Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.09.2014, Az. 3 ARs 13/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2550

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 ARs 13/14

vom
30. September 2014
in der Strafsache
gegen

1.
2.

wegen
Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei
hier:
[X.] des 2.
Strafsenats vom 28.
Januar 2014 (2 [X.]/12)

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat am 30. September 2014 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Die beabsichtigte Entscheidung des 2. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des [X.], der an dieser festhält.

Gründe:
Der 2. Strafsenat hat über die
Revisionen von zwei Angeklagten zu [X.], die vom [X.] jeweils wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei in neunzehn (L.

) bzw. achtzehn (E.

) Fällen zu mehrjähri-gen Haftstrafen verurteilt worden sind. Der 2. Strafsenat hält die Verurteilung auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des [X.] zur Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei für rechtsfehlerfrei. Er möch-te diese Rechtsprechung jedoch aufgeben und beabsichtigt wie folgt zu [X.]:
"1.
Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahl-feststellung verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 [X.].

2.
Eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist daher unzulässig."
1
-
3
-
Hieran sieht er sich jedoch durch entgegenstehende Rechtsprechung des 3.
Strafsenats gehindert (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 19. Januar 2000 -
3 StR 500/99, [X.]R StGB § 260 Wahlfeststellung 1; vom 31. Januar 1996
-
3 [X.], [X.]R StGB § 259 Abs. 1 Wahlfeststellung 2). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Die Rechtsfigur der ungleichartigen (echten) Wahlfeststellung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 [X.] ([X.]). Auch die aus dem [X.] Grundsätze des Schuldprinzips (I[X.]) und der Unschuldsvermutung (II[X.]) sind nicht betroffen.
[X.] Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahl-feststellung verletzt Art. 103 Abs. 2 [X.] nicht.
1. Diese Rechtsfigur kommt nur in Fällen zur Anwendung, in denen nach Ausschöpfung aller Beweismittel zwar feststeht, dass der Angeklagte gegen einen von mehreren Straftatbeständen verstoßen hat, aber nicht weiter aufklär-bar ist, gegen welchen dieser Tatbestände. Der Sache nach handelt es sich bei der Wahlfeststellung damit um eine Entscheidungsregel, die, indem sie vorgibt, wie bei einer solchen Unaufklärbarkeit zu entscheiden ist, grundsätzlich mit dem [X.] vergleichbar ist. Da sie aber bei Vorliegen ihrer Vorausset-zungen -
anders als der Grundsatz "in dubio pro reo" -
für den Fall der sich ge-genseitig ausschließenden [X.]n nicht zu einer bestimmten Verurteilung oder zum Freispruch gelangt, sondern im Schuldspruch zu einer wahldeutigen Verurteilung bei Festsetzung der für die am wenigsten schwer-wiegende [X.] angemessenen Strafe (vgl. [X.]/[X.] [Stand: Oktober 2013], [X.]. zu § 55 Rn.
5a), mag die Wahlfeststellung in der Tat in einem Spannungsverhältnis zum [X.] stehen (vgl. [X.], [X.] vom 28.
Januar 2014 -
2 [X.]/12, [X.], 392, 394); dies ent-2
3
4
5
-
4
-
spricht -
mit Unterschieden im Detail -
der überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl. [X.], StGB, 12. Aufl., [X.]. zu § 1 Rn.
8; SSW-StGB/[X.], 2.
Aufl., §
1 Rn.
71: Durchbrechung des [X.]es; MüKoStGB/[X.], 2. Aufl., [X.]. zu § 1 Rn.
12: Einschränkung; [X.]/[X.] aaO, [X.]. zu § 55 Rn.
5c; ders., [X.], 271, 276: [X.] variiert den [X.]; [X.], [X.] 1953, 33, 38; [X.], [X.], 461, 468: Wahlfeststellung berührt den [X.] nicht), ändert indes nichts an der Eigenschaft dieses Rechtsinstituts als Entscheidungsregel, durch die die verfahrensrechtliche Frage beantwortet wird, wie mit der genannten Be-weissituation umzugehen ist (vgl. [X.] aaO; [X.]/[X.] aaO, [X.].
zu §
55 Rn.
5a; [X.], Verurteilungen im Strafprozess trotz subsumti-onsrelevanter Zweifel, [X.]). Solche prozessualen Regelungen werden von Art. 103 Abs. 2 [X.] jedoch nicht erfasst (Kudlich in Kudlich/Montiel/Schuhr, Ge-setzlichkeit und Strafrecht, 2012, 233, 239 ff.).
Ob die ungleichartige Wahlfeststellung daneben auch Elemente enthält, die dem materiellen Strafrecht zuzuordnen sind, kann offen bleiben. Weder wird dadurch die Reichweite der in Art. 103 Abs. 2 [X.] enthaltenen [X.] verändert, noch wird durch eine solche Zuordnung dessen Anwendungs-bereich ohne weiteres eröffnet (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Mai 1994
-
2 BvR 746/94, [X.], 480 zur Ruhensregelung des § 78b Abs. 4 StGB). Für die Anwendbarkeit von Art. 103 Abs.
2 [X.] ist alleine
entscheidend, ob die ungleichartige Wahlfeststellung strafbarkeitsbegründend wirkt oder in ihrer Konsequenz dazu führt, dass Art und Maß der Strafe nicht mehr vom [X.] vorgegeben sind (zum Gewährleistungsgehalt des Art. 103 Abs. 2 [X.] im Einzelnen vgl. etwa [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2011 -
2 BvR 2500/09 u.a., [X.], 496, 503); dies ist nicht der Fall.
6
-
5
-
2. Das Rechtsinstitut der ungleichartigen Wahlfeststellung wirkt nicht strafbarkeitsbegründend und berührt damit nicht den Grundsatz "nullum crimen sine lege". Es bestimmt nicht die Voraussetzungen, unter denen das Verhalten des Angeklagten als strafbar zu qualifizieren ist. Diese folgen aus den alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen. Die Rechtsfigur regelt alleine -
in den Fällen der ungleichartigen ebenso wie in denen der gleichartigen Wahlfest-stellung -
wie dem zweifelsfrei strafbaren Verhalten des Angeklagten eine Rechtsfolge gegeben werden soll. Betroffen ist nicht das "Ob" der Strafbarkeit, sondern das "Wie" der Schuldspruchfassung und Rechtsfolgenbestimmung (vgl. [X.]/[X.] aaO, [X.]. zu §
55 Rn.
5a). Der Zweck des Gesetzlich-keitsprinzips, für den Angeklagten seine Bestrafung vorhersehbar zu halten ([X.], Urteil vom 20. März 2002 -
2 BvR 794/95, [X.]E 105, 135, 153),
wird nicht tangiert. Vielmehr muss der Täter im Tatzeitpunkt damit rechnen, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden (so auch Freund in Fest-schrift [X.], 2013,
35, 36).
Grundlage der Bestrafung des Angeklagten ist in den Fällen der [X.] insbesondere keine ungeschriebene dritte Norm, die übereinstimmende Unrechtselemente der beiden nicht unzweifelhaft zur Anwendung gelangenden Strafgesetze in sich vereinigen würde (so aber [X.], [X.] und die Problematik der Überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der [X.] und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten, 1973, 269 f. unter Berufung auf v. Bar, [X.] 15 [1867] 569, 574; Freund aaO, 49; dagegen überzeugend [X.] aaO,
469 f.). Nach der logischen Struktur der Wahlfeststellung wird gerade nicht ein-deutig wegen einer "zwischen" den gesetzlichen Tatbeständen liegenden Hand-lung verurteilt. Vielmehr muss in jeder in Betracht kommenden Sachverhaltsva-7
8
-
6
-
riante jeweils ein Straftatbestand vollständig erfüllt sein. Nur in diesem Fall ist ein alternativ zu fassender Schuldspruch zulässig.
Dass der vom Gericht zu treffende Schuldspruch stets bestimmt sein müsse, lässt sich Art. 103 Abs. 2 [X.] zudem nicht entnehmen (so auch NK-StGB-Frister, 4.
Aufl., [X.] zu § 2 Rn. 77; [X.]/[X.], 4.
Aufl., § 261 Rn. 103; KMR-[X.] [Stand: August 2013], § 261 Rn.
149; [X.]/[X.] aaO, [X.]. zu § 55 Rn. 5b; ders.,
[X.], 271, 274 ff.).
Aus dem Umstand, dass eine Verurteilung im Falle der ungleichartigen Wahlfeststellung nach den richterrechtlich entwickelten Grundsätzen nur zuläs-sig ist, wenn die in Betracht kommenden Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind, ergibt sich nichts anderes. Diese [X.] wirkt nicht strafbarkeitsbegründend, sondern schränkt den Anwendungsbereich der Rechtsfigur, die gemessen an Art. 103 Abs. 2 [X.] auch unbeschränkt zulässig wäre (KMR-[X.] aaO), lediglich ein.
3. Die ungleichartige Wahlfeststellung verstößt nicht gegen das aus Art.
103 Abs. 2 [X.] folgende Gebot "nulla poena sine lege". Art und Maß der Strafe bleiben vom parlamentarischen Gesetzgeber vorgegeben, da der Ange-klagte auf der Grundlage kodifizierter Straftatbestände bestraft wird.
Den Strafzumessungsvorgang begleiten auch keine mit Art. 103 Abs. 2 [X.] nicht zu vereinbarenden
Ungenauigkeiten. Die Strafe ist dem Gesetz zu entnehmen, das im konkreten Fall die mildeste Strafe zulässt. Der Tatrichter hat hierbei die jeweils in Betracht kommenden Strafen zu vergleichen und für sämtliche in Betracht kommenden Sachverhaltskonstellationen zu prüfen, auf welche Strafe jeweils zu erkennen wäre, wenn die eine oder die andere strafba-9
10
11
12
-
7
-
re Handlung nachgewiesen wäre ([X.], Urteile vom 29. Oktober 1958 -
2
StR 375/58, [X.]St 13, 70, 72;
vom 15. Mai 1973 -
4 [X.], [X.]St 25, 182, 186;
LR/[X.], [X.], 26. Aufl.,
§ 261 Rn. 165;
[X.] aaO, [X.]. zu §
1 Rn. 160;
[X.]/[X.] aaO, [X.]. zu § 55 Rn. 46; [X.], StGB, 61.
Aufl.,
§ 1 Rn.
47). Grundlage der Bestrafung ist -
wie dargelegt -
weder eine ungeschriebene dritte Norm noch eine auf verschiedenen Sachverhalten grün-dende, per [X.] festgestellte Schuld des Angeklagten, sondern der Schuldum-fang, wie er sich aus der gleichermaßen eine Strafnorm ausfüllende und den Angeklagten am meisten begünstigenden Sachverhaltsvariante ergibt (vgl. auch [X.] [X.], 271, 276). Dass die Strafe dabei hinter dem wahren Schuldumfang des Angeklagten zurückbleiben kann, ist keine Eigenheit der ungleichartigen Wahlfeststellung, sondern eine aus der Anwendung des [X.] folgende Konsequenz (s. auch [X.] aaO, 470 f.).
I[X.] Die Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung ist weiter mit dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit dem Rechtsstaats-prinzip folgenden Schuldprinzip vereinbar.
Der [X.] bindet die Rechtsprechung insoweit, als die Bestra-fung auf einem Schuldvorwurf gründen muss sowie Strafe und Schuld in [X.] Verhältnis stehen müssen. Bezüglich letzterer Konkretisierung stellt das Schuldprinzip eine spezielle Ausprägung des Übermaßverbotes dar ([X.], Beschluss vom 20. Dezember 2007 -
2 BvR 1050/07, [X.], 179 mwN). Dass dem Angeklagten ein Schuldvorwurf zu machen ist, steht in den Fällen einer -
ungleichartigen wie gleichartigen -
wahldeutigen Verurteilung fest. Soweit sich aus den verschiedenen Sachverhaltsvarianten [X.] ergeben, ist das Schuldprinzip nur in seinem Übermaßverbot 13
14
-
8
-
betroffen. Dieses ist dadurch gewahrt,
das die Strafe stets auf der dem Ange-klagten günstigsten Sachverhaltsvariante gründen muss.
II[X.] Auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende, grundgesetzlich gewährleistete Unschuldsvermutung (zu deren Gewährleistungsgehalt vgl. [X.], Beschluss
vom 14. Januar 2008 -
2 BvR 1975/06, juris Rn. 9 mwN) ist durch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur unechten Wahlfeststellung nicht betroffen. Eine Verurteilung ist in den Fällen der [X.] erst nach Ausschöpfung aller in Betracht kom-menden Beweismittel möglich, wobei der Tatrichter überzeugt sein muss, dass in jeder denkbaren Sachverhaltsvariante ein strafbares Handeln des Angeklag-ten vorgelegen haben muss. Die Frage, welche Rechtsfolgen sich hieraus er-geben, betrifft den Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht.
[X.] Pfister Mayer

Gericke Spaniol
15

Meta

3 ARs 13/14

30.09.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.09.2014, Az. 3 ARs 13/14 (REWIS RS 2014, 2550)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2550

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 ARs 13/14 (Bundesgerichtshof)

(Verstoß der richterrechtlich entwickelten Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung gegen Art. 103 Abs. 2 GG)


GSSt 1/17 (Bundesgerichtshof)

Wahlfeststellung zwischen gewerbsmäßigen Diebstahls und gewerbsmäßiger Hehlerei; Auswirkungen auf gleichzeitige Verwirklichung der Geldwäsche


GSSt 1/17 (Bundesgerichtshof)


5 ARs 39/14 (Bundesgerichtshof)


5 ARs 39/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 ARs 13/14

2 StR 495/12

2 BvR 794/95

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.