Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.05.2010, Az. V R 42/08

5. Senat | REWIS RS 2010, 6461

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Gegenstand

(Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen - Ermessensreduzierung auf Null nach Beschränkung der Aussetzung der Vollziehung bei Erlass eines Jahressteuerbescheids - Verfassungsmäßigkeit von § 240 Abs. 1 Satz 4 AO und § 367 Abs. 2 Satz 4 AO - Abgrenzung von Billigkeitsverfahren und Abrechnungsverfahren - Aussetzung des Verfahrens - Teilweise Erledigung der Hauptsache)


Leitsatz

Säumniszuschläge, die auf einer materiell rechtswidrigen und deswegen auf Grund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen geänderten Jahressteuerfestsetzung beruhen, sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige insoweit die AdV der Vorauszahlungsbescheide erreicht hat und die --weitere-- AdV dieser Beträge nach Ergehen des Jahressteuerbescheides allein an den Regelungen der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO scheitert .

Tatbestand

1

I. Streitig ist der Erlass von Säumniszuschlägen.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) entwickelt Computerprogramme. In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis Dezember 1998 sowie für Januar bis September 1999 meldete sie Umsätze zum ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) von 7 % an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) unterwarf die Umsätze der Klägerin demgegenüber dem jeweiligen Regelsteuersatz und setzte die Umsatzsteuervorauszahlungen entsprechend fest. Auf Antrag der Klägerin setzte das [X.] die Vollziehung dieser Vorauszahlungsbescheide in Höhe des Unterschiedsbetrages aus, der sich zwischen der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes und der Anwendung des [X.] ergab.

3

In den [X.] 1998 und 1999 hielt das [X.] an seiner Rechtsauffassung fest und unterwarf diese Umsätze der Klägerin dem Regelsteuersatz. Die festgesetzte [X.] entsprach der Summe der vom [X.] festgesetzten monatlichen Vorauszahlungen.

4

Nachdem das [X.] zunächst --wie in den Vorauszahlungsbescheiden für die [X.] auch die Vollziehung des [X.] 1998 in Höhe der Differenz zwischen der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes und der des [X.] ausgesetzt hatte, widerrief es mit Verfügung vom 9. Februar 2001 die Aussetzung der Vollziehung ([X.]) des [X.] für 1998 mit Wirkung zum 12. März 2001 und lehnte den Antrag auf [X.] des [X.] für 1999 am 7. Februar 2001 ab.

5

Auf Antrag der Klägerin setzte das Finanzgericht ([X.]) durch Beschluss vom 23. Mai 2001  5 [X.] ("Entscheidungen der Finanzgerichte" --E[X.]-- 2001, 1228) die Vollziehung der [X.] 1998 und 1999 in Höhe der Differenz zwischen der Anwendung des ermäßigten und der des [X.] aus. Auf Beschwerde des [X.] hob der [X.] ([X.]) diese Entscheidung auf und lehnte den Antrag auf [X.] ab ([X.]-Beschluss vom 22. November 2001 [X.]/01, [X.]/NV 2002, 519). Zur Begründung führte der Senat aus, die Beschränkung der Berechtigung zur [X.] nach § 69 Abs. 2 Satz 8 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) auch in den Fällen, in denen die festgesetzten Vorauszahlungen noch nicht entrichtet worden seien, sei verfassungsgemäß, denn der Gesetzgeber habe für Fälle, in denen durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht sei, Vorkehrungen getroffen. Eine hiergegen von der Klägerin erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss des [X.] vom 30. Januar 2002  1 BvR 66/02).

6

In der Hauptsache (Klage gegen die [X.]) hat der [X.] der Klage stattgegeben, weil die Umsätze der Klägerin dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegen und hat die Umsatzsteuer entsprechend niedriger festgesetzt ([X.]-Urteil vom 25. November 2004 [X.], [X.]E 208, 479, [X.] 2005, 419).

7

Im Folgenden machte das [X.] Säumniszuschläge für den Zeitraum zwischen dem Widerruf bzw. der Ablehnung der [X.] (1. März 2001 bzw. 12. März 2001) bis zum Zeitpunkt der Zahlung (9. Oktober 2002) in Höhe von 837.314,91 € geltend.

8

Den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge lehnte das [X.] unter Hinweis auf die zum [X.] eingelegte Beschwerde gegen die Gewährung der [X.] durch das [X.] ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies es nach Ergehen der Beschwerdeentscheidung zurück ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2002, 519).

9

Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Zur Begründung seines Urteils hat das [X.] im Wesentlichen ausgeführt, die Erhebung von Säumniszuschlägen widerspreche auch dann nicht der Billigkeit, wenn die Steuerforderung später aufgehoben worden sei, denn der Gesetzgeber habe in § 240 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung ([X.]) ausdrücklich geregelt, dass spätere Ermäßigungen der festgesetzten Steuer nicht zu berücksichtigen seien. Er habe damit in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auf unberechtigte Steuerforderungen zu zahlen seien. Etwas anderes gelte nach der Rechtsprechung des [X.] nur dann, wenn das Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung Erfolg gehabt habe und der Steuerpflichtige alles getan habe, um die [X.] zu erreichen und diese von der Finanzbehörde "obwohl möglich und geboten" abgelehnt worden sei. Das sei jedoch nicht der Fall, denn --wie sich aus dem [X.]-Beschluss über die Ablehnung der [X.] ergebe-- sei eine [X.] in Höhe der in den Vorauszahlungsbescheiden festgesetzten Steuer nach § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.]O rechtlich nicht möglich gewesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Ein Erlass gemäß § 227 [X.] sei geboten, weil die Steuerfestsetzung aufgehoben worden sei und sie, die Klägerin, alles getan habe, um die [X.] zu erreichen. Es komme nicht darauf an, ob die Aussetzung rechtlich "möglich und geboten" gewesen sei. Entscheidend sei allein, dass die Steuerfestsetzungen schließlich aufgehoben worden seien. Zudem habe das [X.] zu Unrecht Säumniszuschläge auch für den Zeitraum berechnet, in dem das [X.] die Vollziehung der [X.] ausgesetzt hatte ([X.]-Beschluss vom 14. September 1978 [X.], [X.]E 126, 9, [X.] 1979, 58).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und das [X.] zu verpflichten, unter Aufhebung des [X.] vom 7. August 2001 sowie der Einspruchsentscheidung vom 12. April 2002 Säumniszuschläge in Höhe von 837.314,91 € zu erlassen,

hilfsweise,

das [X.] zu verpflichten, über den Erlassantrag ermessensfehlerfrei zu entscheiden.

Das [X.] erklärt sich bereit, den Differenzbetrag zwischen 837.314,91 € und 605.507,57 € zu erlassen und beantragt im Übrigen die Zurückweisung der Revision.

Säumniszuschläge, die auf den Zeitraum der durch das [X.] gewährten [X.] entfallen (der Differenzbetrag zwischen 837.314,91 € und 605.507,57 € = 231.806,74 €) seien zu erlassen. Im Übrigen komme ein Erlass von Säumniszuschlägen nach Aufhebung der materiell rechtswidrigen Steuerforderung nur dann in Betracht, wenn eine [X.] vom [X.] versagt worden war, obwohl diese "möglich und geboten" gewesen sei. Die Aussetzung im beantragten Umfang sei jedoch wegen der Regelung des § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] bzw. § 69 Abs. 2 Satz 8 [X.]O nicht möglich gewesen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 [X.]O).

Das [X.] hat das Vorliegen der Voraussetzungen eines Erlasses der Säumniszuschläge nach § 227 [X.] zu Unrecht abgelehnt. Säumniszuschläge, die auf einer materiell rechtswidrigen und deswegen aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen geänderten Jahressteuerfestsetzung beruhen, sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige insoweit die [X.] der [X.] erreicht hat und die --weitere-- [X.] dieser Beträge nach Ergehen des [X.] allein an den Regelungen der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] und 69 Abs. 2 Satz 8 [X.]O scheitert.

1. Gemäß § 227 [X.] können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen einschließlich der nach § 240 Abs. 1 [X.] entstehenden Säumniszuschläge.

a) Die Entscheidung über ein Erlassbegehren ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den durch § 102 [X.]O gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, [X.], 101, [X.] 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Gleichwohl kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung des [X.] zum Erlass aussprechen (vgl. § 101 [X.]O), wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (vgl. zur sog. Ermessensreduzierung auf Null: z.B. [X.]-Urteile vom 21. Januar 1992 [X.], [X.], 500, [X.] 1993, 3; vom 11. Januar 2006 [X.], [X.], 943). Das war hier der Fall.

b) Ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft ([X.]-Urteile vom 29. August 1991 [X.], [X.], 178, [X.] 1991, 906; vom 16. Juli 1997 [X.], [X.], 193, [X.] 1998, 7; [X.] vom 14. Mai 2008 [X.]/07, [X.], 1438). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

aa) § 240 Abs. 1 Satz 4 [X.] bestimmt u.a. für den Fall der Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung, dass bis dahin verwirkte Säumniszuschläge unberührt bleiben. Der Grundsatz der Akzessorietät, nach dem Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 [X.]) grundsätzlich vom Bestehen der ihnen zugrunde liegenden Steuerschuld abhängig sind, wird durch diese Vorschrift nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 7/4292 S. 39) durchbrochen (z.B. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]/[X.]O, § 240 [X.] Rz 71, m.w.N.).

bb) Diese Regelung ist im Hinblick auf den Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 8. Dezember 1975 [X.] ([X.]E 117, 352, [X.] 1976, 262) geschaffen worden, wonach sich im Anwendungsbereich der Reichsabgabenordnung die [X.] Säumniszuschläge ermäßigten, wenn in einem Rechtsbehelfsverfahren die für die Bemessung der Säumniszuschläge maßgebende Steuer herabgesetzt wurde. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 4 [X.] daher zwar bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten sind, wenn sich die Steuerfestsetzung später als unrechtmäßig erweist ([X.]-Urteile vom 7. Juli 1999 [X.], [X.]/NV 2000, 161; vom 30. März 2006 [X.], [X.]E 212, 23, [X.] 2006, 612, unter [X.]). § 240 Abs. 1 Satz 4 [X.] ist aber --wie das [X.] im Beschluss vom 30. Januar 1986  2 BvR 1336/85 (nur z.T. veröffentlicht in [X.] Steuer-Zeitung/Eildienst 1986, 101) betont-- nur deshalb verfassungsgemäß, weil dem Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen durch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Steuerfestsetzung selbst hinreichend Genüge getan ist.

c) Ein Erlass verwirkter Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt demnach nicht allein deshalb in Betracht, weil die Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen herabgesetzt worden ist oder möglicherweise geändert werden wird (vgl. [X.]-Urteile in [X.], 178, [X.] 1991, 906; in [X.]E 212, 23, [X.] 2006, 612). Dagegen ist nach ständiger Rechtsprechung die Erhebung der Säumniszuschläge dann eine unbillige Härte i.S. des § 227 [X.], wenn das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung Erfolg hatte und der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde alles getan hat, um die [X.] eines Steuerbescheids zu erreichen, und diese, obwohl an sich möglich und geboten, von der Finanzbehörde abgelehnt wurde ([X.]-Urteil in [X.], 178, [X.] 1991, 906; [X.]-Beschlüsse vom 4. Februar 1999 [X.]/98, [X.]/NV 1999, 908; vom 18. März 2003 [X.]/02, [X.]/NV 2003, 886).

d) Aufgrund dieser Erwägungen ist im vorliegenden Fall die Entstehung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig. Die Klägerin hat alles getan, um die [X.] der rechtswidrigen [X.] zu erreichen. Sie hat sowohl --mit [X.] die [X.] der [X.] für die Streitjahre in Höhe des [X.] zwischen dem ermäßigten Steuersatz für ihre Umsätze und dem vom [X.] angewandten jeweiligen Regelsteuersatz wie auch in derselben Höhe --im Ergebnis erfolglos-- die [X.] der [X.] beantragt. Deren Aussetzung war dem Grunde nach auch möglich und geboten. Denn im beantragten Umfang bestanden --wie der Erfolg ihrer Klage [X.] weiterhin ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anwendung des [X.] für ihre Umsätze und der darauf entfallenden Umsatzsteuer. Die [X.] der [X.] ist allein deshalb nicht möglich gewesen, weil ihr die durch das Jahressteuergesetz 1997 ([X.]) vom 20. Dezember 1996 ([X.] 1996, 2049) eingeführte Regelung des § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] entgegenstand.

aa) Gemäß § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] sind bei Steuerbescheiden die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden [X.], um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Einführung dieser verfassungsgemäßen Regelung ([X.] vom 24. Januar 2000 [X.]/99, [X.]E 192, 197, [X.] 2000, 559) war eine Reaktion des Gesetzgebers auf den Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 3. Juli 1995 GrS 3/93 ([X.]E 178, 11, [X.] 1995, 730), wonach im Wege der Aufhebung der Vollziehung auch eine [X.] bereits einbehaltener oder vorausgezahlter Steuerbeträge zu erreichen sein sollte. Mit der Einführung des § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] wollte der Gesetzgeber der Gefahr von Steuerausfällen entgegentreten, die bei der [X.] von [X.]n nach gewährter Aufhebung der Vollziehung und einem späteren Misserfolg in der Hauptsache entstehen konnten (Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung, BTDrucks 13/5359 S. 131). Darüber hinaus wurde in der Gesetzesfassung nicht nur die [X.] tatsächlich gezahlter Vorauszahlungen über die Aufhebung der Vollziehung ausgeschlossen, sondern auf die festgesetzten Vorauszahlungen abgestellt, um eine Besserstellung derjenigen Steuerpflichtigen zu vermeiden, die ihre [X.]en pflichtwidrig nicht getilgt hatten (eingehend zur Gesetzgebungsgeschichte der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] und 69 Abs. 2 Satz 8 [X.]O vgl. [X.] vom 2. November 1999 [X.]/99, [X.]E 190, 59, [X.] 2000, 57).

bb) Dieser Gesetzeszweck des § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] wird jedoch bei einer im Vorauszahlungsverfahren vom [X.] gewährten [X.] nicht berührt; denn wegen der bereits gewährten [X.] kann es zu einer --nach dem Gesetzeszweck zu vermeidenden-- [X.] von [X.] nicht kommen. Auch handelt es sich --soweit [X.] ausgesetzt worden sind (wie im Streitfall bei der [X.] nicht um einen säumigen Steuerpflichtigen, der seinen Zahlungspflichten zur Tilgung der [X.] pflichtwidrig nicht genügt hat und nach dem Regelungszweck keine Besserstellung gegenüber dem pünktlichen Steuerzahler erhalten sollte. Im Streitfall hatte das [X.] vielmehr die [X.] im streitigen Umfang ausgesetzt und hatte anschließend das [X.] im entsprechenden Umfang durch den Beschluss vom 23. Mai 2001  5 [X.] die Vollziehung der [X.] ausgesetzt. Zu einer Säumnis konnte es nur deshalb kommen, weil dieser Beschluss des [X.] durch den Beschluss des [X.] in [X.]/NV 2002, 519 mit Wirkung ex tunc aufgehoben worden ist (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 126, 9, [X.] 1979, 58; [X.] vom 14. Februar 1975 [X.], [X.]E 115, 95, [X.] 1975, 452). Unter diesen Umständen führt die Erhebung von Säumniszuschlägen, die nur auf einer zwar dem Wortlaut, nicht aber dem Sinn und Zweck des § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.] entsprechenden Beschränkung der [X.] bei Erlass eines Jahresbescheides zu einem Gesetzesüberhang, der für den Steuerpflichtigen einen Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen begründet.

2. Unter den Umständen des [X.] sind die Säumniszuschläge in vollem Umfang zu erlassen.

a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige gemäß § 237 [X.] bei Gewährung einer [X.] zwar grundsätzlich Aussetzungszinsen zu zahlen hat, dies jedoch nur dann gilt, wenn er mit seinem Rechtsbehelf im Ergebnis keinen Erfolg gehabt hat (§ 239 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Ist er --wie im Streitfall die [X.] in der Hauptsache erfolgreich, sodass sich die gewährte [X.] als berechtigte Abwehr gegen eine rechtswidrige Steuerforderung erweist, hat er nach § 239 Abs. 1 Satz 1 [X.] keine Aussetzungszinsen zu tragen. Daraus ergibt sich, dass auch im Falle eines gesetzlichen Ausschlusses der [X.] durch § 361 Abs. 2 Satz 4 [X.], der aber zu einem mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbaren Gesetzesüberhang führt, der Steuerpflichtige so gestellt werden muss, als hätte er eine [X.] nicht nur der Vorauszahlungen, sondern auch der [X.] in derselben Höhe erlangt (im Ergebnis so auch [X.]-Urteil in [X.]E 126, 9, [X.] 1979, 58).

b) Der Senat kann über den beantragten [X.] unabhängig davon entscheiden, ob möglicherweise in dem Zeitraum der vom [X.] gewährten vorübergehenden [X.] (zwischen dem 23. Mai 2001 bis zum 19. Dezember 2001) die Säumniszuschläge bereits nicht entstanden sind (vgl. dazu [X.] vom 23. November 1994 [X.]/93, [X.]/NV 1995, 662, m.w.N.; Rüsken in [X.], [X.], 10. Aufl., § 240 Rz 18) und ob dieser Einwand statt im vorliegenden Erlassverfahren nicht vielmehr im Abrechnungsverfahren nach § 218 [X.] zu verfolgen wäre (vgl. nunmehr [X.]-Urteil vom 18. April 2006 [X.], [X.]E 212, 29, [X.] 2006, 578, m.w.N.). Denn das Billigkeitsverfahren nach § 227 [X.] und das Abrechnungsverfahren nach § 218 [X.] stehen selbständig nebeneinander ([X.]-Beschlüsse vom 31. Juli 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 2305; vom 30. April 2003 [X.]/02, [X.]/NV 2003, 1393), deshalb muss das Billigkeitsverfahren auch nicht ausgesetzt werden, wenn möglicherweise die Säumniszuschläge aus anderen Gründen bereits nicht entstanden sind.

c) Durch die Erklärung des [X.] in der mündlichen Verhandlung, es sei bereit, Säumniszuschläge zu erlassen, soweit sie den Zeitraum der [X.] durch das [X.] betreffen, hat sich der Rechtsstreit nicht teilweise erledigt. Abgesehen davon, dass eine teilweise Erledigung der Hauptsache nur hinsichtlich eines abtrennbaren Teils des [X.] eintreten und nur insoweit zur Beendigung des Verfahrens führen kann ([X.] vom 5. März 1979 [X.], [X.]E 127, 155, [X.] 1979, 378) fehlt es im Streitfall bereits daran, dass kein Abhilfebescheid des [X.] vorliegt und im Hinblick auf die möglicherweise in der Erklärung zu sehende Zusage keine übereinstimmenden Erledigungserklärungen abgegeben worden sind.

d) Da das dem [X.] eingeräumte Ermessen nur in der Weise fehlerfrei ausgeübt werden kann, dass die [X.] Säumniszuschläge zu erlassen sind (Ermessensreduzierung auf Null), war das [X.]-Urteil aufzuheben und das [X.] zum Erlass der Säumniszuschläge zu verpflichten.

Meta

V R 42/08

20.05.2010

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 22. Februar 2007, Az: 5 K 262/02, Urteil

§ 227 AO, § 240 AO, § 361 Abs 2 S 4 AO, § 69 Abs 2 S 8 FGO, § 218 AO, § 5 AO, Art 19 Abs 4 GG, § 74 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.05.2010, Az. V R 42/08 (REWIS RS 2010, 6461)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6461

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