten ist, zur eigenen Überfüh-rung tätig zu werden und an einer Untersuchungshandlung eines Strafverfol-gungsorgans oder eines Sachverständigen aktiv mitzuwirken. Seine [X.] darf gegen seinen [X.]en nur durchgesetzt werden, sofern er [X.] bleibt. Er selbst hat darüber zu befinden, ob er an der Aufklä-rung des Sachverhalts aktiv mitwirken will oder nicht. Demgemäß darf er nichtzu Tests, Tatrekonstruktionen, Schriftproben oder zur Schaffung ähnlicher, fürdie Erstattung eines Gutachtens notwendiger Anknüpfungstatsachen gezwun-- 7 -gen werden. Daraus folgt, daß die Verweigerung der aktiven Mitwirkung [X.] auch nicht als belastendes Beweisanzeichen entgegengehaltenwerden darf. Er hat die Freiheit, sich auch auf diese Weise zu verteidigen; [X.] nicht seine Unschuld beweisen (vgl. [X.]St 34, 39, 45, 46; siehe [X.], 140, 144 f.; 34, 324, 326; 45, 363, 364 m.w.N.). Das Bundesverfas-sungsgericht hat im Blick auf die Beweisbedeutung der Nichtabgabe [X.] in einem Kammerbeschluß ausgeführt, zur Begründung [X.] dürfe nicht der Umstand herangezogen werden, daß ein Be-schuldigter eine freiwillige Teilnahme an einer [X.] abgelehnthabe. Eine solche Erwägung verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze([X.], Kammer, NJW 1996, 1587, 1588; 1996, 3071, 3072).b) Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daß ein prozessua-les Verhalten des Angeklagten im Ermittlungsverfahren in Rede steht, welcheseine Mitwirkung an der Erhebung von Anknüpfungstatsachen für ein Sachver-ständigengutachten zum Gegenstand hat, die mit den Mitteln der Strafpro-zeßordnung auch erzwingbar ist und hier - nach entsprechender [X.] - letztlich auch erzwungen worden ist (§§ 81a, 81e StPO). Das un-terscheidet die Fragestellung etwa von der Ausübung des Schweigerechts, [X.] eines Zeugen von der Schweigepflicht und der des gezieltenAblieferns von [X.] und Schriften (wenn diese also nicht als Beweis-mittel anderweit gesichert worden sind); hierbei handelt es sich um [X.] Verhalten, dem nicht in zulässiger Weise mit Zwang begegnet werdendarf. Überdies hatte der Angeklagte hier die Freiheit, selbst über die Frage ei-ner freiwilligen Mitwirkung bei einer Speichelprobe zu befinden: Er hat [X.] Bereitschaft dazu zweimal gegenüber der [X.] 8 -c) Diese Besonderheiten rechtfertigen jedoch keine Abweichung von derbisherigen Spruchpraxis zur indiziell belastenden Verwertung prozessualenVerhaltens eines Beschuldigten. Im Vordergrund stand hier - wie der Senatdem Zusammenhang der Urteilsgründe entnimmt - die tatsächliche Weigerungdes Angeklagten, aktiv an der Speichelprobe mitzuwirken. Daß er zuvor - dementgegenstehend - seine Bereitschaft dazu bekundet hatte, ändert nichts dar-an, daß er durch sein Verhalten letztlich die freiwillige Teilnahme konkludentabgelehnt hat. Hinzu kommt, daß das [X.] ihm indiziell nicht nur [X.] der Probe angelastet hat. Es hat weiter ausgeführt, daß er [X.] doch - wenn er "reinen Gewissens" gewesen sei - zu seiner Entlastungschon früher hätte abgeben können, da er gewußt habe, daß es um den [X.] gehe. Daß er dies jedoch nicht getan hat,war ihm prozeßrechtlich möglich. Er war zur aktiven Teilnahme an der Sach-verhaltsaufklärung insoweit nicht verpflichtet. Die Erwägung des [X.]läuft deshalb darauf hinaus, dem Angeklagten als Hinweis auf seine Täter-schaft entgegenzuhalten, daß er nicht aktiv an dem Versuch des Nachweisesseiner Unschuld mitgewirkt hat. Dazu ist ein Beschuldigter indessen nicht ver-pflichtet. Deshalb darf grundsätzlich nicht einmal der späte Zeitpunkt einer Be-weisantragstellung für einen Entlastungsbeweis als Beweisanzeichen für [X.] gewertet werden (vgl. [X.]St 45, 367). Anderes kann allerdings nachAuffassung des Senats dann gelten, wenn sich der Beschuldigte der Anord-nung einer Speichelprobe nach §§ 81a, 81e StPO - durch ein anordnungsbe-fugtes Organ - entzieht.Schließlich liegt hier auch keiner derjenigen Fälle vor, in denen das Pro-zeßverhalten in einem engen und einer isolierten Bewertung [X.] mit dem Inhalt der Einlassung steht und schon deshalbeiner Würdigung im Zusammenhang mit den entsprechenden Angaben unter-- 9 -zogen werden muß (siehe dazu [X.]St 45, 367, 369 f.; vgl. auch [X.]St 20,298, 301). Die Einlassung des Angeklagten auch mit ihren [X.]enwar grundsätzlich unabhängig davon zu würdigen, wie es mit seiner Bereit-schaft zur freiwilligen Mitwirkung an einem [X.] bestellt war.d) Nach allem ergibt sich, daß hier der praktischen Verweigerung deraktiven Mitwirkung bei einer Speichelprobe mit der vom [X.] gegebe-nen Begründung ("reines Gewissen") keine der Verurteilung des Angeklagtendienende Beweisbedeutung beigemessen werden durfte. Zwar hat das [X.] (NJW 1996, 3071, 3072) den Verstoß einer solchenErwägung gegen rechtsstaatliche Grundsätze für die Begründung eines Tat-verdachts und der [X.] angenommen; für die Überzeu-gungsbildung des erkennenden Gerichts aber kann nichts anderes gelten.Ob es hingegen im Ermittlungsverfahren einen Tatverdacht im Sinne [X.] für die Entnahme einer Speichelprobe verstärkenkann, wenn aus einer Menge nach abstrakten Grundsätzen Tatverdächtiger(z.B. die männliche Bevölkerung eines Dorfes zwischen 14 und 45 Jahren) sichein kleiner Teil zu einer freiwilligen Speichelprobe nicht bereit erklärt, ist eineFrage des Einzelfalles. Wenn andere verdachtsbegründende Kriterien ange-führt werden können und sich der Kreis der grundsätzlich Verdächtigen [X.] Abgabe einer Vielzahl freiwilliger Speichelproben verdichtet hat, wird [X.] zur Entnahme einer solchen Probe durch strafprozessuale Anordnunggezwungen werden können, der bis dahin keine abgegeben hat (vgl. [X.],Kammer, NJW 1996, 3071).e) Auf dem Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung kann das Urteil beru-hen. Das [X.] hat zwar insbesondere auf die Ergebnisse des [X.] abgehoben. Diese weisen auf den Angeklagten als [X.] -sacher mit einem Häufigkeitswert von 1 zu 22.000 im Fall 1 und von 1 zu250 Millionen im Fall 2 hin. Die Beweiswürdigung könnte deshalb auch [X.] rechtsfehlerhafte Erwägung tragfähig gewesen sein (neben [X.] u.a.: modus operandi, [X.], [X.], [X.]). Dessen ungeachtet kann der Senat aber ein Beruhen des Urteilsauf der rechtsfehlerhaften Erwägung nicht sicher ausschließen, weil das Land-gericht neben anderen Umständen ausdrücklich als "weiteres Indiz für die Tä-terschaft des Angeklagten" nicht nur das sechsmonatige Hinauszögern der [X.] Abgabe der Speichelprobe anführt, sondern darauf abhebt, daßder Angeklagte "bei reinem Gewissen" den Vorwurf eines schweren Verbre-chens umgehend hätte ausräumen können ([X.]). Das spricht dafür, daßes meinte, sich für seine Überzeugungsbildung auch hierauf stützen zu [X.]. Dies zwingt zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in beidenFällen.2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die auch allgemeinerhobene Sachrüge hin deckt weitere rechtliche Mängel auf:a) Die [X.] hat bei der Beweiswürdigung zum Fall 1 im Rahmeneiner Gesamtschau aller Indizien unter anderem in dem vom Angeklagten vorder Kriminalpolizei nur sechs Tage nach der ersten Tat vorgebrachten "fal-schen Alibi" einen belastenden Umstand gesehen ([X.]). Das begegnethier rechtlichen Bedenken, die im Ergebnis jedoch dahingestellt bleiben [X.].Der Angeklagte hatte vor der Polizei zunächst behauptet, zur Tatzeit [X.] mit einem vom [X.] abgeholten Gast unterwegs ge-wesen zu sein. Als dies widerlegt werden konnte, hat er in der [X.] -lung erklärt, er sei - wohl hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs - einem Irrtum un-terlegen ([X.] 8).Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann ein ob-jektiv widerlegtes, aber auch ein nachweislich [X.] Alibi für sich [X.] ohne Rücksicht auf Gründe und Begleitumstände seines Vorbringens nichtals Beweisanzeichen für die Überführung des Angeklagten gewürdigt werden.Auch ein Unschuldiger kann meinen, seine Aussichten auf einen Freispruchseien besser, wenn er nicht nur auf die Wahrheit setze, sondern überdies ver-suche, auf ein unwahres, konstruiertes Alibi zu bauen, also mit dem Mittel derLüge ein übriges tun zu sollen, um seinen Freispruch gleichsam abzusichern.Ebensowenig ist der lediglich gescheiterte [X.] - bei dem die Lüge nichterwiesen ist - für sich allein ein Beweisanzeichen für die [X.]chaft. Der [X.] ist nicht gehalten, sein Alibi zu beweisen. Daß er dies versucht hat,wenn auch im Ergebnis erfolglos, darf ihm nicht ohne weiteres zum Nachteilgereichen.Freilich muß ein widerlegtes Alibi deshalb bei der Beweisführung nichtstets außer Betracht bleiben. Treten besondere Umstände hinzu, so darf [X.] werden, daß der Angeklagte sich bewußt wahrheitswidrig auf [X.] berufen hat (vgl. zu alldem [X.]R StPO § 261 Überzeugungsbildung 11,30). Die Gründe und Begleitumstände der [X.] sind dabei zu [X.] ([X.], 153; [X.]R StPO § 261 Überzeugungsbildung 30; [X.] StV1982, 158). [X.] der Tatrichter eine erlogene Entlastungsbehauptung als zu-sätzliches Belastungsanzeichen werten, so muß er sich bewußt sein, daß [X.] falsche Einlassung hierzu ihren Grund nicht darin haben muß, daßder Angeklagte die Tat begangen hat, vielmehr auch eine andere Erklärungfinden kann. Deshalb hat er in solchen Fällen darzutun, daß eine andere, nicht- 12 -auf die [X.]chaft hindeutende Erklärung im konkreten Fall nicht in [X.] oder - obgleich denkbar - nach den Umständen jedenfalls so fernliegt,daß sie ausscheidet ([X.]R StPO § 261 [X.] [X.] Anforderungen wird die Beweiswürdigung des [X.]s nichtuneingeschränkt gerecht. Es hat nicht ausdrücklich klargestellt, ob es von ei-nem erlogenen oder nur von einem schlicht widerlegten Alibi ausgeht. Der [X.] hat sich im Blick auf seine zeitliche Angabe bei der polizeilichen [X.] später auf einen Irrtum berufen. Hiermit hat sich das [X.]nicht näher auseinandergesetzt und dem Angeklagten ohne weiteres das "fal-sche Alibi" als Indiz für seine [X.]chaft im Fall 1 entgegengehalten. Das [X.] dann rechtlich hinnehmbar, wenn man dem Urteil noch entnehmenkönnte, daß das [X.] meinte, auch einen Irrtum des Angeklagten aus-schließen zu können und sich die dafür erforderliche Begründung in nochtragfähiger Weise aus dem Urteilszusammenhang ergäbe.b) Das [X.] hat weiter im Fall 1 der Urteilsgründe die [X.] nicht in jeder Hinsicht zutreffend gewürdigt: Es hat den Ange-klagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung undversuchter Nötigung schuldig gesprochen und ist damit daran vorbeigegangen,daß der Bedrohungstatbestand (§ 241 Abs. 1 StGB) hinter denjenigen der Nö-tigung zurücktritt, wenn, wie hier, die Bedrohung sich als Teil der Nötigung er-weist. Das gilt auch für den Fall des bloßen Nötigungsversuchs ([X.]R StGB§ 240 Abs. 3 Konkurrenzen 2; [X.] bei [X.] 1979, 280 f.; vgl. Träger/[X.] in [X.]. § 241 Rdn. 27 m.w.N.).I[X.] Die Revision der Staatsanwaltschaft- 13 -Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Fall 2 der Ur-teilsgründe (Tat zum Nachteil [X.]) sowie den Ausspruch über [X.] beschränkt.Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin, daß die Beweiswürdi-gung des [X.]s einen durchgreifenden rechtlichen Mangel ausweist.Die Würdigung des festgestellten Sachverhalts ist zudem in tatsächlicher wierechtlicher Hinsicht nicht erschöpfend.1. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das [X.]bei seiner rechtlichen Würdigung nicht bedacht, daß der Angeklagte bei [X.] ein Mittel bei sich geführt hat, um den Widerstand der Geschädigten [X.] zu verhindern und zu überwinden (§ 177 Abs. 3 Nr. 2, § 250 Abs. 1 Nr.1 Buchst. [X.]). Diese Voraussetzung ist schon dadurch erfüllt, daß der [X.] eine Paketschnur mitführte, die er zur Fesselung seines Opfers ein-setzte, und überdies ein von ihm mitgebrachtes Tuch zur Knebelung der Ge-schädigten verwandte ([X.] 6).2. Mit Erfolg wendet sich die Beschwerdeführerin auch gegen die Wür-digung des [X.]s, der vom Angeklagten eingesetzte nicht näher identi-fizierbare spitze Gegenstand könne nicht als "gefährliches Werkzeug" im Sinnedes Gesetzes gewertet werden ([X.] 18; vgl. § 177 Abs. 4 Nr. 1, § 224 Abs. 1Nr. 2, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Die Beweiswürdigung hierzu ist unklar undlückenhaft. Die Kammer hat festgestellt, der Angeklagte habe der Zeugin [X.]mit dem spitzen Gegenstand mehrmals "in ihre rechte [X.]" gestochen([X.] 6), hat dann aber bei der Darstellung der von der Zeugin erlittenenVerletzungen kein dementsprechendes Verletzungsbild angeführt: [X.] der Zeugin sind nicht festgestellt ([X.] 7). Damit bleibt of-fen, ob durch diese Stiche Verletzungen bewirkt worden sind. Deren Vorliegen- 14 -könnte dafür sprechen, daß der nicht identifizierte Gegenstand nach seinerobjektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im [X.]") geeignet war, erhebliche Körperverletzungen zubewirken. Auch hat der Angeklagte mit einem nicht näher bekannten [X.] der Zeugin "durchtrennt" ([X.] 6). Sollte dies nicht [X.] "[X.]" gewesen sein, könnte das für einen der objektiven Beschaf-fenheit nach sehr wohl zu erheblichen Körperverletzungen geeigneten Gegen-stand sprechen, der als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren sein könnte,wenn er auch als Drohmittel gegenüber der Zeugin verwendet worden [X.] es sich nicht etwa - was eher fernliegen dürfte - um einen anderen als dengegen die Zeugin eingesetzten Gegenstand gehandelt hätte. Mit diesen Um-ständen hätte sich die Kammer in ihrer Würdigung auseinandersetzen müssen,bevor sie sich auf die Nichterweislichkeit der Verwendung eines gefährlichenWerkzeugs zurückzog.3. Darüber hinaus hätte die [X.] prüfen müssen, ob die [X.] zur Fesselung des Opfers verwendete Paketschnur hier ebenfallsals gefährliches Werkzeug im Sinne der Qualifiktationstatbestände [X.]; § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu bewerten war. Zwar ist eine [X.] für sich gesehen und generell kein gefährliches Werkzeug. Ihre Ge-fährlichkeit kann sich aber aus der tatsächlichen, konkreten Verwendung erge-ben. Gerade für [X.] hat der [X.] in seiner Recht-sprechung wiederholt auf die Bedeutung der Art ihrer Verwendung hingewiesen(vgl. nur Senat, Beschl. vom 3. April 2002 - 1 ARs 5/02 - in: NStZ-RR 2002,265 = StraFo 2002, 239, m.w. [X.]). Wird jemand nur mit Klebeband ohneweitere Folgen an einen Stuhl gefesselt oder werden ihm die Hände mit Kabel-binder zusammengebunden, wird die Benutzung des [X.]s konkretkaum geeignet sein, erhebliche Verletzungen zu bewirken (vgl. [X.] StV 1999,- 15 -91; Beschl. vom 12. Januar 1999 - 4 [X.]). Hier indessen verwandte [X.] die Schnur zu einer besonderen Art der Fesselung seines Opfers.Er fesselte diesem nicht nur die Hände auf dem Rücken und die Füße, sondernführte die Schnur auch um den Hals und verband sie mit der übrigen Fesse-lung. Im Ergebnis führte das zu einer ca. 1 cm breiten "Strangulationswunde"am Hals, die bis zu beiden Halsseiten reichte ([X.] 7). Dies deutet darauf hin,daß die besondere Art der Verwendung der Paketschnur diese dazu geeigneterscheinen ließ, auch eine erhebliche Körperverletzung zu bewirken. Sie wäredann als "gefährliches Werkzeug" im Sinne der genannten Tatbestände ver-wendet worden.4. Weiter hätte sich der Tatrichter damit befassen müssen, ob im Blickauf die Strangulationswirkung der Fesselung eine gefährliche Körperverletzunganzunehmen ist. In Betracht kommt die Tatbegehung mittels eines gefährlichenWerkzeuges (siehe oben, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB), möglicherweise aber [X.] einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB).In subjektiver Hinsicht könnte ein wenigstens bedingter Vorsatz des Angeklag-ten insoweit selbst dann zu bejahen sein, wenn die Strangulationswunde letzt-lich erst dadurch bewirkt worden wäre, daß sich die Geschädigte "in gefessel-tem Zustand hüpfend zu ca. 50 m entfernten Häusern bewegte" ([X.] 7), [X.] von ihrer Fesselung befreit wurde. Da der Angeklagte sie in besondererWeise gefesselt 50 m abseits des Weges auf einer Streuobstwiese zurückge-lassen hatte (vgl. [X.] 5) und die Tat im Winter um 6.35 Uhr begangen wurde,mußte er wohl auch damit rechnen, daß die Geschädigte in der festgestelltenWeise ihre Befreiung suchen und sich die Fesselung strangulierend auswirkenkönnte, wenn nicht schon das Anbringen der Fesseln selbst die [X.] verursacht haben [X.] -5. Die aufgeführten, für durchgreifend erachteten rechtlichen Mängelerfassen im Fall 2 der Urteilsgründe auch den Schuldspruch. Dieser kann kei-nen Bestand haben. Das führt zum Fortfall der - ohnehin niedrigen - Einzel-strafe und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe.II[X.] Hinweise:Der neue Tatrichter wird folgendes zu bedenken [X.] Die bisherige Würdigung der [X.] zum Fall 1 der [X.] erweist sich in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht deshalb als lückenhaft,weil die Kammer lediglich annimmt, Nötigungsziel des Angeklagten sei es ge-wesen, die Geschädigte "an einen anderen Ort zu bringen" ([X.] 5). Sie setztsich nicht damit auseinander, ob der Täter auch sexuelle Ziele verfolgte. [X.] hier angesichts des [X.] und des Zusammenhangs zwischen den bei-den Taten bei lebensnaher Betrachtung nahe. Dadurch ist der Angeklagte [X.] beschwert und die Staatsanwaltschaft hat dies nicht angegriffen. Derneue Tatrichter ist aber durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert,den Schuldspruch dennoch zu verschärfen, wenn er aufgrund neuer Bewertungwiederum die Überzeugung von der [X.]chaft des Angeklagten gewinnensollte, die eigentliche Zielsetzung des [X.] näher festzustellen vermag unddiese im Sexuellen gründen sollte. Das Verschlechterungsverbot gilt im Grund-satz nur hinsichtlich der Art und der Höhe der Rechtsfolgen der Tat (§ 358Abs. 2 Satz 1 StPO). Die wegen des Falles 1 verhängte [X.] dürfte [X.] nicht erhöht werden, weil insoweit lediglich auf die Revision des Ange-klagten hin neu zu befinden sein würde.2. Der neue Tatrichter wäre schließlich von Rechts wegen nicht gehin-dert, die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB zu prüfen (vgl. § 358- 17 -Abs. 2 Satz 2 StPO), wenn sich - abweichend vom angefochtenen Urteil - [X.] des § 21 StGB sicher feststellen ließen. Dafür bietet sich [X.] auf der Grundlage des vorliegenden Urteils kein Anhalt. Der Senatschließt angesichts der Tatabläufe aus, daß Schuldunfähigkeit in Betrachtkommen könnte. Da das angefochtene Urteil im Fall 2 und im Ausspruch überdie Gesamtstrafe auch auf die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revi-sion der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben wird, kann sich gar eine Lage er-geben, in welcher der neue Tatrichter die Anordnung der Sicherungsverwah-rung zu prüfen haben könnte (vgl. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB).Nack [X.] [X.] [X.] Elf

Meta

1 StR 364/03

21.01.2004

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.01.2004, Az. 1 StR 364/03 (REWIS RS 2004, 4927)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 4927

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