Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.03.2024, Az. XIII ZB 20/22

13. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1443

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Gegenstand

Vollzug von Abschiebungshaft nach Erlass eines Teilabhilfebeschlusses


Leitsatz

Wird einer Haftbeschwerde nach erneuter Anhörung des Betroffenen teilweise abgeholfen und die Haft im Übrigen aufrechterhalten, ist der Vollzug der Haft ab dem Tag, an dem der Teilabhilfebeschluss wirksam wird, rechtmäßig.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 53. Zivilkammer des [X.] vom 18. Januar 2022 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der [X.] wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, reiste 2016 nach [X.] ein und stellte einen Asylantrag. Das Verfahren endete rechtskräftig mit der Ablehnung des Antrags. Seit dem 3. Juni 2021 ist die dem Betroffenen angedrohte Abschiebung vollziehbar. Mit Schreiben vom 6. August 2021 wurde er vorgeladen und gemäß § 60b [X.] über die Voraussetzungen des § 62 [X.] sowie seine Mitwirkungspflichten belehrt. Der Betroffene erklärte, dass er nicht freiwillig ausreisen werde. Eine am 25. November 2021 versuchte Abschiebung scheiterte, weil der Betroffene nicht angetroffen wurde. Daraufhin wurde er erneut in seiner Landessprache belehrt. Gleichwohl musste er in der Folgezeit nach unbekannt abgemeldet werden. Als die Zahlung der Sozialhilfe auf Barauszahlung umgestellt wurde, erschien er am 14. Dezember 2021 beim zuständigen Sozialamt und wurde festgenommen.

2

Das Amtsgericht hat nach Anhörung Abschiebungshaft bis zum 15. Februar 2022 angeordnet und die Sache sodann an das für den Haftort zuständige Amtsgericht abgegeben. Nachdem der Betroffene Beschwerde eingelegt hatte, hat ihn das Amtsgericht erneut im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten angehört. Mit Beschluss vom 7. Januar 2022 hat es der Beschwerde teilweise abgeholfen und festgestellt, dass der Beschluss vom 15. Dezember 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, soweit bis zum 6. Januar 2022 Haft vollzogen worden war. Im Übrigen hat es das Verfahren dem Beschwerdegericht vorgelegt, das die Beschwerde nach Maßgabe des Teilabhilfebeschlusses zurückgewiesen hat. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und beantragt, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen.

3

II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, soweit das Amtsgericht am 15. Dezember 2021 gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen habe, sei dieser Verstoß durch die erneute Anhörung am 7. Januar 2022 geheilt worden. Bedenken gegen die Reisefähigkeit bestünden nicht, weil die von der [X.] geforderte medikamentöse Versorgung für drei Tage und eine ärztliche Begleitung auf dem Flug sichergestellt sei. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor. Die beteiligte Behörde sei zunächst von der Möglichkeit einer Abschiebung am 4. Januar 2022 ausgegangen. Nachdem sie nach der Festnahme Erkenntnisse zu Gewaltdelikten des Betroffenen erlangt habe, habe sie einen neuen Flug benannt, bei dem die notwendigen Sicherheitsbedingungen gewährleistet gewesen seien.

5

2. Die gemäß § 70 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

6

a) Ein zulässiger [X.] liegt vor. Den von der Rechtsbeschwerde erhobenen Einwänden ist kein Erfolg beschieden.

7

aa) Ein zulässiger [X.] der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der [X.] nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 15. September 2011 - [X.] 123/11, [X.] 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - [X.], [X.] 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - [X.]/19, juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2022 - [X.] 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in [X.] erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - [X.] 311/10, [X.] 2012, 82 Rn. 13; vom 25. Oktober 2022 - [X.] 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom 20. Dezember 2022 - [X.] 40/20, juris Rn. 7).

8

bb) Diese Anforderungen sind hier erfüllt.

9

(1) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, es liege kein zulässiger [X.] vor, weil Haft am 15. Dezember 2021 nur bis zum 4. Januar 2022 beantragt worden sei, kommt es darauf im vorliegenden Verfahren nicht mehr an. Jedenfalls vor der Anhörung am 7. Januar 2022 wurde dem Betroffenen der um den Antrag auf Haft bis zum 15. Februar 2022 ergänzte [X.] vom 15. Dezember 2021 nebst weiterer Ergänzung der beteiligten Behörde vom 7. Januar 2022, die (erneut) einen Antrag auf Anordnung von Haft bis zum 15. Februar 2022 enthält, übersetzt und übergeben.

(2) Der [X.] enthält auch ausreichende Angaben zur Durchführung der Abschiebung. Es wird ein konkretes Flugdatum für eine Sammelabschiebung benannt und ausgeführt, dass eine frühere Abschiebung mit einem Linienflug wegen der erforderlichen Sicherheitsbegleitung nicht möglich sei sowie die Rückführung frühestens am 15. Februar 2022 erfolgen könne.

b) Auf den Einwand der Rechtsbeschwerde, durch die Möglichkeit der Heilung des Verstoßes gegen das faire Verfahren werde es den Tatgerichten ermöglicht, Betroffene trotz erkannter Rechtswidrigkeit der Haft rechtswidrig in Haft zu halten und der Betroffene hätte entweder entlassen oder aber jedenfalls spätestens am 23. Dezember 2021 angehört werden müssen, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an. Es ist bereits festgestellt, dass die Haft bis zum 6. Januar 2022 rechtswidrig war. Der Vollzug der Haft am 7. Januar 2022 war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht rechtswidrig, weil die Haft an diesem Tag aufrechterhalten wurde.

c) Das Beschwerdegericht hat zu Recht keinen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz darin gesehen, dass die Abschiebung aufgrund der erforderlichen Sicherheitsbegleitung mit dem frühestmöglichen Sammelcharter am 15. Februar 2022 erfolgen sollte.

aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus, verlangt aber, dass sie die Abschiebung oder Überstellung ohne unnötige Verzögerung betreibt und die Dauer der [X.] auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird. Ein Verstoß gegen dieses Gebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2022 - [X.] 116/19, NVwZ 2023, 1523 Rn. 11 mwN).

bb) Die Würdigung des [X.], dass die beteiligte Behörde bei der Planung und Durchführung der Abschiebung den sich aus dem Beschleunigungsgebot ergebenden Anforderungen gerecht geworden ist, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zu Recht nimmt das Beschwerdegericht an, dies ergebe sich aus dem Bemühen der Behörde, den Betroffenen auf den frühestmöglichen Linienflug am 4. Januar 2022 zu buchen und dem Umstand, dass aufgrund der sodann zu Tage getretenen Erforderlichkeit der Sicherheitsbegleitung der nächstmögliche Sammelcharter in Anspruch genommen wurde. Dem tritt die Rechtsbeschwerde nur mit der pauschalen Behauptung entgegen, dies sei nicht genügend.

III. [X.] beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG. Der [X.] ist wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Holzinger     

      

Kochendörfer     

      

Meta

XIII ZB 20/22

05.03.2024

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hannover, 18. Januar 2022, Az: 53 T 3/22

Art 104 Abs 2 GG, § 417 Abs 2 S 2 FamFG, § 422 Abs 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.03.2024, Az. XIII ZB 20/22 (REWIS RS 2024, 1443)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1443

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