Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.04.2014, Az. V R 52/13

5. Senat | REWIS RS 2014, 6140

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Gegenstand

Säumniszuschläge bei zu Unrecht versagter AdV


Leitsatz

Säumniszuschläge sind in vollem Umfang zu erlassen, wenn eine rechtswidrige Steuerfestsetzung aufgehoben wird und der Steuerpflichtige zuvor alles getan hat, um die AdV zu erreichen und diese --obwohl möglich und geboten-- abgelehnt worden ist (Fortführung der Rechtsprechung) .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob ein vollständiger (und nicht nur hälftiger) Erlass von Säumniszuschlägen gemäß § 227 der Abgabenordnung ([X.]) geboten ist, wenn bei einer rechtswidrigen Steuerfestsetzung zuvor Anträge des Steuerpflichtigen auf Aussetzung der Vollziehung ([X.]) beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) und Finanzgericht ([X.]) versagt geblieben sind.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) handelte in den Streitjahren 2002 und 2003 mit polygrafischen Maschinen.

3

Nachdem das [X.] zunächst am 12. Oktober 2005 Umsatzsteuern für 2002 und 2003 festgesetzt hatte und das [X.] einem Aussetzungsantrag stattgegeben hatte, setzte das [X.] die Umsatzsteuer auf Einspruch der Klägerin für das [X.] herab und wies den Einspruch hinsichtlich 2003 zurück. Ein weiterer Antrag auf [X.] für den Zeitraum nach Ergehen der Einspruchsentscheidung wurde vom [X.] am 10. Juni 2008 und vom [X.] am 28. April 2010 zurückgewiesen.

4

Im Hauptsacheverfahren gab das [X.] der Klage statt und setzte die Umsatzsteuer 2002 auf den unstreitigen und pünktlich bezahlten Betrag herab und hob die Festsetzung für 2003 vollständig auf. Aufgrund einer Abrechnung vom 6. Februar 2008 forderte das [X.] für den Zeitraum von der Einspruchsentscheidung bis zur Aufhebung der Steuerfestsetzungen im November 2010 Säumniszuschläge in Höhe von 11.476 € für 2002 und 16.922,50 € für 2003, die das [X.] auf Erlassantrag der Klägerin zur Hälfte erließ. Den Erlass der weiteren Hälfte lehnte es ab.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das [X.] das [X.] zum vollständigen Erlass der Säumniszuschläge. Zwar seien gemäß § 240 Abs. 1 Satz 4 [X.] die Säumniszuschläge aufgrund der formellen Steuerfestsetzung durch das [X.] unabhängig von ihrer späteren Aufhebung entstanden, da die [X.] erfolglos geblieben waren. Nach Lage des Falles seien jedoch die [X.] Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit gemäß § 227 [X.] vollständig zu erlassen. Die Klägerin habe aufgrund ihrer [X.] beim [X.] und beim [X.] alles ihr Mögliche getan, um das Entstehen von Säumniszuschlägen zu verhindern. Die Ablehnung dieser Anträge könne der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen. Aus dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 20. Mai 2010 V R 42/08 ([X.]E 229, 83, [X.], 955) folge, dass das Ermessen des [X.] in einem solchen Falle auf einen vollständigen Erlass der Säumniszuschläge reduziert sei.

6

Hiergegen wendet sich das [X.] mit der Revision. Säumniszuschläge hätten nach der Rechtsprechung des [X.] nicht nur den Sinn, eine Gegenleistung für das Hinausschieben der formell festgesetzten, nicht bezahlten Steuer zu bilden, sondern auch, als Druckmittel den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung der Steuern anzuhalten. Da der Steuerpflichtige nach der (rechtswidrigen) Ablehnung der [X.] an sich die Steuer hätte zahlen müssen, behalte die Verwirkung von Säumniszuschlägen auch bei späterer Aufhebung der Steuerfestsetzung ihren Sinn. Säumniszuschläge seien deshalb nur zur Hälfte zu erlassen.

7

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Zutreffend hat das [X.] das [X.] verpflichtet, die Säumniszuschläge zu erlassen. Diese Ermessensentscheidung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

1. Ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § [X.] ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (sog. Gesetzesüberhang, vgl. [X.]-Urteile vom 22. April 1975 VII R 54/72, [X.], 87, [X.] 1975, 727; vom 14. September 1978 V R 35/72, [X.], 9, [X.] 1979, 58).

a) In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben worden ist und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die [X.] eines Steuerbescheides zu erreichen, das [X.] aber die Aussetzung "obwohl möglich und geboten" abgelehnt hat. Demgemäß hat der [X.] entschieden, dass ein Erlass von Säumniszuschlägen nach Aufhebung der Steuerfestsetzung zwar dann nicht in Betracht komme, wenn der Steuerpflichtige sich nicht um die [X.] bemüht hat oder wenn die Vollziehung deshalb nicht ausgesetzt worden ist, weil --z.B. in [X.] keine ernstlichen Zweifel bestanden und der Steuerbescheid erst aufgrund nachgereichter Steuererklärungen aufgehoben worden ist ([X.]-Urteil vom 29. August 1991 V R 78/86, [X.]E 165, 178, [X.] 1991, 906).

b) Hat der Steuerpflichtige jedoch im Aussetzungsverfahren alles Erdenkliche getan, um den einstweiligen Rechtsschutz zu erreichen, und ist ihm dieser gleichwohl fehlerhaft versagt worden, liegt eine unbillige Härte vor, wenn trotz späterer Aufhebung der Steuerfestsetzung Säumniszuschläge erhoben wurden ([X.]-Urteile in [X.]E 165, 178, [X.] 1991, 906; vom 16. September 1992 [X.], [X.]/NV 1993, 510; [X.]-Beschluss vom 18. März 2003 [X.], [X.]/NV 2003, 886). Dementsprechend hat der Senat mit Urteil in [X.]E 229, 83, [X.] 2010, 955 entschieden, dass ein Anspruch auf vollständigen Erlass der Säumniszuschläge dann besteht, wenn dem Steuerpflichtigen die [X.] aufgrund einer gesetzlichen Sonderregelung des § 361 Abs. 2 Satz 4 AO in einer dem Sinn und Zweck dieser Regelung nicht entsprechenden Weise verwehrt ist. Nichts anderes gilt, wenn eine rechtswidrige Steuerfestsetzung aufgehoben wird und der Steuerpflichtige zuvor alles getan hat, um die [X.] zu erreichen und diese --obwohl möglich und geboten-- abgelehnt worden ist (Fortführung der Rechtsprechung).

2. Bei der Höhe des gebotenen Erlasses ist zu berücksichtigen, dass Säumniszuschläge zwar zum einen Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern sind und zum anderen Entgelt für eine verspätet gezahlte Steuer, denn der säumige Steuerpflichtige soll nicht besser gestellt werden, als hätte er [X.] oder Aussetzungszinsen (§ 238 AO) zu zahlen ([X.]-Urteile in [X.], 9, [X.] 1979, 58; vom 23. Mai 1985 V R 124/79, [X.]E 143, 512, [X.] 1985, 489). Bei rechtswidriger Steuerfestsetzung ist jedoch die gesetzgeberische Wertung des § 237 AO zu beachten, wonach der Steuerpflichtige bei Gewährung der [X.] zwar grundsätzlich Aussetzungszinsen zu zahlen hat, dies aber dann nicht gilt, wenn der Steuerpflichtige mit seinem Rechtsbehelf Erfolg gehabt hat (§ 239 Abs. 1 Satz 1 AO). Erweist sich eine im Eilverfahren gewährte [X.] somit im Ergebnis als berechtigte Abwehr gegen eine rechtswidrige Steuerforderung, hat der Steuerpflichtige keinerlei Aussetzungszinsen --auch nicht zur [X.] zu tragen. Wird dem Steuerpflichtigen die gebotene [X.] zu Unrecht versagt, ist er im Billigkeitsverfahren so zu stellen, als hätte er den gebotenen einstweiligen Rechtsschutz erlangt, sodass er nach § 237 AO keinerlei Säumniszuschläge zu zahlen hat (so auch [X.]-Beschluss vom 2. Februar 2011 V B 141/09, [X.]/NV 2011, 961, unter 3.b; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 240 AO Rz 57; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 240 AO Rz 114).

3. Der Senat weicht nicht von Entscheidungen anderer Senate des [X.] ab. Soweit sich das [X.] auf den [X.]-Beschluss vom 4. Februar 1999 IX B 170/98 ([X.]/NV 1999, 908) bezieht, liegt keine Divergenz vor, weil der [X.] dort die Rechtsfrage eines Erlasses von Säumniszuschlägen bei rechtswidriger Versagung der [X.] im Hinblick auf die Besonderheiten des Streitfalles als in einer Revision nicht klärungsfähig bezeichnet hat. In dem [X.]-Urteil in [X.]/NV 2003, 886 ging es um die anders gelagerte Problematik eines Erlasses von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit, bei der der Normzweck der Säumniszuschläge als Druckmittel eigener Art zur pünktlichen Steuerzahlung wegen Insolvenz nicht mehr erreicht werden kann. Soweit der erkennende Senat mit Urteil in [X.]E 165, 178, [X.] 1991, 906 bei zu Unrecht verweigerter [X.] nur zu einem hälftigen Erlass von Säumniszuschlägen gelangt ist, ist diese Entscheidung durch das vom [X.] seiner Entscheidung zu Grunde gelegte Urteil des Senats in [X.]E 229, 83, [X.] 2010, 955 überholt.

Meta

V R 52/13

24.04.2014

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 20. Februar 2013, Az: 8 K 1587/12, Urteil

§ 240 Abs 1 S 4 AO, § 227 AO, § 361 AO, § 69 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.04.2014, Az. V R 52/13 (REWIS RS 2014, 6140)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6140

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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