Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.07.2010, Az. I B 174/09

1. Senat | REWIS RS 2010, 4687

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch das FG - Verwertung einer in einem Strafverfahren getätigten Aussage


Leitsatz

NV: Das FG muss einen Zeugen grundsätzlich selbst vernehmen. Es darf jedenfalls nicht dann davon absehen und statt dessen eine Einlassung des Zeugen in einem Strafverfahren verwerten, wenn gegen die Richtigkeit dieser Einlassung substantiierte Einwendungen erhoben werden .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über einen Betriebsausgabenabzug.

2

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, produziert Stahlteile. In ihrer Gewinnermittlung für das Streitjahr (1996) verbuchte sie u.a. Leistungen an eine Firma T-GmbH als Betriebsausgaben. Bei der T-GmbH handelte es sich nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) um ein Unternehmen, das im Juli 1996 zum Handelsregister angemeldet, jedoch weder im Handelsregister noch in der Handwerksrolle eingetragen worden ist. Die von der Klägerin vorgelegten Verträge mit der T-GmbH datieren aus der [X.] bis September 1996 und beziehen sich auf die Durchführung von Stahlverlegearbeiten; die dafür von der Klägerin verbuchten Gegenleistungen belaufen sich auf insgesamt 586.000 DM.

3

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) ging im [X.] an eine Außenprüfung davon aus, dass es sich bei der T-GmbH um eine Scheinfirma gehandelt habe, und versagte deshalb im Hinblick auf den Betrag von 586.000 DM den Betriebsausgabenabzug. In einem daraufhin geführten Einspruchsverfahren beschränkte er die Kürzung des [X.] auf einen Betrag von 380.900 DM; dies beruhte darauf, dass er sich nunmehr auf § 160 der Abgabenordnung stützte und den Umfang der Kürzung deshalb an dem vermutlich bei der T-GmbH eingetretenen Steuerausfall orientierte. Zudem versagte er der Klägerin in einem weiteren, inzwischen nicht mehr streitigen Punkt ebenfalls den Betriebsausgabenabzug.

4

Die Klage gegen die dementsprechende Einspruchsentscheidung hatte nur teilweise Erfolg. Das [X.] entschied, dass die im Einspruchsverfahren vorgenommene zusätzliche Kürzung des [X.] rechtswidrig, der Betrag von 586.000 DM aber insgesamt nicht steuermindernd zu berücksichtigen sei. Auf dieser Basis setzte es die Körperschaftsteuer und den [X.] für das Streitjahr fest ([X.] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. September 2009  6 K 3058/00, nicht veröffentlicht). Die Revision gegen sein Urteil ließ es nicht zu.

5

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zuzulassen sei.

6

Das [X.] ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Die [X.]lägerin macht zu Recht geltend, dass das [X.] gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen hat und dass seine Entscheidung auf diesem Fehler beruht.

8

1. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 [X.]O erhebt das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung. Der daraus folgende Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme besagt u.a., dass Zeugen in erster Linie vom [X.] vernommen werden müssen. In anderen gerichtlichen Verfahren gewonnene Beweisergebnisse dürfen zwar im Wege des [X.] in den Prozess eingeführt werden. Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ist aber ihre Verwertung gegen den Widerspruch eines Beteiligten nicht zulässig, solange die erneute Beweisaufnahme durch das Gericht selbst möglich ist (Senatsbeschluss vom 27. Juli 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2010, 45; [X.]-Urteil vom 12. Juni 1991 [X.]/87, [X.]E 164, 396, [X.] 1991, 806, jeweils m.w.[X.]). Ein Verstoß gegen diese Vorgabe ist ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O.

9

2. Im Streitfall hat das [X.] ausgeführt, es sei davon überzeugt, dass die Vereinbarungen zwischen der [X.]lägerin und der T-GmbH nur zum Schein abgeschlossen worden seien. Es hat dabei der Einlassung des [X.], die dieser in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren abgegeben hat, "maßgebliche Bedeutung" beigemessen. Auf eine unmittelbare Vernehmung des [X.] hat es verzichtet, obwohl die [X.]lägerin ausweislich des Urteilstatbestands einer Verwertung der Einlassung widersprochen und dazu auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme hingewiesen hatte. Das beanstandet die [X.]lägerin zu Recht.

In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob die vom [X.] zitierte Rechtsprechung zur Verwertung von Feststellungen eines Strafgerichts ([X.]-Urteil vom 2. Dezember 2003 [X.], [X.]E 204, 380, m.w.[X.]) auf die Verwertung einer im Strafverfahren abgegebenen Einlassung übertragen werden kann. Denn nach jener Rechtsprechung darf sich das [X.] solche Feststellungen nur dann zu eigen machen, wenn gegen sie keine substantiierten Einwendungen erhoben werden. Im Streitfall hatte die [X.]lägerin jedoch erstinstanzlich u.a. geltend gemacht, dass die in Rede stehende Einlassung nicht von [X.] selbst, sondern von dessen Verteidiger verfasst worden und dass sie möglicherweise das Ergebnis einer im Strafverfahren getroffenen Absprache zu Lasten Dritter gewesen sei. Angesichts dieses Vortrags hätte das [X.] nur dann auf die Vernehmung des [X.] verzichten dürfen, wenn sie unmöglich, unzulässig oder unzumutbar gewesen wäre (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 164, 396, [X.] 1991, 806; [X.] in Tipke/[X.], [X.], § 81 [X.]O Rz 27, m.w.[X.]); Überlegungen dazu enthält sein Urteil indessen nicht. Damit beruht die vom [X.] gewonnene Überzeugung --und in der Folge die von ihm getroffene Entscheidung-- auf der Verwertung eines unzulässigerweise herangezogenen Beweismittels. Die [X.]lägerin hat dies in ausreichender Weise gerügt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O), weshalb ihr Rechtsmittel im Ergebnis Erfolg haben muss. Auf die [X.] der [X.]lägerin muss angesichts dessen nicht eingegangen werden.

3. Nach § 116 Abs. 6 [X.]O kann der [X.], wenn die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O vorliegen, auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin das angefochtene Urteil durch Beschluss aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen. Ein solches Vorgehen erscheint im Streitfall unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie sachgerecht, da ein Revisionsverfahren letztlich zu demselben Ergebnis führen müsste.

Meta

I B 174/09

19.07.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 15. September 2009, Az: 6 K 3058/00, Urteil

§ 81 Abs 1 S 1 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.07.2010, Az. I B 174/09 (REWIS RS 2010, 4687)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4687

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III B 203/11 (Bundesfinanzhof)

(Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme als Verfahrensfehler in Zusammenhang mit einer Zeugenvernehmung)


I B 87/10 (Bundesfinanzhof)

Beweiserhebung von Amts wegen, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, Verlust des Rügerechts, vGA durch Unterlassen einer Forderungseinziehung


VIII B 198/09 (Bundesfinanzhof)

Unmittelbare Beweisaufnahme im Finanzgerichtsprozess


V B 72/18 (Bundesfinanzhof)

Verfahrensfehler; Aufhebung und Zurückverweisung; Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, Verwertung mittelbarer Beweismittel; Gesamtergebnis des Verfahrens


XI B 75/12 (Bundesfinanzhof)

Verwertung von strafgerichtlichen Feststellungen durch das FG - vorweggenommene Beweiswürdigung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.