Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2022, Az. XIII ZB 79/20

13. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 5458

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 11. September 2020 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und Ablehnung des [X.] im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Feststellungsantrag für den Zeitraum vom 27. März 2020 bis zum 31. März 2020 zurückgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Vollzug der durch Beschluss des [X.] vom 17. März 2020 angeordneten Haft den Betroffenen im Zeitraum vom 27. März 2020 bis zu seiner Haftentlassung am 31. März 2020 in seinen Rechten verletzt hat.

Die beim Amtsgericht entstandenen Gerichtskosten mit Ausnahme der [X.] und seine im Verfahren vor dem Amtsgericht angefallenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen trägt der Betroffene. Von den im Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten mit Ausnahme der [X.] und seinen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen trägt der Betroffene 2/3. Der [X.] hat dem Betroffenen 1/3 seiner im Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erstatten. Weitere Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 8. Dezember 2015 ohne gültigen Pass in die [X.] ein. Sein Asylantrag wurde vom [X.] mit am 13. Oktober 2016 zugestellten bestandskräftigen Bescheid als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Betroffene wurde aufgefordert, die [X.] innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe zu verlassen, und die Abschiebung in sein Heimatland wurde angedroht. Aufforderungen zur Passersatzbeschaffung durch das [X.] am 16. Dezember 2016, durch die Regierung von [X.] am 1. März 2019 und die beteiligte Behörde kam der Betroffene nicht nach. Mit Bescheid vom 12. Juli 2019 wurde der Aufenthalt des Betroffenen auf das Gebiet des [X.] beschränkt. Der Betroffene, welcher seit dem 6. August 2019 als untergetaucht galt, hielt sich im Dezember 2019 in [X.] auf. Er wurde am 30. Januar 2020 nach [X.] rücküberstellt. Das Amtsgericht ordnete am selben Tag auf Antrag der beteiligten Behörde Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 27. März 2020 an.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 17. März 2020 die Haft bis zum 19. April 2020 verlängert. Nachdem die [X.] der beteiligten Behörde mitgeteilt hatte, dass wegen der "[X.]" die [X.] nicht durchgeführt werden könne, nahm die beteiligte Behörde den Haftantrag zurück. Der Betroffene wurde während des Beschwerdeverfahrens am 31. März 2020 aus der Haft entlassen. Die gegen den Beschluss vom 17. März 2020 eingelegte, mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtsverletzung des Betroffenen fortgesetzte Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, für die er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten beantragt.

3

II. Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt zu der Feststellung, dass der Vollzug der Haft vom 27. März 2020 bis zur Entlassung des Betroffenen am 31. März 2020 rechtswidrig war.

4

1. Das Beschwerdegericht meint, die Haft sei zu Recht verlängert worden. Die beteiligte Behörde habe insbesondere dargelegt, die Abschiebung des Betroffenen mit der größtmöglichen Beschleunigung betrieben zu haben. Die Berücksichtigung des Betroffenen für Rückführungsmaßnahmen im März 2020 sei nicht mehr möglich gewesen, sodass der Betroffene für April 2020 eingeplant worden sei. Erst nach tatsächlicher Überstellung des Betroffenen nach [X.] habe die Rückführung in die Wege geleitet werden können. Die beteiligte Behörde habe schlüssig und ausreichend dargestellt, den Betroffenen in der [X.] des Jahres 2020 erfolgreich beim nächsten monatlich stattfindenden [X.] berücksichtigen zu können. Nachdem die beteiligte Behörde am 30. März 2020 über das Storno der [X.] informiert worden sei, habe sie hierauf unverzüglich durch Rücknahme des [X.] am 31. März 2020 reagiert. Dem Betroffenen sei bei Haftentlassung eine Asylunterkunft zuzuweisen, dies erfordere organisatorischen Aufwand, den die beteiligte Behörde in gebotener Zeit geleistet habe, indem die Zuweisung am 31. März 2020 erfolgt sei.

5

2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nur teilweise stand.

6

a) Die Anordnung der Haftverlängerung durch das Amtsgericht lässt allerdings keinen Rechtsfehler erkennen. Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die beteiligte Behörde, weil die Abschiebung des Betroffenen erst mit dem Flug nach [X.] am 16. April 2020 erfolgen sollte.

7

aa) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ergibt sich nicht daraus, dass mit der Organisation einer Flugbuchung nicht vor dem 30. Januar 2020 begonnen wurde.

8

(1) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und die Dauer der [X.] auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird. Ein Verstoß gegen dieses Gebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - [X.], juris Rn. 16; vom 11. Juli 2019 - [X.], juris Rn. 7; vom 24. Juni 2020 - [X.], juris Rn. 12; vom 20. April 2021 - [X.]/20, juris Rn. 6).

9

(2) Sobald vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, muss die Behörde alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Mai 2010 - [X.], [X.] 2010, 361 Rn. 25). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde folgt daraus aber nicht, dass bereits im November 2019 weitere Vorbereitungen für die Abschiebung hätten getroffen werden müssen. Zwar war die Rücküberstellung des Betroffenen von [X.] nach [X.] bereits am 26. November 2019 verfügt worden. Da jedoch nicht absehbar war, ob die Rücküberstellung des Betroffenen tatsächlich zu dem mitgeteilten Termin erfolgen würde, und damit unsicher war, wann eine Abschiebung des Betroffenen tatsächlich möglich war, ist es nicht zu beanstanden, dass das [X.] ([X.]), dessen Verhalten der beteiligten Behörde zuzurechnen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2013 - [X.], [X.] 2014, 52 Rn. 15), mit der Organisation eines Fluges erst nach der Überstellung des Betroffenen am 30. Januar 2020 begonnen hat. Aus demselben Grund konnte mit der Beantragung eines Heimreisescheins bei den pakistanischen Behörden zugewartet werden, da dafür die Angabe der [X.] erforderlich war. Weitere vorbereitende Maßnahmen, die sich auch im Falle des Scheiterns des ersten Rücküberstellungsversuchs des Betroffenen nach [X.] nicht als nutzlos erwiesen und deshalb möglicherweise auch vor erfolgreicher Rücküberstellung des Betroffenen hätten ergriffen werden können, waren nicht erforderlich. Die Identifizierung des Betroffenen durch die pakistanischen Behörden war bereits erfolgt.

bb) Eine vermeidbare Verzögerung ergibt sich entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde auch nicht daraus, dass die Abschiebung mittels eines [X.] und nicht mittels eines [X.] erfolgen sollte. Eine begleitete Abschiebung mit einem Linienflug war zum damaligen Zeitpunkt wegen der mangelnden Kooperation der pakistanischen Behörden nicht möglich (vgl. [X.], Beschluss vom 31. August 2021 - [X.]/20, juris Rn. 8). Im Hinblick auf die [X.] des Betroffenen hat die beteiligte Behörde die Rückführung mit medizinischer Begleitung für erforderlich gehalten. Dies liegt, auch wenn die Rücküberstellung von [X.] nach [X.] ohne medizinische Begleitung erfolgte, im Hinblick auf die längere Dauer des Fluges von [X.] nach [X.] nicht so fern, dass ein etwaiger gegenüber einem Linienflug erhöhter Zeitaufwand dem Beschleunigungsgebot widerspricht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. März 2021 - [X.] 3/20, juris Rn. 14; vom 22. Juni 2021 - [X.] 59/20, [X.] 2021, 435 Rn. 16).

cc) Da die Abschiebung des Betroffenen mit dem für März 2020 geplanten Sammelcharterflug nach den Feststellungen des [X.] nicht mehr möglich war, kam eine frühere Abschiebung des Betroffenen nicht in Betracht. Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, es sei nicht nachvollziehbar dargetan oder festgestellt, weshalb es unmöglich war, den Betroffenen für diesen Flug einzuplanen. Bei der Planung des [X.] war zu berücksichtigen, dass für die Ausstellung eines Heimreisescheines erfahrungsgemäß fünf Wochen benötigt werden. Nach dem E-Mailschreiben des [X.] vom 5. Februar 2020, mit welchem ohne zu beanstandende Verzögerungen auf den [X.] vom 30. Januar 2020 geantwortet wurde, war vor dem für März geplanten Flugtermin nicht mit der Ausstellung dieses [X.] zu rechnen.

dd) Die Haftdauer musste auch nicht bis zu dem geplanten Abschiebetermin begrenzt werden, vielmehr durfte der beteiligten Behörde ein zeitlicher Puffer für allfällige Verzögerungen bis zum 19. April 2020 eingeräumt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2016 - [X.] 167/14, juris Rn. 13).

b) Jedoch ist die Rechtswidrigkeit des Vollzugs der Haftanordnung im Zeitraum vom 27. März 2020 bis zum 31. März 2020 festzustellen.

aa) Der Feststellungsantrag ist auch insoweit statthaft. Allerdings geht es insoweit weder um Fehler des Gerichts bei der Haftanordnung noch darum, dass das Amts- und Beschwerdegericht eine Teilaufhebung der Haftanordnung von Amts wegen gemäß § 426 FamFG versäumt hätten. Das ändert aber an der Statthaftigkeit des Rechtsmittels nichts. Die ordentlichen Gerichte sind nämlich nach § 428 FamFG auch für die Entscheidung über die Freiheitsentziehung im [X.] und damit auch für Fälle zuständig, in denen eine gerichtlich angeordnete Haft über ihr gesetzliches Ende hinaus vollzogen oder nicht rechtzeitig von der beteiligten Behörde beendet wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. Oktober 2020 - [X.] 115/19, [X.] 2021, 119 Rn. 8; vom 20. Juli 2021 - [X.] 10/21, juris Rn. 6).

bb) Insoweit ist die Rechtsbeschwerde auch begründet. Der Vollzug der Haft über den Tag hinaus, an dem bekannt war, dass wegen der [X.] eine Abschiebung nach [X.] auf unabsehbare Zeit nicht mehr möglich ist, mithin den 27. März 2020, ist rechtswidrig. Die beteiligte Behörde hätte bereits an diesem Tag die Entlassung des Betroffenen veranlassen müssen.

(1) Wegen der Unmöglichkeit der Abschiebung auf unabsehbare Zeit diente die Haft zu diesem Zeitpunkt nicht mehr dem Zweck der Sicherung der Abschiebung, sondern nach Angabe der beteiligten Behörde dazu, eine aufnahmebereite Unterkunft für den Betroffenen zu finden. Die Haft verfehlte in diesem Zeitraum den ihr zugedachten Zweck. Darin liegt zugleich ein Verstoß gegen Art. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, weil die Freiheitsentziehung aus anderen als den im Gesetz genannten Gründen (§ 62 [X.]) erfolgte (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Mai 2007 - 2 BvR 2106/05, [X.] 2007, 290 [juris Rn. 21]; [X.], [X.] 2021, 119 Rn. 13).

(2) Entgegen der Auffassung des [X.] kommt es insoweit nicht darauf an, wann der beteiligten Behörde bekannt war, dass die Abschiebung auf unabsehbare Zeit unmöglich ist. Die Kenntnis des [X.] war ausreichend. Verzögerungen bei der Haftentlassung, die auf die landesrechtliche Aufteilung behördlicher Zuständigkeiten zurückzuführen sind, gehen nicht zu Lasten des Ausländers (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2013 - [X.], [X.] 2014, 52 Rn. 18). Im Übrigen lagen die entsprechenden Informationen, wie im Rechtsbeschwerdeverfahren unstreitig geworden ist, auch der beteiligten Behörde bereits am 27. März 2020 vor.

3. Da der Betroffene am 31. März 2020 aus der Haft entlassen wurde, fehlt für die Feststellung, dass ihn Anordnung und Vollzug der Haft ab diesem Zeitpunkt in seinen Rechten verletzt hat, das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juli 2020 - [X.] 74/19, juris Rn. 17).

III. Soweit die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen wird, ist mangels Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde Verfahrenskostenhilfe nicht zu bewilligen. Im Übrigen hat sich der [X.] erledigt.

IV. [X.] beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, §§ 84, 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

Rombach     

      

Meta

XIII ZB 79/20

02.08.2022

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Ingolstadt, 11. September 2020, Az: 33 T 1532/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2022, Az. XIII ZB 79/20 (REWIS RS 2022, 5458)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5458

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