Bundessozialgericht, Urteil vom 26.06.2013, Az. B 7 AY 6/12 R

7. Senat | REWIS RS 2013, 4732

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Überprüfungsantrag - Asylbewerberleistung - Beschränkung des Überprüfungszeitraums auf ein Jahr - analoge Anwendung des § 116a SGB 12)


Leitsatz

Im Verfahren zur Überprüfung bestandskräftiger, rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakte sind Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in entsprechender Anwendung der Regelungen des SGB 12 rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu einem Jahr zu erbringen, wenn der Antrag auf Rücknahme nach dem 31.3.2011 gestellt wurde.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 24. April 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] sind höhere Leistungen nach dem [X.] ([X.]) im Rahmen eines [X.] nach § 44 [X.] - ([X.]) für die [X.] vom 1.1.2007 bis 30.6.2009.

2

Am 22.8.2011 beantragte der 1997 geborene Kläger rückwirkend ab 1.1.2007 bis 30.6.2009 höhere Leistungen nach § 2 [X.]. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Frist für die Nachzahlung von Leistungen nach § 44 Abs 4 [X.] sei durch Einfügen des § 116a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]II) auch für das Asylbewerberleistungsrecht auf ein Jahr begrenzt worden. Für Leistungen nach § 2 [X.] sei das [X.]II entsprechend anzuwenden, sodass Nachzahlungen nur noch für die [X.] ab 1.1.2010 möglich seien (Bescheid vom 16.9.2011; Widerspruchsbescheid vom [X.]).

3

Die hiergegen erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts <[X.]> Münster vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, einer Überprüfung des streitbefangenen [X.]raums stehe § 116a [X.]II entgegen, wonach für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes § 44 Abs 4 [X.] mit der Maßgabe gelte, dass anstelle des (Nachzahlungs-)[X.]raums von vier Jahren ein [X.]raum von einem Jahr trete, gerechnet von Beginn des Jahres an, in dem der Antrag gestellt worden sei. Diese Regelung sei nach § 136 [X.]II auf Überprüfungsanträge anzuwenden, die ab dem 1.4.2011 gestellt worden seien. Zwar finde sich keine § 116a [X.]II entsprechende Regelung im [X.], die Vorschrift sei aber wegen einer planwidrigen Lücke im Gesetz analog anzuwenden.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 9 Abs 3 [X.] iVm § 44 Abs 4 [X.]. Danach seien rechtswidrig vorenthaltene Leistungen für bis zu vier Jahre rückwirkend nachzuzahlen. § 116a [X.]II, der die Frist auf ein Jahr verkürze, sei nicht analog auf Leistungen nach dem [X.] anwendbar. Dem Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] lasse sich entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine Verkürzung der Frist von vier Jahren bei den Überprüfungsanträgen nach § 44 [X.] für diesen Bereich verzichtet habe, sodass es an einer planwidrigen Regelungslücke mangele. Es fehle auch eine vergleichbare Interessenlage, weil Anträge nach § 44 [X.] nicht nur die Erhöhung der Leistungsgewährung auf die Regelsätze nach dem [X.]II, sondern auch die Überprüfung der Leistungsgewährung nach §§ 1a und 3 [X.] beträfen.

5

Der Kläger hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,
das Urteil des [X.] und den Bescheid vom 16.9.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Rücknahme entgegenstehender Verwaltungsakte für die [X.] vom 1.1.2007 bis 30.6.2009 höhere Leistungen zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die Entscheidung des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>) ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]). Der Kläger hat schon deshalb keinen Anspruch auf rückwirkend zu gewährende höhere Leistungen für den streitbefangenen [X.]raum, weil er seinen Überprüfungsantrag erst im August 2011 gestellt hat und § 116a [X.] der rückwirkenden Leistungsgewährung entgegensteht.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16.9.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (§ 95 [X.]), mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger unter Aufhebung entgegenstehender bestandskräftiger Bescheide rückwirkend höhere Leistungen nach dem [X.] zu zahlen. Gegen diesen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4 [X.], § 56 [X.] ([X.]-1300 § 44 [X.] Rd[X.] 9; BSG, Urteil vom 20.12.2012 - [X.] [X.] R - Rd[X.] 10), auf die auch bei Anwendung des § 44 [X.] ein Grundurteil nach § 130 Abs 1 [X.] ergehen kann ([X.], 299, 300 = [X.] 3-4300 § 137 [X.]; [X.]-3520 § 3 [X.] Rd[X.] 10; BSG, Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/12 R - Rd[X.] 9).

Gemäß § 9 Abs 3 [X.] iVm § 44 Abs 1 [X.] (zur Anwendbarkeit des § 44 [X.] im Asylbewerberleistungsrecht vgl: [X.], 213 ff = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 20; [X.]-1300 § 44 [X.]) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Einer Entscheidung darüber, ob dem Kläger in der [X.] vom 1.1.2007 bis zum [X.] zu Unrecht vorenthalten wurden und die insoweit ergangenen Bescheide rechtswidrig waren (§ 44 Abs 1 [X.]), bedarf es nicht. § 44 Abs 1 [X.] zielt im Ergebnis auf die Ersetzung des rechtswidrigen Verwaltungsakts, mit dem eine (höhere) Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, durch einen die (höhere) Leistung gewährenden Verwaltungsakt ab. Einem Antragsteller, der über § 44 Abs 4 [X.] keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme iS von § 44 Abs 1 [X.] zugebilligt werden. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 [X.]" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen ([X.], 213 ff Rd[X.] = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 20; [X.] 68, 180 ff = [X.] 3-1300 § 44 [X.] 1). So liegt der Fall hier. Selbst im Falle der Rechtswidrigkeit bestandskräftiger Bescheide über Leistungen nach dem [X.] könnten höhere Leistungen rückwirkend allenfalls für die [X.] ab 1.1.2010 erbracht werden, die nicht streitbefangen ist; insoweit ist § 116a [X.] analog im Asylbewerberleistungsrecht anzuwenden.

Zu Unrecht vorenthaltene Leistungen nach dem [X.] werden zwar gemäß § 9 Abs 3 [X.] iVm § 44 Abs 4 [X.] längstens für einen [X.]raum bis zu vier Jahren vor der mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgten Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes erbracht; dabei wird der [X.]punkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs 4 Satz 2 [X.]). Erfolgt die Rücknahme - wie hier - auf Antrag, tritt bei der Berechnung des [X.]raums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Die 4-Jahresfrist verkürzt sich aber für Anträge, die - wie hier - nach dem [X.] gestellt wurden, in entsprechender Anwendung des die Regelung des § 44 Abs 4 [X.] modifizierenden § 116a [X.] iVm dem bis 31.12.2012 geltenden § 136 [X.] (jeweils in der Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011 - [X.]) auf ein Jahr, sodass angesichts der im August 2011 erfolgten Antragstellung keine für den streitbefangenen [X.]raum zu Unrecht vorenthaltenen Leistungen mehr zu erbringen sind. Wann ein bestandskräftiger Bescheid über die Ablehnung von Leistungen nach dem [X.] für den streitbefangenen [X.]raum - ausdrücklich durch förmlichen Verwaltungsakt oder konkludent (dazu BSG, Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/12 R- Rd[X.] 9) - ergangen ist, ist für die Anwendung des § 44 Abs 1 iVm Abs 4 [X.] ohne Bedeutung.

§ 116a [X.] ist im Zusammenhang mit § 9 Abs 3 [X.] iVm § 44 [X.] analog anzuwenden, weil das Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] durch das Unterlassen einer Änderung in § 9 Abs 3 [X.] eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen ist ([X.] in juris [X.] [X.], § 116a [X.] Rd[X.] 21 ff). Eine direkte Anwendung des § 116a [X.] scheidet hingegen aus. Zwar werden Leistungen nach § 2 [X.] in entsprechender Anwendung des [X.] erbracht (§ 2 Abs 1 [X.]); jedoch betrifft diese Regelung nach ihrem Wortlaut ("abweichend von §§ 3 bis 7"), gleich ob sie eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung enthält (offengelassen in [X.] 101, 49 ff Rd[X.] 14 = [X.] 4-3520 § 2 [X.] 2), nur das Leistungsrecht des [X.]. Deshalb bedarf es für eine direkte Anwendung der den [X.]raum des § 44 Abs 4 [X.] von vier auf ein [X.] Regelung eines besonderen Anwendungsbefehls, der in § 9 Abs 3 [X.] aber nicht enthalten ist. § 9 Abs 3 [X.] sieht selbst (noch) keine Modifikation des § 44 Abs 4 [X.] vor.

Eine Analogie, die Übertragung einer gesetzlichen Regelung - hier des § 116a [X.] - auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, ist geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist und nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert (BSG [X.] 3-2500 § 38 [X.] 2 Rd[X.] 15). Daneben muss eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegen ([X.] 82, 6, 11 ff mwN; [X.] 77, 102, 104 = [X.] 3-2500 § 38 [X.] 1 S 3; [X.] 89, 199, 202 f = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 21 S 95 f mwN). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die zu regelnden Sachverhalte sind nicht nur im [X.] ([X.], dort § 40 Abs 1 Satz 2) und im [X.], für die die Jahresbegrenzung eingefügt worden ist, sondern auch im [X.] in diesem Sinn gleichartig. Das [X.], das [X.] und das [X.] sind Existenzsicherungssysteme, die alle das Ziel haben, den Leistungsberechtigten ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen (§ 1 Abs 1 [X.]; § 1 Abs 1 Satz 1 [X.]; BT-Drucks 12/4451 Satz 1 und 3, wonach die fürsorgerischen Gesichtspunkte der Leistungen an Asylbewerber durch das [X.] gewahrt bleiben). Ebenso ist allen drei Existenzsicherungssystemen gemeinsam, dass die gewährten Leistungen einen aktuellen Bedarf bei aktueller Hilfebedürftigkeit decken sollen (sog [X.], vgl nur [X.] in [X.], 2. Aufl 2013, [X.]) und nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet sind ([X.], Beschluss vom [X.] - 1 BvR 569/05; [X.], 236, 238; 66, 335, 338), sodass Leistungen im Rahmen eines [X.] für die Vergangenheit nur zu erbringen sind, wenn die [X.] ihre Aufgabe noch erfüllen können ([X.], 213 ff Rd[X.] 12 ff = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 20; [X.] 4-1300 § 44 [X.] 12 Rd[X.] 14 f).

Dieser Gedanke war auch Beweggrund für den Gesetzgeber zur Einführung des § 116a [X.]. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei die Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 [X.] für die Leistungen, die als steuerfinanzierte Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts dienten und dabei in besonderem Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollten (sog [X.]), zu lang. Eine kürzere Frist von einem Jahr sei sach- und [X.] (BT-Drucks 17/3404, [X.], 129). Nichts anderes kann aber angesichts der Gleichartigkeit der zu regelnden Sachverhalte für Leistungen nach dem [X.] gelten. Die in den Regelungen des § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] und § 116a [X.] zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung muss deshalb für das [X.] übernommen werden. Erst recht gilt dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ursprüngliches Ziel der Leistungen nach dem [X.] eine "deutliche Absenkung" der früher nach § 120 Abs 2 [X.] gewährten Leistungen war, also eine Schlechterstellung der Leistungsberechtigten nach dem [X.] (BT-Drucks 12/4451 Satz 1; vgl insoweit aber [X.] [X.] 4-3520 § 3 [X.] 2). Dieses Ziel würde konterkariert, wären im Zugunstenverfahren Leistungen nach dem [X.] (anders als nach dem [X.] bzw dem [X.]) annähernd bis zu fünf Jahren rückwirkend zu erbringen.

Die Gleichartigkeit der Sachverhalte im [X.], dem [X.] und dem [X.] gebietet auch eine gleiche Behandlung. Dies bestätigt die Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Verfassungswidrigkeit des § 3 [X.] ([X.] [X.] 4-3520 § 3 [X.] 2), wonach das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums [X.] und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der [X.] aufhalten, gleichermaßen zusteht. Umgekehrt muss das aber auch für Einschränkungen bei der Nachzahlung zu Unrecht vorenthaltener Leistungen gelten. Deshalb soll nach dem Referentenentwurf eines [X.] [X.] (Bearbeitungsstand 4.12.2012; http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/bverfg-asylblg-novelle.html) der Vorschrift des § 9 Abs 3 folgender Satz 2 angefügt werden (Referentenentwurf [X.]): "§ 44 Abs 4 Satz 1 des [X.] gilt mit der Maßgabe, dass anstelle des [X.]raums von vier Jahren ein [X.]raum von einem Jahr tritt." Zur Begründung wird ausgeführt, es werde den Besonderheiten des [X.] nicht gerecht, Bedarfe, die tatsächlich nicht mehr vorhanden seien, auch für [X.]räume, die länger in die Vergangenheit zurückreichten, rückwirkend zu gewähren. Die Vierjahresfrist des § 44 [X.] sei für steuerfinanzierte Leistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts und damit in besonderem Maße der Deckung gegenwärtiger Bedarfe dienten, zu lang. Eine kürzere Frist von einem Jahr sei sach- und [X.]. Insofern müssten dieselben Grundsätze wie in § 116a [X.] und in § 40 Abs 1 [X.] gelten. Entsprechend werde § 9 Abs 3 [X.] so abgeändert, dass § 44 [X.] zukünftig auch im [X.] nur mit der Maßgabe Anwendung finde, dass anstelle des [X.]raums von vier Jahren ein solcher von einem Jahr trete (Referentenentwurf [X.], aaO). Die Begründung im Referentenentwurf ist damit annähernd wortgleich zu der Begründung der Änderung des § 40 Abs 1 [X.] und der Einfügung des § 116a [X.] (BT-Drucks aaO).

Es fehlt auch nicht deshalb an der vergleichbaren Interessenlage, weil die Anträge nach § 44 [X.] auch die Überprüfung der Leistungsgewährung nach §§ 1a und 3 [X.] betreffen und das System des [X.] in erster Linie als Sachleistungssystem ausgestattet ist. Zum einen sind hier solche Leistungen nicht betroffen, sondern Leistungen nach § 2 [X.], die in entsprechender Anwendung des [X.] erbracht werden, sodass es nicht einzusehen ist, weshalb insoweit eine Besserstellung des Leistungsberechtigten nach dem [X.] erfolgen soll; zum anderen wären Sachleistungen für die Vergangenheit nicht zu erbringen, sondern allenfalls ohnehin Geldleistungen im Sinne eines Sekundäranspruchs. Im Übrigen sehen auch das [X.] und das [X.] die - allerdings eingeschränkte - Möglichkeit vor, Sachleistungen zu erbringen. Bei der Prüfung, ob die beiden verglichenen Sachverhalte in einer die Analogie ermöglichenden Weise "gleich" bzw "ähnlich" sind, ist die Grenze (erst) dort zu ziehen, wo durch die entsprechende Anwendung die Regelungsabsicht des Gesetzgebers vereitelt würde. Dies ist zwar schon dann zu bejahen, wenn es nur zweifelhaft ist, ob der Unterschied zwischen den verglichenen Sachverhalten nicht doch so groß ist, dass durch eine Gleichstellung die gesetzliche Wertung in Frage gestellt sein könnte ([X.] 57, 195 ff = [X.] 1500 § 149 [X.] 7). Derartige Zweifel bestehen aber nach oben Gesagtem gerade nicht. So sieht auch der Referentenentwurf (aaO) eine § 116a [X.] identische Regelung bei annähernd identischer Begründung vor, ohne zwischen den jeweiligen Leistungen nach dem [X.] zu unterscheiden.

Dies rechtfertigt auch die Folgerung einer durch das Gesetz zur Ermittlung von [X.] und Änderung des [X.] und [X.] entstandenen (unbewussten) planwidrigen Regelungslücke (vgl auch: [X.] in jurisPK-[X.], § 116a [X.] Rd[X.] 27; [X.] in [X.], [X.], § 9 Rd[X.] 73, Stand Dezember 2012, der ein gesetzgeberisches Versehen wegen unterschiedlicher ministerieller Zuständigkeiten vermutet). Diese hat der Gesetzgeber mittlerweile selbst erkannt, der, wie die beabsichtigte Ergänzung von § 9 Abs 3 [X.] und insbesondere die Begründung im Referentenentwurf zeigen, die Gesetzeslücke nachträglich schließen will. Die Annahme einer Gesetzeslücke verbietet sich - anders als der Kläger meint - nicht etwa deshalb, weil in der BT-Drucks 17/3404 die Leistungen nach dem [X.] bei der Bewertung der finanziellen Auswirkungen des Entwurfs der Fraktionen der [X.] und [X.] zum Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] ausdrücklich genannt werden ([X.]5 und 47) und in der dritten Beratung des Gesetzentwurfs (Plenarprotokoll 17/79) über den Entschließungsantrag der Fraktion "[X.]" zur Ergänzung des [X.] der Leistungsberechtigten nach dem [X.] und dem [X.] um bisherige Leistungsberechtigte nach dem dann aufzuhebenden [X.] (BT-Drucks 17/4106) abgestimmt wurde. Denn die Ausführungen in der BT-Drucks 17/3404 betreffen nur die finanziellen Auswirkungen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes, die natürlich auch Asylbewerber betreffen, die Leistungen entsprechend dem [X.] erhalten. Auch der Entschließungsantrag der Fraktion "[X.]" betrifft allein die Höhe der Leistungen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] war eine Reaktion des Gesetzgebers auf die den Regelbedarf nach dem [X.] und dem [X.] betreffende Entscheidung des [X.] vom [X.] ([X.] 125, 175 ff = [X.] 4-4200 § 20 [X.] 12). Die zitierten amtlichen Drucksachen und Protokolle betreffen ebenfalls unmittelbar oder mittelbar nur den Regelbedarf bzw die Höhe der Leistungsgewährung, haben jedoch keinen Bezug zur Ergänzung des § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] bzw des § 116a [X.]. Sie sind deshalb weder Beleg dafür, dass Leistungen nach dem [X.] bewusst ausgeklammert worden sind, noch begründen sie einen solchen Zweifel. Der Referentenentwurf eines [X.] [X.] belegt insoweit sogar das Gegenteil (dazu oben).

An diesem Ergebnis ändert die beabsichtigte Übergangsregelung in § 14 [X.] des Referentenentwurfs (Referentenentwurf [X.]) nichts, wonach § 9 Abs 3 Satz 2 [X.] nicht bei Anträgen nach § 44 [X.] anwendbar sein soll, die vor dem [X.]punkt des Inkrafttretens der Neuregelung gestellt worden sind. Damit ist bereits keine die Analogie verbietende Regelung beabsichtigt. [X.] verbleibt es bis zum möglichen Inkrafttreten bei der Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen ist.

Schließlich besteht im öffentlichen Recht auch kein allgemeines Analogieverbot zum Nachteil von Bürgern, also der analogen Anwendung einer "belastenden" Norm ([X.], 285 ff = [X.] 4-4300 § 335 [X.] 2; BSG [X.] 3-4100 § 59e [X.] 1 S 6; [X.] 4-1300 § 44 [X.] Rd[X.] 23). Aus der Bindung an "Gesetz und Recht" (Art 20 Abs 3 Grundgesetz ) ergibt sich, dass Exekutive und Judikative bei der Normanwendung - von speziellen verfassungsrechtlichen Analogieverboten wie Art 103 Abs 2 GG abgesehen - nicht auf den ausdrücklich bestimmten Anwendungsbereich der gesetzlichen Bestimmungen beschränkt sind, sondern das Recht insgesamt anwenden müssen ([X.], 285 ff = [X.] 4-4300 § 335 [X.] 2). Infolgedessen sind auch belastende Normen des öffentlichen Rechts analog anzuwenden, sofern sich die Übertragung auf einen gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fall - wie hier - wegen der Gleichartigkeit der Sachverhalte gebietet und die Regelungsabsicht des Gesetzgebers sicherstellt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 [X.].

Meta

B 7 AY 6/12 R

26.06.2013

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: AY

vorgehend SG Münster, 24. April 2012, Az: S 12 AY 193/11, Urteil

§ 2 AsylbLG, § 3 AsylbLG, § 9 Abs 3 AsylbLG, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 2 SGB 10, § 44 Abs 4 S 3 SGB 10, RBEG/SGB2/SGB12ÄndG, § 116a SGB 12, § 136 SGB 12 vom 24.03.2011, § 40 Abs 1 S 2 SGB 2, § 77 Abs 13 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.06.2013, Az. B 7 AY 6/12 R (REWIS RS 2013, 4732)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4732

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