Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2017, Az. B 4 AS 6/16 R

4. Senat | REWIS RS 2017, 12954

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Zugunstenverfahren - Überprüfungsantrag nach dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug - fortbestehende Hilfebedürftigkeit stellt keine Anspruchsvoraussetzung dar


Leitsatz

Der Anspruch auf Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II und der Anspruch auf eine sich daraus ergebende Leistungsnachzahlung setzt keine bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens durchgehend bestehende Hilfebedürftigkeit voraus.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen die Urteile des [X.] vom 29. September 2015 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren im Wege des [X.] nach § 44 [X.] höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung ([X.]) nach dem [X.] für die [X.] vom 1.1.2005 bis zum [X.]. Im Streit ist insbesondere, ob eine Nachzahlung von Leistungen auch dann noch zu erfolgen hat, wenn sich Antragsteller nicht mehr im Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem [X.] befinden.

2

Der Kläger zu 1, seine Ehefrau (Klägerin zu 2) und deren gemeinsamer, 2001 geborener [X.] (Kläger zu 3) stellten am 8.10.2004 erstmalig beim Beklagten einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem [X.] und im [X.] daran verschiedene Folgeanträge. Die Kaltmiete inklusive Betriebskosten (Bruttokaltmiete) der von den Klägern im streitbefangenen [X.]raum gemeinsam bewohnten Wohnung, die zentral über die Heizungsanlage mit Warmwasser versorgt wurde, betrug 595 Euro. Außerdem zahlten sie für Heizkosten einen Abschlag von monatlich 50 Euro.

3

Mit bindenden Bescheiden vom 12.11.2004 (Bewilligungszeitraum 1.1.2005 bis 31.5.2005), [X.] (Bewilligungszeitraum 1.6.2005 bis 30.11.2005) und 4.11.2005 (Bewilligungszeitraum 1.12.2005 bis [X.]) gewährte der Beklagte den Klägern für [X.] Grundsicherungsleistungen nach dem [X.] in Höhe von insgesamt 610 Euro (Kläger zu 1: 203,34 Euro; Klägerin zu 2: 203,32 Euro; Kläger zu 3: 203,34 Euro).

4

Am [X.] stellten die Kläger Anträge nach § 44 [X.] auf Überprüfung dieser Bescheide mit dem Ziel einer Leistungsnachzahlung, die für die jeweiligen Bewilligungszeiträume erfolglos blieben (Bescheide vom [X.]; Widerspruchsbescheide vom [X.]). Im Verlauf des sich anschließenden Klageverfahrens sind die Kläger zum 1.10.2010 aus dem Leistungsbezug nach dem [X.] ausgeschieden.

5

Das [X.] hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 12.11.2004, [X.] und 4.11.2005 verurteilt, den Klägern weitere Leistungen für [X.] zu erbringen, und zwar für die [X.]räume vom 1.1.2005 bis 31.5.2005 dem Kläger zu 1 in Höhe von 30,30 Euro, der Klägerin zu 2 in Höhe von 30,40 Euro und dem Kläger zu 3 in Höhe von 39,65 Euro monatlich, für den [X.]raum vom 1.6.2005 bis 30.11.2005 dem Kläger zu 1 in Höhe von 36,36 Euro, der Klägerin zu 2 in Höhe von 36,48 Euro und dem Kläger zu 3 in Höhe von 47,58 Euro monatlich, sowie für den [X.]raum vom 1.12.2005 bis [X.] dem Kläger zu 1 in Höhe von 36,36 Euro, der Klägerin zu 2 in Höhe von 36,48 Euro und dem Kläger zu 3 in Höhe von 47,58 Euro monatlich (Urteil vom 25.8.2011).

6

Die in allen drei Verfahren vom L[X.] zugelassenen Berufungen des Beklagten sind erfolglos geblieben (Urteile des L[X.] vom 29.9.2015). Zur Begründung seiner Entscheidungen hat das L[X.] ausgeführt, die Überprüfung eines bereits bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 [X.] erfolge unabhängig davon, ob sich der Antragsteller noch im Leistungsbezug nach dem [X.] befinde. Soweit für den Bereich des Sozialhilferechts das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der fortbestehenden Hilfebedürftigkeit verlangt werde, sei dies auf das Grundsicherungsrecht nach dem [X.] nicht übertragbar. Es würden keine gesonderten Strukturprinzipien für das [X.] gelten. In der Sache habe das [X.] die von ihm zugesprochenen Zahlungsbeträge zutreffend errechnet. Es habe zu Recht für Kosten der Unterkunft - mangels eines [X.] - die Bruttokaltmiete in tatsächlich gezahlter Höhe berücksichtigt und bei den Heizkosten nach Maßgabe der Rechtsprechung des B[X.] die Kosten der Warmwasserbereitung abgezogen.

7

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision - nach Verbindung der drei Nichtzulassungsbeschwerden - macht der Beklagte sinngemäß eine Verletzung von § 44 [X.] iVm dem als Strukturprinzip im [X.] zu berücksichtigenden [X.] geltend. Das [X.] bzw der [X.] sei in allen Existenzsicherungssystemen allgemein anerkannt. Deren Anwendung führe dazu, dass [X.] nach [X.] Hilfebedürftigkeit erfolglos sein müssten, was im Bereich der Leistungsbewilligung nach dem [X.]II und dem [X.] unumstritten sei. Eine unterschiedliche Behandlung würde dem allgemeinen Gleichheitssatz widersprechen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 29.9.2015 aufzuheben, die Urteile des [X.] vom 25.8.2011 abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen.

9

Die Kläger haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G).

Zu Recht hat das [X.] den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 12.11.2004, [X.] und 4.11.2005 zu weiteren Zahlungen verurteilt und das L[X.] die Berufungen des Beklagten gegen die Urteile des [X.] zurückgewiesen, denn es besteht ein Anspruch der Kläger auf teilweise Rücknahme der genannten Bescheide und Nachzahlung von Leistungen für [X.].

1. Streitgegenstand sind neben den vorinstanzlichen Urteilen die Bescheide des Beklagten vom [X.] in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom [X.], soweit durch diese die (teilweise) Rücknahme der bindenden Bescheide vom 12.11.2004, [X.] und 4.11.2005 abgelehnt und damit gleichzeitig die Gewährung höherer Leistungen für [X.] versagt worden sind. Streitig sind allein weitere Leistungen für [X.] nach § 22 [X.]B II, weil die Kläger ihr Klagebegehren zulässigerweise hierauf beschränkt haben. Richtige Klageart ist - wie von der Vorinstanz zutreffend erkannt - jeweils die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1, 4 [X.]G (vgl nur B[X.] vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - B[X.]E 115, 126 = [X.]-1300 § 44 [X.], Rd[X.] 11 mwN; B[X.] vom 12.10.2016 - B 4 [X.]/15 R - Rd[X.] 11, zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] vorgesehen). Mit der Anfechtungsklage begehren die Kläger die Aufhebung der eine Rücknahme ablehnenden Verwaltungsakte. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung von Bescheiden durch den Beklagen gerichtet, durch die dieser die begehrte Änderung der bindenden Bewilligungsbescheide bewirken soll. Mit der Leistungsklage werden schließlich höhere Leistungen für den streitbefangenen [X.]raum geltend gemacht.

2. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Kläger ist § 40 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (hier anwendbar in der insoweit bis zum [X.] unveränderten Fassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 - [X.]) iVm § 44 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]B X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (§ 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen [X.]raum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme bzw Antragstellung erbracht (§ 44 Abs 4 [X.]B X).

Die zum 1.4.2011 durch das Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] ([X.]) vom 24.3.2011 ([X.]) erfolgte Änderung von § 40 Abs 1 Satz 2 [X.]B II mit der Beschränkung des in § 44 Abs 4 [X.]B X genannten [X.] von bis zu vier Jahren auf ein Jahr ist nicht anwendbar. § 77 Abs 13 [X.]B II schließt dies ausdrücklich aus bei Überprüfungsanträgen, die - wie hier der Antrag der Kläger vom [X.] - bereits vor dem 1.4.2011 gestellt wurden.

Die Bescheide vom 12.11.2004, [X.] und 4.11.2005 waren anfänglich, dh nach der im [X.]punkt ihrer Bekanntgabe bestehenden Sach- und Rechtslage (vgl B[X.] vom 1.12.1999 - [X.] RJ 20/98 R - B[X.]E 85, 151, 153 = [X.] 3-2600 § 300 [X.] 15), rechtswidrig iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X. Der Beklagte war bei Erlass der genannten Bescheide unzutreffend davon ausgegangen, nur einen Teil der Kosten der Kläger für deren Unterkunft nach § 22 Abs 1 [X.]B II übernehmen zu müssen, obwohl er sich mangels Durchführung eines [X.] nicht auf die Unangemessenheit der Kosten berufen durfte. Allerdings waren die Heizkosten von 50 Euro, die der Beklagte vollständig in die Leistungsberechnung einbezogen hatte, um die im Regelsatz der Kläger enthaltenen Beträge für die Warmwasseraufbereitung, die zentral erfolgte, zu vermindern (vgl B[X.] vom 27.2.2008 - [X.]/11b [X.] - B[X.]E 100, 94 = [X.]-4200 § 22 [X.] 5). Dadurch sind den Klägern in der Summe Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden, sodass die rechtswidrigen Bescheide vom 12.11.2004, [X.] und 4.11.2005 insoweit zu ändern und den Klägern die vorenthaltenen Leistungen auch für die Vergangenheit nachzuzahlen sind.

Aus der Verweisung in § 40 Abs 1 Satz 2 [X.]B II (in der vor dem 1.4.2011 geltenden Fassung des [X.] vom 14.8.2005 - [X.] 2407) auf § 330 [X.]B III ergibt sich nichts anderes. Insofern war in § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 [X.]G aF (jetzt § 40 Abs 2 [X.] 3 [X.]B II) geregelt, dass die Vorschriften des [X.] über die Aufhebung von Verwaltungsakten 330 Abs 1, 2, 3 Satz 1 und 4 [X.]B III) entsprechend anwendbar sind. Nach § 330 Abs 1 [X.]B III ist ein Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die [X.] nach der Entscheidung des [X.] oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen, wenn die in § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt (erste Alternative) oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die [X.] ausgelegt worden ist (zweite Alternative). Anhaltspunkte für eine abweichende ständige Rechtsprechung zur Auslegung des § 22 [X.]B II im Sinne der hier allein in Betracht kommenden zweiten Alternative bestehen indes nicht, weil schon eine bundeseinheitliche Verwaltungspraxis (vgl zu den engen Voraussetzungen hierfür B[X.] vom [X.] AS 118/10 R - B[X.]E 108, 268 = [X.]-4200 § 40 [X.] 3, Rd[X.] 16 ff mwN) bezogen auf [X.] zum [X.]punkt der ursprünglichen Verwaltungsentscheidung nicht vorgelegen hat.

Im Einzelnen stehen den Klägern demnach, wie vom [X.] zutreffend berechnet und was zwischen den Beteiligten rechnerisch nicht umstritten ist, weitere [X.] zu, und zwar für den [X.]raum vom 1.1.2005 bis 31.5.2005 dem Kläger zu 1 in Höhe von 30,30 Euro, der Klägerin zu 2 in Höhe von 30,40 Euro und dem Kläger zu 3 in Höhe von 39,65 Euro monatlich, für den [X.]raum vom 1.6.2005 bis 30.11.2005 dem Kläger zu 1 in Höhe von 36,36 Euro, der Klägerin zu 2 in Höhe von 36,48 Euro und dem Kläger zu 3 in Höhe von 47,58 Euro monatlich, sowie für den [X.]raum vom 1.12.2005 bis [X.] dem Kläger zu 1 in Höhe von 36,36 Euro der Klägerin zu 2 in Höhe von 36,48 Euro und dem Kläger zu 3 in Höhe von 47,58 Euro monatlich.

3. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist ein Anspruch der Kläger auf teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide und Leistungsnachzahlung nicht deshalb ausgeschlossen, weil diese ab Oktober 2010 auf Leistungen nach dem [X.]B II nicht mehr angewiesen waren und damit Hilfebedürftigkeit nicht durchgehend bis zur letzten Tatsacheninstanz vorgelegen hat.

Eine solche - zusätzliche - Anspruchsvoraussetzung lässt sich dem geltenden Recht nicht entnehmen. Der [X.] hat bereits entschieden, dass sich aus dem [X.]B II keine § 40 [X.]B II iVm § 44 [X.]B X verdrängenden Besonderheiten iS von § 37 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]B I ergeben, die als "Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches" iS von § 44 Abs 4 [X.]B X die Rücknahme und Nachzahlung von Sozialleistungen beschränken würden (B[X.] vom [X.] - B 4 AS 78/09 R - B[X.]E 106, 155 = [X.]-4200 § 22 [X.] 36 Rd[X.] 18; kritisch dazu [X.], [X.]/ [X.]B 2011, 19).

Solche Besonderheiten hat zwar bisher zur Sozialhilfe und zum Asylbewerberleistungsrecht der für diese Rechtsgebiete zuständige [X.] des B[X.] in ständiger Rechtsprechung angenommen, weil Leistungen der Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dienen würden und deshalb für zurückliegende [X.]en nur dann zu erbringen seien, wenn die Leistungen ihren Zweck noch erfüllen könnten, was wiederum nur der Fall sei, wenn die Bedürftigkeit fortbestehe, also nicht temporär oder auf Dauer entfallen sei (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 16/08 R - B[X.]E 104, 213 = [X.]-1300 § 44 [X.] 22; B[X.] vom [X.] AY 1/10 R - [X.]-1300 § 44 [X.] 22 Rd[X.] 20; zuletzt B[X.] vom 17.12.2015 - [X.] [X.] 24/14 R - B[X.] [X.]-3500 § 116a [X.] 2 Rd[X.] 16 mwN). Doch ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar auf den Rechtskreis des [X.]B II. Schon aus der Ausgestaltung des § 40 [X.]B II folgt, dass der Gesetzgeber den Berechtigten im [X.]B II grundsätzlich so stellen wollte, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden. Dem Hilfebedürftigen sollen diejenigen Leistungen zukommen, die ihm nach materiellem Recht zugestanden hätten (sog [X.], vgl B[X.] vom [X.] - B 4 AS 78/09 R - B[X.]E 106, 155 = [X.]-4200 § 22 [X.] 36, Rd[X.] 18, unter Hinweis auf B[X.] vom 1.12.1999 - [X.] RJ 20/98 R - B[X.]E 85, 151, 159 = [X.] 3-2600 § 300 [X.] 15 und B[X.] vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R - B[X.] [X.] 3-1300 § 44 [X.]B X [X.] 24 S 57).

Es trifft zwar zu, dass auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II im Allgemeinen von einer aktuellen, nicht anderweitig zu [X.] Hilfebedürftigkeit (§ 3 Abs 3 Satz 1, § 9 [X.]B II) abhängig sind. Anders als etwa die Sozialhilfe nach dem [X.]B XII werden diese Leistungen aber stets nur auf Antrag (§ 37 [X.]B II) erbracht. Zudem findet eine Bedarfsdeckung nicht nur wegen eines gegenwärtigen, sondern auch wegen eines prognostischen zukünftigen Hilfebedarfs im Wege der Bewilligung einer Dauerleistung statt, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Bewilligung der Leistungen nach dem [X.]B II für einen [X.]raum von früher regelmäßig sechs Monaten (§ 41 Abs 1 Satz 4 [X.]B II in der Fassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 - [X.]; ab dem [X.] beträgt der Bewilligungszeitraum gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 [X.]B II in der Fassung des [X.] zur Änderung des [X.] Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom [X.] - [X.] 1824 - sogar ein Jahr) erfolgte. Insofern liegt bereits normativ eine Einschränkung von dem in der Vergangenheit für die Sozialhilfe vertretenen Konzept einer "Nothilfe" vor (B[X.] vom [X.] - B 4 AS 78/09 R - B[X.]E 106, 155 = [X.]-4200 § 22 [X.] 36 Rd[X.] 19).

Hinzu kommt der als abschließend anzusehende Verweis in § 40 [X.]B II auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des [X.]B X sowie die ausdrückliche Bezugnahme auf die in § 330 [X.]B III für das Arbeitsförderungsrecht geltenden Besonderheiten und nicht auf sozialhilferechtliche Grundsätze (B[X.] vom [X.] - B 4 AS 78/09 R - B[X.]E 106, 155 = [X.]-4200 § 22 [X.] 36 Rd[X.] 19; vgl auch [X.] in [X.]Voelzke, jurisPK-[X.]B II, 4. Aufl 2015, § 40 Rd[X.] 8 und 32; [X.] in [X.], [X.]B II/[X.]B III, § 40 [X.]B II Rd[X.] 2 und 57). Diese normativen Unterschiede in der Regelungskonzeption des [X.]B II und [X.]B XII rechtfertigen die von dem Beklagten gerügte Ungleichbehandlung. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem von dem Beklagten zitierten Urteil des 14. [X.]s des B[X.] (vom 9.4.2014 - [X.] [X.]/13 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 75), das ersichtlich nicht den sogenannten "[X.]" zum Gegenstand hatte, sondern im Hinblick auf § 22 Abs 1 [X.]B II die Frage, nach welcher Unterbrechungsdauer des Leistungsbezugs bei erneut eintretender Hilfebedürftigkeit von einem neuen Leistungsfall auszugehen ist.

Diese Auslegung des § 40 Abs 1 [X.]B II iVm § 44 [X.]B X wird bestätigt durch die Materialien zur Änderung des § 40 Abs 1 Satz 2 [X.]B II durch [X.] vom 24.3.2011 ([X.]). In der Gesetzesbegründung ist die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 44 [X.]B X auch im Recht der Grundsicherung herausgestellt; dessen Ziel sei der Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Rechtssicherheit und dem Interesse des Leistungsberechtigten an materieller Gerechtigkeit für den Fall, dass eine Verwaltungsentscheidung zum Nachteil des Leistungsberechtigten rechtswidrig war (BT-Drucks 17/3404, [X.]). Diese einleitende grundsätzliche Stellungnahme des Gesetzgebers stärkt den [X.]n des § 44 [X.]B X und spricht damit für eine uneingeschränkte Anwendung dieser Vorschrift (so auch [X.] in [X.]Voelzke, jurisPK-[X.]B II, 4. Aufl 2015, § 40 Rd[X.] 8 und 32; [X.] in [X.], [X.]B II/[X.]B III, § 40 [X.]B II Rd[X.] 2 und 57). Zwar ist - worauf der Beklagte seine Auffassung im Wesentlichen stützt - in der weiteren Gesetzesbegründung der "[X.]" ebenfalls erwähnt, allerdings nur als ein allgemeines Ziel der Grundsicherung und Begründung für die vorgesehene Gesetzesänderung im Detail, nämlich die Verkürzung der Frist des § 44 Abs 4 [X.]B X von vier Jahren auf ein Jahr im Anwendungsbereich des [X.]B II. Dem Gesetzgeber dürfte zudem die Rechtsprechung zur (eingeschränkten) Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X im Sozialhilferecht und die sich hiervon abgrenzende Auffassung des erkennenden [X.]s bekannt gewesen sein. Vor diesem Hintergrund hätte es nahe gelegen, im [X.]B II - soweit [X.] gewollt - eine entsprechende Beschränkung der Anwendung von § 44 Abs 4 [X.]B X auf Fälle fortbestehender Hilfebedürftigkeit ausdrücklich - wenigstens klarstellend - zu regeln.

Eine Klarstellung der Rechtslage in diesem Sinne ist auch nicht mit den Änderungen des § 40 Abs 1 [X.]B II zum [X.] durch das [X.] zur Änderung des [X.] Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom [X.] ([X.] 1824) erfolgt, welche eine zeitliche Einschränkung der allgemeinen Anwendung von § 44 [X.]B X im Regelungskontext des [X.]B II vorsieht. In den Gesetzesmaterialien hierzu findet sich zwar der ausdrückliche Hinweis auf das zu wahrende angemessene Verhältnis zwischen dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen und dem Verwaltungsaufwand der Leistungsträger (BT-Drucks 18/8909 [X.]). Aus dem Recht der Fürsorgeleistungen abzuleitende Strukturprinzipien oder Grundsätze werden dagegen nicht erwähnt.

Stattdessen ist bereits zum 1.4.2011 durch das [X.] mit § 116a [X.]B XII für das Recht der Sozialhilfe mit der gleichen Begründung eine Regelung geschaffen worden, die dem neuen § 40 Abs 1 Satz 2 [X.]B II entspricht (vgl BT-Drucks 17/3404, [X.]). § 116a [X.]B XII ist zudem zum 1.1.2017 durch das Gesetz vom [X.] ([X.] 1824) gleichlautend wie § 40 Abs 1 Satz 2 [X.]B II und wiederum mit gleicher Begründung geändert worden (BT-Drucks 18/8909 [X.]), was insgesamt durchaus auf eine Angleichung des Sozialhilferechts an das [X.]B II gedeutet werden könnte. Eine Entscheidung des für das Recht der Sozialhilfe zuständigen 8. [X.]s des B[X.] zur Frage, ob dieser an seiner Rechtsprechung zur Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X auch unter Geltung des § 116a [X.]B XII weiter festhält (für eine Aufgabe dieser Rechtsprechung plädiert mit beachtlichen Gründen [X.] in [X.]Voelzke, jurisPK-[X.]B XII, 2. Aufl 2014, § 18 Rd[X.] 48; [X.]/[X.] in [X.]Voelzke, jurisPK-[X.]B XII, 2. Aufl 2014, § 116a Rd[X.] 24), steht noch aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 4 AS 6/16 R

04.04.2017

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Braunschweig, 25. August 2011, Az: S 33 AS 2816/08, Urteil

§ 40 Abs 1 S 1 SGB 2, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 SGB 10, § 116a SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2017, Az. B 4 AS 6/16 R (REWIS RS 2017, 12954)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12954

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