Bundessozialgericht, Urteil vom 30.06.2016, Az. B 8 SO 7/15 R

8. Senat | REWIS RS 2016, 8992

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Rehabilitation und Teilhabe - Zuständigkeitsklärung - Anwendbarkeit des § 14 SGB 9 auch in Fällen eines Vorrang-/Nachrangverhältnisses - sozialgerichtliches Verfahren - notwendige Beiladung des anderen Leistungsträgers - Unzulässigkeit eines Grundurteils - Kostenübernahme in Form eines Schuldbeitritts - Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten - Abgrenzung zwischen rechtlicher und sozialer Betreuung - Wirksamkeit des Betreuungsvertrages)


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist die Übernahme von [X.]osten, die dem [X.]läger durch seine [X.]etreuung in der [X.] vom 6.10.2010 bis 25.7.2011 entstanden sind.

2

Der [X.]läger ist 1987 geboren und behindert (Grad der [X.]ehinderung von 50). [X.]ei ihm lag und liegt eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vor, die sich [X.] in starken Stimmungsschwankungen, [X.] und provozierendem Verhalten sowie einer [X.]lockadehaltung gegenüber Hilfestellungen von außen zeigt. Seit Oktober 2007 ist eine rechtliche [X.]etreuung für den [X.]läger eingerichtet, die sich [X.] auf alle Vermögens- (seit Juni 2008 mit Einwilligungsvorbehalt) und Wohnungsangelegenheiten erstreckt.

3

Seit 1.5.2010 lebt der [X.]läger, nachdem er sich zuvor - im Raum [X.] bzw [X.] zeitweise bei seiner Mutter, in einer Jugendhilfeeinrichtung, bei [X.]reunden und [X.]ekannten, in Notunterkünften oder auf der [X.] aufgehalten hatte, alleine in einer Einzimmerwohnung. Während im streitbefangenen [X.]raum kein Vermögen vorhanden war, verfügte er über ein monatliches Einkommen in [X.]orm von [X.]indergeld, Halbwaisenrente und zeitweise [X.]AföG. Er schloss mit [X.] ([X.]), die mit dem [X.]eklagten eine Leistungs- und Prüfungsvereinbarung (vom [X.] bzw [X.]) sowie Vergütungsvereinbarung (vom [X.]) für den Leistungsbereich [X.] abgeschlossen hatte und Gesellschafterin der [X.]eigeladenen ist, einen bis zum 5.10.2011 befristeten "[X.]etreuungsvertrag" für [X.] ([X.]). Der [X.]eklagte lehnte jedoch die Übernahme von [X.]osten ab ([X.]escheid vom 21.3.2011; Widerspruchsbescheid unter [X.]eteiligung sozial erfahrener Dritter vom 13.7.2011). [X.]is 25.7.2011 wurde der [X.]läger durch einen Mitarbeiter von [X.] 31,33 Stunden betreut.

4

Die auf Übernahme der [X.]osten für diese Stunden gerichtete [X.]lage hatte nur teilweise Erfolg. Das Sozialgericht ([X.]) [X.]öln hat den [X.]eklagten unter Abweisung der [X.]lage im Übrigen verurteilt, "dem [X.]läger vom 6.10.2010 bis zum 25.7.2011 Leistungen der Eingliederungshilfe in [X.]orm der Übernahme von [X.]osten für insgesamt 24,33 [X.]achleistungsstunden im Rahmen des betreuten [X.] zu gewähren" (Urteil vom [X.]); die [X.]erufung des [X.]eklagten hat das [X.] ([X.]) [X.] zurückgewiesen (Urteil vom 22.12.2014). Zur [X.]egründung seiner Entscheidung hat das [X.] [X.] ausgeführt, es bestehe eine wirksame schuldrechtliche Verpflichtung des seelisch wesentlich behinderten [X.]lägers gegenüber der [X.]eigeladenen aus dem [X.]etreuungsvertrag, die der [X.]eklagte im vom [X.] entschiedenen Umfang zu übernehmen habe.

5

Mit seiner Revision rügt der [X.]eklagte eine Verletzung der § 53 Abs 1 und 3, § 54 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes [X.]uch - Sozialhilfe - ([X.][X.] XII) iVm § 55 Abs 2 Nr 6 Sozialgesetzbuch Neuntes [X.]uch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - ([X.][X.] IX) sowie des § 2 [X.][X.] XII. Er ist der Ansicht, dass das [X.] zu Unrecht davon ausgegangen sei, beim [X.]läger habe ein Hilfebedarf für Leistungen des Ambulant-betreuten-[X.] bestanden; es habe insoweit seiner Pflicht zur Amtsermittlung nicht genügt. Es hätten vorrangig andere Hilfen, insbesondere eine psychiatrische bzw psychotherapeutische [X.]ehandlung oder eine ambulant-psychiatrische Pflege in Anspruch genommen werden müssen. Zudem habe das [X.] das Verhältnis zwischen rechtlicher [X.]etreuung durch den bestellten [X.]etreuer und [X.] [X.]etreuung im Rahmen der Sozialhilfe verkannt.

6

Der [X.]eklagte beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die [X.]lage unter Abänderung des Urteils des [X.] insgesamt abzuweisen.

7

Der [X.]läger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

9

Der Vertreter der [X.]eigeladenen beantragt,
 die Revision zurückzuweisen,

und verweist ebenfalls auf die Entscheidungsgründe im Urteil des [X.].

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 21.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.7.2011 (§ 95 [X.]G), mit dem der möglicherweise nach § 14 Abs 2 Satz 1 [X.]B IX zuständig gewordene, für Leistungen des [X.] nach §§ 97, 98 [X.] dem Landesrecht sozialhilferechtlich jedenfalls zuständige Beklagte Leistungen abgelehnt hat. In der Sache ist nur noch die Übernahme (nicht die Erstattung) von Kosten für Leistungen im Umfang von 24,33 Stunden im Streit, weil nur der Beklagte Berufung gegen das Urteil des [X.] eingelegt hat.

Eine abschließende Entscheidung darüber, ob die ablehnende Entscheidung des Beklagten rechtswidrig war, konnte der [X.] jedoch schon deshalb nicht treffen, weil das [X.] verfahrensfehlerhaft von der Beiladung des Jugendhilfeträgers nach § 75 Abs 2 1. Alt [X.]G abgesehen hat. Danach sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung); für die Beiladung genügt die Möglichkeit der Leistungsverpflichtung (B[X.]E 93, 283 ff Rd[X.]5 = [X.]-3250 § 14 [X.]). Da der Kläger nach den [X.]eststellungen des [X.] bereits bis etwa Mitte 2007 sowie erneut ab Mitte Dezember 2007 bis Oktober 2008 Leistungen des [X.] erhalten hat und eine seelische Behinderung vorliegt (dazu gleich), kommt unter Berücksichtigung der §§ 41 Abs 1 und 2, 35a Abs 1 und 3 [X.] - ([X.]B VIII) iVm § 54 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII, § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]B IX eine (eigentliche) nach § 10 Abs 4 Satz 1 [X.]B VIII vorrangige Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers in Betracht. § 14 [X.]B IX gilt auch, wenn zwischen zwei Rehabilitationsträgern - wie hier im Verhältnis Sozialhilfeträger/Jugendhilfeträger - ein Vorrang-/Nachrangverhältnis besteht, also in dieser Konstellation auch in [X.]ällen einer mehrfachen Zuständigkeit (B[X.]E 117, 53 ff Rd[X.] 21 = [X.]-3500 § 54 [X.]3).

[X.]ür das Vorliegen einer seelischen Behinderung ist entscheidend, ob eine mehr als sechs Monate andauernde psychische Regelwidrigkeit die [X.]ähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt (vgl § 2 Abs 1 [X.]B IX; zu § 35a [X.]B VIII auch [X.] , Urteil vom 26.11.1998 - 5 C 38/97 - [X.] 436.511 § 35a [X.]/[X.]B VIII [X.]). Dies ist nach den bindenden [X.]eststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) der [X.]all. Insoweit hat dieses ausgeführt, dass der Kläger an einer dauerhaften Persönlichkeitsstörung litt und leidet, die sich insbesondere in mangelnder Planungsfähigkeit und fehlendem Durchhaltevermögen bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung zeigt, sodass er im streitbefangenen Zeitraum nicht in der Lage war, sich eigenständig im häuslichen Bereich zurechtzufinden und in sein jeweiliges häusliches Umfeld zu integrieren. Selbst wenn wegen dieser seelischen Behinderung vorhandene intellektuelle [X.]ähigkeiten nicht umgesetzt werden konnten, also ggf aus der psychischen Beeinträchtigung eine Blockade der intellektuellen [X.]ähigkeiten, also auch eine geistige Beeinträchtigung, resultiert, ändert dies an einem Vorrang von [X.] iS des § 10 Abs 4 [X.]B VIII nichts; eine trennscharfe Unterscheidung ist insoweit nicht möglich, und die Ursache der intellektuellen (geistigen) Beeinträchtigung bleibt die seelische Regelwidrigkeit.

Nach § 41 Abs 1 [X.]B VIII soll einem jungen Volljährigen - wie dem Kläger (vgl § 7 Abs 1 [X.] 3 [X.]B VIII) - Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenständigen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Sit[X.]tion des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel (zwar) nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie (jedoch) für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden (sog [X.]ortsetzungshilfe). Leistungen der Betreuung können insoweit zur Persönlichkeitsentwicklung und eigenständigen Lebensführung des [X.] geeignete und erforderliche Hilfen nach Maßgabe des Jugendhilferechts darstellen, sollte die Persönlichkeitsentwicklung des [X.] - prognostisch - nach (und trotz) der Einstellung der jugendhilferechtlichen Hilfeleistung im Oktober 2008 noch nicht abgeschlossen gewesen sein. Dann aber wäre der Träger der Jugendhilfe für die Leistungserbringung nach Maßgabe der Zuständigkeitsregelung des § 86a [X.]B VIII, also der örtliche Träger der Jugendhilfe (vgl § 85 [X.]B VIII iVm dem Landesrecht), vorrangig gegenüber dem Beklagten (eigentlich) zuständig. Das [X.] mag dies ermitteln; dabei hat es auch zu beachten, dass möglicherweise der bis Oktober 2008 leistende Träger der Jugendhilfe bei Vorliegen des § 14 Abs 2 Satz 1 [X.]B IX zum damaligen Zeitpunkt beizuladen wäre, wenn zwischen Oktober 2008 und der hier streitigen Leistung ab Oktober 2010 ein einheitlicher Leistungsfall im Sinne einer [X.]ortsetzungshilfe vorläge (für die Unschädlichkeit nur einer "kurzzeitigen Unterbrechung" allerdings zB [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.] Kommentar [X.]B VIII, 7. Aufl 2013, § 41 Rd[X.] 9 mwN).

Nach Aktenlage ist die Beiladung von "Die [X.]" unzutreffend, auch wenn eine GbR partiell rechtsfähig (vgl nur [X.], 341 ff) und im Prozess nach § 70 [X.] [X.]G beteiligtenfähig ist (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 70 Rd[X.] 2a mwN), also grundsätzlich beigeladen werden kann, sodass sich die [X.]rage nicht stellt, ob die Beigeladene nicht in Wahrheit eine Offene Handelsgesellschaft ist. Richtigerweise wäre allerdings wohl [X.], mit der der Kläger tatsächlich den Vertrag geschlossen hat. Das [X.] mag dies noch verifizieren.

Zudem hat das [X.], das das Urteil des [X.] ohne Korrekturen des [X.] bestätigt hat, verfahrensfehlerhaft ein Grundurteil erlassen. Dem Erlass eines Grundurteils steht § 130 Abs 1 Satz 1 [X.]G entgegen, der ein solches Urteil nur bei einer Leistung in Geld vorsieht. Da es sich bei der beantragten Übernahme noch unbezahlter Kosten im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis um einen Schuldbeitritt des Beklagten, verbunden mit einem Anspruch auf Befreiung von der Schuld gegenüber dem Leistungserbringer handelt (dazu für Leistungen durch ambulante Dienste vgl B[X.] [X.]-3500 § 53 [X.] 4), lagen die Voraussetzungen des § 130 Abs 1 Satz 1 [X.]G jedoch nicht vor (vgl B[X.] [X.]-1500 § 130 [X.] 4 Rd[X.]2). Der Verfahrensfehler des [X.] hat sich durch die Zurückweisung der Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] im Berufungsverfahren fortgesetzt. Ob dieser Verfahrensfehler zu einer Zurückverweisung der Sache an das [X.] führen könnte (zu dieser Überlegung in anderem Zusammenhang vgl B[X.] [X.]-3500 § 43 [X.] 3 Rd[X.]8 mwN), kann hier dahinstehen, weil bereits wegen der fehlenden Beiladung des Jugendhilfeträgers das Ergebnis des Berufungsverfahrens ohnedies noch offen ist.

Vor der Beiladung des Jugendhilfeträgers ist der [X.] indes gehindert, über die von der Revision aufgeworfenen materiellrechtlichen [X.]ragen für das [X.] bindend (§ 170 Abs 5 [X.]G) zu entscheiden, weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 [X.]G, Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des [X.] verletzt würde (vgl: B[X.]E 97, 242 ff Rd[X.]7 = [X.]-4200 § 20 [X.]; B[X.]E 103, 39 ff Rd[X.]4 = [X.]-2800 § 10 [X.]); denn über § 35a Abs 3 [X.]B VIII (Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche), der hinsichtlich Aufgaben und Zielen der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises und die Art der Leistungen auf Vorschriften der §§ 53 ff [X.]B XII verweist und den das [X.] wegen § 10 Abs 4 [X.]B VIII iVm § 14 [X.]B IX vorrangig zu prüfen haben wird, ergäbe sich jedenfalls mittelbar eine Präjudizierung. Die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen stellen damit lediglich Entscheidungshilfen für das [X.] dar.

Ein nachrangiger sozialhilferechtlicher Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe ergäbe sich aus § 19 Abs 3 [X.]B XII (bis 31.12.2010 in der [X.]assung, die die Norm durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der [X.]inanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - [X.] 554 - erhalten hat; ab 1.1.2011 in der Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011 - [X.] 453) iVm § 53 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - [X.] 3022), § 54 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII (in der Normfassung des [X.] [X.] im Krankenhaus vom 30.7.2009 - [X.] 2495) und § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]B IX (Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten), wobei die Beurteilung der [X.]rage, ob die gegenüber dem Kläger erbrachten Hilfen als Hilfen zum selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs 1 Satz 1 [X.] § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]B IX zählen, allerdings weitere [X.]eststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) zum Inhalt der dem Kläger erbrachten Leistungen verlangen würden. Einem möglichen sozialhilferechtlichen Anspruch des [X.] steht indes nicht entgegen, dass er die Wohnung selbst gesucht und angemietet hat, weil es nicht darauf ankommt, ob die betreffende Wohnung nur gekoppelt mit der Betreuungsleistung zur Verfügung gestellt wird (B[X.]E 109, 56 ff Rd[X.]5 = [X.]-3500 § 98 [X.]).

Entscheidend ist das Ziel der Hilfe (vgl: B[X.]E 109, 56 ff Rd[X.]5 f = [X.]-3500 § 98 [X.]; B[X.]E 103, 171 ff Rd[X.]7 = [X.]-3500 § 54 [X.] 5; für die Abgrenzung von Leistungen im Bereich der Jugendhilfe ebenso BVerwGE 144, 364 ff Rd[X.]7), das beim [X.] umfassend in der Verselbständigung der Lebensführung des behinderten Menschen in seinem eigenen Wohn- und Lebensumfeld zu sehen ist. Dieses (weite) Verständnis betonen ausdrücklich der ursprünglich vorgesehene Normtext des § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]B IX im Entwurf des [X.]B IX (vgl BT-Drucks 14/5074, [X.]: "Hilfen zur Verselbständigung in betreuten Wohnmöglichkeiten") und die dazu gegebene Begründung: Die bisher für solche Hilfen herangezogene Rechtsgrundlage des § 40 Abs 1 [X.] 8 Bundessozialhilfegesetz ([X.]) ("Hilfe zur Teilhabe am Leben in der [X.]") iVm § 19 Eingliederungshilfe-Verordnung sollte nur konkretisiert und verallgemeinert werden (BT-Drucks 14/5074, [X.]). Die letztlich Gesetz gewordene [X.]ormulierung geht auf eine Empfehlung des [X.] und [X.] zurück, die der Klarstellung dienen sollte (vgl BT-Drucks 14/5786, [X.] und BT-Drucks 14/5800, [X.]). Leistungen des [X.] können somit nicht auf unmittelbar wohnungsbezogene Hilfen, zB die Hilfe zum Sauberhalten der Wohnung, beschränkt werden. Der behinderte Mensch soll vielmehr dazu befähigt werden, alle wichtigen Alltagsverrichtungen in seinem Wohn- und Lebensbereich möglichst selbständig vorzunehmen ([X.] in juris PraxisKommentar [X.]B IX, 2. Aufl 2015, § 55 Rd[X.] 44; im Ergebnis [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]B XII, 19. Aufl 2015, § 54 [X.]B XII Rd[X.] 69). Es genügt mithin, ist aber auch erforderlich, dass durch die geleistete Hilfe das selbständige Leben und Wohnen ermöglicht werden soll, indem zB einer Isolation bzw Verwahrlosung, einer relevanten psychischen Beeinträchtigung oder einer stationären Unterbringung entgegengewirkt wird, die mit einer Übernahme der Gesamtverantwortung für die gesamte Lebensführung des behinderten Menschen durch die Einrichtung (vgl zu diesem Gesichtspunkt B[X.] [X.]-3500 § 98 [X.] 3 Rd[X.]8) einhergeht, damit der behinderte Mensch durch den Verbleib in der eigenen Wohnung einen [X.]reiraum für die individuelle Gestaltung seiner Lebensführung erhält.

Diesem Begriffsverständnis des § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]B IX entspricht nicht zuletzt die Leistungs- und Prüfungsvereinbarung zwischen dem Beklagten und [X.], die die Bestimmungen des ambulanten Rahmenvertrags [X.] nach § 93d [X.] bzw § 79 [X.]B XII widerspiegelt (Rahmenvertrag gemäß § 93d [X.] - ambulanter Bereich - zu den Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach § 93 Abs 2 [X.], Stand 2.7.2001). Nach den Bestimmungen dieses Rahmenvertrags fällt unter [X.] "betreutes Wohnen für Menschen mit psychischen Behinderungen, geistigen und/oder Körper- und Mehrfachbehinderungen, Sinnesbehinderungen und/oder Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen in [X.]". Das [X.] umfasst nach den weiteren Regelungen direkte, mittelbare und indirekte Betreuungsleistungen. Zu den direkten Betreuungsleistungen zählen: Hilfen zur Bewältigung/Verminderung von Beeinträchtigungen/Gefährdungen durch die Behinderung/Erkrankung, bei der Aufnahme und Gestaltung persönlicher/[X.] Beziehungen, der Alltagsgestaltung, -bewältigung und Lebensplanung, der Teilhabe am Leben in der [X.] und Maßnahmen der Krisenintervention. Als mittelbare Betreuungsleistungen sind [X.] aufgeführt: Gespräche im [X.] Umfeld des Klienten, Koordination der Hilfeplanung sowie Organisation des [X.], Telefonate und Schriftverkehr bezüglich Alltagsangelegenheiten des Klienten. Nur hinzuweisen sei darauf, dass die pauschale Bezugnahme des [X.] auf eine sich in den Akten befindende [X.] bzw einen Hilfeplan revisionsrechtlich nicht die Mitteilung des Inhalts der nach Maßgabe dieser Dokumente erbrachten Leistungen ersetzen könnte.

Zur Unterscheidung von rechtlicher Betreuung und Leistungen des [X.] ist zu beachten, dass die Betreuung nicht auf die tatsächliche Verrichtung von Handlungen durch den Betreuer anstelle des Betreuten zielt, sondern auf die rechtliche Besorgung von Angelegenheiten: Der Betreuer handelt als Vertreter (§ 1901 Abs 1 [X.] <[X.]>, § 1902 [X.]). Wie der [X.] deshalb unter Würdigung des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom [X.] ([X.] 1580) zur Abgrenzung von "Leistungen der Sozialhilfe" von solchen der rechtlichen Betreuung zutreffend ausgeführt hat (Urteil vom 2.12.2010 - [X.]), sind von der rechtlichen Betreuung Tätigkeiten nicht erfasst, die sich in der tatsächlichen Hilfeleistung für den Betroffenen erschöpfen, ohne zu dessen Rechtsfürsorge erforderlich zu sein. Der Betreuer ist vielmehr nur verpflichtet, solche Hilfen zu organisieren, nicht aber, sie selbst zu leisten. Zielt die Hilfe auf die rein tatsächliche Bewältigung des Alltags, kommt eine Leistung der Eingliederungshilfe in Betracht; zielt sie indes auf das Ersetzen einer Rechtshandlung, ist der Aufgabenbereich des rechtlichen Betreuers betroffen. Dies gilt bei Leistungen der Beratung und Unterstützung (als Hilfen zur Entscheidung) gleichermaßen (vgl dazu auch Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private [X.]ürsorge, Abgrenzung von rechtlicher Betreuung und Sozialleistungen, 2008, [X.] f): Sind diese auf das Ob und Wie der Erledigung rechtlicher Belange ausgerichtet, sind sie der rechtlichen Betreuung zuzuordnen, ansonsten ist der Aufgabenbereich Eingliederungshilfe betroffen.

Zwar können beide Bereiche im Einzelfall ggf Berührungspunkte aufweisen. So hat der rechtliche Betreuer auch darauf hinzuwirken, dass durch geeignete Leistungen Dritter [X.] eine Behinderung des Betreuten beseitigt oder ihre Auswirkungen verbessert werden (vgl § 1901 Abs 4 Satz 1 [X.]; vgl auch § 60 [X.]B IX), sodass die rechtliche Betreuung erst die Grundlage dafür schaffen kann, dass Leistungen der [X.] Betreuung überhaupt beansprucht werden (Ließfeld, Betreuungsrecht in der Praxis, 2012, [X.]). Sollte aber nicht bereits anhand von Zweck und Ziel der Leistung eine Abgrenzung erfolgen können, ist bei der Beurteilung, durch welche Maßnahme ein Bedarf zu decken ist, zu beachten, dass nicht nur die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung selbst (dazu [X.], Beschluss vom [X.] - 1 BvR 2579/08), sondern auch die ersetzenden Handlungen des Betreuers einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen darstellen (so auch [X.]/[X.], [X.]b 2016, 136, 142; ähnlich zum Verhältnis Budgetassistenz und rechtliche Betreuung [X.], [X.], 64, 66). Decken sie den geltend gemachten Bedarf, dürften Leistungen der Eingliederungshilfe, die auf das gleiche Ziel gerichtet sind, nicht mehr zu erbringen sein (§ 2 Abs 1 [X.]B XII). Dies gilt allerdings nur, wenn diese oder andere Hilfen, die auf das gleiche Ziel gerichtet sind, tatsächlich erbracht werden. Selbst wenn ein Anspruch besteht, reicht dies nicht aus (B[X.]E 103, 171 ff Rd[X.] 20 = [X.]-3500 § 54 [X.] 5).

Einer sozialhilferechtlichen Leistungspflicht des Beklagten stünde eine fehlende Wirksamkeit des Vertrags mit [X.] nicht entgegen. Zwar ist der Betreuungsvertrag zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden (6.10.2010), als im Rahmen der rechtlichen Betreuung (§ 1896 Abs 1 Satz 1 [X.]) für den Bereich der "Vermögenssorge" bereits ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden war, und ein ohne Einwilligung des Betreuers geschlossener Vertrag bedarf zu seiner Wirksamkeit der Genehmigung des Betreuers (§ 1903 Abs 1 Satz 2 [X.] iVm § 108 Abs 1 [X.]). Ob die Vermögenssorge auch den Abschluss des [X.] erfasst, kann offenbleiben. Spätestens mit der Beauftragung des Rechtsanwalts zur Erhebung der Klage gegen den Ablehnungsbescheid wäre jedenfalls konkludent (zu dieser Möglichkeit vgl nur [X.], [X.], 75. Aufl 2016, § 182 [X.] Rd[X.] 3 mwN) dem Kläger gegenüber eine Genehmigung des [X.] erfolgt (§§ 182 Abs 1, 184 Abs 1 [X.]).

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 7/15 R

30.06.2016

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Köln, 3. Mai 2013, Az: S 27 SO 360/11, Urteil

§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG, § 130 Abs 1 S 1 SGG, § 14 Abs 1 S 1 Halbs 1 SGB 9, § 14 Abs 1 S 2 SGB 9, § 14 Abs 2 S 1 SGB 9, § 41 Abs 1 S 1 SGB 8, § 41 Abs 1 S 2 SGB 8, § 41 Abs 2 SGB 8, § 35a Abs 1 SGB 8, § 35a Abs 3 SGB 8, § 10 Abs 4 S 1 SGB 8, § 53 Abs 1 S 1 SGB 12, § 54 Abs 1 S 1 SGB 12, § 2 Abs 1 S 1 SGB 9, § 55 Abs 2 Nr 6 SGB 9, § 1901 Abs 1 BGB, § 1902 BGB, § 1903 Abs 1 S 1 BGB, § 182 Abs 1 BGB, § 184 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 30.06.2016, Az. B 8 SO 7/15 R (REWIS RS 2016, 8992)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8992

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 19/10

1 BvR 2579/08

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