Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2022, Az. 1 StR 233/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5983

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Gegenstand

Gewerbsmäßige Steuerhehlerei: Beihilfehandlung durch Zusage der Abnahme unversteuerter Zigaretten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. Februar 2022, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch im Fall 1 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei schuldig ist;

b) aufgehoben, soweit die Einziehung von Bargeld in Höhe von 2.720 € angeordnet worden ist; diese entfällt insoweit.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger [X.] in vier Fällen und wegen versuchter gewerbsmäßiger [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt; zudem hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 396.000 € angeordnet, und zwar gesamtschuldnerisch mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten [X.], sowie die Einziehung sichergestellten Bargeldes in Höhe von 2.720 €. Gegen seine Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Revision hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Das Urteil birgt – wie von der Verteidigerin zutreffend aufgezeigt – im Schuldspruch einen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten; gleichwohl wirkt sich dies nicht auf die verhängte Strafe aus.

3

a) Während der Schuldspruch wegen gewerbsmäßiger [X.] in den Fällen 2 bis 5 der Urteilsgründe (in den Fällen 2 bis 4 in der Tatvariante des Sichverschaffens, im Fall 5 in der Tatvariante des [X.]) keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, bedarf es einer Änderung im Fall 1 der Urteilsgründe.

4

[X.]) Nach den Feststellungen des [X.]s zu diesem Fall bestellte der Mitangeklagte [X.] am 30. März 2021 in einem anderen Mitgliedst[X.]t der [X.], mutmaßlich in [X.], 25.000 Stangen unversteuerter Zigaretten, die er gewinnbringend mit einem Aufschlag von 50 Cent pro Stange an den Angeklagten weiterverkaufen wollte. Der Angeklagte, der sich als Zwischenhändler ebenfalls einen Gewinnaufschlag von 50 Cent pro Stange aus seiner Weiterveräußerung versprach ([X.]), hatte zuvor Muster der Zigaretten erhalten, mit denen er bei mehreren potentiellen Käufern vorsprach, denen allerdings die Qualität zu schlecht war. Der Angeklagte und [X.]  hatten vereinbart, dass der Angeklagte, der über keine eigenen Geldmittel verfügte, die Tabakwaren nur dann ankaufen und abnehmen sollte, wenn er die Zigaretten unmittelbar weiterveräußern konnte, mithin mit den Kaufpreisgeldern seiner Abnehmer den Mitangeklagten [X.] bezahlen konnte; andernfalls sollte sich [X.] andere Abnehmer suchen ([X.], 18). Nur im Fall 5 der Urteilsgründe trat der Angeklagte als Vermittler auf.

5

Der Mitangeklagte [X.] verlud die übernommenen Zigaretten auf einen Lastkraftwagen; während des Transports telefonierte [X.] mehrmals mit dem Angeklagten, ob dieser endlich einen Käufer gefunden habe. Letztendlich veräußerte der Mitangeklagte [X.] die Zigaretten, wobei indes nicht aufgeklärt werden konnte, ob [X.]sich auf den Weg zum Angeklagten machte, um diesem die Zigaretten zu bringen, oder der Angeklagte zumindest in sonstiger Weise an der Veräußerung beteiligt war.

6

[X.]) Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen versuchter gewerbsmäßiger [X.] in der Tatvariante des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1, Abs. 2 Satz 1 Alternative 1, Abs. 3 [X.], §§ 22 f. StGB) oder in einer sonstigen Variante (dazu unter [a]); vielmehr ist der Angeklagte allein wegen seiner Teilnahme an der durch den Mitangeklagten [X.] begangenen Haupttat der gewerbsmäßigen [X.] (§ 374 Abs. 1 Variante 1, Abs. 2 Satz 1 Alternative 1, gegebenenfalls mit § 374 Abs. 4, § 370 Abs. 6 Satz 2, Abs. 7 [X.], § 27 StGB) zu bestrafen (dazu unter [b]).

7

(a) Die Voraussetzungen des § 374 Abs. 1 [X.] sind nicht erfüllt.

8

([X.]) „Sichverschaffen“ setzt das [X.] eigener Verfügungsgewalt voraus (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 2022 – 1 StR 481/21 Rn. 4; Urteil vom 7. November 2007 – 5 [X.], [X.]R [X.] § 374 versuchte [X.] 1 Rn. 15 mwN). Für den [X.] ist, sofern die Parteien nicht vor Ort über das Absatzgeschäft verhandeln und der Veräußerer die Ware sogleich nach der Einigung übergeben kann, zumindest erforderlich, dass sich der Lieferant mit den unversteuerten Zigaretten auf den Weg zum Zwischenhehler begibt (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 2007 – 5 [X.], [X.]R [X.] § 374 versuchte [X.] 1 Rn. 17 f., 24 f.). Solches ist hier offengeblieben; nach Ausschöpfung sämtlicher Beweismittel sind auch von einem zweiten Rechtsgang keine weitergehenden und tragfähigen Feststellungen zu erwarten.

9

([X.]) Auf die Tatvarianten des versuchten gewerbsmäßigen [X.] (§ 374 Abs. 1 Variante 2, Abs. 2 Satz 1 Alternative 1, Abs. 3 [X.], §§ 22 f. StGB) oder der versuchten gewerbsmäßigen Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3, Abs. 2 Satz 1 Alternative 1, Abs. 3 [X.], §§ 22 f. StGB) kann eine Verurteilung ebenso wenig gestützt werden. Denn sowohl das „Absetzen“ als eigenständiges Bemühen um Verwertung der eingeführten oder verbrauchsteuerpflichtigen Ware auf fremde Rechnung (vgl. [X.] in Tipke/[X.], [X.], 171. Lieferung, Juli 2022, § 374 [X.] Rn. 11; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 75. Lieferung, Stand Mai 2022 Rn. 57) als auch die Absatzhilfe (dazu [X.], Urteil vom 7. November 2007 – 5 [X.], [X.]R [X.] § 374 versuchte [X.] 1 Rn. 14 mwN) setzen fremdnütziges Verhalten voraus; in diesem Sinne schließen sich „Sichverschaffen“ auf der einen und Absetzen sowie Absatzhilfe auf der anderen Seite gegenseitig aus (vgl. auch [X.] [X.]O). Zudem sind die Absatzbemühungen des [X.] für diesen straflos und nicht lediglich als mitbestrafte [X.] einzuordnen ([X.], Beschlüsse vom 9. Mai 2019 – 1 StR 19/19 Rn. 5 und vom 11. Juni 2008 – 5 [X.] Rn. 5; Urteil vom 9. Juli 1969 – 2 [X.], [X.]St 23, 36, 38; [X.], NJW 1975, 2110; aA [X.], Urteil vom 3. Juni 1975 – 1 [X.], NJW 1975, 2109, 2110). Andernfalls ließe sich die Tatbestandsvariante der Absatzhilfe nicht erklären, die Unterstützungshandlungen als täterschaftlich begangen erfasst; bei Einordnung des Absatzes als mitbestrafte [X.] wären solche Gehilfenbeiträge unschwer als Beihilfe zu einer [X.] zu ahnden.

Anders als im Fall 5 wollte der Angeklagte in den Fällen 1 bis 4 der – freilich nicht gänzlich widerspruchsfreien, gleichwohl im Gesamtzusammenhang gerade noch nachvollziehbaren – Urteilsfeststellungen nicht nur eine (geringere) Provision aus den illegalen Umsatzgeschäften verdienen, sondern einen Gewinn einstreichen, der demjenigen seines Lieferanten [X.] entsprach. Lediglich sein Absatzrisiko war in der Weise minimiert, dass er nur dann [X.]s Abnehmer war, wenn seine Weiterveräußerung gesichert war.

(b) Der Angeklagte leistete indes Beihilfe zur gewerbsmäßigen [X.] in der Variante des Sichverschaffens, indem er im Vorfeld dem Mitangeklagten [X.]zusagte, die Zigaretten abzunehmen, wenn er seinerseits einen Käufer gefunden habe; dadurch bestärkte der Angeklagte den Haupttäter [X.]in dessen [X.], die unversteuerten Zigaretten mutmaßlich in [X.], jedenfalls in [X.], tatsächlich zu übernehmen und sich diese zu verschaffen (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 2007 – 5 [X.], [X.]R [X.] § 374 versuchte [X.] 1 Rn. 26). Auf den von [X.] übernommenen Zigaretten lastete zum Zeitpunkt des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1 [X.]) entweder hinterzogene Tabaksteuer eines anderen [X.] Mitgliedst[X.]tes oder aber – in dem Falle, dass weitere Vortäter die Zigaretten bereits in das [X.] Steuergebiet verbracht hatten – jedenfalls hinterzogene [X.] Tabaksteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.], § 23 Abs. 1, § 17 Abs. 1 Satz 3 TabStG), was sich bezüglich des konkreten [X.] wegen der [X.] Harmonisierung der Tabaksteuer allenfalls geringfügig auswirkt.

Die Beihilfe zur Haupttat ist nicht als mitbestrafte Vortat zu werten, wenn die anschließende Verschaffungstat nur versucht wird ([X.]R [X.]O Rn. 26; zudem [X.], Urteil vom 11. Juli 2019 – 1 [X.], [X.]St 64, 152 Rn. 21). Hier hat sich der Angeklagte, wie ausgeführt, nicht einmal wegen versuchter [X.] strafbar gemacht.

(c) Der Schuldspruchänderung (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend) steht die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegen; denn es ist auszuschließen, dass sich der Angeklagte hiergegen effektiver als geschehen hätte verteidigen können.

b) Die im Fall 1 verhängte Strafe, die zweitniedrigste von den verhängten fünf Einzelstrafen, hat indes Bestand. Der Senat schließt aus, dass das [X.] bei Zugrundelegung des geänderten Schuldspruchs eine geringere Einzelstrafe verhängt hätte:

Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Strafmilderung des § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB im Unterschied zur fakultativen nach §§ 22, 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zwingend ist, lag die Annahme eines minder schweren Falles (§ 374 Abs. 2 Satz 2 [X.]) ersichtlich fern; einen solchen hat das [X.] rechtsfehlerfrei auch im Fall 1 bereits wegen der Höhe des [X.] von mindestens 800.000 € ausgeschlossen ([X.]). Das [X.] hat anschließend den Strafrahmen wegen Versuchs zugunsten des Angeklagten verschoben, sodass sich aus dem geänderten Schuldspruch kein dem Angeklagten günstigerer Strafrahmen ergeben hätte. Innerhalb der Strafzumessung im engeren Sinne bleiben die maßgeblichen Strafzumessungserwägungen, namentlich wiederum die Höhe des [X.], der zeitliche und logistische Aufwand in einem festen Beschaffungs- und Absatzsystem sowie die Vorstrafen, im Ergebnis ebenfalls unbeeinflusst.

2. Die Einziehungsentscheidung hat überwiegend Bestand. Allein bezüglich des sichergestellten Bargeldes in Höhe von 2.720 € hat die nach § 73 Abs. 1 StGB angeordnete Einziehung zu entfallen (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend).

a) Nach den Feststellungen des [X.]s übereignete der Mitangeklagte [X.]dieses Bargeld dem Angeklagten, um eine Darlehensrückzahlungsschuld zu erfüllen; [X.]hatte dieses Bargeld als Verkaufserlös im Fall 5 der Urteilsgründe vereinnahmt.

[X.]) Der Angeklagte, der in diesem letzten Fall das illegale Umsatzgeschäft aus einer selbständigen Position heraus nur vermittelte und sich damit wegen gewerbsmäßiger [X.] in der Form des [X.] (§ 374 Abs. 1 Variante 2, Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 [X.]) strafbar gemacht hat, erlangte die Verfügungsgewalt über das Bargeld nicht „durch die Tat“ (§ 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB); den aus dem Abverkauf erzielten Kaufpreis vereinnahmte sogleich der vor Ort anwesende Verkäufer [X.]  , ohne dass der Angeklagte diesem etwa das Geld hätte überbringen müssen.

[X.]) Aber auch auf § 73 Abs. 1 Alternative 2 StGB („für die Tat“) lässt sich die Einziehung nicht stützen. Denn der Angeklagte vereinnahmte das Bargeld nicht als Entgelt für die von ihm erbrachte Vermittlungsleistung, etwa als Provision oder sonstige Gegenleistung. Vielmehr ist die – vom [X.] nicht widerlegte – Darlehensabrede der legale Rechtsgrund für diesen Vermögensvorteil; die Tilgungsbestimmung des Mitangeklagten [X.] unterbricht jedenfalls den Zurechnungszusammenhang (vgl. [X.], Urteile vom 14. Juli 2022 – 6 StR 227/21 Rn. 45 und vom 29. Oktober 2021 – 5 [X.] Rn. 100; je mwN; vgl. für § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB: [X.], Urteil vom 28. November 2019 – 3 [X.]; [X.]St 64, 234 Rn. 38 mwN).

b) Im Wesentlichen, nämlich in Höhe der Einziehung des Wertes von Taterträgen in den Fällen 2 bis 4 der [X.] (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB), ist die Abschöpfung hingegen frei von [X.]. Der vor Ort die Tabakwaren übernehmende und weiterübereignende Angeklagte erlangte in diesen drei Fällen als Zwischenhehler sowohl die Verfügungsgewalt über die Zigaretten als auch – jedenfalls nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe – anschließend über die Kaufpreisbargelder; dass er sich für verpflichtet hielt, mit den [X.] sogleich seine Kaufpreisschulden gegenüber seinem Lieferanten [X.]zu erfüllen, steht seiner Verfügungsbefugnis gerade nicht entgegen; auch darin äußert sich vielmehr seine Verfügungsmacht.

Jäger     

      

Bellay     

      

Leplow

      

Pernice     

      

Munk     

      

Meta

1 StR 233/22

22.09.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Krefeld, 4. Februar 2022, Az: 24 KLs 6/21

§ 17 Abs 1 S 3 TabStG, § 23 Abs 1 TabStG, § 370 Abs 1 Nr 3 AO, § 374 Abs 1 Alt 1 AO, § 22 StGB, § 27 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2022, Az. 1 StR 233/22 (REWIS RS 2022, 5983)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5983

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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