Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.11.2022, Az. B 5 R 88/22 B

5. Senat | REWIS RS 2022, 8115

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Grundsatzrüge - fortbestehende Klärungsbedürftigkeit - Berücksichtigung neuer Rechtsprechung - nachträgliche Divergenz - Begründung der Divergenz mit einem vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist verkündeten, aber noch nicht abgesetzten Urteil


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 24. Februar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 89 792 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin verlangt vom beklagten Land die Erstattung von Rentenzahlungen, die auf einem Versorgungsausgleich beruhen.

2

Die Ehe der bei der Klägerin versicherten [X.] (im [X.]olgenden: Versicherte) wurde im Oktober 1992 geschieden. Zur Durchführung des Versorgungsausgleichs wurden ihrem Rentenkonto 26,6462 Entgeltpunkte zu Lasten der beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche des geschiedenen Ehemannes gegen den Beklagten gutgeschrieben. Die Klägerin gewährte der Versicherten für Oktober 1992 bis zu deren Tod im Dezember 2013 Altersrente. Im Oktober 2016 forderte sie von dem Beklagten Erstattung des auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Anteils der für Januar 2001 bis Dezember 2013 gewährten Rente. Der Beklagte leistete Erstattung für Januar 2011 bis Dezember 2013. Hinsichtlich der zudem geforderten Erstattung für Januar 2001 bis Dezember 2010 (89 792,09 Euro) berief er sich auf Verjährung.

3

Die Klägerin hat am 18.6.2018 Klage vor dem [X.] erhoben, das den Beklagten im begehrten Umfang zur Zahlung verurteilt hat ([X.]). Auf die Berufung des Beklagten hat das [X.] mit Urteil vom [X.] das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der behauptete Erstattungsanspruch sei nach § 2 Abs 4 Satz 1 der Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung ([X.]) in der seit dem 1.7.2020 geltenden [X.]assung verjährt. Die geänderte Verjährungsregelung sei auch anwendbar auf Erstattungsansprüche, die nach § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] in der bis zum 30.6.2020 geltenden [X.]assung (im [X.]olgenden: [X.] a[X.]) möglicherweise noch nicht verjährt gewesen seien.

4

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 29.6.2022 begründet hat. Die [X.] war zuvor bis zum [X.] verlängert worden. Die Klägerin hat sich zudem mit Schriftsatz vom 4.10.2022 geäußert.

5

II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.] zu verwerfen. Sie wird nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] gebotenen [X.]orm begründet.

6

a) Die Klägerin macht ausdrücklich nur eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde mit diesem Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 [X.]) begründet, muss in der Beschwerdebegründung dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der [X.]ortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB [X.] vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.] 4 mwN). Hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit ist unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorzubringen, dass zu diesem [X.]ragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende [X.]rage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl zB [X.] vom [X.] - B 5 RE 16/20 B - juris Rd[X.] 6 mwN). Gemessen hieran legt die Klägerin die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht ausreichend dar.

7

Der Beschwerdebegründung lässt sich die Rechtsfrage entnehmen:

        

"Kann ein Erstattungsanspruch nach § 225 Abs. 1 [X.], der zum Zeitpunkt des Eingangs der erstmaligen Erstattungsforderung beim zuständigen Träger der [X.] und im Zeitpunkt der Klageerhebung zur Durchsetzung des Anspruchs noch nicht verjährt war, nachträglich verjähren, wenn während des sozialgerichtlichen Verfahrens eine Rechtsänderung eingetreten ist und die Verjährung durch die Klageerhebung gehemmt war?"

8

Die [X.]rage zielt offensichtlich auf eine Klärung des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] in der seit dem 1.7.2020 geltenden [X.]assung. Die Klägerin befasst sich im Zusammenhang mit allgemeinen Erwägungen zum zeitlichen Anwendungsbereich von Gesetzen mit den Entscheidungen des BSG vom [X.] ([X.] [X.] 16/08 R - [X.], 213 = [X.] 4-1300 § 44 [X.]), vom 26.6.2001 ([X.] U 28/00 R - [X.] 3-2700 § 44 [X.] 1) und vom [X.] (11 [X.] - [X.] 3-4100 § 152 [X.] 7). Sie zeigt indes nicht auf, inwiefern nach dem Urteil des [X.] (B 5 R 35/21 R - zur Veröffentlichung in [X.] 4 vorgesehen) Klärungsbedarf speziell zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] verblieben sein könnte. Der Senat hatte dort ebenfalls über die Verjährung eines Erstattungsanspruchs des Beklagten gegen einen Träger der Beamtenversorgung zu befinden und die anwendbaren Verjährungsregelungen zu bestimmen. Er hat entschieden, der dortige Erstattungsanspruch für die Jahre 2004 bis 2012 sei bei Klageerhebung [X.] gemäß § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] a[X.] noch nicht verjährt gewesen. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts sei die Altfassung der Vorschrift auch auf den dort zu beurteilenden Sachverhalt anwendbar, trotz der während des dortigen Berufungsverfahrens bewirkten Gesetzesänderung (vgl [X.] B 5 R 35/21 R - juris Rd[X.] 21, auch zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Die Klägerin geht nicht darauf ein, ob sich mit diesen Erwägungen nicht zugleich die von ihr aufgeworfene [X.]rage zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] beantworten lasse. Sie nennt die [X.] lediglich im Zusammenhang mit der Darstellung des [X.] der Altfassung der Vorschrift, indem sie ausführt, das BSG habe bestätigt, dass nach § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] a[X.] der Verjährungsbeginn letztlich davon abhänge, wann der Erstattungsanspruch geltend gemacht werde.

9

Der Klägerin wäre ein Eingehen auf die Entscheidung des [X.] auch möglich gewesen, obgleich diese bei Ablauf der [X.] noch nicht mit schriftlichen Entscheidungsgründen veröffentlicht gewesen ist. Zur Darlegung der (fortbestehenden) Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage ist auf eine einschlägige neue Rechtsprechung nur einzugehen, wenn dem Beschwerdeführer eine Kenntnisnahme und Verwertung bis zum Ablauf der Begründungsfrist möglich war (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 160a Rd[X.] 14g). Das ist hier schon deswegen zu bejahen, weil ein Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des [X.] zugegen gewesen ist (vgl zu diesem Aspekt, wenn auch bezogen auf eine [X.], [X.] vom 29.11.1989 - 7 [X.]/88 - [X.] 1500 § 160a [X.] 67 S 90). Zudem lässt sich dem vor [X.]ristablauf veröffentlichten Terminbericht vom [X.] entnehmen, dass der Senat, wie die Klägerin im Schriftsatz vom 4.10.2022 selbst referiert, im dort zu entscheidenden [X.] die Verjährung nach § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] a[X.] beurteilt und befunden hat, dass es sich bei § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] in der seit dem 1.7.2020 geltenden [X.]assung um eine Neuregelung handelt, die auf den dort entschiedenen [X.]all keine Anwendung findet. Bereits dies legt nahe, dass der Senat die aufgeworfene Rechtsfrage in dem Sinne geklärt hat, dass § 2 Abs 4 Satz 1 [X.] keine Anwendung auf Altfälle findet. Vor diesem Hintergrund hätte es zumindest einer knappen Darlegung bedurft, inwiefern jedenfalls ausgehend von den Ausführungen im Terminbericht weiterhin Klärungsbedarf zum zeitlichen Anwendungsbereich der neuen Verjährungsregelung bestehen könnte. Derartiges Vorbringen fehlt.

b) Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist eine [X.] zulässig, wenn das Revisionsgericht - wie hier - zeitlich nach der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit einen Rechtssatz aufstellt, der von einem Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung abweicht, und eine Divergenz erst nachträglich, aber noch innerhalb der [X.] eintritt (vgl [X.] vom 8.9.2015 - B 1 KR 34/15 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 28 Rd[X.] 4 ff und bereits [X.] vom 29.11.1989 - 7 [X.]/88 - [X.] 1500 § 160a [X.] 67 S 90). Hierin liegt keine Umdeutung einer Grundsatzrüge in eine [X.], die lediglich in den [X.]ällen in Betracht kommt, in denen die Divergenz nach Ablauf der [X.] eintritt (vgl hierzu zB [X.] vom [X.] - B 1 KR 49/20 B - juris Rd[X.] 6 mwN; vgl auch [X.] Zweiter Senat 1. Kammer Beschluss vom 21.1.2000 - 2 BvR 2125/97 - juris Rd[X.] 34). Die nachträgliche Divergenz des angegriffenen Berufungsurteils ist vielmehr vom Beschwerdeführer - zumindest sinngemäß - geltend zu machen und entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] zu begründen (vgl [X.] vom 8.9.2015 - B 1 KR 34/15 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 28 Rd[X.] 8; vgl auch [X.] vom [X.] - B 4 AS 362/20 B - juris Rd[X.] 5). Ist wie hier das die Abweichung begründende Urteil vor Ablauf der [X.] verkündet, aber noch nicht abgesetzt worden, gelten in Bezug auf den die Abweichung begründenden höchstrichterlichen Rechtssatz geringere Darlegungsanforderungen. Es genügt, wenn die höchstrichterliche Entscheidung genannt wird, von der das angegriffene Urteil angeblich abweicht, und Ausführungen dazu gemacht werden, dass unter Zugrundelegung der bekanntgewordenen Maßstäbe in der höchstrichterlichen Entscheidung das angefochtene Urteil nicht zutreffen dürfte (vgl [X.] vom 29.11.1989 - 7 [X.]/88 - [X.] 1500 § 160a [X.] 67 S 90). Eine solche [X.] hat die Klägerin innerhalb der Begründungsfrist auch nicht sinngemäß erhoben.

Dem Schriftsatz vom 29.6.2022 lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die Klägerin eine Abweichung der angegriffenen Berufungsentscheidung vom - nachträglich - ergangenen Urteil des [X.] geltend macht. Es wird auch nicht vorgebracht, das Urteil des [X.] könnte in Anbetracht der Entscheidung des [X.] inhaltlich unrichtig sein. Die Klägerin führt vielmehr aus, die aufgeworfene Rechtsfrage bedürfe der Klärung, weil sie bislang weder höchstrichterlich geklärt sei noch höchstrichterliche Entscheidungen zur Auslegung vergleichbarer Regelungen vorliegen würden. Der Schriftsatz vom 4.10.2022, in dem die Klägerin erstmals zu einer Abweichung vorträgt, ist erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim BSG eingegangen.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

2. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.] iVm § 154 Abs 2 VwGO und berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Beschwerde. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.] iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3, § 52 Abs 3 Satz 1 GKG.

[X.][X.]

Meta

B 5 R 88/22 B

23.11.2022

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Berlin, 7. Juni 2019, Az: S 97 R 2219/18, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.11.2022, Az. B 5 R 88/22 B (REWIS RS 2022, 8115)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8115

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